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Rede von Außenminister Guido Westerwelle im kosovarischen Parlament in Pristina
--Es gilt das gesprochene Wort--
Sehr geehrter Herr Staatspräsident,
sehr geehrter Herr Parlamentspräsident,
sehr geehrter Herr Premierminister,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
meine Damen und Herren,
es ist eine Ehre, dass ich heute vor diesem Hohen Hause sprechen darf. Dafür danke ich Ihnen.
Hier in diesem Haus werden Sie die Weichen für ein demokratisches und friedliches Kosovo stellen.
Auch als Außenminister bin ich überzeugter Parlamentarier geblieben.
Das besondere am demokratischen Staat ist nicht, dass er eine Regierung hat.
Das besondere an der Demokratie ist das Parlament, das das gesamte Volk vertritt. In der Demokratie kontrolliert das Parlament die Regierung, nicht umgekehrt.
Im Parlament treffen sich Mehrheit und Minderheit, Anhänger der Regierung und Vertreter der Opposition, um über die besten Lösungen für die Probleme ihres Landes zu ringen. Hier im Parlament schlägt das Herz des demokratischen Staates, hier entscheidet sich, wie Mehrheit und Minderheit im Staat miteinander umgehen.
Als Abgeordnete tragen Sie große Verantwortung für die Geschicke Ihres Landes. Ihre Bürgerinnen und Bürger messen Sie daran, wie Sie dieser Verantwortung gerecht werden.
Ihnen und Ihrem noch jungen Parlament wünsche ich eine große Zukunft.
Nach dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs steht fest, dass die Unabhängigkeitserklärung Kosovos dem Völkerrecht entspricht.
Der Gerichtshof hat sich der Rechtsauffassung angeschlossen, die auch die deutsche Bundesregierung vertritt.
Die Unabhängigkeit der Republik Kosovo bedeutet keine Änderung völkerrechtlicher Normen.
Die Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten und der Unverletzlichkeit von Grenzen wird durch diese Entscheidung nicht in Frage gestellt.
Deutschland war einer der ersten Staaten, die die Republik Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt haben. Diese Anerkennung ist ein Höhepunkt, aber sicher nicht der Schlusspunkt unserer Anteilnahme am Schicksal des kosovarischen Volkes, unserer Unterstützung für ein freies, demokratisches, gerechtes und dynamisches Kosovo.
Deutschland steht auch in Zukunft an der Seite Kosovos.
Mit der Unabhängigkeit Kosovos ist das Kapitel von Grenzziehungen und Abspaltungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien abgeschlossen. Die Landkarte des Westlichen Balkan ist fertig gezeichnet. Die Unabhängigkeit Kosovos und seine territoriale Integrität sind Tatsachen.
Streit um Grenzen und Siedlungsgebiete wurde im 20. Jahrhundert immer wieder als Vorwand für Angriffe, blutige Kriege, Mord und Völkermord in unbeschreiblichem Ausmaß herangezogen.
Diese Tragödien dürfen sich im Europa des 21. Jahrhunderts nie mehr wiederholen.
Die Erinnerung an die Vergangenheit mit all ihrem Leid ist wichtig, aber sie darf den Weg in die Zukunft nicht verstellen.
Wer in Belgrad und in Pristina Einfluss hat und mit diesem Einfluss verantwortungsvoll umgeht, kann kein Interesse an einer Eskalation in Kosovo haben.
Ich danke allen verantwortungsbewussten Kräften, dass die Lage in Kosovo nach der Unabhängigkeitserklärung nicht eskalierte.
Ich sage das auch und gerade mit Blick nach Belgrad und mit Blick auf die Serben in Kosovo. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass Gewalt und Zerstörung auf Dauer niemandem weiterhilft. Das friedliche Zusammenleben aller Ethnien in Kosovo ist eine der großen Herausforderungen an die Politik.
Mit der Unabhängigkeit sind die Kosovo-Albaner zur Mehrheit in ihrem Staat geworden.
Jeder Staat, der das Kosovo anerkennt, tut dies in der Erwartung, dass das Kosovo mit dieser neuen Machtverteilung verantwortungsvoll umgeht.
Ein wichtiger Gradmesser für die Humanität einer Gesellschaft ist der Umgang mit nationalen Minderheiten. Die Verfassung von 2008 enthält alle Prinzipien und Garantien, damit alle Menschen in Kosovo, auch die Kosovo-Serben, die Roma und alle anderen Minderheiten sicher und gleichberechtigt leben können.
Wichtig ist nun, dass dieser Verfassungsanspruch auch Verfassungswirklichkeit wird.
Kosovo hat die Mittel, aber auch die Verpflichtung, das Zusammenleben der Ethnien zu ermöglichen. Ich hoffe sehr, dass man eines Tages von Kosovo als Vorbild für eine multiethnische Gesellschaft spricht.
Das ist keine leichte Aufgabe. Die Verletzungen von Jahrzehnten der Gängelung und der Unterdrückung, aber auch der Vergeltung sitzen tief.
Niemand verlangt, dass Angehörige einer Minderheit ihre Identität ablegen und sich von einem Tag auf den anderen ausschließlich als Kosovaren verstehen. Es wäre auch falsch, das zu verlangen. Man kann die Identität eines Menschen nicht einfach umbenennen. Identität hat viele Facetten. Die Staatsangehörigkeit ist eine davon, die Sprache, die Kultur und die Familie sind weitere.
Das 20. Jahrhundert hat viele Experimente gesehen, in denen Regierungen versucht haben, aus ihren Staatsbürgern den Neuen Menschen zu formen. Alle diese Experimente versuchten es mit Gewalt und alle diese Experimente scheiterten.
Der Staat kann und darf Identität nicht erzwingen, aber er kann und muss die Bedingungen schaffen, dass sich Identität und ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln können.
Das geht nur, wenn alle Bürger dieselben Rechte haben und sich alle auf den Schutz durch den Staat verlassen können.
Zugehörigkeitsgefühl entsteht, wenn jeder ohne Ansehen seines Namens und seiner Herkunft beispielsweise Richter oder Polizist werden kann und damit Teil und Repräsentant der staatlichen Ordnung.
Jede Regierung Kosovos wird sich auch daran messen lassen müssen, wie sie der Verantwortung für Serbisch-Orthodoxe Klöster und andere Kulturstätten gerecht wird. Es ist richtig, dass die Polizei Kosovos diese Aufgabe übernimmt. Keine andere Lösung wäre auf Dauer mit der Souveränität Kosovos vereinbar.
In Belgrad schaut man zu Recht ganz genau hin, wie ernst es der neuen Republik Kosovo mit dem Schutz der Klöster und Kulturstätten ist. Diese Orte sind Teil der gemeinsamen Geschichte und Symbol dafür, dass der Balkan über Jahrhunderte die Heimat ganz vieler Völker war. Ich bin zuversichtlich, dass zwischen der Serbisch-Orthodoxen Kirche und den öffentlichen Stellen in Kosovo Vertrauen entstehen wird.
In der EU und der NATO ist die Frage der Verantwortung für die Sicherheit der Klöster und Kulturstätten eingehend besprochen worden.
Dass diese Verantwortung von KFOR auf die Sicherheitskräfte der Republik Kosovo übergehen, unterstreicht unser Vertrauen und unsere Erwartungen an die Kosovo-Polizei. Diese Verantwortung bedeutet vor allem auch eine Verpflichtung. Ausschreitungen und Gewalt wie im März 2004 dürfen sich nie wiederholen.
Die Versöhnung zwischen Ethnien erfordert einen langen Atem. Aber Leid, Demütigungen, Zerstörungen und Morde der Balkankriege dürfen den Weg in die Zukunft nicht verbauen.
Vielleicht werden erst diejenigen, die 2010 geboren werden, die historische Bürde mit der Unbefangenheit der Nachgeborenen erleben. Versöhnung ist notwendig, damit alle Menschen in Kosovo jetzt und in Zukunft in Frieden und Sicherheit leben können.
Der Tag wird kommen, an dem ein Vertreter Kosovos mit einem Vertreter Serbiens in Brüssel am Tisch sitzen wird, um mit Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten die Zukunft der Europäischen Union mitzugestalten.
Vor wenigen Jahren war das für die meisten noch Utopie, aber die Geschichte der europäischen Einigung hat bewiesen, dass Utopien wahr werden können.
Nach den Verheerungen zweier Weltkriege hätte eine Politik der Rache vielen vermutlich näher gelegen als eine Politik der Aussöhnung. Stattdessen wagten die Nachbarn Deutschlands die Versöhnung trotz des unendlichen Leides, das ihnen Deutschland und die Deutschen angetan hatten.
Man kann die Bedeutung dieser Leistung für die Geschicke Europas gar nicht hoch genug einschätzen. Aus dem Geist der Versöhnung ist über die Jahrzehnte echtes Vertrauen entstanden, das die europäische Einigung erst möglich gemacht hat.
Die Geschichte Europas und die Geschichte Deutschlands mahnen uns, dass Konflikte friedlich gelöst werden müssen. Gelingt dies nicht, stehen am Ende auf beiden Seiten vor allem Opfer des Krieges, Mütter und Väter, die ihre Söhne verloren haben, Mädchen und Jungen, die ihre Väter und Brüder verloren haben.
Gerade in Deutschland haben wir 1998 und 1999 lange und heftige Diskussionen geführt, wie wir auf die drohende Katastrophe in Kosovo reagieren sollten. Niemand in Deutschland hat es sich leicht gemacht, Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr dorthin zu senden, wo einst Jugoslawien lag.
Aber genauso, wie ich überzeugt bin, dass Krieg immer auch ein Scheitern der Politik bedeutet, bin ich überzeugt, dass Kosovo heute eine europäische Perspektive hat, weil KFOR erfolgreich war.
Das ist vor allem das Verdienst aller bei KFOR dienenden Soldatinnen und Soldaten. Dazu gehören die Frauen und Männer der Bundeswehr, denen ich für ihren Einsatz von Herzen danke.
Dass es um den Einsatz von KFOR außerhalb Kosovos still geworden ist, ist eine sehr gute Entwicklung. Andere internationale Themen und Konflikte beherrschen jetzt die Medienberichterstattung. Dass Kosovo nicht mehr mit Gewalt und Konflikten in die Schlagzeilen kommt, zeigt, dass KFOR seine Aufgabe erfüllt.
Ich möchte Sie darin bestärken, Ihren Weg nach Europa voller Entschlossenheit und Zuversicht zu gehen.
Wir alle wissen, dass Kosovo auf diesem Weg nach Europa noch enorme Herausforderungen bewältigen muss.
Sie werden Deutschland dabei an Ihrer Seite haben.
Jedes Unternehmen wird sich die Situation in Ihrem Land sehr genau anschauen, bevor es Geld investiert. Aber obwohl die globale Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre die Risikofreude internationaler Investoren nicht befördert hat, besteht beachtliches Interesse an strategischen Investitionen. Auch deutsche Unternehmen haben ihr Interesse bekundet.
Je transparenter die Ausschreibungs- und Vergabeverfahren sind, umso mehr werden ihnen folgen. Wichtige Kriterien für Investitionen sind auch unabhängige und funktionierende Gerichte und ein faires und berechenbares Zollwesen.
Die deutsche Unterstützung für den Aufbau einer multiethnischen Justiz und Polizei und eine effektive Zollverwaltung stärkt die Attraktivität von Investitionen in Kosovo.
Kosovo muss die Schwachstellen angehen, die den wirtschaftlichen Aufschwung hemmen. Die EU-Kommission hat in ihrem Fortschrittsbericht 2009 Defizite bei der Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität angemahnt. Da gibt es noch einiges zu tun.
In den letzten elf Jahren hat Deutschland Kosovo bilateral mit 340 Millionen Euro unterstützt, um die Folgen jahrzehntelanger Vernachlässigung zu beseitigen und ein neues Kosovo aufzubauen.
Als nach dem Ende des Krieges das Bankensystem zusammen gebrochen war, wurde mit Geld aus Deutschland die erste Nachkriegsbank in Kosovo gegründet.
Heute haben kleinere und mittlere Unternehmen und private Haushalte Zugang zu Krediten.
Als Wasserknappheit und Stromausfälle an der Tagesordnung waren, hat Deutschland geholfen. Heute arbeitet die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW mit vier der sieben regionalen Wasserwerke zusammen.
Im vergangenen Jahr sagte Deutschland insgesamt 42 Millionen Euro an weiterer Hilfe zu. Auch künftig werden wir uns um den Ausbau der Infrastruktur kümmern, um mehr Fernwärme zum Heizen von Gebäuden, um umweltverträgliche Wasser- und Stromversorgung.
Wichtig ist, dass die Menschen in Kosovo spüren, dass es in ihrem Land voran geht. Die Politik muss ihnen beweisen, dass es sich lohnt, anzupacken, hart zu arbeiten und dieses Land aufzubauen. Die Menschen müssen raus aus der Armut und rein in Arbeit und Lohn.
Frauen und Männer mit guten Ideen nutzen heute die neue wirtschaftliche Freiheit. Eigeninitiative und die Entwicklung des Mittelstandes werden die Entwicklung Kosovos vorantreiben.
Schon jetzt findet man Wachstum und neue Chancen vor allem bei kleineren Betrieben, im Handel, in der Landwirtschaft, im Handwerk und im produzierenden Gewerbe.
Kosovo braucht dieses Wachstum dringend, um seiner jungen Gesellschaften eine Zukunft zu geben. Die jungen Frauen und Männer brauchen eine Perspektive in Kosovo selbst. Deswegen hat Deutschland ab 2007 die Bildung zum Schwerpunkt der bilateralen Zusammenarbeit gemacht. Wir beraten beim Aufbau der beruflichen Bildung, bei Ausbildungsprogrammen für Lehrer und bei der Anpassung der Berufsausbildung, die sowohl für die Bedürfnisse vor Ort passen und zugleich die in der EU üblichen Standards erfüllen.
Die jungen Frauen und Männer in Kosovo werden an ihrer europäischen Zukunft umso entschlossener arbeiten, je mehr sie Europa als Raum der Freiheit erfahren. Damit meine ich ausdrücklich auch die Reisefreiheit. Je schneller die Reformen greifen, umso schneller werden die Bürgerinnen und Bürger Kosovos ohne Visum in Europa reisen können.
Ich war auf dem Weg nach Pristina in Zagreb, Belgrad und Sarajewo. Allen meinen Gesprächspartnern ist bewusst, dass es allen nützt, wenn es den Nachbarn gut geht.
Alle Länder auf dem Westlichen Balkan brauchen die Stabilität der gesamten Region. Das ist eine Priorität für die EU und das ist auch für mich eine Priorität meiner Außenpolitik. Auf der Grundlage gutnachbarschaftlicher Beziehungen wird dann auch die Einbindung aller Staaten des Westbalkans in die euro-atlantischen Strukturen gelingen.
Schon jetzt ist Kosovo Mitglied im Internationalen Währungsfond und der Weltbankgruppe.
Deutschland wird weiter dafür werben und arbeiten, dass die Republik Kosovo möglichst bald ihren Platz als vollwertiges Mitglied der Völkerfamilie einnehmen kann. Die Zukunft Kosovos liegt im geeinten Europa.