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Interview: Westerwelle mit der japanischen Zeitung „Mainishi Shimbun“

09.08.2010 - Interview

Für viele Japaner beginnt die Debatte über nukleare Abrüstung mit dem Andenken an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki. Für Sie als eine Persönlichkeit, die sich besonders stark für die weltweite atomare Abrüstung einsetzt: Welche Bedeutung haben diese Opfer? Ziehen Sie während Ihrer Amtszeit einen Besuch in Hiroshima bzw. in Nagasaki in Erwägung?

Das unfassbare Leid von Hiroshima und Nagasaki ist eine Mahnung für die Menschheit, alles daran zu setzen, damit eine Welt ohne Atomwaffen nicht nur Vision bleibt, sondern Wirklichkeit wird. Der US-Präsident Obama hat diese Vision in seiner Prager Rede mutig beschrieben. Abrüstung ist ein Gebot unserer Zeit. Das ist eine Grundüberzeugung, die Deutschland und Japan aufgrund der verheerenden Zerstörungen im 2. Weltkrieg seit jeher verbindet. Unsere beiden Länder sind aber auch über Abrüstungsfragen hinaus sehr enge Partner. Deshalb habe ich Japan sehr früh in meiner Amtszeit besucht. Weitere Besuche werden mit Sicherheit folgen.

Auf der NPT-Überprüfungskonferenz haben die nicht-nuklearen Staaten - darunter auch Japan - eine wichtige Rolle gespielt und ein Abschlussdokument konnte beschlossen werden. Wie bewerten Sie die Ergebnisse der NPT-Überprüfungskonferenz? Welche Aufgaben werden Deutschland und Japan noch erfüllen müssen, um die nukleare Abrüstung und die Nichtweiterverbreitung auch in Zukunft voranzutreiben?

Die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag war ein großer Erfolg für die internationalen Abrüstungsbemühungen. Erstmals seit zehn Jahren konnten sich alle Teilnehmerstaaten auf einen ausgewogenen Konsens einigen. Wir begrüßen sehr, dass sich alle Teilnehmer ausdrücklich zum Ziel der vollständigen Abschaffung aller Arten von Atomwaffen bekannt haben. Damit werden auch die substrategischen Nuklearwaffen, die bisher keinerlei Rüstungskontrollmechanismen unterworfen sind, in den weiteren Abrüstungsprozess einbezogen. Deutschland und Japan haben die Verhandlungen in New York ganz wesentlich mitgeprägt und werben auch danach für konkrete Abrüstungsfortschritte. Dabei geht es auch darum, in einem nächsten Schritt nicht nur die Zahl, sondern auch die militärische Bedeutung von Atomwaffen zu reduzieren.

Zwar haben die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland einen neuen Anfang im Prozess der nuklearen Abrüstung gemacht, doch es gibt nur langsame Fortschritte und in der Tatsache, dass Amerika und Russland etwa 90 Prozent der Atomwaffen weltweit besitzen, ist keine Änderung in Sicht. Wie sehen Sie diese Tatsache? Meinen Sie, andere Staaten in der internationalen Gemeinschaft sollten sich in dieser Sache mehr engagieren?

Mit dem neuen START-Vertrag zeigen die beiden größten Atommächte, dass sie bereit sind, ihrer Verantwortung bei der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle gerecht zu werden. Der Vertrag ist nicht nur in der abrüstungspolitischen Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland ein Meilenstein, sondern zugleich für die weltweiten Abrüstungsbemühungen. Präsident Obama und Präsident Medwedew haben sich klar festgelegt, dass dem neue START-Vertrag weitere abrüstungspolitische Anstrengungen folgen sollen. Neben einer möglichst raschen Ratifizierung geht es darum, auch andere Arten von Atomwaffen in diese Bemühungen einzubeziehen. Mit dem Ergebnis der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag haben wir dafür den richtigen Rahmen. Denn auch die anderen Vertragsstaaten mit Atomwaffen haben sich in New York zur Unterstützung des nuklearen Abrüstungsprozesses verpflichtet.

Der Koalitionsvertag besagt: „Im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“. Welche Vorschläge oder Empfehlungen zu einem strategischen Wechsel kann Deutschland dem kommenden NATO-Gipfel zur Frage der nuklearen Abrüstung bzw. der Abrüstung konventioneller Waffen machen? Ist es möglich, dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen in dieser Legislaturperiode abgezogen werden?

Beim NATO-Gipfel im November in Lissabon soll das künftige Strategische Konzept der Allianz beschlossen werden. Darin geht es auch um die Frage, welche Rolle Atomwaffen für die Sicherheit und Verteidigung der NATO im heutigen Sicherheitsumfeld noch spielen. Gemeinsam mit anderen NATO-Außenministern habe ich bei unserem Treffen in Tallinn im April eine Diskussion über die Bedeutung von Nuklearwaffen im Bündnis angestoßen. Die USA haben in ihrer eigenen Nuklearstrategie die Rolle von Nuklearwaffen schon deutlich verringert. Diese Debatte hat also bereits Fahrt aufgenommen. In diesem Zusammenhang bleibt es unser Ziel, dass die letzten Nuklearwaffen auf deutschem Boden im Einvernehmen mit unseren Verbündeten abgezogen werden können.

Dass in Amerika die Stimmen für zugunsten der atomaren Abrüstung stärker geworden sind, ist eine Folge der Angst, dass Atomwaffen in den Hände von terroristischen Organisationen gelangen könnten. Inwiefern sehen Sie eine bestehende Gefahr, dass dies passieren könnte? Welchen Beitrag kann Deutschland bezüglich der oben genannten Gefahr für die internationale Gemeinschaft leisten? Werden Sie gegebenenfalls einen Sitz als nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats dazu nutzen?

Die Gefahr der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen nehmen wir sehr ernst. Wir müssen unbedingt verhindern, dass Atomwaffen in die Hände von Terroristen fallen. Dazu gehört auch ein konsequentes Eintreten für weitere Abrüstungsfortschritte. Denn nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung sind zwei Seiten derselben Medaille. In diesen Fragen arbeiten Deutschland und Japan sehr eng zusammen. Im Fall einer erfolgreichen Wahl werden wir selbstverständlich auch als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für diese politischen Ziele arbeiten.

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