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Rede von Bundesminister Westerwelle zu Religionsfreiheit vor dem Deutschen Bundestag
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eine aktive Menschenrechtspolitik ist Markenzeichen deutscher Außenpolitik. Der Einsatz für Religionsfreiheit ist Teil unserer aktiven Menschenrechtspolitik. Ich habe um das Wort gebeten, weil ich nachdrücklich unterstreichen möchte, dass das Engagement der Antragsteller und, wie ich denke, des gesamten Hohen Hauses für Religionsfreiheit, für Pluralität und gegen Verfolgung und Unterdrückung aus religiösen Gründen nicht nur das Anliegen des Parlamentes ist, sondern ausdrücklich auch ein zentrales Anliegen der Bundesregierung.
Wenn Millionen Christen in der Welt ihren Glauben nicht frei leben können, dann wollen wir nicht schweigen. Es ist richtig, dass dies ein Anliegen ist, das uns über die Parteigrenzen hinweg verbindet. In vielen Ländern darf die Bibel weder gekauft noch gelesen werden; Gottesdienste werden behindert; Christen werden ins Gefängnis geworfen oder kommen ins Arbeitslager. Auch vor Angriffen auf Leib und Leben sind sie nicht gefeit. Viele Staaten unterdrücken die freie Religionsausübung mit Verboten, Polizei und Strafen. Andererseits lassen sie ihre Bürger oft genug frei gewähren, wenn sie Jagd auf Andersgläubige machen. Beides sind Formen der Unterdrückung von Religionsausübung: die staatliche Pression und Verfolgung, aber auch das Zulassen von Verfolgung durch Mob und durch Kräfte, die die Toleranz nicht akzeptieren wollen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen - hier müssen wir uns auf Schätzungen verlassen- , dass Nichtregierungsorganisationen weltweit von mindestens 100 Millionen verfolgten Christen ausgehen. Uns geht es aber nicht nur um ein Engagement für den christlichen Glauben, die christlichen Religionen. Vielmehr geht es hier um eine grundsätzliche Frage. Wir sind der Überzeugung: Jeder Mensch muss den Glauben leben dürfen, den er für sich als wahr erkannt hat. Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit, seine Religion ungehindert auszuüben oder zu wechseln. Auch gar keiner Religion anzugehören, ist ein Ausdruck von Religionsfreiheit. Das ist das plurale Verständnis von Religionsfreiheit, das uns nicht nur über das Grundgesetz, sondern auch in unserer täglichen Politik hier verbindet.
Religionsfreiheit muss also für Angehörige christlicher Minderheiten wie für Anhänger anderer Religionen gelten. Wenn wir die Freiheit für Christen auf der ganzen Welt glaubhaft einfordern, dann heißt das natürlich auch, dass der Staat in Deutschland zuerst die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse bei uns zu Hause schützt. Ich unterstreiche nachdrücklich, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder, hier dazu gesagt hat: Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit - nicht nur weil wir von Verfassungs wegen dazu verpflichtet sind, sondern weil wir es in uns selbst fühlen und es anstreben - , dass wir, so wie wir in anderen Ländern auf Religionsfreiheit setzen, immer und immer wieder alles dafür tun werden - mit der gesamten staatlichen Gewalt und dem gesamten zivilen Engagement, das es bei uns gibt- , dass auch bei uns in vollem Umfang Religionsfreiheit gewährt wird. Das ist mehr als nur eine Frage von Gebäuden. In Wahrheit ist es auch eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Auch darum wollen wir uns gemeinsam bemühen.
Wenn sich Christen nur um die Freiheit von Christen kümmern, Hindus nur um die Freiheit von Hindus, Muslime nur um die Freiheit von Muslimen, dann ist das nicht das Miteinander von Religionen, das wir meinen. Das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen gelingt nur mit Respekt und Dialog. Wir wollen uns dabei nicht selber etwas vormachen. Es hat auch bei uns Jahrhunderte gedauert - ich rede nicht vom Mittelalter - , bis sich in Europa ein Wertekanon entwickelt hat, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, einschließlich der freien Ausübung der Religion.
Wir sollten uns als Deutsche auch daran erinnern, dass Religionsausübung in Deutschland noch im letzten Jahrhundert alles andere als selbstverständlich war. Millionenfacher Mord, auch auf religiöser Zugehörigkeit begründet, hat auf deutschem Boden stattgefunden. Deswegen ist es nicht belehrend, gegenüber anderen Ländern auf Religionsfreiheit zu drängen; es ist vielmehr die Lehre aus unserer eigenen Geschichte, dass wir uns für religiöse Pluralität überall in der Welt einsetzen.
Die Würde des Menschen, die Freiheit, die Eigenverantwortung, das ist unser Fundament; das ist auch ein Erfolg der europäischen Aufklärung. Für dieses Staatsverständnis stehen wir, und für dieses Staatsverständnis setzen wir uns weltweit ein.
Wir müssen aber allen Versuchen entgegentreten, die Achtung der Menschenrechte unter den Vorbehalt kultureller Eigenheiten zu stellen. Sehr oft hört man: Dieses oder jenes müsse man verstehen; denn es sei gewissermaßen das Ergebnis kultureller Herkunft und kultureller Eigenheit. Das ist eine Form der Relativierung von Werten, die wir nicht akzeptieren können. Religionsunterdrückung ist nicht Ausdruck von Kultur, es ist Ausdruck von Unkultur.
Das vertreten wir auch in unserer Politik, und dafür engagieren wir uns auch gemeinsam.
Oft genug wird aus Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit ein Gegensatz konstruiert. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, immer und immer wieder darauf aufmerksam zu machen: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit sind gewissermaßen zwei Früchte vom selben Baum, nämlich vom großen, wunderschönen Baum der Freiheit. Darum geht es. Auch wenn man als jemand, der religiös denkt, lebt, erzogen worden ist, das Gefühl hat, dass der eigene Glaube, vielleicht durch Karikaturen oder Meinungsäußerungen, beeinträchtigt wird, gibt es dennoch keine Rechtfertigung, gegen irgendjemanden gewalttätig zu werden. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit sind keine Gegensätze. Sie sind in Wahrheit ein wunderbares Paar, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich möchte für die Bundesregierung mit einem klaren Bekenntnis schließen. Wer Hass zwischen den Religionen schürt, verfolgt vor allem politische Ziele, keine religiösen. Religion darf nie Vorwand für Hass, nie Entschuldigung für Gewalt und Krieg sein. Deswegen wird sich die Bundesregierung im, wie ich denke, Namen des ganzen Hohen Hauses auch international dafür einsetzen, indem ein Kernbestandteil unserer Menschenrechtspolitik das Bekenntnis zur Religionsfreiheit ist. Ich selbst habe beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf ziemlich am Anfang meiner Amtszeit die Religionsfreiheit, ausdrücklich auch die Freiheit der Christen im Hinblick auf ihre Religion und ihr religiöses Bekenntnis, in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt, weil ich den Eindruck habe, dass wir nicht zulassen dürfen, dass dies ignoriert wird.
Mit Professor Bielefeldt ist vor wenigen Wochen ein Deutscher zum UNO-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit ernannt worden. Wir wünschen ihm für seine Arbeit eine glückliche Hand und viel Erfolg. Sein Anliegen ist das Anliegen der Bundesregierung, und ich bin sicher, es ist das Anliegen des ganzen Hohen Hauses.
Wenn die Öffentlichkeit sieht, dass wir bei diesen fundamentalen Wertefragen übereinstimmen, dann, so denke ich, ist das ein gutes Zeichen. Man kann das - wenn Sie mir erlauben, dies als Abgeordneter am Schluss meiner Rede zu sagen - auch durch gemeinsame Beschlussfassungen dokumentieren.
Herzlichen Dank.