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Interview: Bundesaußenminister Westerwelle in „El País“

28.05.2010 - Interview

Bundesaußenminister Guido Westerwelle im Gespräch mit der spanischen Tageszeitung „El País“ (erschienen am 28.05.10)

War es ein Fehler, nicht früher auf die finanziellen Turbulenzen zu reagieren, von denen die Eurozone betroffen ist?

Nein, denn mit Geld alleine hätte man die Probleme nicht gelöst. Wichtig ist, dass alle Staaten der EU sich auf eine vernünftige Haushaltspolitik einigen. Nur mit Strukturveränderungen können wir die Krise meistern.

Hat die deutsche Regierung von der spanischen, der italienischen und der portugiesischen Regierung verlangt, dass sie sich zu schnellen Kürzungen der Ausgaben verpflichten, um für die Einrichtung des europäischen Rettungsfonds zu bürgen?

Ich mische mich in die innenpolitische Situation der einzelnen Länder nicht ein. Aber der Grund dafür, dass die Spekulationswelle Erfolg haben könnte, ist, dass zu viele Länder in zu kurzer Zeit zu viele Schulden anhäufen. Mein Wunsch ist es, dass Europa nicht noch einmal solchen Gefahren ausgesetzt ist. Dafür muss jeder seine Hausaufgaben machen.

Befürchten Sie nicht, dass die Haushaltsanpassungen die aufkommende wirtschaftliche Erholung zum Erliegen bringen könnte?

Nein, wenn wir es intelligent angehen. Lassen Sie es uns klar sagen: Welche Alternative gibt es? Dieses Ausgabenniveau beizubehalten und alle zwei Jahre zusammenzutreffen, um Rettungsfonds mit immer riesigeren Beträgen einzurichten? Diese Anpassungen sind für die EU erforderlich, aber auch für andere große Volkswirtschaften.

Würde die deutsche Regierung einen Mechanismus unterstützen, der über die Staaten, die die Vereinbarungen nicht einhalten, Sanktionen verhängt?

Ich teile diesen Gedanken. Es ist genau einer der Punkte, die wir für erforderlich halten. Es ist nötig, Maßnahmen zu ergreifen - und dass es Konsequenzen gibt. Auf nationaler Ebene müssen Maßnahmen zur Rückkehr zu ausgeglichenen Haushalten ergriffen werden. Und auf europäischer Ebene müssen wir auch etwas unternehmen. Es ist erforderlich, dass Eurostat nicht nur befugt ist, volkswirtschaftliche Haushaltszahlen zu kommentieren, sondern auch ein Recht auf Zugang zu den nationalen Buchführungen hat. Wir meinen außerdem, dass das Defizitverfahren, über das wir derzeit verfügen, nicht mehr ausreicht.

Was müsste gemacht werden?

Wenn auf europäischer Ebene - ganz gleich, welche Einrichtung dafür zuständig ist - festgestellt wird, dass ein Mitgliedsstaat die gemeinsame Verantwortung missachtet, die wir alle haben, um unsere Währung zu schützen, sollten wir sofort alle europäischen Fonds für dieses Land sperren, Struktur- und Kohäsionsfonds. Dies würden die nationalen Regierungen dann auch berücksichtigen. Wir sind von Kopf bis Fuß Europäer. Aber wenn wir unsere Politiken auf nationaler und europäischer Ebene nicht ändern, werden wir die Zeit, die wir jetzt haben, nicht nutzen. Daher unterstütze ich alle nationalen Regierungen, die Strukturreformen durchführen möchten. Ich rufe alle Politiker - ob an der Regierung oder in der Opposition - dazu auf, die Verantwortung für Maßnahmen zum Schutz unserer gemeinsamen Währung und der Grundlagen der Union zu übernehmen. Und ein dritter Punkt, den ich hervorheben möchte, ist die Notwendigkeit der Einrichtung einer unabhängigen europäischen Ratingagentur.

Wird der Wahlsieg der euroskeptischen Tories im Vereinigten Königreich in den nächsten Jahren ein Europa der zwei Geschwindigkeiten verstärken?

Europa hat bereits verschiedene Dimensionen. Einige Länder haben die gemeinsame Währung, andere nicht. Wir respektieren die Entscheidungen anderer Mitgliedsstaaten. Was die neue britische Regierung betrifft, wissen wir, dass im Wahlkampf emotionalere Reden gehalten werden, als bei der normalen Regierungstätigkeit. Wichtig ist, dass der Vertrag von Lissabon die Instrumente bietet, um z. B. in der Sicherheitspolitik voranzuschreiten. Ich plädiere dafür, die Kooperationsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik zu nutzen. Die EU ist wie ein Fahrrad. Wenn man aufhört, in die Pedale zu treten, fällt man um. Wenn wir uns einigen in Europa, haben wir ein großes Sparpotential in der Verteidigungspolitik, ohne dass unsere jeweilige nationale Sicherheit auch nur einen Millimeter abgebaut wird.

Sie haben für Ihre Partei bei den Wahlen im letzten Jahr ein historisches Ergebnis erzielt. Aber die neuesten Wahlergebnisse in Nordrhein-Westfalen waren schlecht...

Das ist nicht richtig. Wir haben das beste Ergebnis seit 1975 erzielt. Die SPD hat das schlechteste seit 50 Jahren gehabt.

Aber im Vergleich zur Bundeswahl im September haben Sie einen Einbruch erlitten.

Das eine sind Bundeswahlen, das andere Landeswahlen. Wenn wir Äpfel mit Bananen vergleichen... Nun gut, kommen wir auf den Punkt. In den ersten sieben Monaten kann man nicht alle Versprechen halten. Wir brauchen Zeit, um unser Programm durchzusetzen. Wir haben die Regierungsverantwortung nach 11 Jahren Opposition übernommen.

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