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Westerwelle im Interview mit der Schweizer Wochenzeitung NZZ am Sonntag
Herr Westerwelle, die Schweiz hat ihren Visa-Stopp gegen Libyen auf Druck der EU aufgegeben. Sie hatten in diesen Verhandlungen eine führende Rolle. Wie haben Sie die Schweiz so weit gebracht?
Die deutsche Regierung versucht ihren Teil dazu beizutragen, den Konflikt zwischen der Schweiz und Libyen beizulegen. Auch ich persönlich habe auf Bitten der Schweiz Gespräche geführt. Selbstverständlich haben wir die souveränen Entscheidungen der Schweiz während der vergangenen Monate respektiert. Genauso respektieren wir die jüngste Entscheidung.
Die Schweiz als Schengen-Mitglied hat korrekt gehandelt, als sie 180 Libyern die Einreise in den Schengenraum verweigerte. Warum wurde sie zur Aufgabe des Visa-Stopps gedrängt?
Die Schweiz hat einen weiteren Schritt zur Lösung des Problems unternommen. Libyen ist am Zug: Wir erwarten, dass nach der Aufhebung der unverhältnismäßigen Visa-Restriktionen gegen Bürger der Europäischen Union jetzt auch Max Göldi freigelassen wird.
In diesem Punkt hat Libyen aber bisher nicht eingelenkt. Wie verhindern Sie, dass die Schweiz am Ende mit leeren Händen dasteht?
Wir haben da eine klare Erwartung: Libyen muss die Geisel Göldi freilassen, und zwar unverzüglich.
Sind Sie zufrieden mit dem neuen Steuerabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland?
Das Abkommen ist in unser beider Interesse. Denn beide Länder sind ja nicht nur befreundet, sondern haben auch eine Wertegemeinschaft. Und dazu zählt, dass wir die Notwendigkeit anerkennen, öffentliche Infrastruktur durch Steuergelder zu finanzieren. Ich vertraue darauf, dass auch die Schweiz weiß, wie wichtig es ist, dass Steuerkriminalität bekämpft wird.
Die Schweiz leistet gemäß dem Abkommen nur Amtshilfe auf Verdacht. Deutschland will den automatischen Informationsaustausch und damit die völlige Auflösung des Bankgeheimnisses. Mit dem Abkommen kann Deutschland also nicht zufrieden sein.
Wir sind mit dem Abkommen zufrieden. Sonst würden wir ihm ja nicht zustimmen.
Aber es bleibt das Fernziel Deutschlands, freien Zugriff auf alle Bankdaten seiner Bürger in der Schweiz zu haben.
Nun lassen Sie uns doch erst einmal schauen, welche Erfahrungen wir mit dem neuen Abkommen machen. Ich bin mir sicher, dass wir bei der Verfolgung unserer gemeinsamen Ziele – wie der Bekämpfung der Steuerhinterziehung – entscheidende Fortschritte erreichen werden.
Hat das Bankgeheimnis nach dem Schweizer Modell für Sie eine Zukunft?
Das Bankgeheimnis hat für jeden Liberalen eine Zukunft, und zwar auf dem OECD-Standard. Die Idee, dass dieser Standard zu einer Aufhebung des Bankgeheimnisses und zu gläsernen Bürgern führt, überzeugt mich nicht – nicht für die Schweiz, nicht für Deutschland. Mein Konto wird bei der Sparkasse geführt und nicht beim Finanzminister, und das bleibt so.
Ist die Schweiz also gar keine Steueroase?
Ich hab diese Debatte über Oasen schon begrifflich immer als fehlgeleitet empfunden. Der Mensch fürchtet sich eigentlich nicht vor Oasen, sondern vor Wüsten.
Verzichtet Deutschland nach dem Doppelbesteuerungsabkommen künftig auf den Kauf von gestohlenen Bankkundendaten?
Wenn es Hinweise gibt, dass Steuern kriminell hinterzogen worden sind, dann hat der deutsche Staat die grundgesetzliche Verpflichtung, dies zu verfolgen und Ermittlungen anzustellen. Welche Mittel er dabei ergreift, das ist eine Entscheidung der Bundesländer. Ich greife in diese Entscheidung nicht ein.
Der Kauf der Daten-CD in Nordrhein- Westfalen wurde zuletzt nicht von diesem Bundesland, sondern von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble beschlossen.
Sie wissen, dass diese Angelegenheit in Deutschland kontrovers diskutiert worden ist. Es ist nicht an mir, das Vorgehen der Bundesländer und Justizbehörden zu kommentieren.
Sie sind ein liberaler Politiker. Der Kauf von gestohlenen persönlichen Daten kann Ihnen doch nicht egal sein.
Als Liberaler habe ich großen Respekt vor den Entscheidungen in den Bundesländern. Die Deutschen haben sich mit diesen Entscheidungen sehr schwer getan. Das sehen Sie daran, dass die Bundesländer beim Kauf von Daten-CD unterschiedlich entschieden haben.
In der Schweiz gab es viele Stimmen, die Deutschland Hehlerei vorwarfen.
Ich habe während der gesamten Debatte mehrfach beide Seiten zur Mäßigung aufgerufen. Zeitweise hat man den Eindruck bekommen, als stünden sich hier zwei Länder feindlich gegenüber. Die Schweiz und Deutschland sind befreundete Staaten, die seit vielen Jahrzehnten eng zusammenarbeiten.
Wir vertreten denselben Wertekompass: freiheitliche Grundordnung, Mitverantwortung für das Gemeinwesen und Rechtsstaatlichkeit.
Aber durch den Kauf der Daten-CD haben die nachbarschaftlichen Beziehungen gelitten.
Ich habe nicht ohne Grund einen meiner ersten Antrittsbesuche als Außenminister in der Schweiz gemacht.
Ich möchte, dass, selbst wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, diese nicht zu Irritationen oder Verwerfungen führen, sondern dass man sie fair und anständig miteinander bespricht. Der Ton macht die Musik, das sage ich gegenüber meinem eigenen Land, aber auch gegenüber mancher Wortmeldung aus der Schweiz.
Viele Schweizer sind der Meinung, dass sich die Beziehung zu Deutschland in den letzten Jahren verschlechtert hat.
Da bin ich ganz anderer Meinung. Nehmen Sie den regen Handelsaustausch, oder nehmen Sie die Tatsache, dass 70 000 Schweizer in Deutschland leben. Es gibt wunderbare grenzüberschreitende Lieben. Ich kann nicht bestreiten, dass es seit einer Bemerkung eines früheren deutschen Ministers ein paar Diskussionen gegeben hat, die man nicht wegzaubern kann. Aber das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland ist absolut solide. Es wird Meinungsunterschiede und Irritationen überstehen. Und wenn sich so viele Deutsche in der Schweiz wohlfühlen und umgekehrt, dann kann es ja nicht so schlimm sein, wie es gelegentlich geschrieben wird.
In der Schweiz ist der Eindruck verbreitet, dass die deutsche Kanzlerin das Land nicht mag. Ihr bisher einziger Staatsbesuch dauerte nur wenige Stunden. Dabei hat sie eine Lösung für den Fluglärmstreit vom Tisch gewischt.
Nach meinem Kenntnisstand verbringt die Bundeskanzlerin gelegentlich sogar ihre Urlaube in der Schweiz. Das belegt, dass diese Einschätzung nicht zutrifft.
Im Streit um den Fluglärm wird neu verhandelt. Eine Studie, die von beiden Ländern in Auftrag gegeben wurde kommt zum Schluss, dass in Süddeutschland der Fluglärm keine Grenzwerte überschreitet. Lockert Deutschland jetzt die Sperrzeiten für Anflüge?
Ich begrüße sehr, dass die beiden Verkehrsminister versuchen, bis Ende des Jahres zu einer Lösung zu kommen.
Ist Deutschland bereit, die Sperrzeiten zu lockern? Wenn sich in dieser Sache etwas ändern soll, dann muss sich Deutschland bewegen.
Es ist ja immer so, dass bei Meinungsunterschieden beide denken, es liegt am anderen. Es muss doch zuerst einmal anerkannt werden, dass sich die beiden Verkehrsminister darauf geeinigt haben, eine Lösung bis Ende des Jahres zu suchen.
Kommen Sie eigentlich noch gerne in die Schweiz?
Die Schweiz ist ein wundervolles Land mit sehr herzlichen und feinen Menschen. Dieses Land habe ich zum ersten Mal als Kind besucht, und ich werde mich auch in Zukunft auf jede Reise in die Schweiz freuen, sei es zum Wandern, zum Skifahren oder zu politischen Gesprächen.
Sie sind nicht der Einzige, der gerne hierher kommt. Vor allem hochqualifizierte Deutsche übersiedeln in die Schweiz, weil sie hier bessere Arbeitsbedingungen als zu Hause antreffen. Ist das ein Problem für Deutschland?
Am Ende dieser Legislaturperiode wird Deutschland durch unsere gute Regierungsarbeit stärker werden.
Dann werden weniger Deutsche den Weg in die Schweiz suchen – es sei denn aus Gründen der Liebe.
Die Europäische Union befindet sich wegen der prekären Finanzlage einiger Mitgliedsländer in einer Krise. Ist der Euro eine Fehlkonstruktion?
Das vereinigte Europa ist eine Antwort auf die Globalisierung und das Aufstreben neuer großer Märkte in Südamerika, Indien und China. Wir haben einen großen Binnenmarkt geschaffen, der unter anderem dazu geführt hat, dass die Finanzkrise uns nicht derart hart getroffen hat, wie es anfänglich zu befürchten war. Wir sind mit unserem Binnenmarkt und mit der gemeinsamen Währung stabil.
Der englische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson sieht das anders. Er sagte vor einer Woche in der „NZZ am Sonntag“, der Euro liege im Sterben. Länder würden künftig wieder ihre eigene Währung einführen.
Als Reitersmann rufe ich: Mal langsam mit den apokalyptischen Pferden. Solange ich politisch denken kann, wurde Europa immer wieder totgesagt. Jeder, der einigermaßen gutwillig ist, erkennt, dass Europa ein Kooperationsmodell ist. Es hat uns nicht nur Frieden gebracht, sondern auch unseren Wohlstand in unruhigen Zeiten abgesichert, und zwar zum Nutzen aller Mitgliedstaaten.
Aber der Euro ist zu einer instabilen, schwachen Währung geworden.
Das sehe ich anders. Man vergisst übrigens immer, wie es vor dem Euro gewesen ist. Haben denn alle die Währungsschwankungen vergessen und wie diese nicht nur exportorientierte Länder gepeinigt haben? Der Euro ist stark, der Euro bleibt stark. Ich zweifle nicht an diesem Erfolgsmodell.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vorgeschlagen, dass EU-Mitglieder, die sich nicht an die finanzpolitischen Regeln halten, aus der EU ausgeschlossen werden können. Das Erfolgsmodell, wie Sie sagen, scheint nicht über alle Zweifel erhaben, wenn solche Maßnahmen erwogen werden.
Die Bundeskanzlerin hat – ausdrücklich losgelöst von der aktuellen Diskussion um die Situation in Griechenland – darauf hingewiesen, dass darüber nachgedacht werden muss, wie die Währungsunion insgesamt noch krisenfester wird. Deutschland verfolgt eine sehr proeuropäische Politik.
Andere Länder sehen das anders. Frankreich hat Deutschland vorgeworfen, es halte die Löhne zu tief. Dies führe zu einem für Europa unhaltbaren Überschuss in der deutschen Handelsbilanz. Mit anderen Worten: Sie exportieren zu viel und importieren zu wenig.
Wir entschuldigen uns nicht dafür, dass wir erfolgreich sind. Wir sehen das vielmehr als Anreiz für andere, mit uns in einen gesunden Wettbewerb zu treten. Man sollte nicht denjenigen kritisieren, der gute Leistungen bringt. Die Frage ist vielmehr, was getan werden kann, um Europa insgesamt wettbewerbsfähiger zu machen.
Europa fährt gut mit einem starken, erfolgreichen Deutschland.
Das gilt nicht für jene europäischen Länder, die es wegen der Exportstärke Deutschlands nicht schaffen, ihre Waren im Ausland zu verkaufen.
Wenn Deutschland schlechter und weniger erfolgreich wird, schwächt das ganz Europa. Man kann doch der Lokomotive eines Zuges nicht vorwerfen, dass sie ordentlich PS auf die Schiene bringt. Deutschland ist in Europa auch das größte Importland.
In Israel verschlechtert sich die Lage. Gibt es für Sie im Moment eine Aussicht auf eine Lösung?
Wenn es Frieden im Nahen Osten geben soll, dann wird das nur über die Zweistaatenlösung funktionieren. Und deswegen unterstützen wir die Politik, die darauf hinarbeitet. Dazu gehört, dass Israel das Recht hat, in Frieden und Sicherheit zu leben, und dass die Palästinenser das Recht haben, sich in einem eigenen Staat zu organisieren.
Die Ausweitung des israelischen Siedlungsbaus sehen wir wie die gesamte internationale Staatengemeinschaft kritisch. Wir rufen alle Beteiligten auf, so schnell wie möglich zu Gesprächen zurückzufinden.
Kann Deutschland eine besondere Rolle einnehmen?
Deutschland hat eine sehr enge Beziehung zu Israel. Das hat historische Gründe, die auf das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zurückgehen. Wir fühlen uns Israel aber auch aufgrund geteilter Werte in besonderer Weise verbunden. Wir werden unseren Einfluss geltend machen, wo wir können.
Sie wollen die deutschen Truppen ab 2011 aus Afghanistan abziehen. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass sich die Lage so schnell verbessert?
Wenn wir eines Tages abziehen wollen, müssen wir jetzt mehr tun und besser werden. Deshalb haben wir in der Bundesregierung ein neues Konzept entwickelt und bei der Afghanistan- Konferenz in London einen Strategiewechsel verabredet. Der zivile Aufbau und die Ausbildung eigener Sicherheitskräfte in Afghanistan stehen künftig im Mittelpunkt. Unser Ziel ist es, Ende des Jahres die ersten Regionen in afghanische Selbstverantwortung übergeben zu können und im nächsten Jahr unser Kontingent erstmalig zu reduzieren. Wir wollen in dieser Legislaturperiode eine Abzugsperspektive erarbeiten und unterstützen deshalb Präsident Karzais Ziel, bis 2014 die volle Sicherheitsverantwortung zu übernehmen.