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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Verleihung des Internationalen Demokratiepreises an Vaclav Havel
Liebe Bärbel Diekmann,
lieber Karel Schwarzenberg,
lieber Hans-Dietrich Genscher,
lieber Erich Bettermann,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor allem aber:
sehr geehrter Herr Präsident, lieber Vaclav Havel,
hier, im Lichthof des Museums König in Bonn, trafen sich am 1. September 1948 die Mütter und Väter des Grundgesetzes, um mit ihrer Arbeit zu beginnen.
Wo könnte der neu geschaffene „Internationale Demokratiepreis“ besser verliehen werden als hier, der Wiege der zweiten deutschen Demokratie?
Und wer wäre – erst recht in diesem besonderen Gedenkjahr 2009 – geeigneter, ihn entgegen zu nehmen als Vaclav Havel?
Er steht wie kaum ein anderer für den Geist, der 1989 geprägt hat: unerschrockener Bürgersinn, Glaube an das befreiende Wort, eine gesamteuropäische Perspektive, die Ideologien, Blöcke und Mauern sprengt.
Meine Generation und ich selbst waren politisch stark geprägt von der Entspannungspolitik. Einer Entspannungspolitik, die Willy Brandt vorgedacht hatte und die unser Land und unseren Kontinent verändert hat. Auch wenn es gelegentlich vergessen wird: 1989 hätte es ohne den Helsinki-Prozess nicht gegeben! Ich freue mich, dass Hans-Dietrich Genscher heute unter uns sein kann.
Charta 77 hieß nicht umsonst die tschechische Antwort auf diese Entspannungspolitik – und wir haben als junge Studenten eine Tiefe Verbundenheit gespürt, die uns als Teil der kritischen Jugend mit den mutigen Menschen in Polen, in der Tschechoslowakei, in der DDR verbindet!
Eine Verbundenheit und noch mehr eine gemeinsame Hoffnung, dass aus demokratischem Aufbruch, neuem Bürgersinn und gesamteuropäischer Verantwortung ein geeintes, friedliches Europa entsteht.
Ich habe mit meinem Freund Karel Schwarzenberg oft darüber gesprochen, was uns damals im Westen so fasziniert hat. Ein Element jedenfalls: die neue Dimension zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg.
Wir jungen Studenten begriffen uns damals als Teil einer europäischen Linken – in Abgrenzung zu der kommunistischen Orthodoxie im Osten und ihren intellektuellen Nachbetern im Westen. Und wir spürten, dass dort im Osten die Stimme der Demokratie und der Freiheit mit neuer Kraft und Frische erklang.
Eine Stimme der Demokratie und der Freiheit, die in kaum jemandem einen klareren Ausdruck fand als in Ihnen, lieber Vaclav Havel!
Als Sie im November 1989 auf einem Balkon am Prager Wenzelsplatz ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit traten, wusste niemand – auch Sie selbst nicht – wie die Sache enden würde. Sie selbst haben später oft erzählt, Sie hätten bis zum Schluss befürchtet, die kommunistischen Machthaber könnten doch noch gewaltsam gegen diesen Aufstand des Volkes vorgehen.
Gewiss: In Berlin war die Mauer schon gefallen und kein sowjetischer Panzer war ausgerückt, um dieses zu verhindern. Trotzdem gehörte Mut dazu, damals in Prag Presse-, Versammlungs-, Reise- und Redefreiheit zu fordern, die Menschenrechte einzuklagen, ihre Verletzungen anzuprangern, Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz zu verlangen.
Für Sie, lieber Vaclav Havel, waren diese Forderungen ganz selbstverständlich! Als Sprecher der Charta 77 hatten Sie nie etwas anderes gesagt. Nun aber redeten Sie vor 500.000 Menschen. Die Forderungen, für die man Sie früher eingesperrt hatte – fünf Jahre insgesamt –, hatte sich nun ein ganzes Land zu eigen gemacht.
Die Kraft Ihrer Worte und Ihre Glaubwürdigkeit machten Sie unangreifbar. Den einst Allmächtigen blieb nichts anderes übrig, als Sie zum neuen Präsidenten auszurufen.
So wurden Sie, lieber Vaclav Havel, etwas, was Sie eigentlich nie sein wollten: Ein Politiker und sogar ein Held – eine „Lichtgestalt“ wie später die Frankfurter Allgemeine Zeitung resümierte, „in der Wort und Wahrheit, Geist und Macht, Politik und Moral zueinander finden“.
Es war ein – im Wortsinn – märchenhafter Aufstieg, so märchenhaft und fast schon surreal, dass selbst der Dramatiker Havel Mühe gehabt hätte, daraus eines seiner wunderbaren, absurden Theaterstücke zu machen: Der Staatsfeind als Staatspräsident, der Dichter als Akteur, der Denker als verantwortlich handelnder politischer Lenker – was für ein atemberaubender Rollentausch.
Aber eben kein Wechsel im Charakterfach! Denn Sie sind sich auch im höchsten Staatsamt treu geblieben: Sie redeten nicht anders als der frühere Oppositionelle, diplomatischer im Laufe der Jahre, aber dennoch außerhalb der gängigen Norm. Dem „Leben in der Lüge“ hatte schon der vermeintliche „Staatsfeind“ Havel ein „Leben in der Wahrheit“ entgegen gesetzt. Und dabei blieben Sie, auch als Präsident.
Bereits in Ihrer ersten Neujahrsansprache als Präsident griffen Sie jenes ebenso bohrende wie sensible Thema auf, das Sie in all den Jahren zuvor umgetrieben hatte: Was nämlich die „Konfliktlinie“ zwischen Lüge und Wahrheit in jedem einzelnen Bürger ausgelöst hat.
„Wir sind alle moralisch krank, denn wir alle haben uns daran gewöhnt, das eine zu sagen und das andere zu denken“, sagten Sie. Und weiter: „Alle von uns haben uns an das totalitäre System gewöhnt, es als eine unabänderliche Tatsache hingenommen und es auf diese Weise am Leben erhalten....Keiner von uns ist einfach nur sein Opfer, denn jeder von uns hat dazu beigetragen, es zu erschaffen“.
Am Ende aber hatte sich der alte hussitische Wahlspruch durchgesetzt:
„Die Wahrheit wird siegen“.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit mit einem Missverständnis aufräumen: Ich weiß bis heute nicht, wie einige Publizisten auf die Idee kommen konnten, Sie, Vaclav Havel, mit dem Nationalhelden der Tschechen, dem braven Soldaten Schweijk zu vergleichen, der allen Machthabern trotzt und mit List und Flexibilität sein Überleben organisiert. Vaclav Havel ein Anpasser? Ein Wendehals?
Zu Recht hat die Süddeutsche Zeitung über die „Klischeemonteure aus der Medienwelt“ gespottet, denen dieser Vergleich eingefallen war. Sie nähmen – so der Vorwurf - „hinter ihren (falschen) Stereotypen schließlich den Menschen selbst nicht mehr wahr: Den Antischweijk nämlich, der nichts dringlicher versuchte, als seinen Landsleuten den Hang zur Fügsamkeit und Pragmatismus auszutreiben“.
Genauso ist es: Der Präsident Vaclav Havel hat seinem Volk nicht nach dem Munde geredet. Er wurde nicht müde, Tschechen und Slowaken an die Tugenden zu erinnern, die sie im Glückstaumel der friedlichen Revolution so eindrucksvoll bewiesen hatten. Er nahm dafür in Kauf, als Moralist verhöhnt und von seinen immer zahlreicheren Gegenspielern machtpolitisch kaltgestellt zu werden.
Sie waren und sind ein Mensch auf der Suche nach Wahrheit und dem richtigen Leben. Ein Moralist auch als Politiker. Und darin Vorbild! Ich glaube wie Sie: Zynismus in der Politik und in der Berichterstattung über Politik untergräbt die Grundfesten unserer Demokratie. Auch das gehört zum bleibenden Erbe von 1989!
Lieber Vaclav Havel,
gerade wir Deutschen verdanken Ihnen viel.
Sie haben persönlich und von Beginn an alle Anstrengungen unternommen, das Verhältnis unserer beiden Länder zu entkrampfen. Und dieses Verhältnis war schwer belastet seit der Besetzung Böhmens und Mährens durch die Nationalsozialisten und der späteren Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen. Nur wenige Tage nach Ihrem Amtsantritt reisten Sie nach Deutschland – und da nicht irgendwohin, sondern nach München; dem Ort, wo 1938 Hitler mit Hilfe der Westmächte das Ende der Tschechoslowakei eingeläutet hatte. Dann luden Sie Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Gegenbesuch auf die Prager Burg ein – nicht für irgendwann, sondern für den 15. März, den Tag, an dem Hitler 1939 den Hradschin in Besitz genommen hatte. Und hier, am historischen Ort, hielten Sie jene Rede, die als Wendepunkt in den deutsch-tschechischen Beziehungen angesehen werden kann. Sie fanden klare Worte, auch für das Schicksal der Vertriebenen, für das Leid und das Unrecht das ihnen angetan wurde.
„Ich persönlich und viele meiner Freunde verurteilen die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg“, sagten Sie. „Sie erschien mir immer als eine zutiefst unmoralische Tat, die nicht nur den Deutschen, sondern vielleicht in noch größerem Maße den Tschechen selbst Schaden zugefügt hat.“
Mit Gesten wie dieser wurden Sie zum Architekten der Aussöhnung, die im Nachbarschaftsvertrag zwischen dem wiedervereinigten Deutschland und der Tschechoslowakei von 1992 und in der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 ihren Ausdruck fand. Auch dafür ehren wir Sie heute.
Und gleichzeitig erinnern wir uns an eine Vision von Ihnen, die bis heute der Verwirklichung harrt. In Ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Karlspreises sagten Sie 1991: Es ist eine Tatsache, „dass keine zukünftige europäische Ordnung ohne die europäischen Völker der Sowjetunion denkbar ist, die ein unteilbarer Bestandteil Europas sind, und ohne die große Völkergemeinschaft, zu der sich die heutige Sowjetunion wandelt.“
Viele dieser Völker sind heute näher an Europa herangerückt. Einige sind heute Mitglieder der Europäischen Union. Aber die große Aufgabe einer gesamteuropäischen Friedensordnung unter Einschluss Russlands ist noch nicht gelöst.
Auch wenn wir vielleicht nicht immer einer Meinung sind, wie der Weg dorthin aussehen soll. Im Ziel und im Ehrgeiz sind wir vereint: Die Zeit der Blockkonfrontation ist endgültig vorbei. Der Weg nach vorn kann und darf nur der Weg der Zusammenarbeit sein!
Lieber Vaclav Havel,
als US-Präsident Barack Obama im Zuge seiner ersten Europareise vor wenigen Wochen nach Prag reiste, hat er sich als Kür in seinem dichten Pflichtprogramm ein Treffen mit Ihnen gewünscht. Nicht nur für die Amerikaner, auch für uns Deutsche sind und bleiben Sie eine Symbolfigur der friedlichen Revolution von 1989!
Viele der Grundsätze, denen wir die friedliche Revolution von 1989 verdanken, taugen ohne Abstriche auch als gültige Maximen für unser Handeln heute – 20 Jahre später in einer veränderten Welt: Die Notwendigkeit, außerhalb festgefahrener Kategorien zu denken, den Dialog zu suchen, statt Konfrontation, Zusammenarbeit über alle Differenzen hinweg, verantwortlichen Umgang mit Macht ebenso wie Sorge um die Freiheit und die Demokratie!
Für diese Prinzipien, haben Sie, verehrter Vaclav Havel, während Ihrer Zeit als Präsident in vielen Reden und Interviews geworben. Mehr noch: Nach diesen Grundsätzen haben Sie immer gelebt. Dafür möchten wir Ihnen danken und Ihnen unseren Respekt erweisen. Wir verneigen uns vor Vaclav Havel, einem großen, europäischen Staatsmann.
Ich danke Ihnen.