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„Der Rechtsstaat - Patentrezept für alle Welt?“ - Staatssekretär Silberberg zur Eröffnung des 21. Forums Globale Fragen
Der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen weltweit ist wesentliche Voraussetzung, um Demokratisierung und Menschenrechte zu fördern. Am 15. Januar 2009 befasste sich das Forum Globale Fragen im Auswärtigen Amt mit Chancen und Grenzen der Rechtsstaatsförderung in der Außenpolitik.
Sehr geehrter Herr Professor Grimm,
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestags,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Bereits vor 10 Jahren diagnostizierte die New Yorker Carnegie-Stiftung eine „Renaissance der Rechtsstaatlichkeit“ und wunderte sich über deren Popularität als neues Leitmotiv der bilateralen und internationalen Beziehungen. Da mag sich mancher fragen, warum wir dieses Thema mit dem Forum Globale Fragen gerade jetzt aufgreifen. Aber ich bin überzeugt, dass es für die Förderung der Rechtsstaatlichkeit gar keinen falschen Zeitpunkt geben kann, und dass das anhaltende Interesse daran wohlbegründet ist. Denn Rechtsstaatlichkeit ist nichts, das man einmal herstellt und dessen man sich von da an immer sicher sein könnte. Eine Gesellschaft im Inneren auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze zu verpflichten, und nach außen im internationalen Verkehr getreu den völkerrechtlichen Verpflichtungen zu agieren, ist kein einmaliges Produkt, kein Endzustand, sondern eine Daueraufgabe – immer und überall.
Was „Rechtsstaatlichkeit“ eigentlich ist, wie man den Rechtsstaat stärken und fördern kann, wo man das tun sollte und wer hier eigentlich zur Mitwirkung aufgerufen ist - darüber werden die Panelisten und die zahlreichen Experten im Plenum im Laufe des Tages mit Ihnen diskutieren.
Ohne dieser Debatte vorzugreifen, möchte ich kurz umreißen, warum die Bundesregierung die Förderung von Rechtsstaatlichkeit gleichermaßen als wirksames Instrument und wichtiges Ziel der deutschen Außenpolitik begreift. Ich habe mir eine kleine Liste gemacht und bin auf neun gute Gründe gekommen – aber wenn dieses Forum noch mehr Gründe formulieren kann, wäre ich nicht überrascht.
1. Wer die Menschenrechte und Grundfreiheiten wirksam durchsetzen will, der muss Recht und Gesetz zur bindenden Vorgabe für alles staatliche Handeln machen. Rechtsstaatlichkeit ist die Garantie dafür, dass das Recht auch den Staat und seine Organe bindet und dass der Bürger seine Rechte und seine Freiheit vor unabhängigen Gerichten durchsetzen kann - und zwar auch gegen die Staatsgewalt. Rechtsstaatlichkeit schützt vor Willkür und Ungleichheit.
2. Nur als Rechtsstaat ist der Staat der Raum der Freiheit, in dem alle gleichberechtigt und gleich geschützt ihren Interessen nachgehen können. Eine gerechte, rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Ordnung der Gesellschaft und die Bereitstellung von öffentlichen Institutionen, die diese Ordnung schützen, schaffen Berechenbarkeit und Verlässlichkeit für die private, bürgerschaftliche und ökonomische Betätigung aller Mitglieder einer Gesellschaft.
3. Auch die Wirtschaft braucht den Rechtsstaat. Verlässliche rechtsstaatliche Strukturen im Wirtschaftsleben und rechtsstaatliches Verhalten der Behörden sind zentrale Voraussetzungen für Investitionen und Handel. Dies hat auch die Weltbank bestätigt. Damit eine Gesellschaft erfolgreich in das internationale Wirtschaftsleben eingebunden werden kann, braucht sie also ein modernes, verlässliches Privat- und Wirtschaftsrecht, und muss die einheitliche Anwendung der Normen auf alle Wirtschaftsteilnehmer und einen wirksamen Rechtsschutz ohne Korruption und Einflussnahme sicherstellen.
4. Alle drei eben genannten Erwägungen machen Rechtsstaatlichkeit auch zu einem wichtigen Faktor der nachhaltigen Entwicklung. Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit sind unabdingbare Rahmenbedingungen für nachhaltige Armutsbekämpfung und soziale Entwicklung. Rechtsstaatlichkeit trägt zum sozialen Frieden bei. Rechtssicherheit und die Gewährung gleichen, effektiven Rechtsschutzes für alle, insbesondere auch für die Armen und Marginalisierten, stärken die Leistungs- und Selbsthilfefähigkeit einer Gesellschaft. Die Förderung des Rechtsstaats ist daher heute selbstverständlicher Teil unserer Entwicklungszusammenarbeit.
5. Jeder Beitrag zur Errichtung und Sicherung einer rechtsstaatlichen Ordnung ist zugleich ein Beitrag zur zivilen Krisenprävention. Rechtssicherheit und Rechtsschutz als Eckpfeiler eines rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens fördern die innerstaatliche Stabilität und schaffen so die Voraussetzungen dafür, dass Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden.
6. Gerade für Staaten, die gewaltsame Konflikte überwunden oder Gewaltherrschaft abgeschüttelt haben und deren politische und gesellschaftliche Institutionen zerrüttet sind, ist die Schaffung oder Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit ein zentrales Element der Stabilisierung. Die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der neugebildeten staatlichen Institutionen wird wesentlich gestärkt, wenn sie ein funktionsfähiges, korruptionsfreies Polizei- und Justizwesen errichten können, das jedem Bürger unabhängig von Einkommen, politischer Zugehörigkeit oder Einfluss Sicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz garantiert.
7. Auchzwischen den Staaten setzt die dauerhafte Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität voraus, dass Konflikte in geregelte Bahnen gelenkt werden können. Im internationalen Verkehr müssen Staaten und internationale Organisationen sich gemäß ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen verhalten. Dazu gehört vor allem das Gebot der friedlichen, wenn auch nicht notwendig justiziellen, Streitbeilegung. Das international verwendete englische Schlagwort von der „Rule of law at the international level“ meint nichts anderes als das konsequente Zur-Geltung-Bringen des Völkerrechts in den internationalen Beziehungen. Dies gelingt durch rechtstreues Verhalten, durch Achtung und Beachtung der Verfahrensweisen und Kompetenzen internationaler Organisationen, und durch die Bereitstellung und Nutzung von Institutionen und Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten. So verstanden ist Rechtsstaatlichkeit ein Beitrag zu Frieden und Stabilität.
8. Wo dennoch Krieg und Gewalt herrschen, bedeutet Rechtsstaatlichkeit, dass es keinen rechtsfreien Raum und keine rechtsfreie Zeit geben darf. Der Grundsatz der Herrschaft des Rechts verlangt, dass das humanitäre Völkerrecht geachtet und beachtet wird.
Die rechtsstaatliche Überzeugung, dass weder Regierungen noch Militärs über dem Recht stehen und dass sie für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden, hat zu einer Stärkung nationaler und besonders internationaler Mechanismen für die strafrechtliche Aufarbeitung von Gewalttaten geführt, bis hin zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs.
9. Und schließlich ist Rechtsstaatlichkeit ein wichtiger Faktor für die Sicherheit der Bürger. Die Bekämpfung schwerer Straftaten, des organisierten Verbrechens und des Terrorismus erfordert in zunehmendem Maße eine Zusammenarbeit von Polizei und Justiz mit ausländischen Partnern. Diese kann auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn wir mit unseren Partnern vertrauensvoll kooperieren können, und das heißt eben auch: rechtsstaatliche Mittel und Methoden teilen.
Kurz gesagt (und mit einer kleinen begrifflichen Anleihe bei einem unserer Panelisten): Rechtsstaatlichkeit ist die Infrastruktur einer zivilen Gesellschaft und Ressource für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit.
Meine Damen und Herren,
Diese „neun guten Gründe“ sind ein Versuch, deutlich zu machen, warum die Förderung von Rechtsstaatlichkeit weltweit ein so wichtiges Betätigungsfeld für die Bundesregierung ist.
Der Umfang dieser Liste und die Komplexität der berührten Lebensbereiche machen eines deutlich: Das, was wir „Rechtsstaatsförderung“ nennen, erfordert das Zusammenwirken vieler erfahrener Akteure. „Rechtsstaatlichkeit“ ist ja keine Norm, die man nur zu Papier bringen und verkünden müsste, damit sie ihre Wirkung entfalten kann. Rechtsstaatlichkeit ist eher eine bestimmte Qualität, eine bestimmte Eigenschaft von ganzen Gesellschaften. Wo sie ist, ist sie historisch gewachsen und Ausdruck einer ganz spezifischen politischen Kultur. Wie auch immer wir sie qualifizieren wollen - klar ist, dass sie das Produkt vieler Beiträge von verschiedenen Akteuren über längere Zeit ist.
Nicht von ungefähr sind allein seitens der Bundesregierung neben diesem Haus das Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Bundesministerium des Innern seit vielen Jahren in der Rechtsstaatsförderung aktiv. Dazu kommen die Aktivitäten der Landesregierungen, der Justizverbände wie z.B. des Deutschen Richterbundes oder der Bundesanwaltskammer sowie der zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Und diese Liste ist keinesfalls abschließend.
Und genau die Vielfalt der Akteure ist der Grund, warum wir heute dieses Forum veranstalten. Die Konferenz soll die an der Rechtsstaatsförderung Mitwirkenden aus Regierung und Parlament, von Mittlerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen, aus internationalen Organisationen und aus der Wirtschaft, aus Forschung und Lehre, von Verbänden und Institutionen zusammenbringen und im besten Sinne in einen Diskurs verstricken. Ich hoffe, dass Sie aus diesem Diskurs alle etwas mitnehmen können und bin sicher, dass er unserer Arbeit im Auswärtigen Amt weitere Impulse geben wird.
Meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Hause werden die Ausführungen unserer Vortragenden und die Diskussionen besonders sorgfältig verfolgen, denn wir haben gerade einen hausinternen „Arbeitsstab Rechtsstaatsförderung“ eingerichtet. Dessen Leiter, Botschafter von Alvensleben, wird heute das dritte Panel moderieren. Aufgabe dieses Arbeitsstabs ist es, die zahlreichen Aktivitäten des Auswärtigen Amts und der deutschen Auslandsvertretungen noch enger aufeinander abzustimmen und mit den Aktivitäten anderer Ressorts und staatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen zu koordinieren. Von daher erhoffe ich mir von dieser Veranstaltung auch einen ganz konkreten, operativen Nutzen.
Bevor ich gleich Herrn Professor Grimm für den Eröffnungsvortrag auf das Podium bitte, möchte ich aber noch kurz meinen Dank aussprechen:
Zunächst einmal danke ich den Panelisten für ihre Bereitschaft, teilweise von weit her nach Berlin zu reisen und als sachkundige Vortragende und Diskutanten zu diesem Forum beizutragen.
Und danken möchte ich auch unseren beiden Mitveranstaltern, der Deutschen Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit und dem Wissenschaftszentrum Berlin mit seinem Rule of Law Center. Die Zusammenarbeit mit externen Partnern ist im Rahmen des Forums Globale Fragen ein bewährtes Prinzip und hat, so glaube ich, nicht unwesentlich zum guten Erfolg der Foren beigetragen.
Ich wünsche Ihnen spannende Vorträge und anregende Gespräche.
(Ich selbst muss leider in Kürze das Forum verlassen, um das Auswärtige Amt beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten für das Diplomatische Corps zu vertreten. Ich bitte daher um Ihr Verständnis, wenn ich gleich den Saal verlasse.)
Nun darf ich Herrn Professor Grimm um seinen Einführungsvortrag bitten. Vielen Dank.