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Interview von Außenminister Wadephul mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland
Erschienen am 12.07.2025.
Frage
Herr Wadephul, der Bundeskanzler wird inzwischen auch schon Außenkanzler genannt. Braucht es da überhaupt noch einen Außenminister?
Johann Wadephul
Wenn ich mir so die Krisenherde in der Welt anschaue, ja. Ganz im Ernst - wir ergänzen uns hervorragend. Es ist gut für Deutschland, dass wir einen Bundeskanzler haben, der auch seine internationale Rolle pointiert definiert. Und in vielen Bereichen fülle ich eine Rolle aus, die von uns als Deutschland erwartet wird, wie gerade jetzt bei den Bemühungen, den Iran von einer nuklearen Bewaffnung abzuhalten. Dabei stimmen wir uns sehr eng ab und der Kanzler schätzt meine Meinung. Bei unseren internationalen Partnern nehme ich eine große Genugtuung wahr, dass wir kohärent mit einer Stimme sprechen und somit verlässlich sind.
Frage
Auch die CSU agiert in Ihrem Terrain: Innenminister Alexander Dobrindt hat die Grenzkontrollen verschärft, Polen macht das nun umgekehrt genauso. Schreddert die Bundesregierung gerade das System der offenen Grenzen in Europa?
Johann Wadephul
Nein, überhaupt nicht. Wir brauchen diese Grenzkontrollen für eine Übergangszeit, bis wir das Migrationssystem neu geordnet haben. Ziel ist es, dass die Außengrenzen der Europäischen Union besser kontrolliert werden und wir in Europa gemeinsam illegale Migration verhindern. Wir müssen ehrlich zu uns sein: Die bisherigen Regelungen haben nicht richtig funktioniert. Humanität ist uns wichtig, aber es kann nicht sein, dass illegale Migration einfach nach Deutschland durchgewunken wird. Das bekommen unsere Städte und Gemeinden einfach nicht mehr hin.
Frage
Die Bundesregierung will das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan stoppen, mit dem besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen Schutz gewährleistet werden sollte. Das Berliner Verwaltungsgericht hat jetzt entschieden, dass bestehende Zusagen eingehalten werden müssen. Bekommen die rund 2400 Afghanen, die nach einer ersten Zusage noch auf ihr Visum warten, nun ihre Papiere?
Johann Wadephul
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass wir dieses Programm nicht fortsetzen, aber er beinhaltet auch, dass wir uns an das halten, was in der Vergangenheit zugesagt worden ist. Der Beschluss wird überprüft werden. Was rechtlich verbindlich ist, werden wir selbstverständlich umsetzen, das habe ich schon mehrfach betont.
Frage
Um Abschiebungen zu erleichtern, will Dobrindt direkt mit den radikal-islamischen Taliban verhandeln – statt wie bisher Katar vermitteln zu lassen. Es wäre eine Legitimierung dieses Regimes, das bisher nur von Russland anerkannt ist. Ist das kein Problem?
Johann Wadephul
Das wäre keine Anerkennung des Taliban-Regimes. An diesem Punkt sind wir derzeit nicht. Auch hier rate ich jedoch zu einem nüchternen Blick, denn Gespräche mit den Taliban hat es auf technischer Ebene schon mehrfach gegeben, seit wir vor einigen Jahren aus Kabul abgezogen sind. Ob da dann eine Person als Bote dazwischen steht oder nicht, ist eine rein praktische, aber keine politische und schon gar keine rechtliche Frage. Die Bundesregierung muss mit vielen Regierungen und Regimes im Gespräch sein, deren Meinung und Taten wir nicht gut heißen. Trotzdem gebieten es manchmal unsere Interessen, dass wir in irgendeiner Weise Kontakt haben. Alles andere wäre eine Verleugnung von Realitäten. Das ist im Übrigen auch Diplomatie.
Frage
Russland setzt seine Angriffe auf die Ukraine mit zunehmender Härte fort. Gehen Sie davon aus, dass der Krieg auch 2026 weitergeht?
Johann Wadephul
Putin zeigt trotz unzähliger diplomatischer Bemühungen weiterhin keinerlei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft. Sein Ziel bleibt die gewaltsame Zerschlagung der Ukraine als souveräner Staat. Davon ist er nicht nur keinen Millimeter abgerückt, er terrorisiert vielmehr jede Nacht mit hunderten Drohnen und Bomben die Zivilbevölkerung. Ich werbe sehr dafür, dass das auch diejenigen Menschen in Deutschland verstehen, die immer noch einen sehr blauäugigen Blick auf das russische Regime haben. Mehr als 1200 Tage Krieg haben doch gezeigt, dass Putin ohne Druck nicht an den Verhandlungstisch kommen wird. Diesen Druck müssen wir weiter steigern. Ich bin mir dabei aber sicher – wir haben einen längeren Atem als Putin.
Frage
Die Verabschiedung des 18. EU-Sanktionspakets gegen Russland ist allerdings gerade gescheitert.
Johann Wadephul
Die Verhandlungen darüber dauern an. Ich gehe davon aus, dass eine Verabschiedung zeitnahgelingen kann. Dabei appelliere ich an jene Staaten, die aus Einzelinteressen aktuell noch zögern, das große Bild zu sehen und diese Einigung jetzt möglich zu machen. Auch dazu habe ich in den letzten Tagen mit verschiedenen Amtskollegen Gespräche geführt.
Frage
US-Präsident Donald Trump hatte versprochen, den Krieg binnen 48 Stunden nach Amtsübernahme zu beenden. Diese Frist ist lang vorbei – hat er die Kraft, den Krieg zu beenden?
Johann Wadephul
Viele der aktuellen Probleme werden wir nur lösen können, wenn wir in Europa und den USA an einem Strang ziehen. Das gilt für das iranische Nuklearprogramm genauso wie für die Ermöglichung von Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Diese muss die Ukraine aus einer Position der Stärke führen können. Ein wichtiger Schritt ist, dass die Amerikaner die zwischendurch unterbrochenen Waffenlieferungen an die Ukraine wieder aufgenommen haben.
Frage
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, hat Trump gerade für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Unter welchen Umständen würden Sie das unterstützen?
Johann Wadephul
Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit den USA und unseren internationalen Partnern an Lösungen zu arbeiten, um den Gaza-Konflikt, den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Bedrohung, die vom Iran ausgeht, zu beenden. Das ist es was jetzt auf der Tagesordnung steht. Über mögliche Ehrungen kann man danach sprechen.
Frage
Damit sind wir im Nahen Osten. Bei Ihrem ersten Israel-Besuch im Mai hat Ihnen die israelische Regierung zugesichert, dass die Situation in Gaza sich bald bessern werde. Sehen Sie Fortschritte?
Johann Wadephul
Wir dürfen nicht vergessen: verantwortlich für die akute Situation ist Hamas mit den schrecklichen Angriffen vom 7. Oktober 2023 und dem Umstand, dass sie bis zum heutigen Tag die Geiseln nicht freigelassen haben. Gleichwohl bereitet uns die verheerende humanitäre Lage nach über zweieinhalb Jahren Kampfhandlungen große Sorge, die ich gegenüber Israel immer wieder zum Ausdruck gebracht habe. Der jüngste Beschluss des israelischen Kabinetts, deutlich mehr humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen zu lassen, ist ein Zeichen der Hoffnung. Dieser Beschluss ist im Wesentlichen dem Druck und den Verhandlungen der Europäer, auch der Außenbeauftragten Kallas, zu verdanken. Zugleich ist wichtig, dass endlich eine nachhaltige Lösung gefunden und die Geiseln freigelassen werden. Deshalb ist so wichtig, dass die Gespräche zwischen Israel und Hamas in Doha nun endlich in einen Waffenstillstand münden.
Frage
Sie haben vor Zwangs-Solidarität mit Israel gewarnt. Was meinen Sie damit? Und wie ernst nehmen Sie die Kritik, die sie dafür auch aus der Union bekommen haben?
Johann Wadephul
Ich würde diesen Begriff so nicht wiederverwenden. Was ich zum Ausdruck bringen wollte und weiterhin will, ist, dass Deutschland eine eindeutige Verpflichtung hat, die Existenz und Sicherheit des Staats Israel zu schützen. Und zugleich ist die Bundesregierung gerade als enger Freund Israels auch in der Pflicht, Entwicklungen zu kritisieren, die Israel international zu isolieren drohen. Das habe ich getan mit Blick auf das Leid in Gaza – und das werde ich auch weiter tun. Die Lage ist aktuell nicht so, dass es möglich ist, auf Kritik zu verzichten. Wie gesagt, ich hoffe, dass sich dies nun zeitnah ändert.
Frage
Halten Sie das Vorgehen Israels in Gaza für völkerrechtlich gedeckt?
Johann Wadephul
Das lässt sich erst bewerten, wenn alle Tatsachen auf dem Tisch liegen. Es gibt jedenfalls eine völkerrechtliche Verpflichtung zur hinreichenden Versorgung der Menschen dort. Wir haben fortwährend an Israel appelliert, hier Abhilfe zu leisten und zu prüfen, ob die Maßnahmen, die Lieferungen mit dem Lebensnotwendigsten verhindern, wirklich auf Sicherheitserfordernissen Israels basieren. Israel hat sich jetzt dazu bekannt, die humanitäre Hilfe in erheblichem Maße zu erhöhen. Wir werden die Regierung daran messen.
Frage
Die Verteilung von Hilfsgütern hat die Gaza Humanitarian Foundation übernommen, regelmäßig gibt es bei der Ausgabe Tumulte. War der von Israel forcierte Wechsel von der Uno auf eine Privatorganisation sinnvoll?
Johann Wadephul
Ich bin nicht dagegen, neben den klassischen Hilfsorganisationen auch weitere Versorgungswege zu prüfen. Die klassischen internationalen Hilfsorganisationen, wie das Welternährungsprogramm, müssen aber auch jederzeit Zugang zum Gazastreifen haben. Am allerwichtigsten ist doch, dass jetzt endlich die dringend notwendige Hilfe zu den Menschen in Not gelangt – das wird mit einer Beschränkung auf Organisationen wie die GHF ganz offensichtlich nicht in ausreichendem Maße ermöglicht.
Frage
Auch die UN-Palästinenserhilfsorganisation UNRWA?
Johann Wadephul
In der Gesamtregion nimmt die UNRWA eine wichtige Stellung ein. Aber sie ist auch Kritik, etwa zu großer Hamas-Nähe, ausgesetzt. Deswegen haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir von der Organisation Reformen einfordern.
Frage
Israel lässt gerade ein Lager in Süd-Gaza für 600.000 Personen errichten. Steht eine Vertreibung der Palästinenser aus Gaza bevor?
Johann Wadephul
Außenminister Sa‘ar hat klar und öffentlich bekräftigt, dass dies kein Ziel der israelischen Regierung ist. Für uns gilt, dass wir uns zum Ziel einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung verpflichtet haben. Sie ist nach unserer festen Überzeugung der einzige Weg heraus aus diesem Konflikt, der zu nachhaltigem Frieden führen wird.
Frage
Wie sehr macht sich Deutschland durch Rüstungsexporte nach Israel mitschuldig an Angriffen, die auch viele Zivilisten und Zivilistinnen treffen?
Johann Wadephul
Dass wir Israel Rüstungsgüter liefern, ist Teil unserer Verantwortung für den Staat der Jüdinnen und Juden. Natürlich müssen Entscheidungen abgewogen werden. Das geschieht im Bundessicherheitsrat, dessen Beratungen geheim sind.
Frage
Gegen Netanjahu besteht ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs. Würde er festgenommen werden, wenn er Deutschland besucht?
Johann Wadephul
Der Bundeskanzler hat selbst gesagt, dass er jetzt erst einmal beabsichtigt, Israel zu besuchen und weitere Besuche auf seiner Ebene nicht geplant sind.
Frage
Die Bundesregierung wirft Russland Völkerrechtsbruch wegen des Angriffs auf die Ukraine vor. Warum sind Sie bei dem Angriff Israels auf den Iran weniger klar?
Johann Wadephul
Es ist erklärte Staatsideologie des Iran, den Staat Israel von der Landkarte zu radieren. Wenn ein Staat einen anderen vernichten will, ist er im Unrecht. Zweitens betreibt der Iran ein Atomanreicherungsprogramm, von dem die Internationale Atomenergiebehörde IAEO klar sagt, dass es dafür keine zivile Erklärung mehr gibt. Und es gibt eine große internationale Einigkeit, dass der Iran die Atomwaffe nicht bekommen sollte. Es ist also der Iran, der rote Linien überschritten hat. Und es ist der Iran, der es versäumt hat, eine friedliche, vertragliche Lösung herbeizuführen.
Frage
Wie kommt man aus dieser Lage raus?
Johann Wadephul
Wir müssen möglichst schnell wieder in einen Verhandlungsmodus kommen. Ich warte darauf, dass der iranische Außenminister endlich erklärt, dass er bereit ist über eine friedliche Beilegung zu reden. Alles ist vorbereitet. Wir könnten relativ schnell zu einem Ergebnis kommen. Mein Telefon ist laut gestellt, Herr Araghchi muss sich nur melden.
Frage
Haben die Angriffe Israels und der USA die iranischen Atomanlagen so zerstört, dass die Wahrscheinlichkeit einer iranischen Atombombe geringer geworden ist? Oder fühlt sich der Iran jetzt erst recht angestachelt?
Johann Wadephul
Die deutsche Regierung verfügt dazu über keine ausreichenden Erkenntnisse. Aber sicher ist: Eine dauerhafte Lösung dieses Konfliktes lässt sich nur durch eine Vereinbarung erlangen.
Frage
Über dem Roten Meer ist vor wenigen Tagen ein Bundeswehr-Flugzeug, das im Rahmen der dortigen EU-Mission unterwegs war, von einem chinesischen Kriegsschiff aus mit einem Laser attackiert worden. Was steckt dahinter und was bedeutet das für die deutsch-chinesischen Beziehungen?
Johann Wadephul
Ich bin mehr als irritiert über diesen Vorfall. Eine solche Störung unserer Luftfahrzeuge wie auch jede andere anlasslose Gefährdung unserer Einheiten ist nicht akzeptabel. Wir haben den chinesischen Botschafter einbestellt und ihm das klar und deutlich gesagt. China wird sich dazu zu erklären haben. Wir sind bereit, mit China auf Augenhöhe partnerschaftlich umzugehen und immer wieder das Miteinander zu suchen. Aber wir werden jedes regelwidrige Verhalten Chinas und alles, was gegen unsere regelbasierte Ordnung gerichtet ist, klar zurückweisen.
Frage
Sie haben China vor Übergriffen auf Taiwan gewarnt. Gleichzeitig bekennt sich Deutschland zur Ein-China-Politik, also dass Taiwan nicht unabhängig ist. Was würden Deutschland und die EU tun, wenn China sich die Insel einverleibt?
Johann Wadephul
Wir haben China deutlich gemacht, dass der Status Quo nur über Verhandlungen geändert werden könnte, nicht durch Gewalt. Denn das würde nicht nur die bilateralen Beziehungen zu China, sondern auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und fast dem gesamten asiatischen Markt schwer erschüttern. Die Folgen, auch für die chinesische Wirtschaft, wären weitreichend. Daran kann niemand ein Interesse haben, auch Peking nicht.
Frage
Wie sind die Chancen für den EU-China-Gipfel, der noch im Juli stattfinden sollte?
Johann Wadephul
Ich gehe davon aus, dass er stattfindet. Wir versuchen, alles dazu beizutragen, was wir beitragen können. Es liegt in beiderseitigem Interesse, sich bei streitigen Fragen wie der Subventionierung von Elektro-Fahrzeugen und dem Zugang zu den Märkten zu einigen. denn die wirtschaftliche Situation in beiden Märkten ist nicht rosig.
Frage
Zurück nach Europa: In Ungarn steht Maja T. aus Jena vor Gericht, obwohl Ihre Auslieferung vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt worden war. Bemüht Deutschland sich, sie zurückzuholen?
Johann Wadephul
Die Auslieferung ist zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Verfassungsgerichtsentscheidung noch nicht zugestellt war. Wir sind im Gespräch mit der ungarischen Regierung, um für Maja T. zunächst Verbesserungen in der Haftsituation zu erreichen. Unsere Bemühungen setzen wir intensiv fort. Wir werden in dieser Sache kommende Woche erneut in Ungarn vorstellig werden. Ungarn hat allerdings auch sein Interesse an eigener Strafverfolgung bekräftigt. Um das ganz klar zu sagen: Maja T. ist schwersten Vorwürfen ausgesetzt. Auch in Deutschland würde Maja T. daher mit einem Strafverfahren rechnen müssen.
Interview: Daniela Vates und Eva Quadbeck