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Rede BM Steinmeier bei Eröffnung Deutschlandforschertagung der Bundeszentrale für Politische Bildung, 9. November 2008
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat an die besondere Bedeutung des 9. Novembers für die deutsche Geschichte erinnert. In seiner Eröffnungsrede bei der Deutschlandforschertagung der Bundeszentrale für politische Bildung betonte er, dass „die deutsche Außenpolitik der Demokratie und Freiheit verpflichtet“ sei. Es dürfe keine deutsche Politik mehr geben ohne eine europäische Dimension. Und außerdem müsse die Gestaltung der Globalisierung vorangebracht werden.
„Deutsche Außenpolitik im Zeitalter der Globalisierung“
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Professor Zürn,
sehr geehrter Herr Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung, lieber Thomas Krüger,
sehr geehrte Damen und Herren,
für die diesjährige Deutschlandforschertagung haben Sie sich die deutsche Außenpolitik zum Thema gewählt und den Beginn Ihres Nachdenkens auf ein für unser Land symbolisches Datum gelegt.
Ich glaube, genau in diesem Spannungsverhältnis zwischen Nachdenken über die Geschichte unseres Landes und internationalen Anforderungen muss sich heute jede Politik, nicht nur die Außenpolitik bewegen.
Deutschlandforschung kann sich, wenn sie denn heute aussagekräftig sein will, nie auf Deutschland beschränken. So wie deutsche Außenpolitik im 21. Jahrhundert sich nie allein auf klassische auswärtige Politik beschränken kann, sondern stets die Verschränkung von Innen und Außen im Blick haben muss.
Warum betone ich das?
Aus zwei Gründen. Weil ich denke, dass wir erstens mit Blick auf die aktuellen Aufgaben wie zweitens mit Blick auf die Jahrestage im nächsten Jahr, auf 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Mauerfall, die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen sollten.
Der 9. November ist ein gutes Datum, uns daran zu erinnern. Wie kein anderer Tag steht er für entscheidende Umbrüche, Katastrophen und Hoffnungen unseres Landes.
Ich komme gerade vom Reichstagsgebäude, wo ich eine kleine Ausstellung über die Revolutionszeit 1918 eröffnet habe.
Zuvor hat der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper in meinem Namen einen Kranz zu Ehren der Opfer der Berliner Mauer niedergelegt und ich selbst habe an der bewegenden Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht des 9. November 1938 teilgenommen.
Ich glaube, nichts bestimmt deutsche Außenpolitik mehr als diese drei Dimensionen unserer Geschichte:
Der 9. November 1918 steht für die erste deutsche Demokratie und die erste deutsche Republik. Für die Emanzipation unseres Volkes vom Obrigkeitsstaat und für den ersten Versuch, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Ich nenne hier nur die Einführung des 8-Stunden-Tages, des Frauenwahlrechts oder die Bildungsanstrengungen als Beispiel.
Er ist aber auch für mich als Sozialdemokrat ein besonderes Datum. Lassen Sie es mich einmal etwas platt sagen: Ohne Sozialdemokraten gäbe es in Deutschland keine Demokratie und keine Republik. 1918 nicht und übrigens auch nicht 1949.
Es waren seit 1918 ganz zuförderst Sozialdemokraten, die gegen die Extremisten von links und rechts Demokratie und Republik in Deutschland erstritten und erkämpft haben. Und die das – leider als einzige – bis zum Ende der Weimarer Republik getan haben.
Der 9. November steht aber auch für die Schande unseres Landes. Für das unendliche Leid, dass der Nationalsozialismus über unser Land, über Europa und die Welt gebracht hat durch Krieg, Terror und Mord. Allein am 9. November 1938 wurden fast 200 Synagogen zerstört, brannten tausende Geschäftshäuser Deutscher jüdischen Glaubens, wurden über zehntausende Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens verhaftet oder in Konzentrationslager verbracht.
Spätestens an diesem Tag, so hat das Johannes Rau einmal gesagt, konnte jeder in Deutschland sehen, dass „Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren“.
Aber zu viele haben weggeschaut!
Um so mehr müssen wir heute wach und wachsam sein. Jeder Anschlag auf eine Synagoge, jeder Anschlag auf eine jüdische Einrichtung oder auf einen Menschen jüdischen Glaubens wie erst in der vergangenen Woche hier in Berlin ist ein Anschlag auf die Zivilität unserer Gesellschaft und er ist ein Verrat an dem Auftrag unserer Geschichte!
und schließlich ist der 9. November das Datum, an dem die Mauer fiel, an dem sich die Menschen in der damaligen DDR „Freiheit und Demokratie“, wie es damals auf den Transparenten als Parole zu lesen war, erstritten und erkämpft hatten und das Unrechtssystem der SED beendeten.
Welche Folgerung ziehe ich für mich als Außenminister aus diesen Daten der deutschen Geschichte?
Drei zentrale Stichworte möchte ich nennen, andere Aspekte können wir ja gleich noch in der Diskussion erwähnen und vertiefen.
Erstens ist deutsche Politik und auch die deutsche Außenpolitik der Demokratie und Freiheit verpflichtet.
Die schwärzesten Stunden unserer Geschichte sind mit einem undemokratischen und freiheitsfeindlichen Deutschland verbunden. Deswegen ist es so wichtig, dass wir alles uns mögliche tun, um Freiheit und Demokratie zu stärken. Die Bundeszentrale, das sei an dieser Stelle auch einmal gesagt, spielt dabei eine wichtige Rolle, und ich darf Thomas Krüger ganz ausdrücklich zu seiner Arbeit als Präsident dieser Einrichtung beglückwünschen!
Freiheit und Demokratie, daran gemahnt uns das Schicksal der Weimarer Republik, sind aber nur zu haben und zu erhalten, wenn sie mit Gerechtigkeit und Verantwortung einher gehen.
Mir scheint es, als ob dieser Zusammenhang in den letzten Jahren hier bei uns, in Europa und der ganzen sogenannten westlichen Welt ein wenig zu oft in Vergessenheit geraten oder absichtsvoll zur Seite gedrängt worden ist.
Freiheit ist eben nicht nur die individuelle Freiheit und erst recht nicht nur die individuelle Freiheit des wirtschaftlichen Handelns.
Sondern Freiheit ist eben auch die republikanische, die auf die res publica bezogene Freiheit des Bürgers. Diese Freiheit heißt auch Verantwortung für das Gemeinwohl. Sie heißt Gerechtigkeit für die Gesellschaft.
Unserem Land ging es immer dann besonders schlecht, wenn es diesen Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung vergessen hat. Wenn aus individueller Freiheit Rücksichts- oder Maßlosigkeit wurde. Wenn die Menschen keine Verantwortung mehr für die Gerechtigkeit der Gesellschaft übernommen haben.
Der Untergang der Weimarer Republik ist dafür ein Beispiel. Die aktuelle Finanzkrise ein weiteres.
So viel zu meinem ersten Stichwort, der Verpflichtung deutscher Politik auf Demokratie und verantwortliche Freiheit.
ein zweites Stichwort möchte ich nennen, welche Lehren wir aus diesen Kerndaten der deutschen Geschichte ziehen sollten:
Deutschland ist nur in Europa denkbar und deutsche Politik, besonders die Außenpolitik muss sich auch immer als Politik für Frieden und Stabilität in Europa und für eine europäische Friedens- und Stabilitätspolitik sehen.
Unser Land ist in besonderem Maße geprägt von den Jahrhunderten europäischer Kriege und Bürgerkriege, deren schrecklichste die beiden Weltkriege waren.
Die Aussöhnung mit unseren Nachbarn westlich des Rheins und östlich der Oder ist Teil unserer raison d’etre!
Wir wissen, Freiheit und Einheit unseres Landes verdanken wir der Tatsache, dass mutige Bürgerinnen und Bürger in den Staaten Mittel- und Osteuropas auf diesem Weg voran gegangen sind.
Deswegen darf und kann es keine deutsche Politik mehr geben ohne eine europäische Dimension.
Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass wir Europäer dann am besten zu Frieden und Stabilität in der Welt beitragen, wenn wir einig sind. Dann können wir den Gang der Dinge auch im globalen Maßstab mitbestimmen.
Sei es beim Krisenmanagement wie zuletzt im Kaukasus oder wiederholt in Afrika, sei es bei der internationalen Klima- und Energiepolitik oder ganz aktuelle in der gegenwärtigen Finanzkrise.
Die Ergebnisse des EU-Sondergipfels sind ein ermutigender Schritt in diese Richtung. Ich bin sicher, dass in den nächsten Wochen noch weitere folgen werden und folgen müssen. Nur so werden wir einerseits die notwendigen Korrekturen im internationalen Finanzsystem durchsetzen und zugleich hier in Europa eine aktive Politik für die Stützung der Konjunktur und damit letztlich für den Schutz der Arbeitsplätze betreiben können.
Aber auch über diese aktuellen Fragen hinaus: Diese europäische Dimension deutscher Politik auf der Basis der deutsch-französischen Verständigung sollten wir nicht aus dem Auge verlieren. Gerade im nächsten Jahr nicht, wenn so mancher versuchen wird, die Geschichte der Bundesrepublik nur aus sich heraus zu erklären.
Davor kann ich nur warnen!
Europäische Politik ist eben mehr als eine Frage des politischen Nutzens. Sie ist eine intellektuelle Identität, deren Gründe auf den skeptischen Humanismus bei David Hume, die Staatslehre eines Montesquieu und die Verantwortungsethik eines Immanuel Kant zurück reichen.
Diese Orientierung auf Freiheit und Verantwortung verbindet uns, wir können das ja anschließend in der Diskussion noch einmal vertiefen, mit kaum einem anderen Partner so sehr wie mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Ich jedenfalls verknüpfe - wie viele in Deutschland und Europa - mit der Wahl von Barack Obama zum nächsten Präsidenten der USA auch die Hoffnung, dass wir diese Partnerschaft wieder neu beleben und bestärken können.
Damit bin ich bei meinem dritten Stichwort: den Lehren, die wir aus unserer Geschichte mit Blick auf die politische Globalisierung zu ziehen haben.
Viele haben mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989, mit dem Ende der Blockkonfrontation des Kalten Krieges und ihrer zynischen Gewissheit der Zweiteilung der Welt die Hoffnung auf eine Friedensdividende verbunden.
Heute stellen wir fest: diese ist nicht eingetreten. Zwar ist eine alte Ordnung untergegangen, aber eine neue ist nicht an ihre Stelle getreten.
Die Welt sucht nach neuer Ordnung und wir brauchen sie dringender denn je. Denn was bei den Finanzmärkten offenbar geworden ist, stimmt ja schon länger für andere Felder: Klimaschutz, den verantwortlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen, die Energiepolitik. All das sind Chiffren für Herausforderungen, die sich der Logik klassischer Machtpolitik entziehen. Mit anderen Worten: das 21. Jahrhundert ist das erste wirklich globale Jahrhundert!
Seine gemeinsamen Probleme erfordern gemeinsame Lösungen – oder aber wir werden gemeinsam scheitern!
Wenn das richtig ist, müssen wir uns auch selbst neu einordnen, und das kann nur heißen: Respektieren, dass mit Globalisierung neue Kraftzentren entstanden sind, und einsehen, dass sich diese Veränderung in den klassischen Formaten der internationalen Zusammenarbeit nicht genügend und nur ungenau abbildet.
Staaten wie China, Indien, Brasilien, Russland, aber auch die Golfstaaten, wo ich erst vor zwei Wochen war, haben über die letzten Jahre gezeigt, dass sie wirtschaftliches Wachstum und politischen Gestaltungsanspruch zusammenführen wollen. Dass sie ihre Position der neuen Stärke mit wachsendem Selbstbewusstsein auf der Weltbühne vertreten.
Wir Deutsche kennen diese Situation ja auch aus unserer eigenen Geschichte und das Ringen um internationale Anerkennung, um einen Platz in der internationalen politischen Architektur sollte uns da vielleicht ein wenig offener machen als andere.
Nach meiner Auffassung müssen wir Europäer bereit und willens sein, die internationale Architektur dem Gewicht und dem Einfluss der neuen global player anzupassen.
In dieser Zusammenarbeit müssen diese Staaten aber auch eine neue Art der Verantwortung übernehmen und ein größeres Engagement für die Regelung internationaler Krisen und Konflikte ebenso übernehmen wie für die gemeinsamen Zukunftsaufgaben der drohenden Weltrezession, einer globalen Energie- und Klimakrise, oder der Nahrungsmittelknappheit.
Vielleicht gelingt uns das am Beispiel der internationalen Neuordnung der Finanzmärkte. Dann und nur dann hätte diese Krise auch Positives bewirkt.
Aber im Kern rede ich nicht über Finanzmärkte, sondern über die anspruchsvollste Aufgabe für Außenpolitik – und nicht nur für Außenpolitik – in den nächsten Jahren: die Schaffung einer neuen Architektur der Verantwortung; die Herausbildung einer Verantwortungsgemeinschaft für all die Fragen, die sich nationaler Regelung und Lösung entziehen.
Das verlangt Vernunft! Das verlangt Verzicht, etwa auf Sonderrechte! Das verlangt Respektierung von Regeln!
Energiesicherheit, Klimaschutz, Abrüstung und Nonproliferation, Stabilität des Finanzsystems, die Lösung der regionalen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan lassen sich nicht mehr im nationalen Karo denken, sondern nur noch im globalen Maßstab.
Das heißt nicht weniger, als die wirtschaftliche Globalisierung in eine Ära der politischen Globalisierung zu überführen.
Das heißt zuallererst, die bestehenden Formate globaler Abstimmung und Kooperation zu öffnen und zu erneuern.
Das betrifft die G8 genauso wie die internationalen Finanzinstitutionen, die Vereinten Nationen mit dem Sicherheitsrat an der Spitze oder die OECD.
Staaten wie die sogenannen BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien und China gehören nicht an den Katzen- sondern an den Konferenztisch! Das gilt auch für die neuen Player unter den Ländern mit muslimischer Bevölkerung wie die Türkei, Indonesien oder die Golf-Staaten. Ohne sie wird es ebenfalls keine Lösung geben.
Ich bin sicher: Nur so kommen wir weiter. Eine Politik der Ausgrenzung aus sogenannten Praktikabilitäts- oder schlimmer noch aus ideologischen Gründen führt dagegen in die Sackgasse.
Ich behaupte nicht, dass vieles einfacher wird. Ich weiß nur: Ohne oder gar gegen die neuen player auf der Weltbühne werden keine Regeln entstehen, die weltweit auf Akzeptanz stoßen. Und um diese Akzeptanz ringen wir doch gerade!
Aus der historischen Verpflichtung unseres Landes auf Demokratie und Freiheit, auf einen europäischen Weg und auf eine Gestaltung der Globalisierung, sollten wir die Konsequenz ziehen, dass wir der Motor sein müssen für eine gerechtere Weltordnung, für eine politische Globalisierung, die sich als globale Verantwortungspartnerschaft versteht.
Vielen Dank!