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Eröffnungsansprache von Karsten Voigt zum Wirtschaftstag der Botschafterkonferenz am 09.09.2008
Die Transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen sind von überragender Bedeutung für den Wohlstand in Nordamerika und in Europa. Trotz des Aufstiegs anderer mächtiger Spieler in der Welt wie China, Indien und Russland ist der transatlantische Wirtschaftsaustausch noch immer grundlegend für die Stabilität der Weltwirtschaft.
Die EU und die USA sind die am engsten verflochtenen und produktivsten Wirtschaftsräume weltweit. Mit nur rund 10 Prozent der Weltbevölkerung erwirtschaften sie zusammen immer noch 60 Prozent des Weltsozialprodukts. Sie sind für einander jeweils die mit Abstand wichtigste Quelle für ausländische Direktinvestitionen. Um noch einmal den Vergleich mit China und Indien zu bemühen: 2005 investierten Unternehmen aus der EU 29 Mrd. Euro in den USA, aber nur 6 Mrd. in China und 2 Mrd. Euro in Indien. Amerikanische Tochterfirmen in Europa sowie europäische in Amerika haben in den letzten Jahren Rekordgewinne erzielt.
Zudem wickeln die beiden Partner rund 40 Prozent des weltweiten Handels miteinander ab. Der beiderseitige Warenaustausch beträgt mehr als 1 Mrd. Euro pro Tag. Deutschland ist der fünftwichtigste bilaterale Handelspartner der USA nach Kanada, China, Mexiko und Japan. Der Handel zwischen der EU und den USA läuft ganz überwiegend reibungslos ab. Lediglich 2 Prozent des Handelsvolumens sind von Handelskonflikten betroffen. Prominentester Fall ist das WTO-Streitverfahren zum Airbus/Boeing-Konflikt über Subventionen für Entwicklung und Bau ziviler Großflugzeuge.
Europäische Unternehmen sichern direkt zahlreiche Arbeitsplätze in den USA und amerikanische Unternehmen hier bei uns in Deutschland. Insgesamt umfasst die „Transatlantic Workforce“ laut einer Schätzung der Johns Hopkins Universität rund 14 Millionen Arbeitsplätze mit in der Regel guten Löhnen und überdurchschnittlichen Arbeits- und Umweltstandards. Amerikanische Unternehmen sichern durch direkte Beschäftigungsverhältnisse allein in Deutschland über 650.000 Arbeitsplätze, deutsche Unternehmen in den USA fast 600.000.Beim EU-USA-Gipfel während der deutschen EU-Präsidentschaft im April 2007 in Washington wurde eine Rahmenvereinbarung zur weiteren Vertiefung dieser Wirtschaftsintegration unterzeichnet. Es wurde ein Transatlantischer Wirtschaftsrat geschaffen, der Probleme identifizieren und den Regierungschefs Vorschläge zu ihrer Behebung unterbreiten soll. Erste Erfolge waren die Anerkennung der Bilanzen von EU-Unternehmen nach dem internationalen Rechnunglegungsstandard IFRS durch die USA und Fortschritte bei der Angleichung von Standards und Verfahren in einer Reihe von anderen Bereichen.
Probleme bereiten Streitigkeiten über Details wie das Importverbot der EU von chlorbehandeltem Geflügelfleisch u. a. aus den USA, die das übergeordnete Ziel der Wirtschaftsintegration über den Atlantik gefährden. Ich hoffe, dass es der Kommission gelingt, dafür bis zum Jahresende einen tragfähigen Lösungsvorschlag zu unterbreiten.
Umgekehrt sehen Wirtschaftsakteure in der EU das amerikanische Projekt des 100% Container Scanning kritisch, nach dem laut einem US-Gesetz ab 2012 alle Container in Richtung USA aus Sicherheitsgründen vor Abfahrt im Ausgangshafen durchleuchtet werden sollen. Auch die neue elektronisch einzuholende Autorisierung für Reisen in die USA ab 2009 stößt vielfach auf Kritik.Auch mit Kanada möchte die EU ihre Wirtschaftsbeziehungen intensivieren. Beim EU-Kanada-Gipfel im Juni 2007 in Berlin wurden erste Schritte vereinbart. So wurde etwa ein Studie zu den bestehenden Handelshemmnissen in Auftrag gegeben. Kanada erhofft sich Ergebnisse in Form von Freihandelsabkommen, während die EU eher den Vorrang multilateraler Lösungen im Rahmen der WTO betont.
Über solchen Einzelheiten sollte man aber das Ziel nicht aus den Augen verlieren, Kanada stärker an Europa zu binden und die beiderseitigen Vorteile engerer Wirtschaftsbeziehungen zu nutzen.
Kanada ist aufgrund seines Ressourcenreichtums, seiner bereits bestehenden engen Wirtschaftsbeziehungen zur EU (zweitgrößter Außenhandelspartner Kanadas nach den USA) sowie aufgrund seiner kulturellen Nähe zu Europa ein enorm wichtiger Partner für uns.
Vor allem in der internationalen Energie- und Umweltpolitik wird Kanada in der Zukunft ein wesentlicher Spieler werden. Kanada verfügt über erhebliche Ölsandvorkommen in Alberta (die weltweiten zweitgrößten Ölreserven nach Saudi Arabien), große Potenziale in der Wasserkraft, die größten Süßwasserreserven der Welt und riesige Waldgebiete. Damit ist Kanada potenziell nicht nur ein sehr wichtiger Öllieferant (vor allem für die USA), sondern auch prädestiniert für den Einsatz erneuerbarer Energien.
In seinen arktischen Regionen erlebt Kanada die Auswirkungen der Klimaerwärmung. Diese verändert einerseits die Lebensbedingungen der in der Arktis lebenden Menschen und bedroht das natürliche Gleichgewicht. Andererseits eröffnet sie neue Handels- und Wirtschaftsräume wie z. B. die nunmehr im Sommer eisfreie Nordwestpassage. Der Wettlauf um Ressourcen und Souveränitätsansprüche im arktischen Raum hat bereits begonnen.
Die EU und insbesondere Deutschland sollte sich aktiv als Partner Kanadas anbieten und seine Erfahrungen mit umweltfreundlichen Technologien zur Verfügung stellen. Die Kanadier werden sich den Abbau ihrer Ölsände nicht nehmen lassen, aber Deutschland kann seine Erfahrungen wie z. B. bei der Renaturierung von Abbaugebieten einbringen.Doch zurück zur transatlantischen Wirtschaft. Negativ beeinflusst wird die Wirtschaftsaktivität im transatlantischen Raum zur Zeit durch die weltweiten Auswirkungen der US-Finanz- und Immobilienkrise, die auch in Europa und in anderen Teilen der Welt die Aktienmärkte und eine Reihe von Bankinstituten straucheln ließ. Seither sind auch die Konjunkturaussichten auf beiden Seiten des Atlantiks gedämpft. Zunächst richteten sich die Befürchtungen vor allem auf eine tiefe Rezession in den USA, die sich auch nach Europa fortsetzen könnte. Es wurde spekuliert, ob die europäische und gerade auch die deutsche Wirtschaft stark genug sein könnte, um diesem negativen Umfeld zu trotzen.
Mittlerweile ist auch in Deutschland die Konjunktur ins Stocken geraten und das Verbrauchervertrauen sowie das Geschäftsklima abgesackt, auch wenn 2008 noch ein deutliches Wachstum erzielt werden dürfte und der Arbeitsmarkt sich bislang weiter positiv entwickelt. In einigen europäischen Ländern wie Spanien, Großbritannien und Irland gibt es hausgemachte Immobilienkrisen und steigende Arbeitslosenzahlen.
Gleichzeitig präsentierte sich die US-amerikanische Wirtschaft trotz fortbestehender Rezessionsängste im letzen Quartal robuster als befürchtet. Das BIP stieg mit einer aufs Jahr hochgerechneten Rate von 3,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Dies haben die Amerikaner vor allem den starken Exporten zu verdanken, die vom schwachen Dollarkurs profitierten. Auch die privaten Konsumausgaben trugen wieder zur Wachstumsbeschleunigung bei. Möglicherweise ist dies ein Effekt des von der US-Regierung verabschiedeten Konjunkturpakets – oder ein Beleg für den ungebrochenen Glauben der Amerikaner an ihre Zukunft. Ein schnelles Überwinden der Konjunkturdelle in den USA würde jedenfalls auch der deutschen Wirtschaft helfen. Dies ist allerdings ein sehr optimistisches Szenario.
Es bestehen weiterhin erhebliche Risiken: Die Krise auf den Finanzmärkten ist keineswegs überwunden. Weitere Banken könnten zusammenbrechen und die Immobilienpreise in den USA weiter fallen, die Rohstoffpreise könnten weiter ansteigen, und die jüngst zaghaft positiven Konjunktursignale in den USA könnten sich als Strohfeuer erweisen. Hinzu kommen strukturelle Probleme in den USA wie die hohe Staatsverschuldung, das enorme Leistungsbilanzdefizit und hohe Verschuldung der Privathaushalte. Die nächsten Monate werden zeigen, in welche Richtung die Weltwirtschaft geht.Im diesjährigen US-Wahlkampf spielen Wirtschaftsthemen aufgrund der Krisen auf dem Finanz- und Häusermarkt, der hohen Ölpreise und steigender Arbeitslosigkeit eine weitaus größere Rolle als etwa noch vor vier Jahren.
In Umfragen sagt eine relative Mehrheit der Amerikaner (knapp über 40 Prozent je nach Umfrageinstitut), dass die allgemeine Lage der Wirtschaft für sie das wichtigste Wahlkampfthema sei, noch vor dem Irakkrieg (rd. 35 Prozent). An dritter Stelle steht mit dem hohen Öl-/Benzinpreis (fast 30 Prozent) ein weiteres Wirtschaftsthema.
Dies befördert auch protektionistische Tendenzen in der amerikanischen Politik. Im Kongress besteht zur Zeit vor allem bei einem Teil der Demokraten eine negative Einstellung zu Freihandelsabkommen (u. a. suspendierte das Repräsentantenhaus im April das Gesetzgebungsverfahren über ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien). Barack Obama und Hillary Clinton forderten im Vorwahlkampf, NAFTA in Verhandlungen mit Mexiko und Kanada zu korrigieren.
Zwar sind die USA wie auch die EU insgesamt Gewinner der Globalisierung, aber in unseren Ländern gibt es zahlreiche Menschen und ganze Regionen, die sich zu den Verlierern zählen. In den USA sind dies vor allem industriell geprägte Staaten im Mittleren Westen wie Michigan und Ohio, in denen in den vergangenen Jahren zahlreiche Industriearbeitsplätze verloren gingen. Nicht zufällig gehören gerade diese Staaen zu den so genannten „Toss up States“, die entscheidend für den Ausgang der diesjährigen Präsidentschafts- und Kongresswahlen sein werden.
Noch stärker als in Deutschland wächst in den USA die Kluft zwischen Arm und Reich. Und die Mittelklasse dazwischen sieht sich zunehmend durch stagnierende Einkommen, Steuerlast und die Angst vor Arbeitsplatzverlust bedroht. Auf beiden Seiten des Atlantiks werden soziale Fragen in der politischen Debatte an Bedeutung gewinnen und Wahlausgänge beeinflussen. Bei den US-Wahlen spielen zur Zeit gesellschaftliche Themen wie bezahlbare Krankenversicherungen und der Zugang zu Bildung eine große Rolle.Zudem sehen wir uns in Nordamerika und in Europa zunehmend mit den Problemen der Energieknappheit und der weltweiten Klimaveränderungen konfrontiert. Bislang beruhte das Wirtschaftsmodell vor allem der Vereinigten Staaten und auch Kanadas erheblich auf der Verfügbarkeit von günstiger Energie aus fossilen Brennstoffen. Die USA allein verbrauchen mehr als 20 Mio. Barrel Öl am Tag, davon werden 12 Mio. importiert. Das bedeutet, dass die USA jeden Tag mindestens 1,3 Mrd. US-D an ölproduzierende Staaten transferieren. Ähnliches gilt für die EU, Japan und auch die energiehungrigen Schwellenländer Indien und China.
In den USA wird diese Situation angesichts der Verknappung der Öl- und Gasvorräte, der steigenden Preise und der politischen Natur der Herkunftsländer zunehmend nicht nur als wirtschaftliches, sondern als Sicherheitsproblem aufgefasst. Der Irakkrieg mit seinen hohen menschlichen und materiellen Kosten und jüngst die Kaukasus-Krise um Georgien und Russland haben das Problembewusstsein der Amerikaner noch verstärkt. Während wir Deutschen das Problem vor allem aus dem Blickwinkel der Erderwärmung betrachten, sehen es die Amerikaner eher aus dem Blickwinkel der nationalen Sicherheit. Argwöhnisch betrachtet Amerika das selbstbewusste Auftreten Irans, Russlands und Venezuelas, das sich aus hohen Öl- und Gaseinkünften speist.
Nun will man z.B. in der Arktis nach Öl bohren und Öl aus Teersänden in der kanadischen Provinz Alberta nutzbar machen und damit die Abhängigkeit von Energiequellen im Nahen Osten verringern. Dabei ist klar, dass diese Maßnahmen das Problem nur aufschieben, aber nicht beheben können und zudem für den Klimaschutz natürlich nichts bringen.Die Bush Administration hat sich am Beginn schwer getan mit dem Klimaschutz und lehnt auch heute noch verbindliche Begrenzungen von CO2-Emissionen ab, solange wichtige Schwellenländer wie China und Indien nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Hier ist sowohl von einer künftigen demokratischen als auch von einer republikanischen US-Regierung mehr zu erwarten (auch wenn es eine Illusion wäre, ein Einschwenken auf die europäische Position zu erwarten). Sowohl McCain als auch Obama haben weitgehende Klimaschutzmaßnahmen der USA und die Beteiligung an einem internationalen Cap-and-Trade-System in Aussicht gestellt. Auf der Ebene einzelner Bundesstaaten und Kommunen in den USA sowie auch verschiedener kanadischer Provinzen gibt es bereits jetzt erfolgversprechende Ansätze, an denen wir ansetzen können.
Am 30. September werden Minister Steinmeier und Minister Gabriel bei einer großen Veranstaltung im Auswärtigen Amt zur Transatlantischen Klima- und Energiepolitik mit Gästen aus den USA und hoffentlich auch Kanada den Startschuss für eine vertiefte transatlantische Kooperation geben.
Wenn sich die USA und Kanada dieses Thema stärker zu eigen machen, werden sich gerade für die deutsche Wirtschaft mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissensvorsprung bei der Entwicklung erneuerbarer Energien und bei der Energieeffizienz große Chancen bieten. Insofern sollten wir der aktuellen Problemlage auf den Rohstoffmärkten auch etwas Positives abgewinnen. Wir werden Öl und Gas auch in Zukunft nicht vollständig durch saubere Energien ersetzen können und weiterhin auch aus problematischen Ländern importieren müssen.
Die steigenden Preise für diese Energieträger und die Veränderung des Weltklimas zwingen uns und unsere Partner in Nordamerika jedoch dazu, unsere Energiequellen weiter zu diversifizieren und unsere Volkswirtschaften damit auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen. Dies beschleunigt den umwelt-, energie- und sicherheitspolitisch ohnehin notwendigen Strukturwandel.Fazit: Die Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft ist gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und anhaltender Turbulenzen auf den Finanzmärkten ein wesentlicher Stabilitätsanker. Die gegenseitige Verflechtung ist bereits sehr eng und für alle Partner von großem Vorteil.
Eine weitere Dynamik kann erzielt werden durch: eine engere Einbeziehung Kanadas in diese Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft, durch die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsfelder (vor allem Entwicklung alternative Energiequellen, Verbesserung der Energieeffizienz, Transatlantischer Klimaschutz) und durch die weitere beiderseitige Ausräumung von Handels- und Investitionshindernissen im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrates.
Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.