Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Bundesminister Steinmeier anlässlich des Besuchs der Doppelausstellung „Gerhard Richter“ und „Living Landscapes“ im Nationalen Kunstmuseum Chinas

13.06.2008 - Rede

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Yang,
Sehr geehrter Herr Fan,
Sehr geehrter Herr Roth,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

„Meine Bilder sind klüger als ich“, sagt Gerhard Richter über seine Kunst. Und genau hierin scheint mir ein Geheimnis von Malerei und vielleicht von Kunst im allgemeinen zu liegen: In den hier ausgestellten Bildern von Gerhard Richter und in dem hier gezeigten Überblick über die Landschaftsmalerei seit dem 19. Jahrhundert ergreift uns vieles, was wir mit Worten und besonders mit den Worten der funktionalen Verständigung kaum beschreiben können.

Die Sprache der Kunst geht weit hinaus über diese funktionale Dimension und die Sprache der Bilder spricht uns in einer ganz unmittelbaren Weise an.

Nicht nur in der Kunst. Und genau deshalb können wir heute nicht in dieser Ausstellung stehen, ohne zugleich an die Bilder von dem verheerenden Erdbeben in der Provinz Sichuan zu denken, an die unzähligen Opfer, das unermessliche Leid vieler Familien und die zahllosen Zerstörungen.

Mitleiden und Hilfsbereitschaft – das war die Reaktion in ganz China und in vielen befreundeten Nationen auf diese große Naturkatastrophe. Gerade auch in Deutschland. Und als deutscher Außenminister, aber auch als Freund möchte ich heute mein Beileid den Angehörigen der Opfer aussprechen und dem ganzen chinesischen Volk mein tief empfundenes Mitgefühl übermitteln.

Und unsere Hilfsbereitschaft möchte ich nicht nur versprechen, sondern wir werden gemeinsam mit der mich begleitenden Delegation in die Region reisen, um dort vor Ort den Helfern zu danken und einen eigenen Beitrag zu leisten.

Unwillkürlich wirkt alles nichtig im Angesicht einer Katastrophe diesen Ausmaßes. Auch die Kunst.

Aber zugleich wissen wir, gerade im Angesicht von Katastrophen, in schwierigen oder ausweglosen Situationen ist es oft die Kunst, die Trost oder Hoffnung gibt und Sprachlosigkeit überwindet. Das gilt für den Einzelnen, das gilt aber auch für Staaten und Völker.

Für die Zusammenarbeit unserer Völker sind die beiden Ausstellungen hier im Nationalen Kunstmuseum Wegmarken der gemeinsamen Zusammenarbeit: Sie verweisen zurück auf die Jahre der Vorbereitung, die gemeinsamen Planungen und Anstrengungen und wir sind dankbar dafür, dass Gerhard Richter als erster ausländischer Künstler mit einer so umfangreichen Einzelausstellung hier im Nationalen Kunstmuseum gewürdigt wird.

Sehr geehrter Herr Fan,
sehr geehrter Herr Roth,
stellvertretend für alle Beteiligten ihrer Institutionen möchte ich Ihnen an dieser Stelle für diese großartige Leistung danken.

Ein herzliches „Danke schön“ gilt auch dem Burda-Museum und den anderen privaten Sammlern, die Gemälde aus ihrer Sammlung beigesteuert haben.

Beide Ausstellungen sind aber auch Wegmarken, die nach vorne weisen auf die vor uns liegende Wegstrecke der Zusammenarbeit.

Wir freuen uns sehr auf die Gegenausstellung des NAMOC bei uns in Deutschland, in Berlin und Dresden, am Ende diesen Monats.

Und mit besonderen Erwartungen sehen wir der großen Ausstellung aller drei Institutionen hier in Peking im Sommer 2010 entgegen. Sie haben sich vorgenommen, die Geschichte der Aufklärung von Kant bis zur Gegenwart anhand eines Querschnittes aus ihren Sammlungen zu zeigen und wollen dabei besonders auf die Verbindungen zu China eingehen. Ich bin sicher, gerade im Jahr der Weltausstellung wird dieses Vorhaben neue Einblicke geben, verborgene Bezüge offen legen und so einen zentralen Beitrag leisten zu einem besseren gegenseitigen Verständnis.

Ob wir an dieses Zukunftsprojekt denken oder ob wir hier und heute die Bilder Gerhard Richters anschauen oder die „Lebendigen Landschaften“ - wir sehen: Kulturaustausch ist eine Erweiterung des Horizontes. Und einen erweiterten Horizont brauchen wir dringend.

Wir leben in einer Zeit, in der wir ohne Probleme jede Ecke der Welt erreichen können, sei es virtuell oder tatsächlich. Virtuelle und auch räumliche Erreichbarkeit gaukeln uns allzu oft eine trügerische Vertrautheit vor. Ich sage: nur weil wir mehr von der Welt sehen, heißt das noch lange nicht, dass wir auch mehr verstehen!

Sondern wir sollten zugeben, dass wir auch politisch neue Messinstrumente benötigen.

Die Elle der Machtblöcke und das Metermaß der nationalen Interessen genügen nicht mehr!

Um so mehr sollten wir uns bemühen, neue Perspektiven zuzulassen, die Grenzen unseres Horizontes zu verschieben, unterschiedliche Wahrnehmungen und Belastungsgrenzen zu erkennen – kurz: uns auf den Weg zu machen zu einer Neuvermessung der Welt.

Genau hier liegt für mich eine zentrale Aufgabe der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Denn sie kann uns helfen, fremde Sprachen zu verstehen und neue Bilder zu sehen, sie kann uns neue Wahrnehmungen und Wege der Verständigung weisen.

Daher möchte ich auch an dieser Stelle ausdrücklich die Veranstaltungsserie „Deutschland und China – gemeinsam in Bewegung“ erwähnen: Hier bieten wir, das Auswärtige Amt, gemeinsam mit dem Goethe-Institut und dem Land der Ideen einen neuen Zugang zu unserem Land und seiner Kultur an und vor allem: wir zeigen neue Wege der Zusammenarbeit nicht nur im kulturellen Bereich auf, sondern über die kulturelle Zusammenarbeit verweisen wir auf die gemeinsamen gesellschaftlichen Aufgaben, wie zum Beispiel den Umweltschutz.

Wir tun dies in dem Bewusstsein, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit unsere zentralen Probleme nur noch gemeinsam lösen können. Dass wir genau deswegen ein gemeinsames Bewusstsein, eine gemeinsame Verantwortungsgemeinschaft benötigen.

Dazu müssen wir bereit und in der Lage sein, nationale Grenzen und kulturelle Trennlinien zu überwinden, unsere Perspektiven zu weiten und die Parameter unserer Beobachtung anzupassen.

Nach meinem Verständnis heißt das nicht, dass wir uns bei unterschiedlichen Ansichten auf gegenseitige Kritik beschränken dürfen. Das ist oft Oberfläche.

Wir dürfen anspruchsvoller sein. Was wir brauchen, ist gegenseitige Offenheit und Ehrlichkeit, manchmal auch Ermutigung, immer aber den Mut für den stetig drängenderen Dialog, innen- wie außenpolitisch, einen Dialog, der uns befähigt, gemeinsame Lösungen für gemeinsame Aufgaben zu finden: Verantwortungspartnerschaft in einer sich rasant verändernden Welt!

So sehe ich gerade die beiden Ausstellungen hier, aber auch meinen Besuch in China zum jetzigen Zeitpunkt als einen Schritt auf diesem Weg der Ermutigung an und ich würde mich freuen, wenn diesem Zeichen noch hoffentlich viele folgen werden.

Ich komme zurück auf Gerhard Richter. Bei allem, was ich von ihm gesehen und über ihn gelesen habe, ist mir eines klar geworden: sein Werk scheint auf den ersten Blick voller Widersprüche und Brüche. Und doch fließt seine Kunst aus einer Palette, zeigt sich hinter der Vielfalt eine Einheit des Stils.

Ich meine, und damit will ich schließen, auch da können wir von der Kunst lernen: was auf den ersten Blick scheinbar Brüche und Widersprüche aufweist oder zulässt, das muss nicht deswegen weniger gut sein.

Sondern es kann, wenn man genauer hinschauen mag, Ausdruck eines stringenten Stils sein – eines Stils, der eben nicht mit nur mit Maßband und Elle misst und oder selbst zu messen wäre, sondern der auch moderne Instrumente und Techniken nutzt und zu nutzen erfordert!

Vielen Dank!

Verwandte Inhalte

nach oben