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Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung des Haifa Center for German and European Studies, Universität Haifa
Sehr geehrter Herr Universitätspräsident Prof. Ben-Ze'ev,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Yahav,
sehr geehrter Herr DAAD-Vize-Präsident Prof. Huber,
sehr geehrter Herr Prof. Lahnstein,
sehr geehrter Herr Prof. Bental, Direktor des Haifa-Zentrums für Deutschland- und Europastudien,
sehr geehrte Studentinnen und Studenten,
meine Damen und Herren!
Es ist mir eine große Freude, heute hier bei Ihnen zu sein und das Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Haifa eröffnen zu können.
Dies ist mein erster Besuch in Haifa, und mir scheint diese Stadt im Kleinen das zu sein, was wir im Großen bewirken wollen: Gelebter kultureller Austausch. Haifa ist schon lange bekannt für seine Toleranz und Offenheit gegenüber den Religionen und für das friedliche Zusammenleben von Juden, Moslems und Christen. Und für eine ganz eigene, offene und produktive Kulturszene.
Hier in Haifa zeigt sich: das „Zusammenfließen von Kulturen“, wie das der deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow genannt hat, kann in einen neuen kulturellen Strom münden, der größer, bunter und tiefer ist als seine Zuflüsse. Das ist nicht nur kulturell ein ungemein wichtiger Prozess, sondern wir sollten daraus auch politisch lernen. Und wir in Deutschland können da noch viel von Haifa lernen! Nehmen Sie das Zentrum für Deutschland- und Europastudien also bitte auch als ein Zeichen, dass wir von Ihnen lernen wollen. Dass wir den Prozess des gemeinsamen und gegenseitigen Lernens fördern und durch das Zentrum erneuern und modernisieren wollen!
Drei Aufgaben soll sich das Deutschland- und Europazentrum dabei vor allem widmen: Es soll über das moderne Deutschland und über Europa als Teil der deutschen Identität informieren; die Kooperationen mit israelischen Spitzeneinrichtungen fest etablieren und so einen Anlaufstelle für akademische Kontakte aufbauen und die Geisteswissenschaften, insbesondere die Germanistik, stärken, um der deutschen Sprache in Israel einen deutlichen Schub zu geben.
Anrede,
kürzer gefasst: wir setzen mit dem heute eröffneten Zentrum eine Tradition fort und erneuern diese gleichzeitig. Und als deutscher Außenminister bin ich besonders dankbar für diese Tradition zwischen unseren Ländern. Denn ich weiß: es war die wissenschaftliche Zusammenarbeit, die die Wege zu einer politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit erst bereitet hat. Und deshalb möchte ich die heutige Gelegenheit ausdrücklich nutzen, um denen zu danken, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg für diese deutsch-israelische Lerngemeinschaft engagiert haben.
Sie ist Teil dessen, was ich einmal mit dem Begriff der „tätigen Erinnerung“ bezeichnet habe. Sie ist Teil unserer besonderen Beziehungen. Und diese besonderen Beziehungen zu pflegen, auszubauen und zu erneuern ist Aufgabe deutscher Außenpolitik und deutscher Politik insgesamt. Die Shoah, der millionenfache Mord, das unermessliche Leid, was Deutsche über deutsche und andere europäische Juden gebracht haben, ist Teil unserer Geschichte. Sie ist uns zugleich Verpflichtung und Aufgabe. Nicht nur des Gedenkens. Sondern der täglichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus.
Darum sind unsere Beziehungen zu Israel keine normalen Beziehungen – sollen und dürfen es auch nicht sein oder werden. Sondern sie werden für immer besondere Beziehungen bleiben.
Was bedeuten diese besonderen Beziehungen heute für mich als deutschen Außenminister?
Das Eintreten für Existenz und Sicherheit des Staates Israel ist Konstante deutscher Außenpolitik. Deutschland engagiert sich, gerade vor dem Hintergrund seiner Geschichte, für einen dauerhaften und gerechten Frieden in Nahost - mit zwei Staaten - Israel und Palästina - die in friedlicher Nachbarschaft leben. Für uns Deutsche wird die Sicherheit und das Wohlergehen Israels dabei immer ein zentrales Element unserer Außenpolitik sein.
Damit die Vision zweier Staaten Wirklichkeit werden kann, müssen schmerzhafte Kompromisse geschlossen werden. Das ist nicht einfach. Das verlangt Mut, und die Lösungen müssen hier gefunden werden. Wir können die bei den Parteien notwendige Entschlossenheit und Weitsicht nicht ersetzen. Aber Deutschland kann mit seinen Partnern die Rahmenbedingungen zu verbessern suchen. Mit der Wiederbelebung des Nahost-Quartetts und der von mir initiierten EU-Aktionsstrategie für den Nahen Osten haben wir dies politisch getan.
Anrede,
besondere Beziehungen, das bedeutet aber auch und vielleicht vor allem ein gesellschaftliches und kulturelles Engagement: Ohne die Städtepartnerschaften, ohne die Austauschprogramme für Schülerinnen und Schüler, für Studentinnen und Studenten wäre die Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht entstanden und ohne die vielfältigen Wege des kulturellen Austauschs hätte diese Freundschaft weniger Ausdrucksformen gefunden.
Deswegen würdigen wir die Staatsgründung Israels vor 60 Jahren auch mit einem anspruchsvollen, vielfältigen und reichhaltigen Kulturprogramm. Bei uns in Deutschland (mit zwischen 250 und 300 Veranstaltungen) und hier in Israel.
Eines aus jüngster Zeit ist mir ganz besonders in Erinnerung: Wir, das Auswärtige Amt und der Deutsche Fußballbund hatten vor kurzem die deutsche und israelische Fußballnationalmannschaft der Schriftsteller und Autoren nach Berlin eingeladen. Sie haben gemeinsam Fußball gespielt und gemeinsam im Deutschen Theater aus ihren Werken vorgetragen. Was sich dabei ereignet hat, ist außergewöhnlich und einer der Schriftsteller hat es mir ungefähr so berichtet:
„Es ist etwas anderes, ob man nur die Bücher des anderen liest oder ihm zuhört, oder ob man zusammen schwitzt, gegen einander foul spielt, mit einander einem Ball hinter her läuft und sich freut und danach andere an der gemeinsamen Liebe zu Literatur teilhaben lässt: aus zwei Fußballmannschaften entsteht so eine Literaturmannschaft“.
Hoffen wir nicht nur auf ein baldiges Rückspiel - dann mit großer Sicherheit hier in Israel - sondern auf viel mehr solch ungewöhnlicher Begegnungen. Heute Abend werde ich – gemeinsam mit meiner Kollegin und Ihrer Außenministerin – in Tel Aviv modernes deutsches Tanztheater sehen: die wunderbare Compagnie von Sasha Waltz.
Anrede,
ich hatte es eingangs bereits erwähnt: auch und vielleicht gerade in Bildung und Wissenschaft zeigt sich die Besonderheit unserer Beziehungen.
Die Wissenschaftsdiplomatie war zwischen unseren Ländern lange vor der klassischen Diplomatie unterwegs, sie hat ihr die Wege bereitet: Das Weizmann-Institut und die Max-Planck-Gesellschaft knüpften bereits Ende der fünfziger Jahre Forschungskontakte, lange vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der damaligen Bundesrepublik im Jahr 1965. Mit ihrem Mut und ihrer Zuversicht legten sie den Grundstein für die große Erfolgsgeschichte der israelisch-deutschen Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Hochschulen, die eines der zentralen und herausragenden Felder der bilateralen Beziehungen ist. Nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell, wenn ich die Förderbeträge betrachte, die in den letzten Jahren geflossen sind.
In dieser Tradition steht das Zentrum für Deutschland- und Europastudien, und ich bin überzeugt, dass es gut zu Haifa passt, der „deutschen Stadt“, wie sie hier in Israel gelegentlich genannt wird. Von der Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten „Deutschen Kolonie“ bis hin zu allein fünf Städtepartnerschaften mit deutschen Städten weist Haifa viele Bezugspunkte zu unseren beiden Ländern auf und ich hoffe, das heute eröffnete Zentrum wird einen weiteren lebendigen Bezugspunkt schaffen!
Übrigens nicht nur für die Stadt und ihre hervorragende Universität, der ich an dieser Stelle besonders herzlich danken möchte. Projekte wie dieses entstehen ja bekanntlich nicht aus dem Nichts. Sie haben immer viele Mütter und Väter, die mit großem persönlichen Mut und Engagement ihre Ideen in Handeln umsetzen. Ihnen allen möchte ich ganz herzlich danken!
Anrede,
Ihr Vorbild sollte uns auch Ansporn sein, den eingeschlagenen Weg des kulturellen Austausches und der gemeinsamen Bildung energisch weiter zu verfolgen. Denn mehr denn je stehen wir vor Aufgaben, die kein Land mehr alleine meistern kann, auf die keine Kultur mehr auch nur behaupten kann, die einzig gültige Antwort zu besitzen.
Ich bin davon überzeugt: wir müssen internationale und interkulturelle Lerngemeinschaften noch mehr fördern als bisher. Nicht so sehr um Wissen anzuhäufen, das sicher auch, sondern weil wir die Erfahrungen der verschiedenen Kulturen bei den gemeinsamen Lösungen der globalen Fragen und Probleme benötigen!
Wir brauchen umso mehr kulturellen gemeinsamen Hintergrund, je mehr sich die Komplexität der Aufgaben erhöht! Und dieser Hintergrund kann nicht aus Büchern oder durch Internet-Ratgeber erworben werden. Sondern er muss gelebt werden, muss sich in der Lebenspraxis als Haltung herausbilden und bewähren. Wir fördern Bildung, wir fördern Austausch, weil wir uns der gemeinsamen internationalen Verantwortung bewusst sind. Weil wir wissen, dass wir Handlungsoptionen brauchen, die nicht mehr nur für uns selbst, sondern für zunehmend viele Partner gültig sein können.
Internationale Probleme und Aufgaben lassen sich in einer globalisierten Gesellschaft nicht mehr allein durch diplomatische Konferenzen lösen. Sie erfordern mehr denn je lebenspraktische Antworten auf lokaler Ebene.
Lassen Sie mich ein Beispiel geben und einen Wunsch äußern:
Mein Beispiel bezieht sich auf die Lage in der Region und besonders in den palästinensischen Gebieten: Wir alle begrüßen, dass Israel und Syrien die Wiederaufnahme indirekter Friedensgespräche unter türkischer Vermittlung bekannt gegeben haben und dass sich die Lage in Libanon unter Vermittlung der Arabischen Liga beruhigt hat. Erst vorgestern habe ich im Libanon dem neu gewählten Präsidenten, General Suleiman meine Glückwünsche persönlich übermitteln können. Für Libanon kann diese Wahl eine wichtige Etappe zur Erneuerung funktionierender staatlicher Institutionen bedeuten, die hoffentlich zu Stabilität an Israels Nordgrenze beitragen wird. Wir wollen das hoffen und dafür arbeiten.
Niemand verkennt die Risiken, aber die Bemühungen der letzten Wochen sind wichtige Fortschritte. Sie sind die Frucht internationaler Zusammenarbeit. Sie können wichtige Meilensteine sein auf dem Weg zu mehr Sicherheit und Stabilität.
Damit sie aber in die tägliche Praxis der Menschen hier in der Region umgesetzt werden können, müssen wir sie auf der lokalen Ebene begleiten, verdichten und manchmal sogar vorbereiten. Einen solchen lokalen Ansatz habe ich gestern Jenin besucht: Dort versuchen wir, ein ganzes Set von Maßnahmen anzubieten, die Arbeitsplätze schaffen und den Menschen eine Perspektive geben sollen. Dort wird ein mit deutschen Mitteln finanzierter Industriepark entstehen - ein Projekt zur Stärkung der Eigenkräfte der palästinensischen Wirtschaft. Ergänzend dazu haben wir mit deutschen Mitteln den Aufbau einer Berufsschule in Jenin finanziert, und ich bin sicher, diese Projekte können gerade im Zusammenwirken dabei helfen, den Alltag der palästinensischen Bevölkerung spürbar zu verbessern. Solche Graswurzel-Projekte brauchen wir viel mehr. Denn ich bin sicher: Wenn wir die konkreten Lebensumstände für Palästinenser verbessern, werden wir langfristig Frieden und Stabilität für beide, Israelis und Palästinenser wahrscheinlicher machen!
Ich glaube, und darin sehe ich meine Veranwortung: Wir müssen in der Zeit, in der die Verhandlungen laufen, den Menschen sagen: der Weg zum Frieden lohnt sich.
Anrede,
nach diesem Beispiel möchte ich schließen mit einem Wunsch, der unsere beiden Länder und besonders unsere Kinder und jungen Leute betrifft. Ich bin sicher, gemeinsame Universitätsausbildung, gemeinsame Forschung und gemeinsame wissenschaftliche Tätigkeit sind die vielleicht besten Mittel gegen das Vergessen und für eine gemeinsame Zukunft.
Deswegen erlaube ich mir auch die Frage, ob wir mit dieser gemeinsamen Ausbildung von deutschen und israelischen Kindern und jungen Menschen nicht noch früher beginnen sollten.
Ich glaube, die Zeit könnte dafür reif sein, dass unsere heranwachsende Generation sich gemeinsam und zwar gemeinsam in einer internationalen, interkulturellen Lerngemeinschaft auf das Leben vorbereitet.
Und so erlaube ich mir den Wunsch, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, eine Deutsche Auslandsschule als Begegnungsschule für deutsche und israelische, aber auch Kinder anderer Nationen hier in Israel aufzubauen und damit zum 60. Geburtstag ein neues Kapitel gemeinsamer Zukunft aufzuschlagen.
In diesem Sinne sage ich:
Herzlichen Dank und Mazal-tov