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Rede von Staatsminister Erler anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“

01.08.2007 - Rede

-Es gilt das gesprochene Wort-

Sehr geehrter Herr Direktor Avraham,
sehr geehrter Professor Benz,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich begrüße Sie herzlich zur Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“ des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

  • Eigentlich dürfte es diese Ausstellung gar nicht geben.
  • Eigentlich müsste eine Ausstellung über Antisemitismus in einem historischen Museum stattfinden.
  • Eigentlich sollte die heutige Weltgemeinschaft immun sein gegen Antisemitismus, als eine Krankheit der Vergangenheit.

Aber:

  • Leider ist es richtig und notwendig, dass es diese aktuelle Ausstellung gibt.
  • Es ist leider auch passend, dass sie nicht im Haus der Geschichte, sondern im Auswärtigen Amt stattfindet, in dem Außenpolitik für die Gegenwart und Zukunft gemacht wird.
  • Denn leider ist der Antisemitismus nicht dort, wo er hingehört – im Giftschrank der Erreger schwerheilbarer Krankheiten der Vergangenheit – er ist leider ein Phänomen der europäischen Gegenwart, mit dem sich auch unsere Außenpolitik auseinandersetzen muss.

Diese Ausstellung widmet sich einer durch Mutation erneut virulenten Infektion mitten in unserer Gesellschaft. Das Problem ist nicht auf die westliche Welt beschränkt. Ein neuer Antisemitismus mit verschwimmenden Grenzen zum Antizionismus und zur Kritik am heutigen Israel findet eine wieder wachsende Resonanz: in westlichen wie in islamischen Gesellschaften.

Eigentlich haben wir eine positive Entwicklung bei der Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland:

  • Heute gibt es in Deutschland aktive jüdische Gemeinden mit mehr als 100 000 Mitgliedern.
  • Seit 1990 sind allein 200 000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen, viele sind allerdings weitergereist im Zuge der „Alija“ nach Israel.
  • Als solide Grundlage haben wir den Staatsvertrag von 2003 und das jüdische Leben bei uns findet eine jährliche finanzielle Unterstützung von 3 Millionen Euro.
  • Ich bin froh, dass es bei uns wieder eine Ausbildung von Religionslehrern gibt (in Heidelberg), wieder eine Ausbildung von Rabbinern (an der Universität Potsdam) und dass bei uns im Jahr 2006 drei Rabbiner in Dresden ordiniert wurden, und eine Rabbinerin 2007 in Berlin.
  • Ein Zeichen der Vitalität jüdischen Lebens in Deutschland sind auch die zahlreichen Neubauten von Gemeindezentren und Synagogen, so in Frankfurt am Main, Würzburg, München und an anderen Orten.

Aber wir beobachten auch, dass bei der Immunität gegen den Antisemitismus Lücken bestehen, dass die Zahl der als antisemitisch eingestuften Vorfälle in Deutschland seit fünf Jahren beständig ansteigt. Von den circa 16.000 rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2006 waren rund zehn Prozent antisemitisch motiviert. Zwischen 40 und 50 gewalttätige Übergriffe gibt es jedes Jahr. Diese Zahlen spiegeln die Rohheit und Dumpfheit der rechtsextremen Szene. Die antisemitischen Parolen der Neo-Nazis sind schwer zu ertragen. Sie belasten die Rückkehr des normalen jüdischen Lebens in unserem Land. Und das dürfen wir und werden wir nicht hinnehmen. Gesellschaftlicher Widerstand hat sich gegen diese Rückkehr der Gespenster der Vergangenheit gebildet. Zahllose Initiativen engagieren sich im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, auch unterstützt mit erheblichen finanziellen Mitteln seitens der Bundesregierung.

Es gibt aber auch neue, komplizierte Varianten des Antisemitismus und ich bin den Autoren, die diese Ausstellung vorbereitet haben, dankbar, dass sie uns dafür die Augen öffnen. Der Antisemitismus ist heute nicht mehr nur das rassistische Denken, mit dem im Deutschland des Dritten Reiches die Politik der Judenvernichtung ihren Anfang nahm. Der heutige Antisemitismus nährt sich aus verschiedenen Quellen, er schafft sich neue Gestalten und Feindbilder, sieht aber immer auf die Juden als quasi ewigen Feind.

Wir haben eine Debatte über „neuen Antisemitismus“. Die Pöbeleien mancher Jugendlicher zum Beispiel, deren Familie aus islamisch geprägten Ländern stammen, beziehen ihre Energie aus den Erfahrungen des ungelösten Nahost-Konflikts; und die Zahl solcher Vorfälle steht in direktem Zusammenhang mit dem jeweiligen Krisenstand dort. Oft steht hier ein eklatanter Mangel an politischer Bildung und Aufklärung Pate. Zum Glück gibt es Institutionen, die das erkannt haben: In Berlin denke ich da zum Beispiel an die „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“, die mit großem Engagement Jugendliche verschiedenster Herkunft zusammen und ins Gespräch bringt (die Ausstellung berichtet darüber).

In dieser Ausstellung werden wir auch mit neuen Verschwörungstheorien konfrontiert, die den Antisemitismus speisen. Egal was passiert: je schwerer es zu erklären ist, desto einfacher, wieder einmal jüdisches Strippenziehen hinter dem Vorhang des Welttheaters dafür verantwortlich zu machen. Das Spektrum reicht vom 11. September 2001 bis zum Tsunami.

Und dann haben wir eine Debatte über die richtige Solidarität mit Israel. Natürlich besteht in jeder Demokratie, auch in unserer, das Recht auf Kritik – auch am konkreten Regierungshandeln in Israel. Für uns gibt es da aber eine klare Grenze: und das ist das Existenzrecht Israels. Das Recht Israels, im Frieden und innerhalb anerkannter sicherer Grenzen zu leben, ist und bleibt für die Bundesrepublik Deutschland ein unverhandelbarer Eckpunkt, auch für unsere Außenpolitik. Wer – wie etwa der iranische Präsident – gegen Israels Existenz hetzt oder den Holocaust leugnet, um Israel indirekt das Existenzrecht abzustreiten, der stößt bei uns auf breiteste Ablehnung und muss mit unserem entschiedenen Protest rechnen. Er isoliert sich auch in einer Staatengemeinschaft, die, so im Rahmen der Vereinten Nationen, jedes Jahr am 27. Januar der Opfer des Holocaust gedenkt.

Das Auswärtige Amt nimmt die neuen Formen des Antisemitismus sehr ernst. Ich darf daran erinnern, dass wir vor drei Jahren in Berlin die OSZE-Staaten zu einer großen internationalen Konferenz zu diesem Thema versammelt hatten. Jüngst fand diese Konferenz eine Fortsetzung in Bukarest, wo ich selbst die Bundesregierung vertreten habe. Das war damals in Berlin eine eindrucksvolle Bekundung des politischen Konsenses, dass Antisemitismus unter keinerlei Vorwand legitim ist, auch nicht unter dem Druck aktueller Krisen. Diesen Konsens gilt es zu erhalten und zu vertiefen.

Ich danke den Veranstaltern, Yad Vashem und dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, dass sie mit dieser wichtigen Ausstellung unsere Information verbessern, unsere Sinne schärfen und uns dadurch befähigen, dem neuen Antisemitismus wirksamer entgegenzutreten.

In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung viel Erfolg, jetzt in Berlin und dann in den geplanten anderen Städten Magdeburg, München, Halle und den weiteren.

Ich danke Ihnen und übergebe das Wort nun an Herrn Direktor Avraham.

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