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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier aus Anlass der Präsentation der Halma-Initiative in Berlin

11.05.2007 - Rede

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Dr. Hamm,
sehr geehrter Herr Dr. Janetzki,
sehr geehrter Herr Zajc,
lieber Ilija Trojanow,

Exzellenzen,

sehr geehrte Damen und Herren!

Timothy Garton Ash hat kürzlich einmal beklagt, Europa habe den Faden verloren. Die Menschen wüssten nicht, warum und wofür es eine Europäische Union gebe. Was wir bräuchten, so Ash, das sei dringend eine neue Erzählung.

Wenn Europa den Faden verloren haben sollte, was gibt es dann besseres, als ein neues Netzwerk zu knüpfen?

Und wenn wir dringend eine neue Erzählung für Europa brauchen - was gibt es dann besseres, als Knotenpunkte der Literatur in Europa miteinander zu verbinden?

Genau das unternimmt die heutige Initiative. Halma will Literaten und Lektoren, Übersetzern und Vermittlern die Möglichkeit bieten, noch europäischer zu arbeiten. Halma will ein Netzwerk bauen, das von vornherein den europäischen Gedanken über geographische und kulturelle Grenzen hinweg verbindet und die gemeinsame Arbeit in und an Europa zum Ziel hat. In meinen Augen ist das ein Ansatz, der unser Bewußtsein von Europa nach vorne bringen und vor allem erweitern kann: Wir haben in allen unseren Ländern große literarische Traditionen, wir haben in jedem Land nationale Epen, aber auch nationale Traumata, die immer wieder aufscheinen und aktuelle Diskussionen sehr stark beeinflussen. Weil sie mit den Tiefenschichten unserer Identität verbunden sind.

Das ist keine ganz abstrakte Bewertung, wie man meinen könnte! Denken wir nur an die Diskussionen der letzten Tage zwischen Estland und Russland: Ohne ein Verständnis von diesen Bewußtseinsschichten in der europäischen Geschichte und Gegenwart können wir solche Diskussionen nicht verstehen und vor allem nicht verantwortungsvoll führen. Das ist genau der Grund, warum ich mich angesichts des eskalierenden Streites auch persönlich so sehr engagiert habe, um zu einer Beruhigung der Situation beizutragen. Weil Deutschland durch seine Geschichte und Kultur beiden Ländern eng und oft genug in tragischer Weise verbunden ist. Und weil beiden Seiten einsichtig war, dass meine Anregungen auch persönlich ganz sicher von Respekt und sogar ein wenig von Demut gegenüber der Geschichte und Kultur beider Ländern geprägt waren.

Und auch hier zeigt sich wie so oft: wir können ein gemeinsames Bewußtsein jedenfalls nicht alleine und vielleicht noch nicht einmal in erster Linie über politische Gespräche schaffen. Sondern nur über eine kulturelle Verständigung, die das schöpferische Potential dieser Differenzen hebt und vor allem sinnlich erfahrbar macht.

Halma scheint mir in diesem Sinne eine ganz vorbildliche europäische Initiative: Sie macht es möglich, dass die Exponenten der jeweiligen nationalen Literaturen an verschiedenen Orten in Europa zusammen arbeiten, ihre ästhetischen und ethischen Positionen in der Wahrnehmung der fremden Freunde und am europäischen Projekt gleich Beteiligten überprüfen und diskutieren können – kurz: sie will europäische Literatur ermöglichen.

Halma ist damit auch kulturpolitisch zukunftsweisend: Unterschiede und Differenzen sind notwendig, befruchtend und manchmal auch befreiend für unsere Kulturen. Sie sind zugleich die Vorbedingung, dass ein Kunstwerk durch den internationalen Austausch in andere Deutungs- und Bedeutungszusammenhänge treten und dort im besten Sinne des Wortes „wahr“-genommen werden kann.

Kultur ist deshalb gerade nicht das ängstliche Abtasten von oder die angstvolle Abschottung vor Differenzen. Gerade als Außenpolitiker sage ich: Wirkliche Sicherheit entsteht nur durch den Dialog, in dem wir Unterschiede klären und das Gemeinsame suchen. Deswegen ist für michdas neugierige Aufeinander Zugehen, die kulturelle Offenheit Vorbedingung dafür, gemeinsame Zukunft gemeinsam gestalten zu können.

Kultur gehört deshalb für mich auch nicht unter die Überschrift „Sicher leben“, wie das im Augenblick im Parteiprogramm einer großen deutschen Volkspartei zu finden ist. Sondern Kultur gehört unter die Überschrift „Zukunft gestalten“!

Und Aufgabe von Kulturpolitik ist nicht, wie das in diesem Pareiprogramm proklamiert wird, „kulturelle Sicherheit“, sondern kulturelle Offenheit!

Die schönste literarische Form dieser These verdanken wir vielleicht Ilija Trojanow, über dessen ersten Besuch hier im Auswärtigen Amt ich mich ganz besonders freue: „Noch ist die Welt groß. So groß, dass Hilfe gefunden wird“, sagt er in seinem Debutroman und genau dieser Blick sollte unserer Kulturarbeit in einer globalisierten Welt Mut machen.

Aber wir werden das nur dann begreifen, wenn wir neugierig und offen anderen Kulturen begegnen, wenn wir unsere eigenen kulturellen Möglichkeiten erweitern und sie nicht beschränken.

Literatur als Netzwerk der Narrationen hat dabei die ganz besondere Fähigkeit, gleichermaßen Ort des Gedächtnisses und der Zukunft zu sein. Auf dieser besonderen Fähigkeit baut Halma auf und wir alle wollen das gemeinsam unterstützen, in Deutschland, in Europa und darüber hinaus.

Das gilt auch im Blick auf diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die aus anderen Ländern nach Europa gekommen sind. Die europäischen Nationen und auch die deutsche haben durch Migration und Austausch nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell dazu gewonnen. Und ich erinnere mich noch sehr gut an das Abendessen, bei dem ich Ilija Trojanow kennen gelernt habe:

Ich hatte damals Künstler eingeladen, die alle für die Kultur in Deutschland stehen und durch ihre biographischen Verbindungslinien neue Elemente mitgebracht haben und mit bringen. Der Tanz-Star Vladimir Malakhov war dabei, die Schauspielerin Jasmin Tabatabai, der Musiker und Tom-Jones-Produzent Mousse T. und viele andere. Sie alle sind Teil der deutschen Kultur, und gerade darin scheint mir eine besondere Stärke der deutschen Kultur in diesen Tagen zu liegen.

Deswegen betreiben wir hier im Auswärtigen Amt ja auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik: Weil wir wissen, dass gerade in einer globalisierten Welt und ganz besonders in Europa und für unser Land die Behauptung einer statischen kulturellen Identität zu kurz greift.

Mit seiner kulturpolitischen Dimension, mit der literarischen „Annäherung durch Verflechtung“ steht Halma in der besten europäischen Tradition. Denn genau das ist das Leitmotiv der europäischen Einigung: nationalstaatlich gebündelte kulturelle, wirtschaftliche, soziale oder auch nur organisatorische Abgrenzungen in gemeinsamen Anstrengungen überwinden. Das ist die „Solidarität der Tat“, wie ich das vorgestern beim Europaforum unter Bezug auf Robert Schuman genannt habe.

Noch einen zweiten Grund möchte ich nennen, warum mir die heutige Initiative so besonders am Herzen liegt: In meiner Rede zur Eröffnung der Kulturkonferenz des Auswärtigen Amtes im vergangenen Herbst hatte ich mir gewünscht, dass sich das Auswärtige Amt noch stärker als „Andockstation“ zur Verfügung stellt. Und den Experten der Kultur, Künstlern, Kulturschaffenden und –vermittlern unsere außenpolitische Expertise, das Netz unserer Auslandsvertretungen anbietet. Das scheint mir in der heutigen Zusammenarbeit zwischen der Robert-Bosch-Stiftung, dem Literarischen Colloquium Berlin und unserem Haus gelungen.

Halma will nicht nur ein Netzwerk aufbauen, sondern ist selbst ein Netzwerk privater und öffentlicher Partner, die ihre Stärken, Qualitäten und Unterschiede über viele europäische Länder und Orte verbunden haben.

Deshalb soll es auch nicht bei einer lobenden Vorstellung der Halma-Initiative allein bleiben. Sondern das Auswärtige Amt will dabei helfen, das Netzwerk der Narrationen enger zu knüpfen.

Ganz praktisch, indem wir aus unserem Haushalt ebenfalls ein Stipendium für einen Schriftsteller bereitstellen. Und ich möchte dieses Stipendium mit einem Wunsch versehen. Ich kenne die Ziel von Halma und ich weiß, dass vielleicht die süd- und westeuropäischen Länder noch nicht hinreichend in Halma-Netzwerk aufgehoben sind. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn unser deutsches Stipendium auch im Sinne unserer aktuellen und ersten Trio-Präsidentschaft die Verbindungen zwischen Portugal und Slowenien stärkt.

Wir wollen mit unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aber auch selbst an kulturellen Netzwerken mitarbeiten. Deswegen möchte ich abschließend die heutige Gelegenheit nutzen, um auf eine Gelegenheit hinzuweisen, bei der wir Europäer durch den Blick der Literatur von „Außen“ mehr über uns erfahren können: Mit dem Präsidenten der Akademie der Künste habe ich vereinbart, daß am 01./02. Juni Assia Djebar, Carlos Fuentes, Wole Soyinka, Wang Hui und Elias Khoury ihren Blick auf Europa richten und europäische Künstler und Intellektuelle wie Ilija Trojanow, Imre Kertesz, György Konrad, Andrzej Stasiuk und Mario Adorf sich fragen werden, „Was ist ein Europäer“?

Ich hoffe, dass sich daraus ein Gespräch zwischen „Innen“ und „Außen“ entwickelt, das die blinden Flecke in unserer Selbstwahrnehmung zum Thema macht, neue Ein-Blicke ermöglicht und Aus-Blicke auf eine globale Verantwortungsgemeinschaft wagt. Und ich glaube, dass das ganz im Sinne der heute hier vorgestellten europäischen Initiative ist.

Vielen Dank!

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