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Eröffnungsrede von Bundesaußenminister Steinmeier zur Konferenz aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ), 25.04.2007

25.04.2007 - Rede

Sehr geehrter Herr Generaldirektor,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,

der bevorstehende 29. April ist der 10. Jahrestag des Inkrafttretens des Chemiewaffen-Übereinkommens. Ich freue mich, Sie zu diesem Anlass hier im Auswärtigen Amt zu unserem Symposium zu begrüßen. Und ich danke der Stiftung Wissenschaft und Politik dafür, dass sie als kompetenter Partner diese Veranstaltung mit ausrichtet.

Der 29. April ist auch der 10. Geburtstag der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, die das Abkommen implementiert.

Besonders herzlich begrüße ich deshalb den Generaldirektor der Organisation, Botschafter Rogelio Pfirter. Und ich sage auch allen Diskussionsteilnehmern, die zum Teil von weit her angereist sind: Herzlich Willkommen in Berlin!

Ich messe diesem Symposium große Bedeutung bei. Nicht nur, weil Abrüstung und Rüstungskontrolle seit Jahrzehnten zu den wichtigen Pfeilern deutscher Außenpolitik zählen. Beides sind für uns unverzichtbare Instrumente vernünftiger Sicherheitspolitik.

Nein, ich unterstreiche hier auch meine ganz persönliche Überzeugung: Die Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle müssen wieder heraus aus dem Schattendasein, das sie in den vergangenen Jahren in der internationalen Politik gefristet haben! Nach dem Ende des Kalten Krieges und der weltweiten Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaften haben die Menschen in Europa und anderen Teilen der Welt häufig geglaubt, jetzt breche eine Phase des selbstverständlichen Friedens aus. Wir wissen, dass dies nicht der Fall ist. Auch wenn Unternehmen weltweit agieren und wenn die Menschen sich per Internet so eng vernetzen wie niemals zuvor, bleiben die Gefahren für den Frieden durch Atom-, Chemie- und Biowaffen sehr konkret. Weil immer mehr Staaten die Technologie zum Bau und zur Produktion solcher Waffen besitzen, werden die Gefahren sogar tendenziell größer.

Massenvernichtungswaffen, meine Damen und Herren, sind und bleiben eine Geißel der Menschheit. Sie sind ihrem Wesen nach bedrohlich, in ihrem Potenzial aggressiv und in ihrer Wirkung grausam. Darum lautet meine Position und die der Bundesregierung ganz klar:

Wer dauerhaften Frieden und Sicherheit schaffen will, muss die Bereitschaft zur Zusammenarbeit fördern und jede Möglichkeit nutzen, politische Differenzen zu überwinden. Das Stichwort lautet: Gemeinsame Sicherheit durch effektiven Multilateralismus. Multilateralismus bedeutet kein endloses Palaver, sondern die Arbeit an konkreten Vereinbarungen – zum Beispiel an Verträgen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. Diese Verträge sind eine wichtige Grundlage unserer Sicherheitspolitik. Sie schaffen verlässliche Normen, Transparenz und Vertrauen. Ihr Wert bemisst sich daran, ob die Regeln, die sich Staaten gemeinsam setzen, auch jederzeit überprüft werden können. Die Verifikation bestätigt Vertrauen und spürt in Notfall „Übeltäter“ auf. Als Europäer können wir mit einigem Stolz sagen, dass wir in diesem Sinne auf unserem Kontinent eine Abrüstungsarchitektur geschaffen haben, die wegweisend für alle Konfliktregionen sein kann.

Multilaterale Verträge sind das beste Mittel, um die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen. Jeder hier weiß, wie dringend diese Aufgabe ist. Zumal da nicht nur manche Staaten, sondern auch internationale Terror-Organisationen darauf hinarbeiten, sich solche Waffen zu beschaffen. Politische Instrumente wie die Proliferation Security Initiative (PSI) sind zwar hilfreich. Aber einfache Absprachen zwischen Staaten sind weniger verlässlich als vertraglich vereinbarte Normen. Wenn die Staatengemeinschaft Rechtsbrecher zur Rechenschaft ziehen will, braucht sie als Grundlage dafür völkerrechtlich verbindliche Verträge. Ihre Implementierung und Stärkung wird umso wichtiger je mehr Staaten technologisch in der Lage sind, Massenvernichtungswaffen und entsprechende Trägermittel herzustellen und je mehr terroristische Organisationen möglicherweise versuchen, sich in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu bringen.

Vorausschauende Außenpolitik verfolgt das Ziel, Konflikte schon im Vorfeld zu vermeiden. Für die Abrüstungspolitik bedeutet das, Bedingungen zu schaffen, damit Staaten auf die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und Raketentechnologie verzichten.

Dies muss weiter unsere Priorität bleiben.

Wir wissen alle, wie mühsam und langwierig diese Arbeit im konkreten Einzelfall ist. Häufig genug – das sage ich durchaus selbstkritisch – behindern die Anforderungen der Tagespolitik, dass Regierungen sich an der politischen Spitze mit dem notwendigen Nachdruck diesen Fragen widmen. Darum fordere ich, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle auf der Tagesordnung der internationalen Politik wieder den Rang bekommen, den sie vor 20 Jahren hatten und den sie heute wieder verdienen!

Ich bin aber nicht pessimistisch: Wo die Bedrohung konkret wird, steht die Staatengemeinschaft erfolgreich beisammen und ist bereit, gemeinsam Druck auszuüben. Das zeigt das Beispiel Iran, und genau aus diesem Grunde unterstützen wir so entschieden die 6-Parteien-Gespräche zu Nordkorea.

Der Nahe und Mittlere Osten zeigt besonders deutlich, wie sehr die Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen mit der Lösung von weit zurückreichenden regionalen Konflikten zusammenhängt. Tragfähige Friedensregelungen im Nahen und Mittleren Osten würden mehr bewirken als jede diplomatische Initiative, die sich allein auf die Anreicherung von Uran beschränkt. Darum setze ich darauf, dass der Iran zur Einsicht kommt und in die Lebenschancen seiner jungen Bevölkerung investiert, statt einen Rüstungswettlauf in der Region anzustacheln. Ich kann Ihnen versichern: Die Bundesregierung wird alles tun, um den Frieden in dieser Region zu fördern – mit der Wiederbelebung des Nahost-Quartetts, durch Dialog mit Israel und den arabischen Staaten, aber auch durch Festigkeit und Gesprächsangebote gegenüber Iran.

Die nächsten Jahre werden für die internationale Abrüstungspolitik sehr entscheidend. Unter anderem steht eine neue Überprüfungsrunde des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags bevor. Die Ausgangsbedingungen sind spannungsgeladen. Die Schwierigkeiten mit Iran und Nordkorea habe ich schon erwähnt. Und viele Länder sind frustriert, weil die beiden großen Atomwaffenbesitzer – die USA und Russland – ihre Atomwaffen leider nur im Schneckentempo verschrotten. Umso dringlicher ist ein austarierter Ansatz, der die berechtigten Anliegen aller Vertragsstaaten zum Ausgleich bringt. Die Bundesregierung hält an dem Endziel einer nuklearwaffenfreien Welt fest. Auch wenn klar ist, dass dies nur schrittweise und nicht von heute auf morgen geschehen kann.

Auch das Chemiewaffen-Übereinkommen ist nicht über Nacht entstanden, sondern im Lauf einer 14jährigen Geduldsprobe. Voraussetzungen waren das Ende des Kalten Krieges, der Schock durch den Chemiewaffeneinsatz während des ersten Golfkriegs und die Entdeckung der enormen Chemiewaffen-Arsenale des Irak. Dies führte uns sehr deutlich vor Augen, dass Rüstungskontrolle mit dem Kalten Krieg keinesfalls erledigt war, sondern zu einer globalen Herausforderung geworden ist. Dies gilt heute mehr denn je.

Das Chemiewaffen-Übereinkommen ist ein bislang einzigartiger Vertrag. Sein Grad an Transparenz und die Tiefe der Verifikation setzen neue Maßstäbe. Es steht Modell für den von der EU verfolgten Ansatz für Abrüstung und Nichtverbreitung:

  • Es verpflichtet alle Vertragsstaaten zur Vernichtung der Waffen innerhalb festgelegter Fristen.
  • Es enthält gleiche Rechte und Pflichten für alle Vertragsparteien, anders und besser als im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag.
  • Es hat ein funktionierendes Verifikationssystem und detaillierte Regeln zur nationalen Umsetzung geschaffen – anders und besser als im Biowaffen-Übereinkommen.
  • Und es regelt die Zusammenarbeit für friedliche Zwecke auf dem Gebiet der Chemie.

Wir sollten dieses erfolgreiche Modell, spezifisch angepasst, auf andere Abrüstungsfelder übertragen, um sichtbare Fortschritte zu erzielen.

Ich meine damit besonders das Biowaffen-Übereinkommen. Wir müssen dieses Abkommen um ein wirksames Verifikationsprotokoll ergänzen und die nationale Umsetzung seiner Vorschriften stärken. Ich bin sicher, dass wenn wir diese Aufgabe mit der Leidenschaft angehen, die ihr gebührt, wir auch die notwendigen Ideen entwickeln und die knapp 5 Jahre bis zur nächsten Überprüfungskonferenz wirklich nutzen.

So viel Zeit zur Ideensammlung bleibt bis zur zweiten Überprüfung des Chemiewaffen-Übereinkommens nicht. Sie wird schon in knapp einem Jahr in Den Haag stattfinden. Dieses Symposium ist als förmlicher Auftakt der EU, im Rahmen unserer Präsidentschaft, zur Vorbereitung gedacht. Ich erhoffe mir von diesen Tagen wichtige Impulse für die Fortentwicklung der Chemiewaffen-Kontrolle. Auch deshalb, weil hier Teilnehmer aus unterschiedlichsten Denkrichtungen und Funktionen ihr Wissen und ihre Kreativität beisteuern - aus Regierung, Wissenschaft, Nichtregierungs-Organisationen und Industrie.

Deutschland hat zum Chemiewaffen-Übereinkommen eine besondere Beziehung. Die „endgame“-Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz im Jahr 1992 fanden unter dem Vorsitz des damaligen deutschen Botschafters, Ritter von Wagner, statt. Ihm ist es mit seinem Team gelungen, die Positionen so zusammenzuführen, dass der UNO-Generalversammlung im Herbst 1992 ein konsensfähiger Vertrag vorgelegt werden konnte. Ich freue mich deshalb ganz besonders, auch Botschafter von Wagner herzlich zu begrüßen, der Ihnen morgen abend aus erster Hand über die Entstehungsgeschichte dieses Vertrages berichten wird.

Sie Herr Botschafter, haben den Boden bereitet für einen Vertrag, dessen Frucht nach 10 Jahren immer sichtbarer vor uns liegt.

  • Eine leistungsfähige Organisation überwacht die Einhaltung des Abkommens, vor allem die Vernichtung der Waffen.
  • Die Vernichtung der Chemiewaffen-Bestände schreitet voran. Aber es gibt Verzögerungen, weil die technologischen, finanziellen und die Umweltherausforderungen weit größer sind als ursprünglich angenommen. Dennoch fordere ich vor allem die USA und Russland auf, sämtliche Chemiewaffen bis 2012 zu vernichten. Lassen Sie es mich salopp sagen: Wer in der Lage ist, Menschen ins Weltall und auf den Mond zu bringen, der sollte auch seine chemischen Waffen fristgerecht vernichten können.
  • Die Europäische Union und eine Reihe ihrer Mitglieder sind bereit, Russland bei der Vernichtung seiner Chemiewaffen weiter zu unterstützen. Wir Deutsche haben den Bau von zwei der drei Vernichtungsanlagen, die von Russland betrieben werden, ko-finanziert und dafür deutsche Technologie geliefert. Dafür haben wir insgesamt rund 200 Millionen Euro bereit gestellt. Für den Bau einer weiteren Anlage haben wir noch einmal 140 Millionen Euro vorgesehen. Wir zeigen damit ganz konkret unsere Verantwortung als Partner Russlands bei der Vernichtung seiner Chemiewaffen.

Zudem fördert die EU mit sogenannten „Gemeinsamen Aktionen“ die nationale Umsetzung des Übereinkommens.

Für einen der größten Erfolge halte ich es jedoch, dass die Zahl der Mitglieder im Chemiewaffen-Übereinkommen von 82 vor zehn Jahren auf heute 182 Staaten angewachsen ist. Damit hat das Abkommen fast universelle Geltung.

Hohe Anerkennung für diese Entwicklung gebührt besonders auch Ihnen, Herr Generaldirektor, sowie dem Technischen Sekretariat Ihrer Organisation.

Gleichwohl stehen 13 Staaten noch außerhalb des Abkommens, darunter Nordkorea und einige Staaten im Nahen Osten. Ich rufe diese Staaten auf, ihre ablehnende Position zu überdenken.

Am Freitag werden wir in einem Panel zur Universalität des Übereinkommens den Nahen Osten in den Blick nehmen. Der Beitritt zu diesem Vertrag könnte ein Signal für Entspannung und wechselseitiges Vertrauen in dieser Region sein. Alle Nahost-Staaten haben im Genfer Protokoll von 1925 bereits auf den Einsatz von chemischen ebenso wie biologischen Waffen verzichtet. Was liegt näher, als nun auch den zweiten Schritt zu tun, und diese Waffen vollständig zu ächten?

Der Erfolg des Vertrages wäre nicht denkbar ohne die Mitwirkung der chemischen Industrie. Sie hat von Anfang an den Nutzen erkannt, den sie selbst aus diesem Abkommen ziehen kann und schon die Vertragsverhandlungen konstruktiv begleitet. An dieser Unterstützung hat sich bis heute nichts geändert. Davon profitiert zum Beispiel der wissenschaftliche Beirat der Organisation für das Verbot chemischer Waffen.

Neben der systematischen Verifikation der C-Waffen-Vernichtung und der Routineverifikation in der chemischen Industrie kennt das Abkommen auch die Verdachtsinspektion. Gewiss zielt dieses Instrument auf Abschreckung; es stärkt aber vor allem auch die gegenseitige Vertrauensbildung. Verdachtskontrolle ist auch erfolgreich, wenn sie keine Vertragsverletzung aufdeckt. Wir meinen, Verdachtskontrollen sollten deshalb eine Form der Routinekontrolle werden, vergleichbar mit einem „audit“ in einem Betrieb oder in einer Behörde. Mit einer Probe-Verdachtskontrolle auf einem Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr haben wir vor einem Jahr gezeigt, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen wollen.

Was brauchen wir im Kern, um die Chemiewaffen-Übereinkunft in der nächsten Phase noch besser zu machen?

Wir müssen die Implementierung des Vertrages weiter voranbringen und an veränderte Bedingungen anpassen. Das bedeutet, die Diskussion über die Verdachtsinspektion weiter zu versachlichen. Verdachtsinspektionen sind weder eine politische Anklage noch eine Diskriminierung, sondern dienen der Vertrauensbildung. Wir müssen darüber hinaus die vertrauensbildende Verifikation in der chemischen Industrie optimieren. Und wir müssen dafür sorgen, dass auch die verbliebenen 13 Staaten der Chemiewaffen-Übereinkunft beitreten.

Das sind ehrgeizige Ziele, von denen ich genau weiß, dass sie Ihnen in den nächsten Tagen viel Arbeit und Liebe zum politischen Detail abverlangen. Aber ich tröste sie mit den Worten eines alten Lateiners, ich glaube es war Seneca, der gesagt hat: „Ohne Anstrengung gibt es keinen Erfolg, und Anstrengung ist für edle Gemüter eine Stärkung.“ In diesem Sinne wünsche ich uns fruchtbare Diskussionen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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