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Grußwort von Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Präsentation der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“
Sehr geehrter Herr Genscher,
Professor Möller,
Professor Schöllgen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, dass Sie heute meiner Einladung ins Auswärtige Amt gefolgt sind.
Sie, lieber Herr Genscher möchte ich an dieser Stelle besonders begrüßen. Es ist mir eine besondere Freude, dass sich heute ein Amtsvorgänger unter uns befindet. Auf Ihren Vortrag bin ich sehr gespannt.
Wir wollen heute die neueste Ausgabe der Reihe „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“ vorstellen. Sie umfasst in zwei Bänden 395 Dokumente aus dem Jahr 1975.
Deutschland hat eine längere Tradition, außenpolitische Schriftstücke einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Seit dem Ende des 1. Weltkriegs publizierte das Auswärtige Amt regelmäßig Dokumente aus seinen Archiven. Hinter der jetzigen Edition steht – anders als bei vorigen Reihen – aber kein politisch-erzieherisches oder gar propagandistisches Ziel.
Die „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“ sollen Fachleuten und allen Interessierten eine Auswahl der wichtigsten Dokumente zur Verfügung stellen – Dokumente, die mit einem wissenschaftlichen Apparat sorgfältig aufbereitet wurden. Das Auswärtige Amt hat sich bewusst und von Anfang an jeglicher Einflussnahme auf Auswahl und Inhalt enthalten. Daher wurde der Auftrag, Akten zusammenzustellen und zu publizieren, an das Institut für Zeitgeschichte in München vergeben.
Diese Entscheidung war richtig. Unsere Zusammenarbeit hat sich als hervorragend erwiesen. An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die an der Erstellung dieser beiden – ziemlich dicken – Bücher beteiligt waren. In erster Linie natürlich dem neuen Herausgeber und Direktor des Instituts, Professor Möller und seinen Mitherausgebern, Professor Schöllgen und Professor Hildebrand.
Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unter der Leitung von Frau Dr. Pautsch sei ebenfalls herzlich gedankt. Sie haben in der Außenstelle des Instituts am hiesigen Archiv die wissenschaftliche Kärrnerarbeit für die vorliegende Publikation geleistet. Zu großem Dank verpflichtet sind wir auch dem Oldenbourg-Verlag in München, der die Ausgabe verlegerisch betreut. Nicht zuletzt gilt mein Dank auch den Kolleginnen und Kollegen des Archivs im Auswärtigen Amt selbst für ihre unterstützende Mitarbeit.
Meine Damen und Herren,
es ist gesetzlich festgelegt: Schriftgut der Bundesrepublik Deutschland, das älter als 30 Jahre ist, kann frei eingesehen werden, und zwar von jedem. Zu Beginn des Jahres 2006 – also genau zum Ende der gesetzlichen Sperrfrist – legen wir Dokumente aus dem Jahr 1975 als Publikation vor. Damit erleichtern wir diese Einsicht erheblich. Dies zeigt nicht nur, wie zuverlässig und pünktlich die Herausgeber und Wissenschaftler arbeiten. Es zeigt auch, wie sehr wir der Transparenz verpflichtet sind. Hier werden keine Dokumente unter Verschluss gehalten – im Gegenteil: Es ist der Bundesregierung ein Anliegen, die Aufzeichnungen über ihr politisches Handelns so schnell wie möglich weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Das uns dies gelingt, belegt der vorliegende Band erneut. Ich freue mich, dass dies in der Öffentlichkeit auch anerkannt wird.
Meine Damen und Herren,
beim Durchblättern der Bände wurde mir nochmals deutlich, was für ein aufregendes, ja dramatisches Jahr für die deutsche Außenpolitik 1975 war. Um Ihnen nur einiges ins Gedächtnis zu rufen:
- Für die deutsche Öffentlichkeit – und im besonderen Maße für die Amtsangehörigen – war der blutige Terroranschlag auf die Botschaft in Stockholm ein einschneidendes Ereignis. Er ist in einigen Aufzeichnungen sehr dramatisch skizziert, so zum Beispiel in einem Vermerk des Ministerialdirigenten Kinkel – eine Aufzeichnung übrigens, in dem der – wie es heißt: „Angestellte Verheugen“ – den Bundesminister Genscher über die Dinge auf dem Laufenden hielt.
- Spanien wandelte sich nach dem Tod des Diktators Franco unter Führung des jungen Königs zur Demokratie und gliederte sich so in das übrige Westeuropa ein. Drahtberichte aus der Botschaft über Gespräche mit Kronprinz Juan Carlos belegen eindrucksvoll, wie sorgfältig und durchdacht der Wandel vorbereitet war.
- Polen wurde ein Kredit in Höhe von 2,3 Milliarden DM gewährt, dafür durften ca. 120 000 Aussiedler in die Bundesrepublik ausreisen. Die schwierigen Verhandlungen darüber sind vom damaligen Verhandlungsführer, Staatssekretär Gehlhoff, ausführlich dokumentiert. Nach zähem Verlauf und völligem Stillstand gelang ganz plötzlich der Durchbruch in nur 15 Minuten: Auf einem nächtlichen Spaziergang des damalige Bundeskanzlers Helmut Schmidt mit dem polnischen Parteichef Gierek in Finnland.
Meine Damen und Herren,
dieser Spaziergang fand am Rande des für dieses Jahr zentralen Ereignisses für die deutsche Außenpolitik statt. Nach zweijährigen Verhandlungen wird im Hochsommer 1975 in Helsinki die Schlussakte der KSZE von 35 Nationen gezeichnet – ein in der Rückschau epochales Ereignis. Die Aufzeichnungen über die Gespräche, die Bundeskanzler Schmidt gemeinsam mit Ihnen, lieber Herr Genscher, dort geführt haben, gehören mit zum Spannendsten, was das Aktenkonvolut zu bieten hat. Da gab es etwa Diskussionen mit dem jugoslawischen Präsidenten Tito, mit dem tschechoslowakischen Präsidenten Husak, und – ein besonders lesenswertes Dokument – mit dem Generalsekretär des KpdSU Breschnew. Sie zeigen die Gratwanderungen und Untiefen bundesdeutscher Außenpolitik zu Zeiten des Kalten Krieges.
Zwei Dinge haben mich besonders fasziniert:
Zum einen lernen wir bei der Lektüre einen erregten, aggressiven, mitunter beleidigten Außenminister Gromyko kennen, der in Helsinki auf einen ebenso kühl-sachlichen wie konstruktiven deutschen Kollegen trifft. Dabei ging es um Probleme, die uns heute geradezu aberwitzig erscheinen, damals aber essentiell waren: Unter anderem, in welcher Form der damalige regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, einen Empfang des bundesdeutschen Generalkonsuls in Leningrad besuchen durfte. Die Akten geben keine Auskunft darüber, wie diese spezielle Auseinandersetzung ausgegangen ist. Aber zwischen den Zeilen des trockenen Beamtendeutschs wird eines erneut deutlich, lieber Herr Genscher: Sie waren ein Meister Ihres Faches.
Und zum anderen fiel mir ein Gespräch von Helmut Schmidt mit dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker auf. Ein zentrales Thema dabei war die deutsche Frage. Honecker warf Schmidt unagnemessene Wiedervereinigungsrhetorik vor. „Als nüchterne Leute wüssten er und der Bundeskanzler von der Existenz zweier souveräner Staaten. Wem nutze nun das Reden von der Wiedervereinigung? Dies erwecke doch nur Hoffnungen und bringe Enttäuschungen.“, so heißt es in der Aufzeichnung. Schmidt kontert kühl: „Er wolle sich zu dieser Frage nicht äußern, denn niemand wisse, wie das 20. Jahrhundert enden werde.“
Erst heute können wir wirklich ermessen, wie luzide diese Bemerkung war. Vor dem Hintergrund des Mauerfalls kommen uns Auseinandersetzungen in Helsinki vor wie Berichte aus einem anderen Zeitalter. Und doch waren sie der Beginn der Entwicklung, die die deutsche Einheit möglich gemacht hat.
Und von einer Kontinuität zeugen die Aufzeichnungen in den beiden Bänden doch: Sie sind Ausdruck dessen, was deutsche Außenpolitik seit dem Bestehen der Bundesrepublik war und bis heute ist: Sie steht im Dienste des Bestreben,– um ein Wort von Ihnen zu zitieren, lieber Herr Genscher –Frieden und Stabilität zu exportieren.
In dieser Tradition sehe ich mich selbst auch.
Meine Damen und Herren,
ich hoffe, Sie haben gemerkt: Was da so trocken und etwas umständlich als „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1975“ angekündigt wird, ist ein richtiger Schmöker.
Ich bin sicher, Hans-Dietrich Genscher kann das unterstreichen und freue mich sehr, dass er jetzt das Wort ergreift und uns an den Erinnerungen eines Akteurs und Zeitzeugen teilhaben lassen wird.
Vielen Dank!