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Rede von Günter Gloser, Staatsminister für Europa, zum 2. Treffen der Deutsch-Französischen Kommunalpartnerschaften, Berlin, 24.01.2006

25.01.2006 - Rede

Sehr geehrter Herr Präsident Pelissard,
sehr geehrter Herr Präsident Schäfer,
sehr geehrter Herr Präsident Ude,
sehr geehrter Herr Präsident Duppré,
sehr geehrter Herr Botschafter Martin,
meine sehr verehrten Damen und Herren Bürgermeister aus Frankreich und Deutschland,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ich freue mich, Sie anlässlich des 2. Treffens der Deutsch-Französischen Kommunalpartnerschaften im Namen der Bundesregierung begrüßen zu dürfen. Ich darf Ihnen auch die herzlichen Grüße meiner französischen Amtskollegin Catherine Colonna übermitteln. Wir hatten gestern und heute eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen deutsch-französischen Zusammenkünften; aus terminlichen Gründen kann Frau Ministerin Colonna jetzt leider nicht mehr bei uns sein. Unserem Gastgeber, Herrn Botschafter Martin, danke ich sehr herzlich dafür, dass dieses Treffen in der schönen Botschaft Frankreichs stattfindet - direkt neben dem Brandenburger Tor. Dieser Ort war über Jahrzehnte ein Symbol für die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas. Heute lautet die Adresse wieder „Pariser Platz“, und es ist wunderbar, dass uns dieser Name heute an die tief verwurzelte deutsch-französische Freundschaft erinnert.

Historisch betrachtet sind die Städte in Deutschland die Keimzelle von Freiheit und Demokratie gewesen – hinter hohen mittelalterlichen Stadtmauern machte Stadtluft frei! Heute können die Bürger Europas, ob in Deutschland, Frankreich oder anderswo, Demokratie nirgendwo besser erlernen, erleben und erfahren als auf lokaler Ebene - bei Kommunalwahlen, in den Rathäusern, bei den Entscheidungen, die die Bürger ganz unmittelbar betreffen.

Bei der Aussöhnung unserer Völker waren die Städte und Kommunen ebenfalls Vorreiter: Schon im September 1950 vereinbarten die Bürgermeister von Ludwigsburg und Montbéliard die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft nach dem Krieg; bald darauf folgten Celle und Meudon, Karlsruhe und Nancy. Meine Heimatstadt Nürnberg konnte 2004 das fünfzigjährige Bestehen ihrer Partnerschaft mit Nizza begehen. Die ersten deutsch-französischen Städtepartnerschaften der fünfziger Jahre waren nach Krieg und Zerstörung ein ganz wesentlicher Schritt. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle konnten hierauf aufbauen, als sie 1963 die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich auf staatlicher Ebene mit dem Elysée-Vertrag besiegelten.

Auch heute haben die grenzüberschreitenden Städtepartnerschaften eine wichtige Funktion: Für viele Bürger sind sie der Rahmen, in dem sie erstmals persönlich mit Europa in Kontakt treten. Nicht umsonst werden Städtepartnerschaften von der Europäischen Kommission finanziell gefördert. Europa, das oft fern in Brüssel zu wirken scheint, wird in den kommunalen Partnerschaften für die Bürger konkret. Denn was bedeutet eine Städtepartnerschaft? Sie ermöglicht zuallererst die unmittelbare Begegnung der Menschen aus verschiedenen Ländern, die Begegnung beim jeweils anderen „zu Hause“, oft auf der Grundlage einer Gemeinsamkeit, zum Beispiel einer gemeinsamen Leidenschaft für die Musik oder den Sport.

Heute sind es etwa 2000 deutsch-französische Partnerschaften von Städten, Gemeinden oder auch Regionen. Seit 1990 bestehen auch viele Partnerschaften mit Gemeinden in Ostdeutschland, was mich besonders freut. Wir können die Kommunalpartnerschaften zählen, nicht aber die vielen Freundschaften und positiven Erfahrungen, die durch die Begegnung mit den Menschen aus dem anderen Land und im anderen Land entstehen.

Ebenso wie die Demokratie in den Städten und Gemeinden die Voraussetzung für Demokratie auf nationaler Ebene ist, so ist der Kontakt mit anderen Europäern in den Städten und Gemeinden eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des europäischen Projekts im Großen. Im Jahr 2005 hat die Europäische Union einige Erfolge erzielt, insgesamt allerdings ein schwieriges und wechselvolles Jahr durchlebt. Die Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden haben uns gezeigt, dass sich die EU zur Zeit in einer Krise befindet. Es ist eine gewisse Distanz zwischen der EU und den Bürgern entstanden. Die EU hat an Akzeptanz verloren, vielleicht auch, weil die friedensstiftende Funktion der europäischen Einigung in den Augen der Bürger in den Hintergrund tritt, nationale wirtschaftliche Probleme in den Vordergrund drängen.

Die Referenden haben uns vor Augen geführt, dass wir die Union den Bürgern besser erklären müssen, dass wir sie mitnehmen müssen, wenn wir weitere Integrationsschritte planen und vollziehen wollen. Das vergangene Jahr hat zudem die Erkenntnis gebracht, dass die Menschen in Europa verstanden haben, dass die Europäische Union und die von ihr erlassenen Regelungen sie unmittelbar betreffen. Dies belegen die intensiven Diskussionen beispielsweise über die Dienstleistungsrichtlinie oder – aus jüngster Zeit – über die EU-Hafenrichtlinie. Auch wenn die Debatten kontrovers waren und sind, auch wenn sie oft mit Kritik an der EU verbunden werden: Es ist erfreulich festzustellen, dass die Menschen Europa wahrnehmen und zunehmend darüber diskutieren.

Die Bundesregierung arbeitet zusammen mit der Europäischen Kommission und unseren Partnern in Europa daran, Europa den Bürgern näher zu bringen. Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die im Juni 2005 vereinbarte Phase der Reflexion intensiv zu nutzen, um in eine umfassende Debatte mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Sozialpartnern, Kirchen und gesellschaftlichen Gruppen einzutreten. Wir müssen aber nicht nur die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger erreichen, sondern auch ihre Herzen für Europa gewinnen. Hierfür brauchen wir auch weiterhin die Begegnung und den Austausch der Menschen. Wir brauchen die Städtepartnerschaften.

Die EU, die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Bundesländer und die Gemeinden, Städte. Landkreise und Bezirke müssen zusammen daran wirken, die Bürgerinnen und Bürgern auf dem Weg nach Europa mitzunehmen, jeder in seinem Bereich, aber mit gemeinsamem Ziel und gleicher Richtung. Hier passiert zur Zeit viel:

  • Die französische Regierung, die Bundesregierung und die deutschen Bundesländer setzen sich seit einiger Zeit dafür ein, dass junge Deutsche und junge Franzosen wieder verstärkt und möglichst früh die Sprache des Partnerlandes erlernen. Dies ist wichtig für die deutsch-französische Freundschaft und auch für Europa: wenn wir uns in einigen Jahrzehnten nur noch auf Englisch verständigen können, dann geht auch viel Verständnis für die Sorgen und Probleme des Nachbarn verloren.
  • Die Bundesregierung und die französische Regierung ermutigen die Gebietskörperschaften in den deutsch-französischen Grenzregionen, so genannte „Eurodistrikte“ zu gründen, um ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit in neuer Form selbst zu gestalten. Mit dem Karlsruher Übereinkommen stehen seit 1997 auch geeignete Rechtsinstrumente zur Verfügung. Zudem arbeiten die Bundesregierung und die französische Regierung zurzeit gemeinsam mit dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg daran, neue, ganz praktische Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bereich des Gesundheitswesens und bei der Notfallrettung zu ermöglichen: Zukünftig sollen zum Beispiel deutsche und französische Krankenwagen nicht mehr an der Staatsgrenze halt machen müssen - das sollte eigentlich selbstverständlich sein.
  • Seit dem Um- und Aufbruch in Mittel- und Osteuropa vereinbaren die deutschen und französischen Gemeinden, Städte und Regionen verstärkt auch trinationale Partnerschaften, mit Partnern in Polen, Ungarn, Tschechien oder anderswo in Mittel- und Osteuropa. Ich darf hier stellvertretend für viele das Beispiel meiner Heimatregion Mittelfranken nennen, die seit vielen Jahren eine Regional-Partnerschaft zum Limousin unterhält. In der Partnerschaft mit dem Limosin haben wir den Austausch von Kindern und Jugendlichen gepflegt, die in Familien der Partnerstadt leben und die Sprache des anderen lernen. Wir freuen uns über die Begegnung von Turn- und Fußballvereinen, den Austausch von Chören und Musikern, gemeinsame Konzerte, Ausstellungen, und auch über die Begegnung von älteren oder behinderten Bürgern unserer Städte. Beide haben nun Beziehungen zur Woiwodschaft Danzig aufgenommen, ganz im Sinne des Weimarer Dreiecks. Dies ist wichtig, denn Europa endet nicht an der Oder oder im Bayrischen Wald.

Der Blick nach innen, auf die Perspektiven Europas und die deutsch-französische Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union darf nicht den Blick auf eine Entwicklung verstellen, die uns alle betrifft. Für Millionen Menschen im Süden und Osten unseres Kontinents ist Europa das Ziel ihrer Träume. Viele Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahrzehnten bereits zu uns gekommen, weitere möchten folgen. Wir haben im letzten Herbst nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland wahrgenommen, dass noch viel für die Integration von Einwanderern in unseren Gesellschaften zu tun ist. Integrationsförderung ist eine Querschnittsaufgabe, die Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen betrifft. Richtig ist aber, dass die Gemeinden von den negativen Folgen einer noch nicht geleisteten Integration am unmittelbarsten betroffen sind. Es liegt in ihrem besonderen Interesse, dass hier Fortschritte erzielt werden.

Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac haben vereinbart, dass beim nächsten deutsch-französischen Ministerrat am 14. März die Integration vor allem Jugendlicher einen Schwerpunkt der gemeinsamen Beschlüsse bilden soll. Wir wollen einen Prozess des Lernens unterstützen, gemeinsame Aktionen zusammen mit anderen Partnern der Europäischen Union zur Unterstützung der Bemühungen in Deutschland und Frankreich verabreden. Dies könnte nicht gelingen ohne die Erfahrungen und das Engagement und die Ideen aus den Städten und Gemeinden in beiden Ländern. Innerhalb der Bundesregierung werde ich selbst mich sehr eng mit meiner Kollegin, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Staatsministerin Böhmer, abstimmen.

Heute Vormittag fand im Auswärtigen Amt eine Expertentagung über die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Berufsbildung statt. Zuvor habe ich gemeinsam mit meiner französischen Amtskollegin Catherine Colonna das „SOS Berufsbildungszentrum Berlin“ im Wedding besucht. Die Experten, die wir getroffen haben, stimmen darin überein, dass die erfolgreiche berufliche Eingliederung von Jugendlichen ein Schlüssel für eine erfolgreiche Integration ist. Integration gelingt aber nur, wenn Berufsschule, Firmen und kommunale Angebote ineinander greifen. Die kommunale Ebene ist diejenige, auf der Integration auch am wirkungsvollsten gefördert werden kann. Ich bin sicher, dass die deutschen und französischen Städte und Gemeinden auch mit Blick auf die Herausforderung der Integration fruchtbar zusammenarbeiten können. Vielerorts bestehen in den Partnergemeinden ähnliche Probleme. Häufig hat einer der Partner eine größere oder längere Erfahrung im Umgang mit diesen Problemen. Ich möchte Sie dazu einladen, sich hierzu intensiv auszutauschen, damit wir die gewaltige Herausforderung der Integration gerade junger Menschen gemeinsam erfolgreich bewältigen.

Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind die deutsch-französischen Kommunalpartnerschaften unverzichtbar. Ich möchte Sie im Namen der Bundesregierung ermutigen, den erfolgreichen Weg dieser Partnerschaften fortzusetzen und diese wo immer möglich zu vertiefen und auszubauen. Vor allem möchte ich Sie bitten, Ihre Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, die Angebote dieser Partnerschaften wahrzunehmen. Wir alle können nur davon profitieren! Diese Partnerschaften nützen uns allen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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