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Rede von Außenminister Sigmar Gabriel auf der französischen Botschafterkonferenz
Lieber Jean-Yves le Drian,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich hoffe, dass die Übersetzung funktioniert, weil ich mich gleich am Anfang für die Faulheit während meiner Schulbildung entschuldigen muss: ich habe mich zu sehr mit Politik beschäftigt, anstatt Französisch zu lernen. Das rächt sich heute, aber ich verspreche, ich werde versuchen, meine rudimentären Kenntnisse Ihrer wunderschönen Sprache aufzubessern, weil ich sie in der Tat als eine der schönsten Sprachen der Welt empfinde, aber sie leider nicht ausreichend sprechen kann.
Lieber Jean-Yves, meine Damen und Herren Botschafterinnen und Botschafter, sehr geehrte Exzellenzen,
herzlichen Dank für die freundliche Einladung und vielen Dank für die Einladung, auf Ihrer Botschafterkonferenz zu sprechen, die ich natürlich gerne angenommen habe.
Das ist ja ein bisschen seltsam: ein deutscher Außenminister spricht vor französischen Botschafterinnen und Botschaftern. Denn normalerweise ist eines klar: das Selbstbewusstsein Frankreichs in der Außenpolitik ist jedenfalls uns Deutschen durchaus bekannt und geläufig und dem gegenüberzutreten ist keine ganz einfache Aufgabe.
Trotzdem fand ich das sehr freundlich und es zeigt glaube ich, um was es in den nächsten Jahren gehen wird. Denn wenn Sie sich mit den Disruptionen befassen, die wir weltweit erleben, dann hat das ja etwas damit zu tun, dass man den Eindruck hat, die Welt werde gerade neu vermessen. China wächst, Indien wächst, die Bedeutung Asiens wächst. Es war der amerikanische Präsident Obama, der vom pivot to Asia gesprochen hat, der zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika gesagt hat, Amerika sei eine pazifische Nation. Alle Präsidenten davor hatten gesagt, Amerika sei eine transatlantische Nation. Das heißt, unser traditioneller Bündnispartner, zu dem wir so ein Spannungsverhältnis haben wie Sie das kennen, wir aber auch, der für uns aber enorm wichtig war, verändert seine Blickrichtung. Lateinamerika wächst. Afrika, ein Kontinent, den Sie als Französinnen und Franzosen viel besser kennen als wir, verdoppelt in den kommenden Jahrzehnten seine Bevölkerung. Eine völlige Veränderung der Weltlage. Und wir in Europa werden weniger, während die anderen wachsen. Das wird Konsequenzen haben. Eine der bedrohlichsten Konsequenzen erleben wir gerade in Nordkorea. Ein Land will sich die Fähigkeiten verschaffen, Nuklearwaffen zu entwickeln und sie mit großer Reichweite, zumindest als Bedrohungspotenzial, einzusetzen. Was passiert eigentlich, wenn die Lehre ist, dass das im 21. Jahrhundert möglich wird? Was werden die Anrainerstaaten tun? Sie werden sich auch atomar bewaffnen. Was werden andere Teile der Welt tun? Auch dort wird die Lehre sein, dass offensichtlich nukleare Bewaffnung nicht mehr etwas ist, was nicht mehr nur den großen traditionellen Nuklearmächten vorbehalten ist. Das heißt, wir haben eine völlige Veränderung vor uns in den nächsten Jahren und ich glaube wir stehen erst am Anfang der Debatte darüber, wie wir darauf eigentlich reagieren wollen; wie wir als Nationalstaaten, aber wie ich glaube, auch wir als Europäerinnen und Europäer reagieren müssen. Denn wir sind als Europa nach innen gegründet worden, allemal von Menschen wie Schuman und vielen anderen. Es war eine Erfahrung zweier riesiger europäischer Kriege, vor deren Hintergrund versucht wurde, mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und später mit der EWG und am Ende der EU Wohlstand und Friede und Sicherheit nach Innen zu organisieren. Was wir nie gelernt haben als Europäer, was Frankreich als Nationalstaat immer schon konnte, aber was wir als Europäer eigentlich nicht gelernt haben ist, Europa als Akteur nach Außen zu verstehen.
Frankreich und Großbritannien waren immer schon zwei Mächte, die aus ihrer ganzen Historie heraus auch ein Verständnis von der Welt hatten und eine Vorstellung davon hatten, wie sich Frankreich oder Großbritannien in dieser Welt bewegen sollen.
Für Europa als Zusammenschluss von Staaten war das eigentlich nicht vorgesehen. Ich glaube aber, dass, wenn unsere Kinder und Enkel in der Welt noch eine Stimmen haben sollen in der Welt von morgen, in der alle anderen wachsen und wir weniger werden, in der sich die ökonomische Gewichte aber auch die politischen und militärischen Gewichte verschieben, wenn in dieser veränderten Welt von morgen unsere Kinder und Enkel eine Stimme haben sollen, dann wird es eine gemeinsame europäische Stimme sein müssen. Selbst das starke Frankreich, selbst das - zumindest ökonomisch starke - Deutschland, werden in der Welt von morgen alleine kein Gehör mehr finden, sondern sie werden einen Teil ihrer scheinbar existierenden nationalen Souveränität de facto verlieren, weil keiner uns zuhört. Und deshalb glaube ich, ist unsere große Aufgabe in den kommenden Jahren, uns darum zu bemühen, unseren Kindern und Enkeln durch eine gemeinsame europäische Stimme in der Welt selbstbewusst und, wo immer notwendig auch unabhängig, eine Stimme bei der Behandlung der großen Herausforderungen und Konflikte in der Welt zu geben.
Für uns Deutsche klingt das vertraut, weil wir nach dem 2 Weltkrieg eine Außenpolitik entwickelt haben, die immer bündniseingebunden war. Das war die Voraussetzung für die deutsche Einheit. Sonst hätten uns Frankreich, Großbritannien, Russland oder auch die Vereinigten Staaten die deutsche Einheit nicht erlaubt. Wenn sie nicht mit uns die Erfahrung gemacht hätten, dass wir eingebunden sind in die Europäische Union, in das was wir das westliche Bündnis, die NATO, nennen.
Frankreich ist viel stärker auch als außenpolitisch eigenständiger Akteur in der Welt tätig und deshalb ist vielleicht die Frage, wie wir zu einer gemeinsamen, europäischen Vorstellung von der Welt kommen und wir zu einem gemeinsamen europäischen Herangehen für Frankreich und Deutschland kommen, eine durchaus unterschiedliche Herausforderung.
Wir glauben aber, dass ohne die Kooperation dieser beiden Länder eine solche Rolle Europas in der Welt nicht definiert werden kann. Der deutsch-französische Motor ist also nicht nur aus unserer Sicht nach innen von Bedeutung, sondern allemal auch nach außen. Frankreich hat uns dabei vieles voraus, aber ich glaube, dass wir gemeinsam einen solchen Weg gehen können. Die Europäische Union, die internationale Gemeinschaft insgesamt, steht an einer ganzen Reihe von Scheidewegen. Ich finde am beeindruckendsten dabei das Beispiel, das wir aus Amerika sehen. Nicht, weil es Amerika ist, sondern weil mein Eindruck ist, dass sich das, was sich dort gerade tut, offenbar verbreitet.
Vor einigen Wochen gab es in der New York Times einen Artikel, ich glaube von McMaster und anderen, die beschrieben die Welt, wie sie sie sehen. Die sagten, bisher war die Vorstellung, dass die Welt Verabredungen treffen soll, Verträge schließen soll, sozusagen sichere Grundlagen für das Handeln aller schaffen soll. Und darauf aufbauend entwickelt sich dann auch Wettbewerb und internationale Politik. Und dann sagen sie, dass das eine falsche Vorstellung sei. Die Welt bestehe nicht aus Verträgen und Verabredung, sondern die Welt sei eine Kampfbahn, eine Arena, in der der Stärkere sich durchsetzt und der Stärkere sich Bündnispartner sucht. Das kann mal der eine, mal der andere sein. Das ist eine Abkehr von einer Vorstellung, die bisher den Westen geeinigt hat. Der Westen ist ja keine geographische Dimension, sondern eine politische. Die Idee von Freiheit und Recht, aber vor allem von der Stärke des Rechts, auf deren Grundlage sich internationale Spielregeln entwickeln. Und wenn die Vereinigten Staaten von Amerika sagen, „Nein, nicht die Stärke des Rechts ist Grundlage unserer Politik, sondern das Recht des Stärkeren“, dann ist das ein gefährliches Beispiel, es macht den Westen schwächer, denn ohne die Vereinigten Staaten von Amerika wird der Westen mit seiner Idee schwächer. Vor allem wird die Frage sein: wer stößt in dieses Vakuum? Und es gibt andere, die derzeit offenbar auch beginnen, ein fast schon sozialdarwinistisches Verhältnis zur internationalen Politik zu entwickeln, bei denen die Vorstellung existiert, nicht nur dass die Welt eine Kampfbahn ist, eine Arena, in der gerungen wird, sondern in der am Ende auch nur der das Recht hat zu überleben, wer stark genug ist. Das ist eine Vorstellung der Politik als Kampf, die wir inzwischen auch schon in Teilen Europas finden. Wenn Sie sich genau anschauen, was in der polnischen Innenpolitik debattiert wird, dann hat das viel mit der Frage zu tun, dass nur im Konflikt, im Kampf am Ende eine Nation bestehen kann. Und die Vorstellung, dass man nationale Souveränität gerade dadurch zurückgewinnt, dass man international zusammenarbeitet, weil man alleine als Nation gar keine Souveränität mehr hat in der Welt von morgen, ist in vielen Teilen der Welt inzwischen eher auf dem Rückzug als auf dem Vormarsch. Deshalb glaube ich, dass wir uns diesen Veränderungen als gemeinsame Kraft Deutschland und Frankreich entgegenstellen müssen. Es ist in diesen Verwerfungen glaube ich besonders wichtig, dass Deutschland und Frankreich gleichzeitig den politischen Mut haben, sich entschlossen diesen Themen entgegenzustellen. Aus meiner Sicht gibt es drei Themen, die besonders im Vordergrund stehen - und bitte entschuldigen Sie, dass ich jetzt nicht versuche, eine Tour de Raison durch die unterschiedlichen Konflikte dieser Welt zu machen; die kennen Sie im Zweifel besser als ich, weil Sie als Botschafterinnen und Botschafter Ihres Landes dort zuhause sind.
Ich glaube, es gibt ein paar Konflikte oder Themen, die besonders im Vordergrund stehen. Am Anfang will ich die Aufgabe nennen, die innere Stärkung der Europäischen Union voranzubringen, denn die Selbstbehauptung Europas ist die Voraussetzung dafür, in der Welt überhaupt eine Rolle zu spielen. Die EU wird nur dann ein stabilisierender Pol der globalen Ordnung von morgen sein, wenn die Menschen in Europa hinter diesem Projekt stehen. Wir sehen ja seit Brexit und seit dem Aufkommen der Rechtspopulisten haben wir auch eine Gegenbewegung erlebt, die wieder stärker bemerkt, welchen großen Schatz die Europäische Union für die Menschen darstellt. Aber ich bin nicht sicher, ob das von Dauer ist. Ich glaube, dass wir in der Praxis zeigen müssen, dass die Menschen wieder das vorfinden, was der französische Präsident Macron ein „schützendes Europa“ genannt hat. Oder umgekehrt, dass es eben nicht ausreicht, sich lediglich auf die Wettbewerbsbedingungen des Binnenmarktes zu konzentrieren und die sozialen Bedingungen dabei völlig zu ignorieren. Es war ja Jacques Delors, der mal gesagt hat: „niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“. In der Tat. Und deshalb zum Beispiel, ich habe es eben auch im französischen Kabinett gehört, kommt so einer Debatte über die Entsenderichtlinie, wie sie aus Frankreich heraus gerade geführt wird, eine Bedeutung zu, die über den technischen Inhalt dieser Entsenderichtlinie hinausgeht, weil sie signalisieren soll, dass da ein Land wie Frankreich, hoffentlich mit der Unterstützung vieler, sich aufmacht in Europa zu zeigen, dass nicht der Wettbewerb um die schlechtesten Löhne und um die schlechteste Sozialversicherung am Ende den Ausschlag gibt für die Frage, wer in Europa Arbeit findet und Aufträge bekommt, sondern dass wir einen fairen Wettbewerb haben wollen, bei dem die Bedürfnisse der Menschen eine Rolle spielen.
Ich glaube also, dass 10 Jahre Wirtschaftskrise, wachsende Arbeits- und Perspektivlosigkeit in Teilen Europas uns viel politischen Rückhalt gekostet haben, natürlich vor allem im Süden des Kontinents. Und wenn jetzt die meisten ökonomischen Indikatoren nach langer Zeit wieder nach oben zeigen, müssen wir die Gelegenheit auch nutzen, um insbesondere in der Eurozone, aber auch ganz generell in Europa, wieder zu zeigen, dass wir in der Lage sind, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Dafür gibt es wie gesagt gute deutsch-französische Vorschläge; ich gebe zu, ich bin etwas befangen in der Frage, weil Ihr Präsident und ich eine zeitlang gemeinsam Wirtschaftsminister gewesen sind. Und ich natürlich finde, dass das, was wir damals beide aufgeschrieben haben, auch heute noch klug ist. Das findet Emmanuel Macron auch. Wir müssen jetzt noch ein paar andere davon überzeugen, dass das der Fall ist. Mein Eindruck ist auch, in Deutschland wächst mit Blick auf die Zeit nach der Bundestagswahl die Einsicht, dass jedenfalls in der bisherigen Art und Weise, wie Deutschland Europa betrachtet, oder auf Europa geschaut hat, wir die notwendige Wende nicht herbeiführen können.
Die Vorschläge von damals haben nichts von ihrer Relevanz eingebüßt, wir brauchen für mehr Konvergenz in Europa einen intelligenten Mix aus Strukturformen, aber auch aus institutionellen Reformen, wir brauchen einen neuen Anlauf für mehr Konvergenz in der Sozial- und Steuerpolitik und ich bin wie gesagt dem französischen Präsidenten dankbar, dass er das Thema Sozialdumping auf die europäische Tagesordnung gesetzt hat.
Die Eurozone wird als Währungsunion nur dauerhaft funktionieren, wenn wir wirtschaftlich und sozialpolitisch ein weiteres Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten verhindern. Darum haben wir bereits damals der Wirtschaftsminister Macron und der Wirtschaftsminister Gabriel vorgeschlagen, ein gemeinsames Eurozonenbudget zu schaffen, damit wir Stoßdämpfer in das europäische Fahrzeug einbauen, um ökonomische Schocks abzufedern und den Konjunkturverlauf insgesamt zu stabilisieren. Mittel einzusetzen die nicht Strohfeuereffekte für Konjunkturprogramme sein sollen, aber die die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Kontinents in Bildung, in Forschung, in Entwicklung, in Digitalisierung voranbringen. Und keinesfalls soll damit Haushaltsdisziplin infrage gestellt werden.
Aber das deutsche Beispiel zeigt ja ganz gut: als wir mit unseren sozialpolitischen Reformen begonnen haben, haben wir zeitgleich die Maastricht-Kriterien in Deutschland gebrochen. Warum? Weil wir wussten, dass man zu dem Zeitpunkt wo man Reformen durchführt, nicht zeitgleich die Haushalte zusammenstreichen kann. Sonst hätten wir vermutlich weder die Reformen durchbekommen noch am Ende einen ausgeglichenen Haushalt, wie wir ihn heute haben.
Ich bin mir also sicher, dass wir durch mehr Investitionen in die Zukunft Europas auch tatsächlich die innere Stärke voranbringen können und das ist die Voraussetzung dafür, dass wir in der Lage sind, als weltpolitischer Akteur eine Rolle zu spielen. In Deutschland werden wir aber vor allen Dingen mit einer unsäglichen Tradition unseres Landes brechen müssen: mit dieser fürchterlichen Tradition, die sich bei uns eingebürgert hat, ständig davon zu reden, dass Deutschland angeblich der Lastesel und der Zahlmeister der europäischen Union sei. Es ist schwer zu ertragen, das immer wieder zu hören - nicht nur für Franzosen und Spanier und Italiener und Griechen und Portugiesen, sondern ehrlich gesagt auch für jeden aufgeklärten Deutschen selbst. Denn die Wahrheit ist: es gibt einen großen ökonomischen und finanziellen Gewinner der europäischen Einigung und der heißt Deutschland. Wir haben einen großen Exportüberschuss zugegebenermaßen auch weil wir stolz auf Ausbildung, auf Qualifizierung, auf Effizienz und Produktivität sind. Aber dann ist es relativ logisch, wenn man mehr Waren ins Ausland verkauft, dass man dann mehr Geld ins Inland bekommt als man selber hineinsteckt. Und 60 % unserer Waren verkaufen wir in die Europäische Union, nicht nach China oder in die USA, sodass es im deutschen Interesse ist, in die Europäische Union zu investieren, weil das unser vitales Interesse ist. Denn nur dann, wenn es unseren europäischen Nachbarn gut geht, wird es auch unserem Land gut gehen.
Deswegen plädiere ich sehr dafür, dass wir mit einer unseligen Tradition in Deutschland brechen, die da gelautet hat, dass Deutschland immer darum kämpfen muss, in der Europäischen Union seine Nettozahlerposition zu verringern. Meistens mit den bekannten Europafreunden aus Großbritannien zusammen. Mit einem Ergebnis, das jedenfalls für die europäischen Haushalte und für mein eigenes Land nicht besonders gut war.
Deswegen ist unser Plädoyer zu sagen: lasst uns lieber offensiv im Zusammenhang auch mit den Vorschlägen des französischen Präsidenten sogar bereit sein, mehr aus Deutschland heraus in die Wettbewerbsfähigkeit, in die Zukunftsfähigkeit Europas zu investieren, als permanent dieser Erzählung hinterher zu laufen, wir müssten die Nettoposition Deutschlands reduzieren.
Nicht als Geschenk an Europa, nicht als Zeichen von Großzügigkeit, sondern im eigenen wohlverstandenen Interesse und gebunden an Reformen, wie sie der französische Präsident aus meiner Sicht zu Recht für die Europäische Union und Europa insgesamt vorsieht. Das ist in meinem Land auch nicht besonders populär – das weiß ich – aber wenn Sie sich zurückerinnern an die Gründungsphase der Europäischen Union: ich glaube nicht, dass es in Frankreich damals besonders populär war, ein paar Jahre nach dem 2. Weltkrieg ausgerechnet uns Deutsche an den Tisch der Europäischen Union einzuladen. Ich glaube, die Staatsmänner Frankreichs, Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs müssen ziemlich mutige Menschen gewesen sein in dieser Zeit ausgerechnet Deutschland einzuladen, waren wir doch gerade zuvor als Mörder und Brandstifter quer durch diese Länder gezogen. Trotzdem hatten die den Mut, das zu machen, insofern finde ich, sollten wir in Deutschland mindestens ebenso mutig sein. Ehrlich gesagt leben wir in glücklichen Zeiten. Damals ging es den Menschen um ihr Leben, heute geht es nur ums Geld! Was für eine glückliche Generation, die nicht über das Leben reden muss, sondern nur über das Geld! Und ich glaube, dass Deutschland eher mehr investieren muss in die Europäische Union, gebunden an diese ökonomischen Reformen, die Präsident Macron vorschlägt.
Meine Damen und Herren,
darüber hinaus allerdings glaube ich, dass wir Europa zu mehr machen müssen als zu einem ökonomischen Projekt, nämlich auch zu einem weltpolitischen Akteur. Ich will nur wenige Beispiele nennen dafür: schauen Sie auf das, was gerade in der Migrationspolitik passiert: die Initiative Frankreichs zur Migration und zu Flüchtlingen zeigt, wie wichtig es ist, sich eine gemeinsame Strategie mit Blick auf Afrika, oder man muss vielleicht sogar sagen auf die unterschiedlichen Teile Afrikas vorzunehmen. Solange beispielsweise in Libyen Frankreich, Italien, Deutschland und andere alleine unterwegs sind, solange nicht dahinter eine gemeinsame europäische Strategie steht, werden immer die Kriegsparteien und Bürgerkriegsparteien Libyens versuchen, irgendjemanden zu finden, hinter dem sie sich verstecken können. Wenn es uns nicht gelingt, beispielsweise eine eigene Strategie mit Blick auf China zu entwickeln, dann wird es China gelingen, Europa zu spalten. Ich erzähle gerne diese Geschichte, weil sie so typisch ist für das Verhältnis: es gibt ja 16 Staaten in Europa, zum Teil Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die mit China eine Gruppe bilden. Die Europäer nennen das „16+1“. Die Chinesen nennen das „1+16“. Mein Eindruck ist, dass diese Reihenfolge eher die Realität abbildet als die Wunschvorstellung, es ginge um 16+1.
Was erleben wir? In Abstimmungsprozessen der Staats- und Regierungschefs ist es inzwischen nicht mehr möglich gewesen, ein Urteil des Internationalen Seegerichtshof zu „Freedom of Navigation“ in der chinesischen See einvernehmlich schlicht und ergreifend zu akzeptieren und durchzuwinken, weil es Teile der europäischen Mitgliedsstaaten gibt, die sagen, sie möchten dem nicht zustimmen, weil sie in keinen Konflikt mit China geraten wollen.
Und wer sich einmal diese wunderbare Karte von „One belt one road“ ansieht, dieser Initiative, die manche in Europa ja irgendwie noch wie eine historische Reminiszenz an Marco Polo empfinden, der weiß, dahinter steckt eine große geopolitische, kulturelle, ökonomische und am Ende im Zweifel auch militärische Strategie, der wir bislang nichts entgegenzusetzen haben. Im Gegenteil, wir fahren da alle hin und freuen uns, dass wir eingeladen werden und auch eine Rede halten dürfen, aber ich glaube, China wird uns am Ende nur dann ernst nehmen, wenn es eine europäische Strategie gibt, die natürlich auf Partnerschaft mit China ausgerichtet ist, selbstverständlich! Die aber auch - sagen wir mal ein bisschen zugespitzt – von China verlangt, dass es nicht nur uns sagt, wir mögen doch bitte mit Blick auf China eine Ein-China-Politik betreiben, sondern wir müssen natürlich auch von China verlangen, dass sie bitte eine Ein-Europa-Politik betreiben und uns nicht versuchen zu spalten.
Und wie soll unser Verhältnis mit Blick auf China zu den Vereinigten Staaten sein? Wie entwickelt sich unser Verhältnis zu Russland und wie ist die geopolitische Aufstellung dabei? Und das, finde ich, muss in Zukunft etwas sein, wo wir in Europa stärker auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik setzen, bei der natürlich Deutsche und Franzosen und viele andere eigene Impulse haben, bei der wir aber glaube ich schon dazu beitragen müssen, dass Europa lernt, ein weltpolitischer Akteur zu werden.
Übrigens, das wird für uns Deutsche schwierige Lernprozesse bedeuten. Wir sind ein Land bei dem, aus den Erfahrungen von zwei schrecklichen Weltkriegen natürlich die Situation entstanden ist, dass wir z.B. zu militärischen Aktivitäten eine weit distanziertere Haltung in der Bevölkerung haben, als das z.B. in Großbritannien oder Frankreich der Fall ist. Wir sind einfach zu oft als Täter in der Welt unterwegs gewesen und deswegen gibt es eine große Zurückhaltung dem gegenüber. Das wird sich ändern müssen, jedenfalls dann, wenn wir sagen, Europa soll ein weltpolitischer Akteur sein. Dann werden wir in einem der Konflikte der Zukunft nicht mehr darauf warten können, dass sich vielleicht ein amerikanischer und ein russischer Außenminister auf irgendeine Road Map einigen und dann auch darauf verständigen, wie ein Waffenstillstand im Zweifel durchgesetzt werden kann. Dann werden wir gemeinschaftlich als Europäer mit unterschiedlichen Fähigkeiten dabei auch eine Rolle spielen müssen, was in Deutschland zur Folge hat, dass wenn wir solche Verabredungen mit Frankreich, den Niederlanden und anderen treffen, die sich auch darauf verlassen können müssen, dass wir im Zweifel unsere Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Und nicht mit dem Hinweis, Deutschland habe eine Parlamentsarmee, dann sagen, wir sind aber aktuell wegen Wahlkampf oder weil der Bundestag schlechte Laune hat, oder aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage, dabei mitzumachen. Eine in Deutschland nicht diskutierte Frage und garantiert auch nicht einfach zu beantwortende Frage.
Das waren zwei der Punkte, die mir heute auf dieser Konferenz wichtig waren. Also einerseits, wie ich finde, die dringend Notwendigkeit, Europa nach innen wieder zu stärken, dafür zu sorgen, dass Menschen in Europa vertrauen, weil wir sie nicht nur in ein Wettbewerbseuropa schicken und darüber hinaus eben auch Schritt für Schritt zu erarbeiten, dass Europa so etwas wie eine weltpolitische Vorstellung entwickelt und auch gemeinschaftlich handelt.
Ich glaube, dass das Zeit brauchen wird. Aber ich glaube, dass darin auch eine Chance besteht, denn wenn Sie heute Umfragen machen, was Menschen von Europa erwarten, dann finden Sie – jedenfalls in meinem Land, ich glaube sogar weit darüber hinaus – sehr viel Zustimmung, wenn Sie sagen, Europa solle in Zukunft auch so etwas wie die Interessenvertretung der europäischen Bürgerinnen und Bürger in der Welt sein. Sie sollen zusammenarbeiten in zentralen Fragen der Verteidigungspolitik, der Sicherheitspolitik, dem Schutz der Grenzen, der Außenpolitik, sie sollen gemeinschaftliche Positionen haben gegenüber anderen wie Russland, der Türkei, den Vereinigten Staaten oder China. Überall dort finden wir große Zustimmung zur Europäischen Union, eine die über das hinausgeht, was wir vielleicht in der Vergangenheit erwartet haben. Und deswegen glaube ich, dass Außen- und Innenpolitik eigentlich in der Europapolitik unserer beiden Länder verschmelzen müssen und danke herzlich für die große Bereitschaft des französischen Außenministeriums und der französischen Regierung und ihres Präsidenten, daran zu arbeiten. Das wird Herausforderungen für beide Seiten bedeuten und für andere mehr. Aber ich bin ganz optimistisch, dass wir es schaffen können, dass dieses schützende Europa nicht nur nach innen wirkt, sondern auch nach außen seine Schutzfunktion entwickelt, dass deshalb unsere Enkel und Kinder noch verstehen, warum die Europäische Union nicht nur in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft eine unverzichtbare Rolle spielen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!