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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock anlässlich des Charity Dinners für den „Raum der Namen“ des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.

08.11.2022 - Rede

Aleksander Asz wurde 1931 in Warschau geboren.

Obwohl sein Vater wahrscheinlich noch am Leben war, lebte Aleksander in einem Waisenhaus für jüdische Kinder, dem „Dom Sierot“ im Zentrum der polnischen Hauptstadt.

Nach einem Streit mit anderen Kindern in dem Heim verfasste der kleine Aleksander einen Brief. Darüber, wie er sich in Zukunft besser mit seinen Spielgefährten vertragen wolle.

Er schrieb: „Ich will versuchen, mich zu bessern. […] Ich bitte um Hilfe bei dieser schwierigen Mission.“

Ich stelle mir den Jungen vor, wie an seinem Tisch in seinem Waisenhaus sitzt und diese Worte schreibt. Offensichtlich nicht mit Freude, angesichts der Last in einem Waisenhaus aufzuwachsen – und trotzdem mit der Hoffnung, dass es besser werden kann zwischen ihm und seinen Freunden. Ich stelle mir vor, welchen Mut ein kleiner Junge haben muss, einen solchen Brief zu schreiben. Und wie er vielleicht daran denkt, was einmal aus ihm werden wird, wenn er nicht mehr in dem Waisenhaus lebt.

Aber Aleksander Asz durfte nicht erwachsen werden. Am 5. August 1942 deportierte die SS ihn mit etwa 200 anderen Heimkindern und dem Leiter des Waisenhauses in das Vernichtungslager Treblinka. Dort wurde Alexander wenig später ermordet. Bei seinem Tod war er elf Jahre alt.

Alexander ist eines von etwa 1,5 Millionen Kindern, die im Holocaust ermordet wurden. Über die Schicksale vieler dieser Kinder wissen wir nichts. Sie gehören zu der über eine Million jüdischer Opfer der Shoa, von denen wir keine Namen, kein Geburtsjahr, keine Hoffnungen und Träume kennen – und auch kein Todesdatum.

Die kurze Lebensgeschichte von Aleksander Asz aber kennen wir, wie auch seinen Brief. Und das verdanken wir den Unterstützerinnen und Unterstützern „Raums der Namen“ im Holocaust-Mahnmal hier in Berlin. Dank ihrer Hilfe hat die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in jahrelanger Arbeit zehntausende Biographien von Opfern der Shoa recherchiert – in enger Zusammenarbeit mit Yad Vashem in Israel.

Im „Raum der Namen“ unter dem Stelenfeld werden ihre Namen an Wände projiziert. Und eine Sprecherin erzählt die Geschichte dieser Opfer – auch die des kleinen Aleksander. Wir haben gerade darüber gesprochen: Es kommen heute aus aller Welt Menschen in das Holocaust-Mahnmal, die sagen: Ich will einmal den Namen meiner unbekannten Verwandten hören. Und im Zweifel warten sie stundenlang, bis der Name endlich erklingt.

Der „Raum den Namen“ macht die unglaubliche Zahl sechs Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden greifbarer: Indem er nicht nur ihre Namen nennt, sondern über ihr Leben erzählt – über ihre Sorgen, ihre Wünsche. Mit ihren Namen gibt der Raum den Opfern ihre Würde zurück. Denn die Verbrechen an ihnen wurden überhaupt erst möglich, weil man Menschen ihre Namen wegnahm und sie zu Nummern und Zahlen machte.

Ich reise als Außenministerin an schöne Orte, ich darf dieses wunderbare Land repräsentieren. Aber ich erlebe auch die Brutalität und die Spuren von Krieg. Und ich sehe, dass ich niemals all die Orte besuchen kann, an denen in Europa Gedenkstätten und Mahnmale für Opfer des Nationalsozialismus stehen. Unser Botschafter in Warschau sagte letztens zu mir: An jeden Ort, an den ich in Polen komme, könnte ich einen Gedenkkranz mitnehmen. Und an jeden Ort, an den ich als Bundesaußenministerin in Europa komme, sehe ich Mahnmale, sehe ich Gedenktafeln mit Namen von Opfern einer Brutalität, die man sich nicht vorstellen kann.

Gerade habe ich mit Herrn Botschafter Prosor darüber gesprochen: Es ging in der Shoa nicht einfach nur darum, Menschen zu ermorden, die Juden Europas zu ermorden. Sondern das Ziel war auch, ihnen dabei ihre Würde als Mensch zu nehmen. Man kann Familien, man kann Mütter und Kinder erschießen. Man kann ihnen vor ihrem Tod aber auch doppeltes Leid zufügen – und genau das wurde getan: Man lässt eine Mutter mit einem Säugling vor ihrer Erschießung tagelang an einer Grube stehen. Man nimmt Müttern erst ihre Kinder weg, um sie dann beide voneinander getrennt zu erschießen.

Deshalb ist das Nennen von Namen so wichtig. Weil das Wegnehmen von Namen die Unmenschlichkeit des Holocaust mit ermöglicht hat.

Daher mein herzlicher Dank an alle, die zum „Raum der Namen“ beitragen – besonders an den Förderkreis und seine erste Vorsitzende Lea Rosh, aber auch an viele von Ihnen hier.

Der „Raum der Namen“ ist heute wichtiger denn je. Denn Ihr Einsatz und Ihre Arbeit unterstreichen nicht nur die Erinnerung an den Holocaust – sondern auch das, was nach 1945 in Europa möglich wurde, nach der Erfahrung absoluter Vernichtung.

Ich bin 1980 geboren und im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Für viele Menschen meiner Generation, aber auch für die meiner beiden Töchter, sind Freiheit und Demokratie etwas völlig Selbstverständliches. Und vielen anderen Menschen in Deutschland dürfte es ähnlich gehen.

Bei meinem Besuch in Yad Vashem – ganz bewusst auf einer meiner ersten Reisen als deutsche Außenministerin – ist mir deshalb nochmal so deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass wir uns unserer Vergangenheit immer wieder stellen – und auf das Leid und die Namen der Menschen in der Shoa blicken.

Man muss sich auf die Emotionen einlassen, die dieser Blick auslöst. Denn wenn man das nicht tut, macht man eine andere Politik. Und wenn der Förderkreis nicht den Mut gehabt hätte, Namen von Opfern zu sammeln – weil jeder Name einen Unterschied macht, weil jede einzelne Geschichte zählt – dann wären wir in unserer Erinnerungskultur heute an einer anderen Stelle.

Und wir wissen, dass unser Erinnern, dass Namen nennen, dass Geschichten erzählen immer wichtiger wird – weil viele Holocaust-Überlebende, die selbst ihre Geschichten erzählen können, bald nicht mehr unter uns sein werden.

Daher ist es auch wichtig, dass wir beim Erinnern an das Menschheitsverbrechen der Shoa gemeinsam neue Wege gehen.

Vergangenen Monat durfte ich hier in Berlin den Shimon Peres-Preis an eine Gruppe Jugendlicher verleihen, die für soziale Netzwerke Videos über das Leben von Holocaust-Opfern produzieren. Denn dort genau erreichen sie junge Menschen. Es kommen leider nicht alle Schulklassen hierher nach Berlin an das Holocaust-Mahnmal. Aber im Internet sind Jugendliche auf allen Kanälen unterwegs. Deswegen müssen wir unser Erinnern, Namen und Geschichten genau dort hinbringen.

Sie – der Förderkreis und die Stiftung Denkmal – machen die von Ihnen recherchierten Biographien ermordeter Jüdinnen und Juden auch online zugänglich – in einem „virtuellen Raum der Namen“, den man überall in der Welt über das Internet betreten kann.

Und als Bundesregierung bringen wir junge Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen, damit sie gemeinsam an die Opfer der Shoa erinnern – mit Projekten in Gedenkstätten wie dem Holocaust-Denkmal in Berlin, mit der Unterstützung von Netzwerken wie im Rahmen des Shimon Peres-Preises.

Und gerade heute, am Vorabend des 9. November, an dem vor 84 Jahren überall in Deutschland Synagogen angezündet und zerstört wurden, sage ich sehr deutlich:

Deutschland wird niemals nachlassen, die Erinnerung an die Shoa wachzuhalten. Das ist für uns Deutsche, für mich persönlich und als Vertreterin des deutschen Staates, eine moralische Verpflichtung.

Aber dieses Erinnern ist für uns noch aus einem anderen Grund so wichtig: Das Entsetzen über den Zweiten Weltkrieg, das Bewusstsein um den in der Shoa begangenen Zivilisationsbruch – sie waren für viele Deutsche nach 1945 der zentrale Antrieb, mit aller Kraft ein neues Deutschland in einem neuen Europa zu bauen.

Der Historiker Mark Mazower hat das Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts treffend als „dunklen Kontinent“ bezeichnet: Einen Kontinent des Nationalismus, der Eroberungskriege und des Völkermords, für den wir Deutsche Verantwortung tragen. Und Mazower hat auch betont, dass es fast ein Wunder war, was auf diesem Kontinent in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut wurde:

Ein demokratisches und wiedervereinigtes Deutschland, in dem die Menschenwürde das höchste Gut ist. Und ein geeintes Europa, in dem Menschen und Länder gemeinsam in Frieden und in Freundschaft leben.

Und all das scheint beziehungsweise schien uns heute so normal. Für mich 40 Jahre lang, als sei es vom Himmel gefallen. Weil wir es nicht anders kannten. Weil wir den ersten Teil der dunklen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert nicht selbst erlebt haben.

Deswegen ist das Erinnern an das schwärzeste Kapitel der deutschen Vergangenheit, an die Shoa, für uns so wichtig. Es führt uns mit Wucht vor Augen: Demokratie und Freiheit, Menschenrechte und europäische Einigung hat uns kein historischer Automatismus in den Schoß gelegt.

Mutige Menschen haben sie für uns erkämpft. Nach 1945, in einem geteilten Europa, in dem die meisten Deutschen viel zu lange nichts wissen wollten von ihren Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Und 1989, als zuerst unsere östlichen Nachbarn – und das ist wichtig für unser Erinnern an die deutsche Geschichte – die Diktaturen jenseits des Eisernen Vorhangs ins Wanken brachten – und uns dann die Hände zur Versöhnung reichten.

Deshalb ist der Vorabend des 9. November auch ein guter Anlass, eine weitere Botschaft zu wiederholen: So wie unsere östlichen Nachbarn 1989 für uns da waren, so stehen wir heute an ihrer Seite – mit aller Kraft.

Denn seit dem 24. Februar ist unsere Demokratie und unsere europäische Friedensordnung eben keine Selbstverständlichkeit mehr. Sondern sie sind in einer Art und Weise herausgefordert, wie viele Deutsche es niemals erwartet hätten.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine markiert einen dramatischen Einschnitt. Mit seinem verbrecherischen Krieg versucht der russische Präsident, mitten in Europa die Existenz eines freien und souveränen Staates auszulöschen.

Und weil seine Armee auf dem Schlachtfeld scheitert und sein Plan von der schnellen Einnahme der Ukraine nicht aufgegangen ist, schießt sich Putin seit Wochen – im wahrsten Sinne des Wortes – auf die ukrainische Zivilbevölkerung ein – auf Jungen und Mädchen, Frauen und Männer, Großväter und Großmütter. Indem er nicht nur Raketen und Drohnen einsetzt, sondern bewusst Kraftwerke bombardiert und damit Menschen das Heizen unmöglich macht und warmes Wasser, Stromversorgung und selbst Trinkwasser wegnimmt.

Jeden Tag flüchten zehntausende Kinder überall in der Ukraine unter die Tische und in Schutzräume in ihren Schulen, während Alarmsirenen heulen und russische Raketen auf Spielplätzen einschlagen.

Die Städte, die der russische Präsident nicht mit Soldaten einnehmen kann, will er nun mit Hunger, mit Verdursten, mit Erfrieren brechen.

Und es macht einen Unterschied, ob man über „hunderttausende Ukrainer“ spricht oder ob man über hunderttausende Kinder spricht. Wir haben vorhin darüber geredet, warum ich bei meiner Rede vor der VN-Generalversammlung in New York im März eines dieser ukrainischen Kinder, Mia, beim Namen benannt habe.

Weil wir uns, wenn wir diesen Kindern einen Namen geben, vorstellen, wie die Kinder in Deutschland hier heißen. Dass diese Kinder unsere eigenen Kinder sein könnten. Ich glaube, dass es in der Politik einen Unterschied macht, ob man über die Menschen und ihre Träume, Wünsche und Sorgen spricht – oder ob man allein über „die Ukraine“ spricht.

Und daher haben wir als Außenministerinnen und Außenminister der G7 bei unserem Treffen vergangene Woche in Münster nicht abstrakt darüber gesprochen, wie wir die Stromversorgung in der Ukraine wieder aufbauen können. Das können wir ehrlich gesagt sowieso nicht – wir können nicht 30 Prozent der Stromversorgung eines Landes einfach so wiederaufbauen.

Stattdessen haben wir darüber gesprochen, wie wir Generatoren in unterschiedliche Dörfer, in unterschiedliche Städte liefern können, wie wir mit Generatoren und Heizgeräten, Decken und Betten, Wasserfilter und Wohncontainer einzelne Menschen erreichen können. Und deswegen setzen wir auch die Waffenlieferungen und unsere finanzielle Unterstützung für die Ukraine fort. Denn wir sehen, dass wir derzeit nur so Menschenleben retten können.

Wir alle – hier im Raum, in Deutschland, in Europa und wahrscheinlich fast auf der ganzen Welt – wünschen uns nichts sehnlicher als Frieden für die Ukraine. Jeder Tag dieses furchtbaren Krieges ist ein Tag zu viel. Jeder Tag bringt Tod und Zerstörung. Aber wir wissen auch: An jedem Tag, an dem wir nicht dazu beitragen, Dörfer zu schützen, an dem keine Generatoren ankommen, sterben unschuldige Menschen.

Und daher ist aus meiner Sicht ein Diktatfrieden gegen die Ukraine, der Russlands Aggression belohnen würde, kein echter Frieden. Er wäre nicht nur eine Katastrophe für die Ukraine, sondern auch für die Charta der Vereinten Nationen, für das Völkerrecht, für Demokratie und Freiheit weltweit – für all das, was die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in Europa zu einem helleren Zeitalter gemacht hat. Und daher stehen wir an der Seite der Menschen in der Ukraine – solange sie uns brauchen.

Aber wir wissen alle – und das war heute Abend bereits Thema unserer Diskussionen –, dass es nicht nur das aggressive Verhalten von Autokratien wie Russland ist, das Freiheit und Demokratie in Europa bedroht. Dieser furchtbare Krieg ändert nichts an den anderen Herausforderungen für unsere Demokratie, für unsere Freiheit und zum Teil auch für unsere Menschenwürde.

Auch hier bei uns in Deutschland wachsen die Gefahren. Zu oft haben wir in den vergangenen Jahren gesehen, wie Hass und Hetze in den sozialen Medien oder in der öffentlichen Debatte ganz reale und auch tödliche Gewalt befeuern: Bei Anschlägen auf Synagogen wie in Halle, aber auch an anderen Orten unseres Landes. Bei Rechtsterrorismus wie in Hanau, bei Morden an Politikern wie Walter Lübcke. Bei Brandanschlägen wie zuletzt vor einigen Wochen auf ein Wohnheim für ukrainische Geflüchtete nahe Wismar.

Als deutsche Außenministerin, aber auch als Bürgerin dieses Landes, als Mensch, als Teil unserer Gesellschaft von 82 Millionen Menschen beschämen mich solche Verbrechen, beschämen mich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land.

Jede Demokratie lebt von offener Debatte und von Streit. Aber diese Offenheit macht Demokratien auch verwundbar für Angriffe ihrer Feinde. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir gemeinsam eintreten gegen die Verrohung der politischen Debatte in unserem Land – und dass wir Gewalt mit allen Mitteln des Rechts begegnen.

Das ist die Aufgabe unseres Staates, und das ist die primäre Aufgabe der Bundesregierung. In den kommenden Jahren werden wir eine Milliarde Euro für die Bekämpfung von Antisemitismus und gruppenbezogenen Hass ausgeben, von Polizeischulungen bis zu Kampagnen in sozialen Medien gegen Desinformation.

Und dabei ist mir besonders wichtig, dass wir die positiven Elemente herausstellen, die ja bereits die Vielfalt und die Demokratie in unserem Land stärken. Ich weiß nicht, wie es Dir, liebe Bärbel Bas, und den anderen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag ging – aber für mich waren die Feierlichkeiten zu 1.700 Jahren jüdischem Leben in Deutschland im Deutschen Bundestag etwas Besonderes. Diese Vielfalt jüdischen Lebens bei uns sichtbar zu machen – auch das ist Teil unserer Arbeit bei der Bekämpfung von Antisemitismus.

Eine wehrhafte Demokratie braucht mutige und offene Bürgerinnen und Bürger, die sich begegnen und die zusammenkommen, die etwa einfach zusammen Fußball spielen. Und deshalb werde ich morgen am 9. November in Berlin Namen ermordeter Jüdinnen und Juden verlesen und Blumen niederlegen. Aber ich werde an diesem Tag auch bewusst dorthin gehen, wo Leben stattfindet. In einen Sportverein, wo Jüdinnen und Juden in unserem Land gemeinsam mit anderen Menschen Sport machen. Weil wir so deutlich machen, dass das Miteinander stärker ist als der Hass.

Und solches Miteinander unterstützt auch Ihr Förderkreis, mit seinem „Preis für Zivilcourage gegen Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Rassismus“. Dieses Jahr geht der Preis an die Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ aus dem Berliner Ortsteil Britz, vertreten heute hier durch Herrn Jürgen Schulte. In der Hufeisensiedlung in Britz haben sie bereits 14 Stolpersteine verlegt, die an Holocaust-Opfer erinnern. Dafür danke ich Ihnen herzlich und gratuliere Ihnen zu diesem Preis, der Ihnen gleich verliehen wird.

Gemeinsam stärker zu sein als der Hass – ich glaube, das zeichnet unser Land mit seiner schweren Geschichte, mit seiner großen Verantwortung, mit seiner Schuld, aber auch mit seiner Versöhnung nach all den Jahrzehnten aus.

Und das hat aus meiner Sicht unser Land auch in den vergangenen Monaten ausgezeichnet. Wir sehen die Debatten über Inflation, über Preissteigerungen, über Energiekosten. Aber es ist eben nicht so, dass die Menschen in Deutschland deswegen nicht mehr an ihre Mitmenschen in der Ukraine denken würden. Weil wir ihre Namen kennen. Jeder hier im Raum könnte sofort fünf Namen von Ukrainerinnen und Ukrainern aufzählen: Von der Schwiegermutter, der Arbeitskollegin, der Schwägerin, dem Bekannten, der in der Ukraine lebt.

Daher bin ich wirklich stolz darauf, dass in Deutschland über all die Monate und erst recht jetzt vor dem Winter so viele Menschen Ukrainerinnen und Ukrainer nicht nur unterstützen, sondern dass sie ihre eigenen Wohnungen für sie geöffnet haben, dass sie als Helfer am Bahnhof waren, Mahlzeiten gekocht haben.

Und gerade auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland haben Großartiges geleistet bei ihrer Hilfe für jüdische Geflüchtete aus der Ukraine. Darunter sind auch hunderte Holocaust-Überlebende aus Kiew, Sumy, Mariupol und anderen Orten in der Ukraine. Viele von ihnen werden ihren Lebensabend hier bei uns – ausgerechnet in Deutschland – verbringen.

Das ist ein Gedanke, der mich mit großer Demut erfüllt, aber ehrlich gesagt auch mit Trauer. Sie haben nicht geplant, ihren Lebensabend hier in Deutschland zu verbringen. Aber es ist unsere Verantwortung, das jetzt gemeinsam zu gestalten, ihnen ein neues Zuhause zu geben. Das Wohlergehen dieser Menschen hat für die Bundesregierung höchste Priorität.

Und einige von ihnen haben deutlich gemacht: Jetzt, wo wir hier sind in Deutschland, wollen wir unsere Geschichten noch einmal erzählen, unsere Geschichten von damals, als wir Kinder waren.

Wir müssen diese Geschichten weitererzählen, vom Grauen der Shoa, die so vielen einen schrecklichen Tod gebracht hat. Damit nicht wieder einmal zukünftige Generationen auf die Suche nach verlorenen Namen gehen müssen.

So wie dem Namen des kleinen Aleksander Asz, dessen Andenken heute im „Raum der Namen“ bewahrt wird.

Er wurde nur elf Jahre alt, aber wir kennen seinen Namen. Wir sehen ihn, wie er an seinem Tisch seinen Brief schreibt. Wir hören seine Geschichte.

Lassen Sie uns gemeinsam diese Erinnerung an Aleksander wachhalten – und an alle Opfer des Holocaust.

Deswegen sind wir heute Abend hier – um ihre Namen in Erinnerung zu rufen, um über ihr Leben und ihre Träume zu sprechen.

Und um zukünftige Generationen daran zu erinnern: Wir haben es gemeinsam in der Hand, dass unser Europa nie wieder ein dunkler Kontinent wird.

Herzlichen Dank.

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