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Grußwort von Außenminister Heiko Maas zum Festkonzert anlässlich 140 Jahre diplomatische Beziehungen mit Bulgarien

29.11.2019 - Rede

Leider ist mein Bulgarisch nicht so gut wie das Deutsch von Ekaterina. Sie hat mir zwar bereits einige Worte beigebracht, aber sie reichen nicht, um diese Rede auf Bulgarisch zu halten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir sind heute hier um ein Jubiläum zu feiern. 140 Jahre deutsch-bulgarische Beziehungen.

Ehrlich gesagt: das ist fast ein Kindergeburtstag, in Anbetracht der mehr als tausendjährigen Geschichte, die Bulgarien und Deutschland verbindet.

  • Es gab und gibt freundschaftliche kulturelle Bande - über alle Zeiten und Systeme hinweg. Übrigens zeichnet das die Kultur im Besonderen aus, dass sie nicht abhängig ist von politischen Mehrheiten. Sondern sie schafft wirklich dauerhafte Verbindungen und dauerhafte Freundschaft und deshalb ist Kultur und kultureller Austausch so wichtig.
  • Auch unsere politischen Beziehungen sind eng und vertrauensvoll.
  • Unsere wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln sich sehr positiv.

Ganz besonders verbinden uns aber die vielen Menschen, Bürgerinnen und Bürger unserer Staaten, die beide Länder gut kennen. Etwa 350.000 Bulgarinnen und Bulgaren leben in Deutschland, viele Deutsche haben sich in Bulgarien niedergelassen, über 800.000 Menschen besuchen jährlich als Touristen Ihr wunderschönes Land.

Meine Damen und Herren,

dass es diese engen Bindungen zwischen unseren Ländern heute gibt, ist alles andere als selbstverständlich. Dass wir sie heute hier, im Französischen Dom, feiern können, ist alles andere als selbstverständlich. Noch vor 30 Jahren wäre das völlig undenkbar gewesen.

Wir befinden uns auf ehemaligem DDR-Gebiet, keine 800 Meter von hier verlief die Berliner Mauer. Vor 30 Jahren fiel sie. Nein! Sie wurde zu Fall gebracht.

Sie wurde eingerissen von den vielen mutigen Menschen in Ostdeutschland, deren Hunger nach Freiheit stärker war als alle Mauern und Zäune. Vor gut drei Wochen haben wir das hier in Berlin mit einem großen Jubiläumsfest gefeiert. Wir haben das nicht alleine gefeiert – viele europäische Kolleginnen und Kollegen sind dabei gewesen.

Auch du, liebe Ekaterina.

Meine Damen und Herren,

denn wir haben an diesem Abend des 9. November nicht nur ein deutsches Jubiläum gefeiert. Sondern auch ein europäisches.

Und insbesondere ist es auch ein Jubiläum, das wir mit den Bulgarinnen und Bulgaren teilen.

Auch in Bulgarien erinnert man in diesem Jahr an die friedliche Revolution.

Unsere beiden Gesellschaften haben gelernt, wie stark die Sehnsucht nach Freiheit ist – so stark, dass sie auch Mauern und Stacheldraht hinwegfegt. Und wir haben gelernt, dass Wandel Zeit braucht, viel mehr Zeit als wir früher vielleicht erwartet hätten.

Auch diese Erfahrung teilen wir miteinander.

Und noch etwas teilen wir miteinander, als Erbe von 1989. Und zwar die dezidiert pro-europäische Perspektive in unserer Außenpolitik.

Den gemeinsamen Einsatz für ein Europa, das sich nicht auseinandertreiben lässt, nicht zerfällt in Nord und Süd, Ost und West. Sondern im Gegenteil, das trotz aller Unterschiede und trotz aller Schwierigkeiten mehr und mehr zusammen wächst. In Deutschland wird viel darüber geredet, dass heute alles immer schwieriger ist und alles immer schlechter wird. Wenn man einmal 30 Jahre zurückblickt: Deutschland war geteilt, 16 Millionen DDR-Bürger hatten keine Freiheit, die Bürgerinnen und Bürger Osteuropas lebten hinter dem Eisernen Vorhang – mittlerweile haben alle ihre Freiheit erhalten. Vieles ist schlechter geworden? Vieles ist schlechter gewesen, vor 30 Jahren! Und dass Europa heute zusammenwachsen kann, hat auch etwas damit zu tun, was damals geschehen ist. Bei allen Schwierigkeiten, die wir heute haben: in den letzten 30 Jahren ist vieles besser geworden!

Und ich möchte in diesem Zusammenhang die ausgewogene bulgarische Außenpolitik würdigen – auch, aber nicht nur, gegenüber dem Westbalkan. Der Freundschaftsvertrag mit Nordmazedonien ist wegweisend für die ganze Region. Und ich würde mir wünschen, dass andere so mutig sind, wie Bulgarien das war.

Meine Damen und Herren,

als 1989 in Sofia und anderen bulgarischen Städten Hunderttausende auf die Straßen gingen und blaue Fahnen schwenkten, waren das noch keine Europa-Fahnen. Blau war die Farbe der demokratischen Opposition.

Und doch standen sie für die Werte, die auch die Flagge der EU heute verkörpert: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität.

Der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev hat kürzlich mit Blick auf die Ereignisse jener Zeit gesagt: „Wie rasch sich Dinge ändern können; wie fragil alles Politische ist; wie schnell die Leute ihre Meinung ändern; wie oft Dinge, die gestern noch undenkbar waren, plötzlich allgemeingültig sind. Das ist eine Erfahrung, die bleibt.“

Die Aktualität gibt Ivan Krastev Recht: Wer hätte vor vier Jahren mit dem Brexit gerechnet? Oder mit dem Erstarken der Nationalisten, die neue Mauern ziehen – in den Köpfen und ganz real?

Dass wir heute in einem vereinten Europa leben – als Partner und auch als Freunde – ist keine Selbstverständlichkeit. Sondern etwas, für das wir Tag für Tag arbeiten müssen. Im Jetzt und im Morgen.

Die friedliche Revolution markierte 1989 nicht nur das Ende von etwas. Sie war der Anfang von diesem vereinten Europa.

Und für dieses Europa, für seine Werte, lohnt es sich auch heute, die Fahne hochzuhalten. Gemeinsam – Deutsche, Bulgarinnen und Bulgaren.

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