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Interview Außenminister Westerwelle mit ungarischer Tageszeitung „Nepszabadsag“

17.02.2010 - Interview

Im Zeichen einer neuer deutschen Außenpolitik führte Ihr erster Besuch nach Ihrem Amtsantritt nach Warschau. Sie haben auch angekündigt dass Deutschland künftig den Mittel- und Osteuropäischen Staaten mehr Aufmerksamkeit schenken will. Kann man über eine Wende in der deutschen Außenpolitik sprechen, ist eine neue Ostpolitik zu erwarten?

Das Wort „Wende“ geht vielleicht etwas weit. Ein neuer Schwerpunkt ist es aber allemal. Worum geht es? Wir wollen nach Osten genauso gute und enge Beziehungen haben wie nach Westen. Unser Verhältnis zu Frankreich ist so freundschaftlich und eng geworden, dass es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Das will ich auch nach Osten erreichen.

In welchen konkreten Fragen wollen Sie mit den MOE-Staaten, vor allem mit Ungarn, zusammenarbeiten?

Können wir Europäer unseren Wohlstand bewahren und unseren globalen Einfluss sichern? Darum geht es in den nächsten Jahren. Deshalb müssen wir die EU nach innen wie nach außen stärken: Wir müssen auf Wachstum, Beschäftigung und technologischen Fortschritt setzen. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir außenpolitisch immer stärker mit einer Stimme sprechen.

Ungarn übernimmt Anfang 2011 die EU-Ratspräsidentschaft. Eine überaus anspruchsvolle politische Agenda liegt vor uns. Wir werden unsere Freunde in Budapest bei ihrer Umsetzung nach Kräften unterstützen.

Zwischen Ungarn und der Slowakei gibt es viele politische Spannungen auf politischer Ebene - nicht zuletzt wegen des umstrittenen slowakischen Sprachgesetzes. Sind Sie wegen dieser Spannungen zwischen zwei EU- und NATO-Mitgliedern besorgt? Fürchten Sie nicht, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft von Deutschland ein zweiter „griechisch-türkischen Krisenherd“ entstehen kann? Um dem vorzubeugen könnte Deutschland eine Vermittler-Rolle spielen – oder müssen Budapest und Bratislava diese Streitfragen untereinander und so schnell wie möglich regeln?

Ich bin zuversichtlich, dass Ungarn und die Slowakei ihre Meinungsverschiedenheiten gütlich beilegen werden. Die Erklärung von Szecheny der beiden Ministerpräsidenten vom September 2009 bildet eine gute Grundlage dafür, die verbliebenen strittigen Punkte auszuräumen.

Nach dem neuen Plan der Obama-Administration wollen die USA Teile ihres Raketenschildes in Rumänien aufstellen. Wird dieser Plan von Deutschland unterstützt, denken Sie, dass es sinnvoll ist, gegen Schurken-Staaten, z. B. gegen den Iran, ein ballistisches Raketenabwehr-System nach Rumänien aufzustellen?

Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, dass bei einer so wichtigen Frage wie der einer gemeinsamen Raketenabwehr alle Partner eng eingebunden werden. Und dass wir diese Diskussion nicht nur unter uns in der Nato, sondern auch ganz explizit gemeinsam mit Russland führen.

Insofern haben wir die Neuausrichtung der amerikanischen Pläne im vergangenen Jahr begrüßt. Dies hat den Nato-Bündnispartnern die Möglichkeit eröffnet, eigene nationale Beiträge zu leisten. So verstehe ich die Entscheidung der rumänischen Regierung.

Wie groß schätzen Sie die Gefährdung durch die iranischen Nuklear- und Raketenprogramme ein? Würden Sie noch schärfere Sanktionen unterstützen, die z. B. direkt die iranischen Banken und Finanzbranche treffen?

Niemand spricht dem Iran das Recht ab, die nukleare Technologie zivil zu nutzen. Aber eine atomare Bewaffnung des Iran ist für uns nicht akzeptabel. Mit ihrem jahrelangen Versteckspiel hat die iranische Führung das Vertrauen in ihre Absichten zerstört. Wir brauchen handfeste Belege für die zivile Natur des iranischen Atomprogramms.

Die Äußerungen, die aus der iranischen Führung während der letzten Tage zu hören waren, sind beunruhigend. Iran muss sich bewegen, andernfalls ist eine neue Sanktionsrunde unvermeidbar.

In welcher Situation und unter welchen Umständen würde Deutschland eine militärische Lösung befürworten?

Wer will, dass die internationale Gemeinschaft geschlossen und entschieden handelt, der sollte unsinnige Gedankenspiele besser unterlassen.

Sie sind über 100 Tage in Ihrem Amt als Außenminister. Welche Ratschläge hat Ihnen Ihr Mentor, Herr Genscher, gegeben?

Der wichtigste: Auch einmal schweigen zu können.

Was war für Sie als deutscher Außenminister die größte Überraschung im positiven und negativen Sinne?

Positiv: Die echte Europa-Begeisterung, die mir während meiner ersten Reisen nach Polen und unseren anderen östlichen Nachbarn entgegen schlug. Und negativ: Wie hilflos die internationale Gemeinschaft nach einer Katastrophe wie in Haiti mit ansehen muss, wie ein Land, das gerade dabei ist, wieder auf die Füße zu kommen, zurückgeworfen werden kann.

Denken Sie dass Sie am Anfang ungerecht von der Presse behandelt wurden, z. B. wegen Ihrer angeblich nicht ausreichenden Englisch-Kenntnisse?

Solange Sie mich nicht für mein mangelhaftes Ungarisch verspotten! Aber im Ernst: Niemand kann sich aussuchen, was die Presse über ihn schreibt. Mein Einsatz für die deutsche Sprache – keine andere Sprache in Europa ist für mehr Menschen Muttersprache – ist jedenfalls ernst gemeint. Ich halte es deshalb für selbstverständlich, bei Pressekonferenzen im Inland deutsch zu sprechen.

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