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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der Konferenz „Time for Change – Making Promises Reality. The Position of LGBTI in the Western Balkans and Turkey

21.11.2017 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen im Auswärtigen Amt zu einer weiteren Konferenz, die wir wieder gemeinsam mit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung ausrichten. Sie steht unter dem Titel „Time for Change – Making promises reality“. In der Tat, es ist höchste Zeit für einen Wandel. Es ist höchste Zeit, dass Versprechen und Zusagen endlich erfüllt werden.

Dabei denke ich besonders an ein Versprechen, das bereits vor 69 Jahren abgegeben wurde. Am 10. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, so lautet der erste Artikel. Das ist für mich einer der wichtigsten Sätze, der jemals aufgeschrieben worden ist.

Dieses große Versprechen ist leider auch fast sieben Jahrzehnte später noch nicht eingelöst worden. Immer noch werden an viel zu vielen Orten dieser Welt Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, ihres Geschlecht oder ihrer sexuellen Identität diskriminiert. Immer noch erfahren viel zu viele Menschen Ablehnung, Ausgrenzung, Hass und Gewalt.

Der Staat hat die Pflicht, sich schützend vor sie zu stellen und die Achtung der Menschenrechte zu garantieren. Leider sieht die Wirklichkeit oft anders aus. In vielen Staaten ist es sogar der Staat selbst, von dem Angriffe auf LGBTI ausgehen. Homosexualität ist immer noch in etwa 80 Staaten strafbar. In einigen Staaten droht die Todesstrafe. Immer wieder wird mir bei meinen Reisen von LGBTI-Aktivisten berichtet, dass sie bedrängt, kriminalisiert, ver-haftet, misshandelt werden. Wir erleben durchaus Fortschritte, aber eben auch dramatische Rückschritte. Im Jahr 2017 ist das ein Skandal!

Deshalb ist eines besonders wichtig: Wir dürfen die Zivilgesellschaft nicht im Stich lassen und müssen ihr den Rücken stärken. Der Schutz von LGBTI-Rechten ist einer der wichtigsten Schwerpunkte unserer Menschenrechtspolitik. Weltweit fördern wir Projekte, in Nigeria, der El-fenbeinküste, Indonesien, Ukraine, Russland, Tunesien und Montenegro.
In Ankara – vielleicht haben sie es in den Medien verfolgt – hatte unsere Bot-schaft gemeinsam mit lokalen Partnern für vergangene Woche ein LGBTI-Filmfestival geplant, das leider im letzten Moment von den türkischen Behörden verboten wurde. Am Wochenende wurde das Verbot sogar auf alle LGBTI-Kulturveranstaltungen ausgeweitet. Unsere Botschaft darauf war klar und unmissverständlich: Die Freiheit der Kunst und die Rechte von Minderheiten sind unantastbar – auch in der Türkei!

Nicht nur mit öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen bekennen wir Farbe für Vielfalt, Respekt und Toleranz. Auch hinter verschlossenen Türen sprechen wir das Thema regelmäßig an. Wir erinnern Regierende in aller Welt an das Versprechen universeller Menschenrechte, das 1948 gegeben wurde. Wir stimmen uns dabei eng ab mit unseren Partnern. Zu diesem Ziel wurde 2016 die Equal Rights Coalition gegründet. Die 31 Gründungsmitglieder dieses Zusammenschlusses – darunter Deutschland und Montenegro – setzen sich gemeinsam für die Gleichberechtigung von LGBTI-Personen ein.

Gemeinsam wollen wir sicherstellen: Das Versprechen gleicher Rechte für alle gilt unabhängig von Geschlecht und sexueller Identität. Dabei wissen wir, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. Um das zu erkennen, müssen wir gar nicht in die Ferne blicken: Auch in der Türkei, in den Staaten des Balkans, in Deutschland erleben LGBTI in ihrem Alltag Diskriminierung und Ausgrenzung, manchmal auch Gewalt.

Gerade einmal vor fünf Monaten hat der Bundestag endlich beschlossen, dass sich auch in Deutschland gleichgeschlechtliche Paare das Ehe-Versprechen geben können – und dass dieses Versprechen auch endlich offiziell Ehe heißen darf. Und erst vor wenigen Tagen entschied das Verfassungsgericht, dass intersexuelle Menschen nicht länger durch unser Personenstandsrecht in eines von zwei Geschlechterschablonen eingeordnet werden.

Der Fortschritt ist eine Schnecke. Viele von uns sind ungeduldig – der Titel unserer heutigen Konferenz deutet es ja an. Und bei einem Versprechen, das nach 69 Jahren für viele noch nicht eingelöst wurde, da darf man auch unge-duldig werden! Und ich kann Sie nur ermuntern: Machen Sie der Politik weiter Druck! Veränderungen zum Besseren sind ohne Ihren mutigen, beharrlichen Einsatz schlicht nicht möglich.

Wichtig ist aber auch: Lassen wir uns nicht entmutigen. Immerhin gibt es in immer mehr Ländern einen Trend zur Gleichstellung. In über 20 Staaten weltweit konnte mittlerweile die Ehe für alle durchgesetzt werden, in weiteren 20 Staaten immerhin die eingetragene Partnerschaft. Im vergangenen Jahr gelang es erstmals, bei einer Abstimmung in den Vereinten Nationen eine Mehrheit der Staaten für LGBTI-Rechte zu gewinnen.

Und in immer mehr Gesellschaften dreht sich die öffentliche Meinung im Sinne der Gleichstellung. Bisweilen ist die Gesellschaft der Politik sogar ein paar Schritte voraus. In Deutschland befürwortete in Umfragen eine Mehrheit die gleichgeschlechtliche Ehe, lange bevor es dafür politische Mehrheiten gab. Eine ähnliche Situation erleben wir gerade in Australien. In der Türkei lehnt laut einer Umfrage nur ein Viertel der Bevölkerung die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare ab.

In manchen Metropolen, in denen vor wenigen Jahren noch keine Regenbo-genfahne wehen konnte, ziehen nun Pride-Parades selbstbewusst durch das Stadtzentrum. Ich selbst hatte immer wieder Gelegenheit, gemeinsam mit Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort für Respekt und gleiche Rechte zu de-monstrieren, in Berlin ebenso wie in Belgrad, in Budapest, in Bukarest. Gerne wäre ich auch in Istanbul dabei gewesen, wäre die dortige Pride Parade ge-nehmigt worden.

Insbesondere in Südosteuropa erleben wir eine Entwicklung, die Mut macht. Die Regierungen der Region bekennen sich endlich zu ihrer Verantwortung, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Pride Parades vor Gewalttätern zu schützen. Manche Regierungsvertreter gehen noch einen Schritt weiter und reihen sich selbst ein in den Zug der Menschen, die für Gleichstellung de-monstrieren. In mehreren Staaten der Region wurde die Antidiskriminierungs-Gesetzgebung verbessert. Gemeinsam mit der Regierung Montenegros haben wir im vergangenen Sommer hier in diesem Saal eine Veranstaltung zur Gleichstellung von LGBTI im Wirtschaftsleben organisiert.

Diese Erfolge sind wichtige Etappen. Sie machen Mut für unser weiteres Engagement. Jeder dieser Erfolge wurde mühsam erstritten, von einer aktiven, selbstbewussten Zivilgesellschaft. Ich freue mich sehr, dass wir heute Aktivistinnen und Aktivisten aus der Türkei, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, Montenegro, Serbien, Kroatien, Slowenien und auch Ägypten bei uns haben, ebenso wie zahllose Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft. Sie alle setzen sich mit Mut und Entschlossenheit, mit Kreativität und Leidenschaft für LGBTI-Rechte ein. Die genannten Erfolge sind Erfolge, die Sie errungen haben. Vielen Dank Ihnen allen für Ihr großartiges Engagement!

Ich wünsche Ihnen inspirierende Diskussionen und eine gute Zeit in Berlin. Vor allem aber: Viel Erfolg bei unserem gemeinsamen Ziel, das Versprechen der Menschenrechte für alle endlich Wirklichkeit werden zu lassen – in den Ländern des westlichen Balkans, in der Türkei, in Deutschland und weltweit.

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