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Rede des Koordinators der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, Dietmar Woidke, bei der Tagung „80 Jahre danach. Der deutsche Überfall auf Polen und der Beginn des Zweiten Weltkriegs in regionaler und internationaler Perspektive“

30.08.2019 - Rede

Ich freue mich sehr über die Gelegenheit, am Vorabend des 1. September zu Ihnen zu sprechen.

Die heutige Veranstaltung, der wissenschaftliche Austausch über Ländergrenzen hinweg, das große öffentliche Interesse zeigen: Wir sind uns unserer Verantwortung für Geschichtsbilder und Gedenkkulturen bewusst.

Der 1. September 1939 ist in der Gesellschaft Polens und Deutschlands fest verankert.

In das kollektive Gedächtnis des polnischen Volkes ist der 1. September 1939 unauslöschlich eingeschrieben.

An diesem Tag entfesselte das nationalsozialistische Deutschland den Angriffskrieg gegen das friedliche Polen, die Zweite Polnische Republik und führte ihn mit brutaler Härte durch.

Es war der Beginn eines Weltenbrandes.

  • Polen war das erste Land, das sich dem deutschen Aggressor bewaffnet widersetzte.
  • Das polnische Volk kämpfte, um seine Heimat und seine Zukunft gegen die Aggression zu verteidigen.
  • Der barbarischen Kriegsführung der Deutschen musste die polnische Nation jedoch unterliegen.
  • Die Deutschen haben Polen verwüstet, seine Städte zerstört, die Bevölkerung ganzer Landstriche ermordet oder vertrieben.
  • Polen hatte Millionen Opfer zu beklagen, besonders in der Zivilbevölkerung.
  • Polen verlor seine staatliche Existenz.

Meine nüchternen Sätze beschreiben nicht annähernd den barbarischen Vernichtungskrieg der Deutschen, die nationale Katastrophe für Polen.

Der Tag des deutschen Überfalls ist für das nationale Gedenken in Polen seit Generationen von zentraler Bedeutung und wird mit großer öffentlicher Präsenz begangen.

Für das deutsche Volk ist der 1. September 1939, das sage ich aus tiefster persönlicher Überzeugung, ein Tag der Schuld und der Scham.

  • Deutschland brach – von langer Hand geplant - mit dem Überfall auf Polen Verträge und Völkerrecht.
  • Das nationalsozialistische Deutschland hatte ein unheilvolles Bündnis mit Stalin geschlossen, das zur Aufteilung Polens und zum Ende des polnischen Staates führte.

In Deutschland wird des Überfalls auf Polen, des leidvollen Schicksals der polnischen Bevölkerung eher im Stillen gedacht. Es gibt Gottesdienste und Lesungen, Diskussionen und Gedenkveranstaltungen.

Viel präsenter als der 1. September 1939 ist das Ende der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 - mit offiziellen Gedenktagen und alljährlicher großer öffentlicher Aufmerksamkeit und Erinnerung.

Sie haben, und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, den deutschen Überfall auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkrieges zum Thema der heutigen Veranstaltung gemacht.

Als Brandenburger Ministerpräsident und Polen-Koordinator der Bundesregierung unterstütze ich das sehr.

Es ist notwendig, dass wir uns erneut und mit Blick auf regionale und internationale Perspektiven mit dem 1. September 1939, mit seiner Vorgeschichte und mit seinen schrecklichen Folgen befassen.

  • Der wachsende zeitliche Abstand zu den damaligen Ereignissen,
  • die sinkende Zahl der Zeitzeugen,
  • neue wissenschaftliche Erkenntnisse und
  • beschämenderweise auch rechtsextremistische und nationalistische Tendenzen in Deutschland

stellen uns vor neue Aufgaben bei der Erinnerungsarbeit und Gedenkkultur.

Ich habe mich gefragt, ob wir in Deutschland im Hinblick auf den Überfall auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkrieges wirklich genug tun und ob wir auf dem richtigen Weg sind.

Ich bin überzeugt: Wir brauchen heute, achtzig Jahre danach und in einem seit dreißig Jahren geeinten Deutschland ein deutlich aktiveres, ein lernendes Erinnern, Mahnen, Gedenken an den Überfall auf Polen.

Wir brauchen auch eine verstärkte Auseinandersetzung mit deutsch-deutscher Erinnerungskultur in den vierzig Jahren des geteilten Deutschlands, gerade mit Blick auf den 1. September 1939.

  • Zahlreiche Treffen mit polnischen und deutschen Jugendlichen,
  • Gespräche mit Politikerinnen und Politikern diesseits und jenseits der Oder,
  • berührende Begegnungen mit hochbetagten Zeitzeugen in den Mahn- und Gedenkstätten

bestärken mich darin: Tun wir mehr, tun wir das Richtige, um auch in Deutschland den 1. September 1939 stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Als Polen-Koordinator sage ich:

Lasst es uns gemeinsam angehen, in guter Zusammenarbeit von Polen und Deutschen!

Hier sind meine Vorschläge!

Erstens möchte ich, dass der 1. September als Mahn- und Gedenktag stärker in der deutschen Gesellschaft verankert wird.

Eine Möglichkeit wäre, dass wir diesen Gedenktag künftig gemeinsam mit Polen begehen. Denkbar wäre auch eine abwechselnde Ausrichtung in beiden Ländern.

Zweitens brauchen wir einen zentralen Ort des Gedenkens und Lernens, wo die Verbrechen der Deutschen am polnischen Volk umfassend dargestellt sind.

Es geht mir um ein lernendes Gedenken.

Wie dieser Ort genau aussieht und welches Wissen wie vermittelt wird, ist Gegenstand einer aktuellen Debatte, die ich für extrem wichtig halte.

Und in der Sie, liebe Gäste, als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine wichtige Rolle spielen.

Für mich ist wichtig, dass dies ein Gedenk- und Lernort für Deutsche und Polen gleichermaßen wird.

Drittens rege ich an, mit Blick auf die verschiedenen Opfergruppen den Austausch über die nationalen Auswirkungen der NS-Erfahrungen und die entsprechend unterschiedlichen Erinnerungskulturen zu fördern.

Eine Möglichkeit wäre, einen Runden Tisch mit den politischen Vertretungen Polens und weiterer europäischer Staaten dazu ins Leben zu rufen.

Dazu wäre ich gern bereit.

Viertens: Frieden und Zusammenarbeit in Europa sichern wir dauerhaft nur mit der Jugend unserer Völker.

Der Jugendaustausch zwischen Deutschland und Polen leistet dazu einen unverzichtbaren Beitrag.

Deshalb setze ich mich für eine stetige Mittelerhöhung des Bundes für das Deutsch-Polnische Jugendwerk ein.

Mein langfristiges Vorbild ist hier das Deutsch-Französische Jugendwerk.

Wir erleben eine beispiellos lange Zeit des Friedens zwischen unseren Völkern und in Europa.

Deutschland und Polen arbeiten auf Augenhöhe, eng und partnerschaftlich zusammen.

Wir sind seit anderthalb Jahrzehnten gleichberechtigte Mitglieder der Europäischen Union und viel mehr als das: Wir sind uns gute Nachbarn und Partner!

Damit das so bleibt, müssen wir uns immer wieder auch gemeinsam unserer Geschichte zuwenden.

Der Blick zurück hilft, den Frieden als das zu sehen, was er ist – unser höchstes Gut.

Wie das geht, zeigt ganz hervorragend das Deutsch-polnische Geschichtsbuch, dessen dritter Band im November 2019 erscheinen wird.

Das ist ein großartiges Projekt, das den Blick auf die Geschichte Europa erweitert!

Es ist das Ergebnis engster Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Fachleuten.

Sie arbeiten bereits jetzt am 4. Band, der sich mit dem Zweiten Weltkrieg und somit dem düstersten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte widmet.

Ich bin zuversichtlich, dass auch dies gelingt und wir noch mehr von solchen Erfolgsgeschichten schreiben werden.

Eine weitere ist sicherlich die Zusammenarbeit deutscher und polnischer Historikerinnen und Historiker, dessen Ergebnisse wir heute diskutieren dürfen.

Und, das möchte ich betonen, von denen die Politik gerade in heutiger Zeit, in der um Geschichtsdeutungen gerungen wird, sehr profitiert.

In diesem Sinne viel Erfolg für die heutige Veranstaltung!

Herzlichen Dank!

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