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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock beim Wirtschaftstag der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen

06.09.2022 - Rede

Ich freue mich, dass wir hier gemeinsam endlich auch wieder einmal persönlich zusammenkommen können.

Es freut mich, obwohl es sich für mich ein bisschen verkehrt herum anfühlt. Seitdem ich Politikerin bin, habe ich dutzende Unternehmensbesuche gemacht.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, an wie vielen Fließbändern, Laboren und Turbinen ich schon gestanden habe. Heute ist es erstmals andersherum.

Sie alle, als Wirtschaftsvertreter und Wirtschaftsvertreter, kommen zu uns ins Auswärtige Amt. Ich freue mich sehr. Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

Wir können hier leider keine gelben Helme anbieten, oder blaue oder grüne. Aber wir machen heute und in dieser Woche auch so eine Art Werksbesichtigung, mit unseren Botschafterinnen und Botschaftern und mit unseren Premium-Produkten: Auslandexpertise, Außenwirtschaftspolitik und Außenklimapolitik.

In diesem Sinne lade ich Sie herzlich ein, diese Produkte intensiv heute und in den nächsten Tagen zu betrachten.

Noch vor einigen Jahren musste ich, wenn ich Unternehmen besucht habe, freundlich, manchmal etwas vehementer, darauf hinweisen, dass es auch ganz gut wäre, wenn die Fachleute aus der Nachhaltigkeitsabteilung mit dabei wären, weil auf die vielen Fragen zu CO2-Emissionen nicht immer von oberster Unternehmensführungsstelle sofort eine Antwort kam.

Heute ist es so, dass die CEOs selbst ihre Nachhaltigkeitspläne präsentieren. Ich glaube, das ist wirklich eine Errungenschaft, die zeigt, auf was für einem guten Weg wir gemeinsam sind.

Denn wir alle wissen: Die Wirtschaft der Zukunft ist klimaneutral.

Und wenn die Wirtschaft der Zukunft klimaneutral ist und wenn nicht mehr die Frage ist, ob, sondern wie wir das machen, dann liegt es jetzt in unseren Händen, diesen Weg in die Zukunft gemeinsam zu definieren.

Joseph Beuys hat mal gesagt: „Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden. Sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“

Und ich glaube, das ist genau unsere Aufgabe. Wir müssen jetzt bestimmen, wie unsere Zukunft aussehen soll. Ich habe gestern gesagt, wir müssen unsere Flügel ausbreiten und selbstbewusst unsere Flughöhe bestimmen und nicht darauf hoffen, dass der Rückenwind uns schon irgendwie treiben wird.

Denn ansonsten –das haben wir jetzt auf brutale Art und Weise erlebt – wird der Gegenwind heftig sein. Und der Gegenwind ist nicht nur von russischer Seite da, sondern auch mit der Klimakrise, weil wir viel zu lange unsere Flügel nicht selbstbewusst ausgebreitet haben, sondern gehofft haben: „So schlimm wird das mit der Klimakrise schon nicht.“

Die Klimakrise bedroht Millionen Menschenleben. Meine eindringlichste Reise in den letzten acht Monaten war die in den Sahel. Wenn man bei 48 Grad im Schatten steht und sich erklären lässt, dass dort in Mali vor 30 Jahren einmal Baumwollfeldern waren und man jetzt nur noch Staub und Trockenheit spürt – dann ist die Wucht dieser Klimakrise spürbar.

Es ist spürbar, dass es die größte Sicherheitsgefahr für diese Region ist – und perspektivisch, wenn wir das nicht in den Griff bekommen, auch für unsere Region.

Diese Wucht der Klimakrise ist in manchen Ländern die extreme Dürre, in anderen Ländern das Wasser. Wir erleben gerade in diesen Tagen auf dramatische Art und Weise, dass ein Drittel Pakistans unter Wasser steht.

Und zugleich, neben dieser Klimakrise, tobt seit sechs Monaten Krieg mitten bei uns in Europa.

Zu Recht machen sich die Menschen in unserem Land Sorgen um ihre Sicherheit, um die globale Sicherheit und darum, wie es weitergeht mit der Zukunft der Ukraine. Dass Lebensmittelpreise steigen ebenso wie Energiepreise.

Deswegen war es so ein wichtiges Zeichen, dass wir als deutsche Bundesregierung am Wochenende ein drittes Entlastungpaket beschlossen haben. Denn es hilft nicht nur denjenigen, die nicht wissen, wie sie ihre Strom- oder Gasrechnung bezahlen können, sondern es ist eine klare Ansage auch gegenüber dem russischen Regime: Wir lassen uns nicht spalten.

Wir lassen uns nicht spalten – nicht nur nicht in unserem Land: Wir lassen uns nicht spalten bei der Energiefrage in Europa.

Wir haben auch beim jüngsten Entlastungpaket den globalen Blick immer auf dem Schirm. Deswegen sind in diesen 65 Milliarden Euro zur Entlastung in Deutschland auch 1 Milliarde Euro verankert für den globalen Süden.

Wir sehen auch die Sorgen in der Wirtschaft. Die sind groß. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer haben alles dafür getan, durch die Corona-Zeit zu kommen.

Und jetzt sind die Energiepreise erneut so hoch, dass sie nicht wissen, ob sie lieber schließen sollten, als weiterhin ihre Unternehmen offen zu halten.

Deswegen unterstützen wir mit dem Entlastungspaket auch die Unternehmen und die Stadtwerke, weil auch sie Sorgen haben und nicht wissen, wie es weitergehen kann.

Das Ganze baut auf Solidarität. Ich bin sehr dankbar an diejenigen unter Ihnen, die deutlich gemacht haben: Wenn wir jetzt gemeinsam entlasten, wenn wir jetzt gemeinsam solidarisch zusammenstehen, als Gesellschaft, als Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch als Unternehmen, dann ist es richtig, dass auch Zufallsgewinne abgeschöpft werden können.

Dass es da klare und deutliche Worte auch im Vorfeld dieses Entlastungspakets aus der deutschen Wirtschaft gegeben hat: Dafür mein herzlicher Dank.

Denn klar ist: Wir werden diesen brutalen russischen Angriffskrieg genauso wie die Klimakrise nur gemeinsam als Gesellschaft und im Zusammenspiel zwischen Politik und Wirtschaft angehen können.

In welcher Welt unsere Kinder aufwachsen, wird davon abhängen, welche Antworten wir auf diese Krisen finden, wie wir unsere Zukunft gemeinsam definieren.

Liebe Frau Maurer, Sie haben es vor kurzem ganz deutlich gesagt: Wenn wir unsere Zukunft definieren wollen, dann müssen wir in manchen Bereichen umsteuern.

Für mich ist klar: Dafür brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung der gesamten Gesellschaft, mit einer innovativen, widerstandsfähigen deutschen Wirtschaft.

Das heißt, dass wir nicht nur Sektor für Sektor denken, sondern dass wir Industrie und Wirtschaft gemeinsam denken, so wie wir uns auch als Bundesregierung vorgenommen haben, aus diesem Ressort-Denken herauszukommen und zum Beispiel Klimapolitik über alle Ressorts zu legen.

Deswegen ist die Klimaaußenpolitik auch im Außenministerium verankert, weil es natürlich Hauptaufgabe einer deutschen Außenpolitik ist, der größten Sicherheitsgefahr unserer Zeit auch aus dem Außenministerium heraus zu begegnen.

Genau dieser integrierte Sicherheitsansatz steht deshalb im Fokus unserer Nationalen Sicherheitsstrategie, die wir gerade schreiben.

Es freut mich sehr, dass viele von Ihnen sich an den ersten Diskussionsrunden dazu intensiv beteiligt haben. Denn in dieser Sicherheitsstrategie wird klar verankert sein, dass der russische Angriffskrieg nicht nur unsere Sicherheit, sondern auch das deutsche Wirtschaftsmodell in eine neue Zeit katapultiert.

Als Exportland setzen wir weiter auf Offenheit und Vernetzung. Aber wir setzen uns auch damit auseinander, wovor viele hierzulande zu lange die Augen verschlossen haben: Interdependenz birgt auch Risiken. Und auf Handel folgt nicht automatisch demokratischer Wandel.

Für mich ist daher klar, dass die 2020er Jahre ein entscheidendes Jahrzehnt für das deutsche und europäische Wirtschaftsmodell sein werden.

Wir müssen und wir wollen hier im Auswärtigen Amt gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium, gemeinsam mit dem Kanzleramt, gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung unsere Flughöhe definieren.

Ich möchte zwei Bereiche ansprechen, in denen der Wandel besonders fundamental ist. Erstens beim Klimaschutz. Mit Investitionen im Klimaschutz erschließen wir auch die Innovation in der Zukunft. Wer das jetzt verpasst, der verliert den Anschluss. Und das Gute ist: Die Erkenntnis ist bereits da.

Die Frage ist also nicht, ob Deutschland in den Märkten der Zukunft präsent sein sollte, sondern: Wie schaffen wir das und wie schnell schaffen wir das?

Die Frage der Zeit ist der Schlüsselfaktor. Nicht nur mit Blick auf das 1,5-Grad-Limit, sondern auch, mit Blick darauf, wo die Märkte der Zukunft zu Hause sein werden.

Wie tiefgreifend dieser Wandel ist, zeigt das Beispiel Stahl, weil es so etwas ist wie das Lebenselixier der deutschen Industrie.

Weil es aber auch diese lange Tradition gibt und es am Anfang Widerstand gab, mit Blick auf CO2-Grenzwerte, CO2-Emissionen einzugreifen. Und dann hat gerade diese Branche sich auf den Weg gemacht, als es auf dem weltweiten Stahlmarkt Überkapazitäten gab, zu erkennen: Wenn wir jetzt den Wandel nicht mutig angehen, wenn wir die Frage Klimaschutz nicht als Chance begreifen, dann haben wir international keine Chance.

Über Jahrzehnte war Stahl einer der Motoren des deutschen Wirtschaftswunders. Aber die Stahlproduktion hatte und hat nach wie vor auch einen ökologischen Preis mit seinen rauchenden Schloten und seinem schier unendlichen Energiehunger.

Und jetzt sind es deutsche Unternehmen und Standorte, die hier in Deutschland von globalen Unternehmen betrieben werden, die federführend daran arbeiten, wie wir in Zukunft Stahl klimaneutral recyceln können oder wie eine CO2-neutrale Stahlproduktion mithilfe von grünem Wasserstoff aussehen kann.

Thyssenkrupp will bis 2045 klimaneutralen Stahl produzieren und die Salzgitter AG arbeitet an einer nahezu CO2-freien Stahlproduktion.

Wir haben oft, als ich an den unterschiedlichen Standorten war, darüber diskutiert, wie schnell das gehen wird. Das ist auch eines der wichtigsten Dinge, die wir in dieser tiefen Krise begreifen müssen – zum Beispiel bei der Frage „Wie schnell werden die Windräder gebaut?“. Das, was gerade passiert, dass wir uns auf brutale Art und Weise schnell aus fossiler russischer Energie befreien müssen, führt auch dazu, dass Debatten, die uns in den letzten Jahren Lebenszeit gekostet hat, zum Glück so nicht mehr geführt werden.

Klar ist: Wenn wir klimaneutral werden wollen, dann müssen wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien massiv schneller werden.

Das Beschleunigungsgesetz, das es gegeben hat, auch zum Ausbau der Windkraft, das ist nicht nur eine Antwort auf den brutalen Krieg in der Ukraine, sondern es ist endlich auch die Antwort, die wir für die Transformation der deutschen Wirtschaft brauchen, diese Innovation.

Deswegen ist Stahl ein gutes Beispiel. Erstens verknüpft man weltweit Stahl mit Deutschland. Aber zum anderen: Wenn es die Stahlbranche schafft, dann schaffen es auch andere Branchen in unserem Land.

Das ist wichtig, weil natürlich Millionen von Arbeitsplätzen an diesen energieintensiven Branchen in Deutschland und in ganz Europa hängen. Damit ist die Frage der grünen Transformation eine zutiefst soziale Frage.

Es bedeutet, diese gemeinsame Kraftanstrengung, die wir mit dem Entlastungspaket geschaffen haben, auch in diesem Bereich gemeinsam anzugehen.

Wir werden diese Transformation als Gesellschaft nur gemeinsam schaffen. Und daher ist für uns als Politik wichtig, Ihnen Leitplanken zu bieten und Sie auf dem Weg zu unterstützen, indem wir Entwicklung und Innovation fördern – und zwar verlässlich und vorausschauend.

Und indem wir ungenutzte Potenziale frühzeitig erkennen. Nicht nur in Deutschland, denn so viel Fläche haben wir hier leider nicht.

Sondern vor allen Dingen in unserer direkten Nachbarschaft aktiv an einer Außenwirtschaftspolitik arbeiten, die diese Potenziale der grünen Transformation gerade in Europa erkennt.

Im Kosovo habe ich daher im März den größten Windpark des Landes eingeweiht. Er liefert Strom für 100.000 Haushalte – sauber und grün – und ist zugleich auch eine der größten Auslandsinvestitionen in der Geschichte des Kosovo – mit einer starken Beteiligung deutscher Unterhemen.

Mit Namibia haben wir gerade ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, in dem wir den Aufbau von grünem Wasserstoff voranbringen.

Und Jennifer Morgan hat zu unseren Energiepartnerschaften eben schon einiges gesagt. Weil für uns klar ist, dass wir nicht die Zeit haben, jetzt zu sagen: Wir versuchen es mal in jedem der über 190 Länder und gucken mal, was am Ende ganz gut funktioniert.

Das hätten wir vor 20 Jahren vielleicht so machen können. Jetzt müssen wir strategisch genau dort hineingehen, wo die größten Potenziale sind.

Sei es für den Ausbau der erneuerbaren Energien oder wo wir am schnellsten die Emissionen senken können, weil Länder noch so stark in der fossilen Welt hängen.

Diese strategische Ausrichtung ist prägend für unsere Außen- und Sicherheitspolitik, gerade im G7 Kontext.

Mit der EU machen wir in Afrika über die nächsten fünf Jahre Investitionen in einer Höhe von 150 Milliarden Euro möglich. Und kluge Politik bedeutet jetzt, das zusammenzudenken: Die Klimakrise und unsere geostrategische Herausforderung. Dort zu investieren, wo wir für die Klimaziele am meisten erreichen können. Aber auch dort zu investieren, wo klar ist, dass wir geostrategische Antworten geben.

Das werden wir nur schaffen, wenn wir als Europäer gemeinsam agieren. Wenn Deutschland in das eine Land geht und Frankreich in das andere und einer von uns beiden dann auch noch eine chinesische Kooperation mit dabeihat, dann ist das keine geostrategische Ausrichtung.

Daher möchte ich an dieser Stelle auch eindringlich an Sie appellieren: Wir haben hier eine gemeinsame Verantwortung, nicht nur auf kurzfristige Investitionen zu blicken, sondern unsere Flughöhe so zu definieren, dass wir nicht in 20 Jahren das gleiche Problem haben, vor dem wir heute stehen – dass wir dann sagen: Hätten wir uns mal strategisch besser aufgestellt.

Deswegen versuchen wir im G7-Kontext als Wertepartner unsere Investitionen als Europäerinnen und Europäer gemeinsam abzustimmen, mit denen in Amerika und Großbritannien, aber auch mit unseren japanischen Freunden.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch: Nichtsdestotrotz sind wir alle Wettbewerber. Das heißt, es ist nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen.

Aber bei den entscheidenden Punkten gemeinsam zu überlegen: Wie können wir diese Situation geostrategisch so nutzen, dass wir uns als Wertepartner unterstützen? Das ist das Credo unserer Außenwirtschaftspolitik.

Das Potenzial ist riesig. Deswegen braucht man sich auch gar nicht vor Konkurrenz so viel Sorgen zu machen.

Insgesamt schätzen Experten, dass sich die Stromerzeugung auf dem afrikanischen Kontinent bis 2030 verdoppeln wird. Diesen Ausbau klimafreundlich zu gestalten, ist eine Chance für uns alle.

Unser Netz an Auslandsvertretung wird diesen Wandel weltweit begleiten.

Im Rahmen unserer Außenpolitik machen wir unsere Auslandsvertretungen daher zu Klimabotschaften, zu deren zentralen Aufgaben die Verbindung von Klima- und Wirtschaftsdiplomatie gehören wird.

Sie beobachten zum einen die Klimapolitik in den jeweiligen Ländern, werben gerade im Vorfeld der Weltklimakonferenz für unsere Position, setzen mit unseren Partnerregierungen Projekte vor Ort entsprechend um und sind auch für Sie als deutsche Wirtschaftsvertreter zentraler Ansprechpartner.

Und weil das jetzt gerade so gut passt: Natürlich sind wir als Auswärtiges Amt, als Botschafterinnen und Botschafter auch mit dabei. Wir werden mit unserem eigenen Haus unseren Beitrag leisten und wollen bis 2025 klimaneutral werden.

Die grüne Transformation zu begleiten, wird eine Kernaufgabe der nächsten Jahre in der deutschen Außenpolitik sein. Deswegen arbeiten wir gerade auch an einer Klimastrategie für Exportgarantien, um mit Euler Hermes mehr klimafreundliche Projekte zu fördern.

Gleichzeitig ist klar, dass unsere Anstrengungen in Deutschland allein nicht ausreichen werden, um den Klimawandel zu stoppen.

Wir werden verhindern, dass unsere Erfolge durch Anbieter aus anderen Ländern unterlaufen werden, die weniger für den Klimaschutz unternehmen. Und daher bereiten wir in der EU dafür die passenden Instrumente vor, als klare Leitplanken für Investitionen, die aus Europa jetzt in Klimaneutralität getätigt werden.

Weil wir Ordnungsrecht nicht als Bestrafung oder Schlechterstellung deutscher Industrie sehen. Sondern weil Ordnungsrecht, wenn es geschickt genutzt ist, dazu beiträgt, dass alle die gleichen Spielregeln haben, im Sinne einer starken sozialen Marktwirtschaft und im Interesse der deutschen Industrie und des europäischen Binnenmarktes.

Denn wir haben doch in den letzten Jahren viel zu oft gesehen, was es bedeutet, wenn andere sich nicht an Regeln halten, wenn Regeln gebrochen werden.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Wir stärken in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands wirtschaftliche Resilienz. Denn Verlässlichkeit ist die beste Garantie gegen Ausfallrisiken, gegen unliebsame Überraschungen.

Wir sind nach wie vor abhängig von Partnern, die diese Verlässlichkeit nicht anbieten. Corona hat uns schmerzlich gelehrt, wie empfindlich unsere globalen Lieferketten und unser Außenhandel sind.

Der brutale russische Angriffskrieg zeigt es in anderem Bereich. 600 internationale Unternehmen haben sich vom russischen Markt in den letzten sechs Monaten verabschiedet. Für Siemens war nach 170 Jahren Schluss. Solche schmerzhaften Entscheidungen haben viele von Ihnen getroffen. Ich möchte daher an dieser Stelle einmal deutlich sagen: Es war wichtig, dass Sie als deutsche Wirtschaftsunternehmen da Hand in Hand mit uns zusammen entschieden haben und diesen Weg gegangen sind.

Wenn wir über diese Sanktionspakete erst mal eine intensive Debatte bei uns bekommen hätten, ob man nicht doch etwas länger hätte bleiben können – es hätte nicht diese kraftvolle Antwort gegeben.

So wichtig und bemerkenswert ich diesen Schritt fand, möchte ich an dieser Stelle auch sagen, weil ich mit einigen von Ihnen in den letzten Jahren viel über die Frage Russland diskutiert habe: Bitte lassen Sie uns nicht nur im Angesicht dieses brutalen Angriffskrieges zusammenstehen und die Zeichen der Zeit erkennen, sondern lassen Sie uns auch die Lehren aus den letzten Jahren ziehen.

Ich will jetzt nicht mit Nordstream 2 anfangen und wer wie wann Recht hatte. Das ist alles vergossene Milch.

Aber ich möchte einmal noch über die Speicher reden. In einem riesigen Kraftakt hat der Bundeswirtschaftsminister alles dafür getan, dass wir die Speicher füllen konnten, einigermaßen, und jetzt bei rund 80 Prozent liegen.

Aber als deutsche Bundesregierung haben wir uns eine Menge Prügel abgeholt. Einige haben gefordert: Warum macht Ihr kein komplettes Gasembargo oder ein Ölembargo? Der deutsche Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister und ich als deutsche Außenministerin haben immer gesagt: Wir wollen die Fehler, die der Vergangenheit von deutscher Politik begangen worden sind, nicht nochmal wiederholen und Dinge versprechen, die wir dann nicht halten können.

Und deswegen haben wir gesagt: Wir können nicht von einem Tag auf den anderen aus fossiler Energie aus Russland aussteigen.

Das hat uns auch gerade europäisch einige Kritik eingebracht. Aber es war richtig, weil wir einen Weg gegangen sind, indem wir Schritt für Schritt rausgehen und auf der anderen Seite sicherstellen, dass die Energieversorgung im Winter trägt.

Aber das kostet wahnsinnig viel Geld.

Das ist deutsches Steuergeld, das wir jetzt gemeinsam aufbringen. Und daher möchte ich mit Blick auf diese Speicher sagen: Man hätte es kommen sehen können, dass die Speicherkapazitäten auf ein Prozent runtergefahren wurden. Das war eigentlich absehbar, wenn man genau hingeschaut hätte.

Es war auch nicht gottgegeben, dass es einen Speichertausch gegeben hat. Ich war zufälligerweise kurz vorher auf einer Delegationsreise des Bundestags in Russland auf der Jamal-Halbinsel. Da wurde ganz offen darüber geredet, auch von deutschen Wirtschaftsvertretern vor Ort, wie das mit Nordstream 2 alles sein soll und was das eigentlich mit Blick auf die Speicher bedeutet.

2013 hat sich angebahnt, dass es vielleicht einen Tausch geben sollte zwischen Gazprom und Wintershall, der Tochter von BASF. Das wurde dann 2014 ausgesetzt wegen der Krim Annexion. Und 2015 hat man dann gesagt, im Lichte auch der Minsker Verhandlungen: Jetzt sind ja die Wogen – in Anführungszeichen – „wieder geglättet“.

Niemand kann die Zukunft vorhersehen. Aber wir können aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

Dieses Prinzip Hoffnung, „wird schon irgendwie gut gehen“, das ist teuer, und andere Menschen bezahlen das gerade mit ihrem Leben.

Und daher ist es wichtig, mit Blick auf alles, was in der Zukunft kommt, dass wir uns klarmachen: In Wirklichkeit haben wir nie billiges Gas aus Russland bekommen. Der Preis mag zu gewissen Momenten günstig gewesen sein. Aber das, was zu einem günstigen Preis geführt hat, waren blinde Abhängigkeiten oder Tausch von Infrastruktur, was eigentlich ein Sicherheitsrisiko war.

Wir haben jeden Kubikmeter russisches Gas doppelt und dreifach mit unserer nationalen Sicherheit gezahlt.

Der Kreml glaubt, er sitzt jetzt am längeren Hebel. Das sehen wir an den immer offeneren Erpressungsversuchen. Vor kurzem waren es noch fadenscheinige technische Gründe. Jetzt spielen sie im Kreml schon auf unsere Sanktionen insgesamt an, die weiteren Gaslieferungen angeblich im Wege stehen sollen. Wir müssen es ganz klar aussprechen: Wir werden uns auf diese Erpressung nicht einlassen.

Darum gibt es kein Zurück mehr, auch nicht im Energiebereich. Es ist Russland, das unsere Energiesicherheit derzeit bedroht. Diese Bedrohung wenden wir nur ab, indem wir uns ein für alle Mal von dieser fossilen Abhängigkeit befreien. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.

Und das Gute in dieser Zeit ist: Gemeinsam mit Ihnen allen zusammen suchen wir nach alternativen Energiequellen. Wir schaffen neue Energie- und Klimapartnerschaften. Aber das Entscheidende ist: Diese Energiepartnerschaften müssen jetzt verlässlich sein. Deswegen schauen wir uns ganz genau an, mit welchen Ländern, mit welchen Regionen wir diese Partnerschaften schließen, damit wir volkswirtschaftlich nicht noch mal einen so hohen Preis zahlen müssen.

Zum einen mit Blick auf unsere Klimaziele, wenn wir Energiepartnerschaften angehen: Gerade beim Flüssiggasbereich ist klar: das wird umgestellt werden in der Zukunft auf grünen Wasserstoff.

Das ist der einzige Weg, den wir mit unseren neuen Energiepartnerschaften gehen. Und die zweite Säule ist: Wir müssen verlässliche Partner haben. Das Prinzip Hoffnung „mit diesen autokratischen Regimen wird es schon nicht so schlimm werden“ – das können wir uns nicht ein zweites Mal leisten.

Und daher ist Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie als ausgelagerte eigenständige Strategie erstmalig auch eine China-Strategie. Der deutschen Bundesregierung und mir ist wichtig, dass wir dort im gemeinsamen Gespräch auch das, was wir aus unserer Russlandabhängigkeit gelernt haben, in der China-Strategie verankern.

Große Industrievertreter haben in den letzten Jahren dazu schon unterschiedliche Aufschläge gemacht. Das fließt in unseren Prozess mit ein. Sie sind mit dem Wirtschaftsministerium im engen Austausch. Aber wichtig ist, dass wir auch hier die Augen nicht davor verschließen, was derzeit passiert und dass Dinge, die vor zehn Jahren mal waren, heute anders sind.

China blockiert aus politischen Gründen noch immer fast alle Importe aus Australien. Gegen Litauen hat Peking im letzten Winter ein Handelsembargo erlassen. Das sollten wir nicht einfach so wegwischen.

Das gilt für uns, mit Blick auf unsere China-Strategie und ich hoffe, das gilt auch mit Blick auf Ihre weiteren Wirtschaftstätigkeiten. Wir können uns, und ich glaube, auch Sie können sich nicht das Prinzip nochmal leisten, nur nach dem „Business First“- Credo zu handeln, ohne dabei die langfristigen Risiken und Abhängigkeiten einzurechnen.

Daher ist für uns, für das Auswärtige Amt, für die deutsche Bundesregierung klar: Je breiter sich die deutsche Wirtschaft aufstellt, desto stabiler ist sie. Es gibt gerade im pazifischen Raum viele Länder, mit denen sich eine Zusammenarbeit lohnt.

Nicht ohne Grund verlegt Apple gerade einen Teil seiner Produktion nach Vietnam.

Das bedeutet auch für uns als Auswärtiges Amt, gerade dort unsere Kontakte, unsere Beziehungen zu intensivieren.

Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, neue Märkte dort einfacher zu erschließen, werden wir unsere Handelsabkommen voranbringen, mit denen wir auch weltweite Standards für Nachhaltigkeit gerade in dieser Region setzen können.

Um unsere Lieferketten sicherer und verlässlicher zumachen, stärken wir Europas politische, ökonomische und vor allen Dingen auch digitale Souveränität, zum Beispiel mit dem EU-Chip-Gesetz.

Wir investieren massiv in die Halbleiterproduktion und werden auch dort mit anderen globalen Partnern zusammenarbeiten. Sie wissen das besser als ich, mit Blick auf dieses Schlüsselsegment, was eigentlich los ist in unseren deutschen Fabriken, wenn die Halbleiterproduktion ins Stocken gerät. Wir können uns das alle nicht noch einmal in Zukunft leisten.

Deswegen werden wir daran arbeiten, jetzt in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie und in der China-Strategie, uns wirklich Sektor für Sektor anzuschauen.

Wir haben dazu auch mit Ihnen schon viele Gespräche geführt.

Aber geht nicht nur um Chips. Das gilt in gleichem Maße auch für kritische Rohstoffe. Allein für E-Autobatterien wird Europa 2030 rund 18 Mal mehr Lithium brauchen als bisher.

Das meiste Lithium, - 78% sind es – das die EU bezieht, kommt aus Chile. Aber bevor das Lithium zu uns in die EU kommt, wird es in China verbaut. Das ist nicht nur für die CO2-Bilanz nicht besonders prickelnd, sondern es macht auch deutlich, dass selbst wenn das ursprüngliche Produkt in einem anderen Land produziert wird, die Lieferkette nicht automatisch sicher ist.

Ich habe gestern mit einem unserer Botschafter aus Südamerika genau über diese Frage gesprochen.

Er hat mir Zahlen mitgegeben, die nicht nur beruhigen: Es gibt acht Unternehmen, die in der Region Lithium abbauen. Es gibt auch eine Kooperation zwischen Frankreich und China. Aber unter diesen acht Unternehmen ist kein einziges deutsches.

Insgesamt werden wir nicht nur schauen müssen, wo unsere Rohstoffe eigentlich herkommen. Sondern auch, welche Unternehmen in den entsprechenden Ländern eigentlich tätig sind und welche Kooperationen es gibt. Und wir werden auch Diskussionen mit unseren europäischen Partnern darüber führen.

Ich hoffe sehr, dass Sie sich weiter in diesen Prozess intensiv einbringen, denn das ist wichtige Arbeit – sich jeden einzelnen Rohstoff einzeln anzuschauen und zu erkennen, wie die Abhängigkeiten in diesem Bereich sind.

Zum Glück ist die europäische Ebene hier einen Schritt weiter, als wir das vielleicht in der deutschen Politik in den letzten Jahren gewesen sind. Die Europäische Kommission analysiert regelmäßig die Abhängigkeiten und mögliche Versorgungsrisiken für die EU.

Ich habe mir diese europäische Analyse genau angeschaut. Ich kann jedem nur empfehlen, dort auch einen Blick hinein zu werfen. Die Liste der Rohstoffe ist zwar sehr lang, aber sie ist auch sehr interessant.

Dies jetzt gemeinsam zu analysieren mit unseren europäischen Partnern, das ist unsere zentrale Aufgabe als deutsche Politik, als europäische Politik und als europäische Wirtschaft.

Denn bei fast allen Metallen, insbesondere auch bei denen, die für die Energiewende wichtig sind und immer wichtiger werden, ist die EU zwischen 75 und 100 Prozent abhängig von Importen.

Die EU bezieht 85 Prozent des Bedarfs an Niob aus Brasilien, 68 Prozent ihres Kobalts aus dem Kongo und 98 Prozent ihrer Borate aus der Türkei.

Auch da sehen wir: 98 Prozent aus einem Land – eine sehr starke Abhängigkeit.

Dazu kommt: In anderen Bereichen, gerade bei den seltenen Erden, die zum Beispiel für die Magnete für Elektromotoren und Generatoren unverzichtbar sind, kommen 98 Prozent der EU-Importe aus China.

Viele Zahlen kurzer Sinn: Rohstoffpartnerschaften werden zentral und wichtig sein. Deswegen haben wir mit Australien gerade in diesem Bereich jetzt mit Hochdruck, genau eine solche Rohstoffpartnerschaft auf den Weg gebracht.

Denn auch dort werden seltene Erden abgebaut. Die gibt es nicht nur in China.

Neben den Rohstoffen gilt das gleiche bei den Vorprodukten.

Auch hier ist die Abhängigkeit bei einzelnen Ländern bedenklich. Chinas Anteil an der weltweiten Produktion von Schlüsselelemente für Solarpanels, Polysilizium und Wafer, wird nach Angaben der Internationalen Energieagentur bald 95 Prozent betragen. Auch das werden wir bei unserer Sicherheitsstrategie mitdenken müssen. Nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die Vorprodukte. Denn zur ökonomischen Souveränität der EU gehört, dass wir unsere Märkte sicher machen. Dass wir nicht allein von einem Akteur abhängig sind und dass wir unsere Märkte vor unfairem Wettbewerb schützen.

Deshalb werden wir in der EU verbieten, dass Produkte aus Zwangsarbeit importiert werden können. Denn Werte und Interessen sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Der beste Investitionsschutz für Unternehmen sind verlässliche Regeln. Weil nachhaltiger Wohlstand und Sicherheit mittel- und langfristig nur dort gelingen, wo die Rechte von Menschen gewahrt sind.

All diese Maßnahmen können Ihre Entscheidungen, meine Damen und Herren, nur flankieren. Das ist mir mehr als klar.

Politik setzt hier Leitplanken. Aber ich glaube auch, dass diese Leitplanken Möglichkeiten bieten, ihre Unternehmen bestmöglich gegen Ausfallrisiko zu schützen.

„Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden.“ So hat es Joseph Beuys gesagt.

Und ich zähle nicht nur auf Sie.

Sondern ich bin durch die vielen Gespräche nicht nur in den letzten acht, neun Monaten, sondern auch in all den Vorjahren zutiefst davon überzeugt: auf Ihre Kreativität, auf Ihren Geist als Unternehmerinnen und Unternehmer, auch auf Ihren Mut, Neues zu wagen, können wir gemeinsam bauen.

Damit wir unsere Gesellschaft fit machen gegen die Härten, die dieses Jahrzehnt bestimmen werden - von der Klimakrise bis zur Auseinandersetzung mit autoritären Regimen.

Ich bin überzeugt, das wird uns gelingen, wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen. Denn wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind. Wir können die besten und klügsten Köpfe aus 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union zusammenbringen und gemeinsam die besten Lösungen entwickeln.

Europa ist ein Riese, wenn wir zusammenstehen.

Lassen Sie uns gemeinsam als Europäerinnen und Europäer unsere Flügel ausbreiten. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam die Zukunft erfinden. Damit es nicht andere für uns tun. Herzlichen Dank!

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