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Rede von Außenminister Wadephul zum 40-jährigen Jubiläum des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin (JDZB), „Deutschland und Japan – Premiumpartner für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand“
Als ich im August meine erste Reise außerhalb Europas nach Japan unternahm, da gab es in Osaka eine Begegnung, eine Wiederbegegnung, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Auf der Expo 2025 habe ich einen langjährigen japanischen Freund wiedergetroffen, Kōno Yōsuke. Ich kenne ihn, weil er mir und meiner Familie bei einer privaten Japan-Reise vor einigen Jahren ganz untermittelt den Weg gezeigt hat. Wir standen auf der Straße und wussten nicht weiter. Da hat sich Yōsuke uns genähert und gefragt, ob er uns helfen könne. Und dann ist er mit uns durch Osaka gegangen. Wir haben E-Mail-Adressen ausgetauscht und sind seitdem in Kontakt geblieben. Irgendwann später hat er einen großen „Schreck“ bekommen, als er festgestellt hat, dass ich Politiker bin. Und noch etwas später hat er einen noch größeren „Schreck“ bekommen, als er festgestellt hat, dass ich deutscher Außenminister geworden bin.
Damals bei unserer ersten Begegnung erzählte er mir, dass es sein größter Wunsch sei, Feuerwehrmann zu werden. Ich sagte ihm, dass das ein guter Wunsch sei, den er weiterverfolgen solle. Heute ist er Berufsfeuerwehrmann und war in dieser Funktion bei der Expo gefordert. Bei unserem Wiedersehen haben wir festgestellt, dass unsere Berufsbilder gar nicht so verschieden sind. Werden wir doch meistens dann gerufen, wenn es brennt und es schnell gehen muss.
Mich persönlich und meine Familie verbindet sehr viel mit Japan – mehr noch, als es unsere 160 Jahre alten diplomatischen Beziehungen vermuten lassen. Deswegen war es für mich ein Herzensanliegen, auf meiner ersten Asienreise nach Japan zu kommen und Ihre freundliche Einladung ins Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin anzunehmen.
Meine Damen und Herren, unsere Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Jahrzehntealte Gewissheiten gelten nicht mehr, der sogenannte Multilateralismus ist unter Druck.
Ebenso wie unsere Demokratien: China und Russland versuchen, die auf dem Völkerrecht basierende internationale Ordnung umzuschreiben. Russland testet unsere Entschlossenheit in der NATO und bedroht uns direkt. Es verletzt unseren Luftraum, späht unsere kritische Infrastruktur aus. Versucht, unsere demokratischen Diskurse mit Fake News und Stimmungsmache zu vergiften. China verbreitet in der Welt ein Narrativ, nach dem es den Multilateralismus und die multilaterale Institutionenwelt verteidigt. Tatsächlich toleriert es Nordkoreas Sanktionsumgehungen. Tatsächlich ignoriert China das Seevölkerrecht im südchinesischen Meer. Und: China unterstützt die russische Aggression gegen die Ukraine – auch um eigene hegemoniale Bestrebungen zu rechtfertigen.
Und zeitgleich erleben wir in Japan wie in Deutschland, dass populistische Bewegungen alles daransetzen, unsere demokratischen Werte auch von innen anzugreifen. Indem sie mit vermeintlich einfachen Lösungen werben und unsere Gesellschaften spalten.
Fakt ist: Freiheit, Sicherheit und Wohlstand – die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaften in Japan und in Deutschland – sind keine Selbstverständlichkeiten mehr. Das ist eine erschreckende Realität, aber es ist eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Eine Realität, in der wir als Demokratien zusammenstehen können und müssen. In Deutschland und in Europa, genauso wie in Japan und im Indopazifik. Denn als Deutschland und Japan, als Partner, als Gleichgesinnte und als Freunde, verbinden uns zentrale Werte und Ziele: Das Bekenntnis zur Demokratie und zur Wahrung des Völkerrechts. Zu freiem und regelbasiertem Handel. Zu Frieden, Stabilität und territorialer Unversehrtheit.
Auf meiner Japanreise haben wir gemeinsam in den zahlreichen Gesprächen beschlossen, unsere freundschaftliche Zusammenarbeit in diesem geopolitischen Umfeld weiter zu intensivieren. Drei Punkte standen dabei im Fokus:
Erstens: Als wirtschaftlich starke Demokratien, als Wertepartner, wollen und müssen wir die internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts stärken. Indem wir uns durch unsere enge Zusammenarbeit als G7-Partner, aber auch im Rahmen der Vereinten Nationen für die Stärkung – und in diesen Zeiten muss man auch sagen: den Erhalt – des Multilateralismus einsetzen. Dabei wissen wir – und das ist eine gute Nachricht – viele weitere gleichgesinnte Staaten in Europa wie im Indopazifik auf unserer Seite.
Zweitens: Angesichts einer ähnlichen historischen Erfahrung überrascht es nicht, dass Japan und Deutschland die Rolle des Militärischen traditionell zurückhaltend werteten. Aber wenn wir heute auf die Lage schauen, im Indopazifik und in Europa, und die Bedrohungen für unsere Sicherheit wahrnehmen, dann sind wir uns einig: Wir müssen mehr Verantwortung für unsere Sicherheit übernehmen. Weil deutsche und japanische Sicherheitsinteressen eng miteinander verknüpft sind – auch wenn zwischen Berlin und Tokyo 9.000 Kilometer Flugstrecke liegen. Unsere Länder befinden sich beide an der westlichen bzw. östlichen Flanke eines sich zusehends formenden Blocks aus China und Russland.
Der enorme Aufwuchs der Chinesischen Präsenz in den Gewässern um Japan, sowie das robuste militärische Auftreten in der Straße von Taiwan, stellen nicht nur eine Gefahr für die Sicherheit im Indopazifik dar, sondern untergraben auch die gesamte internationale regelbasierte Ordnung. Und umgekehrt betrifft Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht nur die europäische Friedensordnung, sondern auch die indopazifische Sicherheitsarchitektur. Schließlich sind es auch nordkoreanische Truppen und Waffen, sowie die entscheidende Unterstützung Chinas, die die russische Kriegsmaschinerie und den Angriffskrieg gegen die Ukraine – gegen ganz Europa – am Laufen halten. Russische Gegenleistungen inklusive.
Diese enge Verknüpfung unserer indopazifischen und europäischen Sicherheit sind auch der Grund, weshalb sich Japan mit bereits 12 Milliarden Euro an der Unterstützung der Ukraine beteiligt hat. Und weshalb wir uns mit der deutschen Marine und Luftwaffe im Indopazifik engagieren. Um ein Zeichen für die Freiheit der Seewege und das Völkerrecht zusetzen. Auf diesem Weg, das haben wir auch im August besprochen, werden wir gemeinsam weitergehen. Der Besuch von japanischen F15-Jets in Rostock im September war seither eine weitere Wegmarke.
Der dritte Punkt in unseren Gesprächen war dieser: Wir teilen die Überzeugung, dass freier Handel – wenn er fair abläuft – mehr Wohlstand für alle schafft. Dass Wachstum durch Zusammenarbeit erreicht werden kann. Deutschland und Japan sind Export- und Industrienationen. Als solche sind wir auf stabile und sichere Handelsbeziehungen und eine regelbasierte Wirtschaftsordnung angewiesen – zwei Grundfesten unseres Wohlstandes, die global bedroht werden. Mehr und mehr Staaten instrumentalisieren wirtschaftliche Abhängigkeiten für ihre geopolitischen Ziele. Militärische Konflikte gefährden wichtige Handelsrouten. Und deswegen wollen – und müssen – wir gemeinsam noch mehr erreichen. Gemeinsam wollen wir die Diversifizierung unserer Wirtschaften unterstützen, kritische Abhängigkeiten reduzieren und geoökonomischen Risiken begegnen.
Denn auch wirtschaftlich ist die deutsch-japanische Partnerschaft von großer Bedeutung. Japan ist Deutschlands zweitgrößter Handelspartner im Raum Asien-Pazifik und eine Inspiration für Innovationen hierzulande. Besonders beeindruckt hat mich erneut die Fahrt mit dem Shinkansen von Tokyo nach Osaka. Bei bis zu 120 täglichen Verbindungen und 300 km/h Fahrtgeschwindigkeit können wir noch einiges von Japan lernen. Das gilt auch insbesondere beim Thema Wirtschaftssicherheit, bei dem Japan uns einiges voraus hat. Daher haben wir bei meinen Gesprächen in Japan auch vereinbart, dass wir uns weiter mit voller Kraft für offene Märkte und faire Wettbewerbsbedingungen einsetzen wollen. Und, dass wir wirtschaftlich – besonders in strategischen Bereichen wie der Versorgung mit Halbleitern und sicherer Telekommunikation – noch enger kooperieren werden. Ich bin überzeugt, dass die heute in Tokyo stattfindende zweite Runde des deutsch-japanischen Wirtschaftssicherheitsdialogs entscheidende Impulse geben wird, wie wir gemeinsam ökonomische Abhängigkeiten reduzieren können.
Aber, meine Damen und Herren, klar ist auch: All diese Arbeit auf politischer Ebene wird nicht reichen, um unsere demokratische Freiheit zu stärken, unsere Freundschaft zu pflegen und uns gegenseitig zu stärken, wenn wir dabei unsere Gesellschaften nicht mitnehmen. Seit 40 Jahren leistet das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin einen wichtigen Beitrag genau hierzu. Zur Förderung dieses gegenseitigen Verständnisses. Sie, hier in Dahlem, agieren als Brückenbauer zwischen unseren Gesellschaften. Sie schaffen Raum für Dialog und Austausch und tragen die deutsch-japanische Freundschaft in die Breite der Gesellschaft: Von individuellen Sprachkursen und Austauschprogrammen bis zu wissenschaftlichen Symposien, von Kalligrafiekursen und kulturellen Veranstaltungen bis zu deutsch-japanischen Kooperation im Weltraum – seit seiner Gründung im Jahr 1985 trägt das JDZB auf allen Ebenen zur Vertiefung der freundschaftlichen, lebendigen und vielfältigen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan entscheidend bei.
Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem operativen Leitungsteam des Zentrums, Frau Dr. Münch und Herrn Matsumoto, für ihr passioniertes und zukunftsgerichtetes Engagement, sowie dem Land Berlin und dem japanischen Außenministerium für die finanzielle Unterstützung. Ich bin stolz, dass auch wir als Auswärtiges Amt unseren Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, es sind Orte wie das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin, die das Band zwischen unseren beiden Ländern lebendig halten und unsere politischen Beziehungen mit zivilgesellschaftlichem Leben füllen. Die deutsch-japanische Partnerschaft ist eine lange Erfolgsgeschichte – lassen Sie uns diese in den kommenden Jahrzehnten gemeinsam fortschreiben und uns auch herausfordernden Themen annehmen!
Auf die nächsten 40 Jahren voll von bereichernden Begegnungen und gegenseitigem Verständnis. Darauf, dass wir in diesen bewegten Zeiten nicht nur als die sprichwörtlichen – und echten – Feuerwehrmänner oder -frauen zusammenstehen, sondern vor allem als eines: als Freunde.
Arigatou Gozaimasu – danke für Ihr großes Engagement und Ihre heutige Gastfreundschaft.