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Interview von Außenminister Wadephul mit der Glocke

03.09.2025 - Interview

Erschienen am 27.08.2025.

Frage:

Nehmen wir mal an, die derzeitige Gipfel-Serie zum Ukraine-Krieg führt tatsächlich zu einer Waffenruhe, bestenfalls sogar zu einer Friedenslösung. Hätte US-Präsident Trump dann nicht bewiesen, dass mit Drohungen und Druck mehr zu erreichen ist als mit klassischer Diplomatie?

Johann Wadephul:

Den Widerspruch gibt es so nicht, klassische Diplomatie nutzt ja auch Druck. Nicht umsonst hat die Europäische Union bereits 18 Sanktionspakete beschlossen, die die Spielräume Russlands, seine Aggression zu finanzieren, erheblich einschränken. Sanktionen wirken dann am besten, wenn sie geschlossen ausgeübt und Schlupflöcher gestopft werden. Daran arbeiten wir tagtäglich. Ich begrüße es ausdrücklich, dass Präsident Trump sich für eine Friedenslösung für die Ukraine einsetzt. Das ist klassische Diplomatie, nämlich um Lösungen zu ringen, so schwer sie auch sind. Jetzt ist es an Russlands Präsident Putin, zu beweisen, dass er den US-Präsidenten ernst nimmt. Denn was wir gerade erleben ist, dass Putin weiter unerbittlich Krieg führen lässt, während sein Außenminister immer neue Hürden für direkte Gespräche zwischen Putin und Präsident Selenskyj aufbaut. Unsere Haltung ist klar: Über ihre Grenzen und Zukunft entscheidet alleine die Ukraine. Wir stehen dabei an ihrer Seite und engagieren uns für eine Friedenslösung, die Sicherheit für die Ukraine und Europa garantiert.

Frage:

Die Diplomatie ist offenbar auch beim Gaza-Krieg an ihre Grenzen gekommen. Oder sehen Sie noch irgendeine Chance, die Besetzung von Gaza-Stadt durch Israel zu verhindern?

Johann Wadephul:

Gerade jetzt muss dringend weiter um einen Waffenstillstand verhandelt werden. Nur so kann das Leiden in Gaza überhaupt gelindert werden – das Leiden der Geiseln, die immer noch in den Händen der Hamas sind, und das Leiden der Zivilbevölkerung. Nur so kann verhindert werden, dass nicht noch weitere Zivilistinnen und Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, im Krieg sterben, zusätzlich zu den zehntausenden Getöteten. Die Ausweitung der Operation auf Gaza Stadt bedeutet für hunderttausende Zivilisten, dass sie erneut zwischen Fronten geraten. Ich wiederhole es: Wie der israelische Generalstabschef selbst, zweifeln wir an der Verhältnismäßigkeit einer Eroberung von Gaza-Stadt, wo fast eine Millionen Menschen leben. Diesen Dissens haben wir auch klar ausgedrückt, und eine Konsequenz gezogen, was die Lieferung von Rüstungsgütern angeht, die dort zum Einsatz kommen könnten.

Frage:

In puncto Siedlungsbau im Westjordanland scheint Israel ebenfalls gegen jede Kritik immun. War Deutschland, bei allem Verständnis für die historisch bedingte Verantwortung gegenüber dem jüdischen Staat, diesbezüglich in der Vergangenheit zu zurückhaltend?

Johann Wadephul:

Unsere Ablehnung der israelischen Siedlungspolitik ist wirklich eine langjährige Haltung, sie ist übrigens auch geltendes Völkerrecht. Der Siedlungsbau ist und bleibt illegal. Wir setzen uns für eine verhandelte Zweistaatenlösung ein, weil wir überzeugt sind, dass sie die einzige Lösung ist, die Israelis und Palästinensern eine Zukunft in Frieden und Sicherheit bringen kann. Jede neue Siedlung ist dagegen ein weiteres Hindernis für diesen Prozess. Besonders schockierend finde ich, dass einige Kabinettsmitglieder völlig offen artikulieren, dass das Hauptziel der Siedlungserweiterungen die Verhinderung eines Palästinenserstaates ist. Ich spreche oft mit meinem israelischen Kollegen. Dabei frage ich ihn immer wieder: Wie soll das Eurer Sicherheit dienen? Die Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland und in Ostjerusalem immer weiter einzuschränken, legt den Grundstein für weitere Konflikte. Und übrigens auch, dass Israel radikale Siedler und Extremisten bei Angriffen auf palästinensische Dörfer einfach gewähren lässt.

Frage:

Sie waren gerade in Asien und haben dort China gemahnt, weniger aggressiv im Indopazifik zu agieren. Aber wenn, um das naheliegendste Beispiel zu nennen, China Taiwan angreifen sollte – was könnte der Westen dagegen unternehmen, ohne in einen Krieg verwickelt zu werden?

Johann Wadephul:

Wir müssen verhindern, dass es überhaupt so weit kommt. Der Status von Taiwan darf nur friedlich und einvernehmlich verändert werden. Die zunehmenden Spannungen in der Taiwan-Straße machen uns Sorgen – wie auch unseren Partnern in Europa, den USA und im Indopazifik, wo ich gerade auf Reisen war. China muss klar sein: Das Gewaltverbot der UN-Charta gilt überall. Das habe ich bei meiner Reise deutlich unterstrichen und das habe ich auch in meinen bisherigen Gesprächen mit meinem chinesischen Kollegen gesagt. Jede Eskalation in und um Taiwan hätte unmittelbare Auswirkungen für die globale Sicherheit und Wirtschaft. Taiwan ist einer der weltweit wichtigsten Standorte der Halbleiterindustrie, und die Straße von Taiwan zählt zu den zentralen Handelsrouten in der Welt.

Frage:

Bundeskanzler Friedrich Merz wird schon als „Außenkanzler“ bezeichnet, über die genannten großen Konflikte wird derzeit vor allem auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gesprochen. Verliert Ihr Ministerium gerade an Bedeutung?

Johann Wadephul:

Zu einer guten Außenpolitik gehört auch eine gute Aufgabenteilung, um international durchzudringen. Wenn sich Deutschland international mehr Gehör verschafft und Fragen von Krieg und Frieden auf höchster Ebene – übrigens auch in allen Partnerstaaten – diskutiert werden, dann unterstreicht das einen Bedeutungsgewinn der Außenpolitik insgesamt. Im Übrigen werden außen- und sicherheitspolitische Fragen ja seit jeher nicht nur im Auswärtigen Amt diskutiert. Von der Verteidigung, über die Wirtschaft bis hin zum Umwelt- und Klimaschutz – Außenpolitik ist ein Konzert mit einem großen Orchester. Dass dieses Orchester gut klingt, dass ordentlich vorbereit, verhandelt, abgestimmt, beteiligt und koordiniert wird, das ist und bleibt eine zentrale Aufgabe des Auswärtigen Amts mit seinen über 13.000 Mitarbeitenden. Angesichts der globalen Herausforderungen ist diese Aufgabe wichtiger denn je.

Frage:

Ukraine-Krieg, Gaza-Krieg, unberechenbare US-Regierung – der Job des Außenministers ist dieser Tage nicht vergnügungssteuerpflichtig, oder?

Johann Wadephul:

Naja, ich habe mich auch nicht für einen Erholungsurlaub im schönen Münsterland entschieden. Außenpolitik ist kein Ausflug bei Schönwetter, sondern eher wie Hochsee-Segeln: Mal Nebel, mal Wolken, und häufig eine steife Brise im Gesicht. Das Wichtigste ist, dass man im Sturm nicht allein ist und seine Ankerpunkte gut aussucht. Und das trifft zu: Ich leite ein tolles Haus mit unglaublich engagierten Kolleginnen und Kollegen und wir haben starke, verlässliche Partner in Europa und der ganzen Welt. Ja, es gibt viele ernste, wichtige Themen und die Belastung in diesem Amt ist hoch. Ich empfinde es aber jeden Tag als Privileg, an diese Stelle meinem Land dienen zu dürfen.

Interview: Thorsten Bothe

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