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Rede von Außenministerin Baerbock anlässlich der Verleihung des Unidas-Preises an Francia Márquez, Vizepräsidentin der Republik Kolumbien

08.06.2023 - Rede

„Ich hatte das Gefühl, dass uns ein Stück unseres Herzens genommen werden sollte.“

Das haben Sie, liebe Frau Vizepräsidentin, das hast du, liebe Francia, einmal gesagt, als du erklärt hast, wie du zur Politik gekommen bist. Du warst 13 Jahre alt, als die damalige Regierung beschloss, den Fluss Ovejas umzuleiten, um einen umstrittenen Staudamm zu bauen. Der Fluss, an dessen Ufern deine Großmutter dir beigebracht hatte, Kaffee und Maniok anzubauen. Der Fluss, in dem du schwimmen gelernt hast.

Wenn dieser Fluss umgeleitet worden wäre, wäre eine Wasserquelle, ein Lebenselixier für eine ganze Region versiegt. Die Einwohner aus deinem Dorf La Toma hätten ihre Häuser und ihre Heimat verlassen müssen. Du bist damals gemeinsam mit den Leuten aus dem Dorf aufgestanden und hast deine Stimme erhoben. Vor Gericht habt ihr Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt und konntet die Umleitung des Flusses verhindern.

Du warst erst 13 Jahre, aber damit begann dein Einsatz für die Umwelt und die Menschenrechte. Dein Kampf dauert bis heute an und man kann so viel von deinem Einsatz lernen.

Deswegen zeichnen wir dich heute mit dem Unidas-Preis aus. Denn du verkörpert das, was diesen Preis und dieses Netzwerk ausmacht: Den Kampf für Gleichstellung, führen wir gemeinsam, egal welchen Geschlechts, egal von wo wir herkommen.

Ich möchte dir an dieser Stelle auch persönlich danken, denn dein Einsatz ist auch ein Vorbild für die feministische Außenpolitik, die wir als deutsche Bundesregierung gerade neu auf den Weg gebracht haben. Auch in meinem Land gab es und gibt es immer wieder Stimmen, die meinen, dass feministische Außenpolitik etwas Banales oder etwas ganz Abgehobenes sei und wir damit anderen auf der Welt unsere Meinung aufdrängen würden.

Aber man braucht sich nur auf der Welt umzuschauen, vielleicht als Frau, um zu schauen, um zu erkennen, dass das Gegenteil der Fall ist. In Lateinamerika sind uns viele Länder bei der feministischen Außenpolitik weit voraus, auch wenn es vielleicht nicht so genannt wird.

Dein ganzes Leben hast du genau das gemacht. Du hast dich für das eingesetzt, was Margot Wallström, die ehemalige schwedische Außenministerin, einmal als feministische Außenpolitik definiert, nämlich die drei Rs. Einsatz für gleiche Rechte. Einsatz für gleiche Ressourcen. Und Einsatz für die gleiche Repräsentanz.

Man kann von dir dabei lernen, dass Politik Ausdauer braucht, vor allem, wenn es um die Rechte von Frauen geht. Der Kampf um die Lebensgrundlage für La Toma ging noch Jahrzehnte lang weiter. Das war dann der Grund, warum du Jura studiert hast und immer wieder mitgeholfen hast, die Rechte der Menschen aus deinem Dorf vor Gericht gegen die Interessen der Großkonzerne zu verteidigen.

Aber eines konnten auch die Gerichte nicht verhindern: Die Illegalen Minen. Als die Bagger anrollen, unterbrichst du dein Studium und gehst zurück nach La Toma.

Zehn Tage lang bist du mit 80 Frauen von La Toma bis nach Bogotá gelaufen, Über 500 Kilometer. Ihr seid 22 Tage in der Hauptstadt geblieben, wie ihr euer Ziel erreicht habt: Die Regierung setzte eine Task Force ein und ließ anschließend die illegalen Minen räumen.

In der Politik sind der Fortschritt und auch das Recht manchmal mühsam. Aber dein Beispiel zeigt: Es führt zum Erfolg. Und er führt es dann, wenn man einen langen Atem hat und vor allen Dingen: viel Herzblut.

Und alle, die dich noch viel besser kennen als ich, die wissen das, glaube ich, jeden Tag. Aber ich muss auch zugeben, bei manchen Themen fragt man sich, und das fragen sich sicherlich viele, auch kolumbianische Frauen: Wie lange können wir eigentlich noch über gleiche Rechte diskutieren im 21. Jahrhundert? Für mich ist da so ein Beispiel das Recht auf Abtreibung für Frauen, und zwar überall auf der Welt. In Deutschland durften Frauenärzte bis letztes Jahr nicht auf ihrer Website angeben, dass sie Abtreibungen vornehmen. Bis wir das kürzlich als neue Bundesregierung endlich geändert haben.

In den USA sehen wir Hunderttausende Frauen und Männer auf den Straßen, weil in vielen Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung immer weiter eingeschränkt wird.

In Kolumbien hat letztes Jahr das Verfassungsgericht entschieden, dass Abtreibung endlich nicht mehr kriminalisiert wird. Das war auch ein Erfolg von dir. Von vielen mutigen Frauen. Frauenrechtlerinnen, die seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung kämpfen, deren Kampf auch der Kampf für das Recht auf Abtreibung ist.

Und ich möchte an dieser Stelle als Außenministerin und zugleich als Frau und Mutter von zwei Töchtern deutlich sagen: Kein männlicher Politiker, Richter oder Staatsanwalt weiß, was eine ungewollte Schwangerschaft, erst recht nach einer Vergewaltigung, bedeutet.

It's our body, it's our choice.

Und wir werden gemeinsam weltweit solange dafür kämpfen, bis das für jede Frau gilt. Es ist unser Auftrag, dass es für unsere Töchter eine Selbstverständlichkeit wird: das universelle Recht, über ihre eigenen Körper zu verfügen.

Liebe Francia, du weißt wie keine andere, wie viel noch zu tun ist. Kein Land der Welt hat bisher echte Gleichstellung erreicht. Du richtest deswegen ein eigenes Ministerium ein, das sich um Gleichstellung von Frauen und von marginalisierten Gruppen in der Gesellschaft kümmern wird. Das ist ein riesiger Schritt auf dem Weg, der mühsam ist und weiter volle Ausdauer erfordert.

Aber du wirst ihn weitergehen, auch wenn du deswegen mit Anfeindungen leben musst, wie ich heute Morgen noch einmal gehört habe.

Aber von dir kann man eben auch lernen, was Mut in der Politik bedeutet. Rassistische und sexistische Anfeindungen sind Teil deines Alltags. Leider. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen, dass jede Frau dieses Gefühl kennt, wenn anderen die Argumente ausgehen, dass bei Frauen plötzlich so eine zusätzliche sexistische Angriffsebene einsetzt. Und erst recht, als schwarze Frau. Und deswegen ist es für uns so wichtig, mit dir als Preisträgerin dieses Unidas-Preises deutlich zu machen, dass es um Gleichstellung geht. Aber dass es eben auch immer um Antirassismus geht. Für dich und für viele Menschen, die etwas verändern wollen, die endlich zu echter Gleichstellung kommen wollen, gehört auch dazu, dass die Angst um ihr Leben immer Teil ihres Einsatzes ist.

Kolumbien ist laut der Organisation Global Witness das tödlichste Land für Umweltaktivistinnen und Aktivisten weltweit. 65 Morde hat die Organisation im Jahr 2022 gezählt.

Und auch du bist immer wieder Opfer von Anschlägen geworden. Ich glaube, wir alle können nur erahnen, welche Spuren solche furchtbaren Erinnerungen bei einem Menschen hinterlassen. Bei einer Frau, die allein verantwortlich für zwei Kinder ist. Bei einer eine Aktivistin, die so oft erleben musste, wie ihre Freundinnen und Freunde mit ihrem Leben dafür bezahlen mussten, dass sie sich für die politische Sache eingesetzt haben. Und trotzdem hast du weitergemacht - weil deine Mitmenschen dir am Herzen liegen.

Du wusstest und weißt, dass man etwas verändern kann. Weil du ihren Schmerz fühlst. So wie der Schmerz, den du mit 13 gespürt hast, als dir und deiner Familie am Ovejas-Fluss ein Stück eures Herzens genommen werden wollte.

Deswegen hast du weiter gemacht, auch gegen riesige Widerstände.

Und das bringt mich zu meinem dritten Punkt. Man kann von dir lernen, warum Teilhabe und der Zugang zu Ressourcen, der dritte Teil der feministischen Außenpolitik, so wichtig sind.

Du hast einmal gesagt: „Als ich klein war, wollte ich nie schwarz sein. Die schwarzen Frauen, die ich im Fernsehen sah, spielten versklavte Frauen, Putzkräfte und Prostituierte. Und gleichzeitig sah ich weiße Frauen, die glückliche Familien hatten und wunderschöne Männer mit blauen Augen heirateten, die wie Prinzen aussahen.“

Und heute bist du keine Prinzessin, sondern Vizepräsidentin deines Landes. Und das Wichtige daran ist: Du kannst strahlen für all die anderen Mädchen und Frauen.

Millionen Mädchen sehen sich in dir und wissen: Auch ich kann das schaffen.

Wir haben bei den Wahlen letztes Jahr erlebt - auch das ist bis nach Deutschland durchgedrungen - wie viele Menschen du als Person, als Frau aktivieren konntest. In den abgelegenen Regionen Chocó, Cauca, oder Nariño sind Menschen teilweise tagelang gereist, um im nächsten Wahlbüro ihre Stimme abgeben zu können. 80 Prozent Wahlbeteiligung - so etwas gab es dort nie zuvor.

Ich erinnere mich an einen Satz, den mir mal eine Menschenrechtlerin in Berlin gesagt hat: „Es ist schwierig, etwas zu werden, das man nicht sehen oder hören kann.“

Aber dich kann man sehen und hören. Seit Jahrzehnten. Und du gibst damit anderen Frauen eine Stimme. Und darum geht es, wenn wir um Repräsentanz sprechen.

Es macht einen Unterschied, wenn Frauen am Tisch sitzen, um über die Zukunft unserer Gesellschaft zu entscheiden. Wenn unsere Parlamente und Unternehmensvorstände unsere Gesellschaft so abbilden, wie sie ist - nämlich zur Hälfte weiblich – und niemanden ausschließen. Auch das können wir Deutschen von anderen lernen, von modernen Verfassungen. Auch bei uns im Deutschen Bundestag bilden wir hier nicht repräsentativ alle in unserer Gesellschaft ab.

Wie jedes Land haben wir in unserer Gesellschaft rund 50 Prozent Frauen - oder ein bisschen drüber. Aber nur 34 Prozent der Abgeordneten in unserem Parlament sind weiblich.

Das ist das, was ich in Deutschland immer wieder erkläre, wenn ich über Feminismus oder Gleichberechtigung rede. Es ist in unser allen Interesse, alle Teile der Gesellschaft mitzunehmen, wenn wir über unsere Zukunft sprechen.

Denn keine Gesellschaft kann ihr Potenzial erreichen, wenn sie die Hälfte der Menschen ausschließt oder diskriminiert. Wer könnte das besser wissen als Sie? Die Menschen in Kolumbien.

Jahrzehntelang hat der Konflikt zwischen Rebellengruppen und Paramilitärs ihr Land im Würgegriff gehalten. Ganze Gemeinden werden im Hochland heute von alleinerziehenden Müttern getragen, weil die Väter verschleppt oder getötet worden sind. Dieser Konflikt hat tiefe Wunden in der kolumbianischen Gesellschaft hinterlassen, die nur geheilt werden können, wenn jede und jeder einbezogen wird.

Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen - für das auch ihre neue Regierung steht, ein umfassender Frieden - mindestens zwei Jahre hält, um 20 Prozent steigen, wenn Frauen sich an den Friedensverhandlungen aktiv beteiligen.

Und trotzdem sind weltweit nur 13 Prozent aller Verhandlerinnen weiblich. Deshalb hast du, liebe Francia, dich schon früh dafür eingesetzt, dass Frauen am Friedensprozess in Kolumbien beteiligt werden. Und heute bist du Teil des Teams, das für deine Regierung mit der ELN verhandelt.

Als du nach der Wahl deine bewegende Rede auf der Plaza de Bolívar gehalten hast, da hast du gesagt: „So wie Martin Luther King, so habe auch ich einen Traum. Ich habe den Traum, meine Nation in Frieden zu sehen.“

Dass dies für deine Kinder kein Traum mehr bleiben muss, sondern Wirklichkeit werden kann, verdankt dein Land Frauen wie dir. Liebe Francia, es ist mir daher eine Ehre, für all das, was du geleistet hast, dir heute den Unidas- Preis zu übergeben.

Für deinen Einsatz, für deinen Mut und dafür, dass du Millionen Menschen, Millionen von Frauen eine Stimme gibst. Damit kein 13-jähriges Mädchen mehr Angst haben muss, dass ihr in Zukunft ein Stück Heimat genommen wird. Herzlichen Glückwunsch!

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