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Grußwort von Europa-Staatsminister Michael Roth anlässlich der Einweihung der „Neuen Königsberger Synagoge“ in Kaliningrad

08.11.2018 - Rede

Michael Roth, Staatsminister für Europa, hielt anlässlich der Einweihung der „Neuen Königsberger Synagoge“ in Kaliningrad folgendes Grußwort.

--es gilt das gesprochene Wort--

„Es war eine schreckliche Nacht“, erinnert sich die damals elfjährige Nechama Drober. Mit ihren Eltern sah sie durch ein Fenster ihrer Wohnung die Königsberger Synagoge brennen. 42 Jahre nach ihrer Einweihung, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, wurde die Synagoge von Nationalsozialisten verwüstet und angezündet. Gebetbücher und Thorarollen – alles brannte. Nechama hörte Kinder schreien, als SA-Männer in das neben der Synagoge gelegene jüdische Waisenheim eindrangen und die Bewohnerinnen und Bewohner in Nachthemden und barfuß auf die Straße trieben.

Weltweit gedenken wir in diesen Tagen des 80. Jahrestages der November-Pogrome von 1938. Ich schäme mich angesichts des unfassbaren Leids, das der deutsche Rassenhass über Europa und die Welt gebracht hat. Die vom Staat organisierte und durchgeführte systematische Judenverfolgung führte zur Misshandlung, Verschleppung und Ermordung tausender Jüdinnen und Juden sowie zur Zerstörung und Plünderung von 1.200 Synagogen und mehr als 7.000 jüdischen Geschäften.

Auch hier in Kaliningrad, dem damaligen Königsberg, haben sich die schmerzhaften Erinnerungen an die Pogromnacht von 1938 tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die hiesige jüdische Gemeinde war vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach Berlin und Breslau die drittgrößte im Deutschen Reich. Im August 1896 wurde die Königsberger Synagoge feierlich eingeweiht – ein Ereignis, das damals weit über die jüdische Gemeinde hinaus strahlte. Damals galt Königsberg als ein Ort gelebter Vielfalt und Toleranz, an dem Menschen unterschiedlichen Glaubens friedlich nicht nur neben- sondern vor allem miteinander lebten.

Viele Jüdinnen und Juden aus Königsberg wurden damals nach Minsk deportiert und im Vernichtungslager Malyj Trostenez, im heutigen Belarus, ermordet. Im Juni dieses Jahres begleitete ich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Malyi Trostenez, um dort an der Eröffnung einer Gedenkstätte teilzunehmen. Ein furchtbarer Ort des Schreckens, von dem leider immer noch viel zu wenige meiner Landsleute etwas wissen.

Deutschland bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung für Faschismus, Krieg und Holocaust. Wir machten uns ein zweites Mal schuldig, wenn wir verschweigen, relativieren oder gar leugnen, was die Generation unserer Großeltern und Urgroßeltern anderen Menschen und Völkern angetan hat. Das gemeinsame Gedenken, Erinnerung und Versöhnung prägen die Politik meines Landes. Erinnerung und Bekenntnis sind keine Zeichen von Schwäche. Beides macht uns stark und sensibilisiert uns für mögliches neues Leid. Deshalb ist Wachsamkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen aller Art an viel zu vielen Orten dieser Welt gerade in diesen Zeiten eine Pflicht für uns alle.

Aufarbeitung jedoch ist schmerzhaft, Heilung und Versöhnung kommen nicht über Nacht, sondern sie dauern Jahre, ja Jahrzehnte. 80 lange Jahre hat es gedauert, bis hier in Kaliningrad wieder eine Synagoge für Jüdinnen und Juden offen steht. Die heutige Einweihung der Synagoge – am historischen Standort und mit der originalgetreu rekonstruierten Fassade – ist ein Zeichen der Hoffnung. Jüdisches Leben kehrt in diese Stadt. Darüber freue ich mich mit Ihnen gemeinsam. Und ich bin von Herzen dankbar dafür!

Meine Anerkennung gebührt allen, die über Jahre unermüdlich darauf hingearbeitet haben: Natalja Kopitschina-Lorenz von der „Stiftung zum Bau der Synagoge in der Stadt Königsberg“, ebenso wie dem Mäzen Wladimir Katzman und dem Berliner Verein „Juden in Ostpreußen“.

Es erfüllt mich mit Stolz und Freude, sagen zu können: Auch Deutschland ist heute wieder Zuhause für jüdisches Leben. Dass die jüdischen Gemeinden in Deutschland heute wieder gut 100.000 Mitglieder zählen, verdanken wir auch dem Vertrauen, das viele Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland gesetzt haben. Möge diese Verbindung uns ermutigen, die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland in ihrer ganzen Vielfalt auszubauen.

Auch heute sind Toleranz, Respekt und Buntheit in unseren Gesellschaften leider keine Selbstverständlichkeit. Jüdisches Leben muss mit allen Kräften geschützt werden. Rechtsextreme, antisemitische Bewegungen in Deutschland und anderen Teilen der Welt sind auf dem Vormarsch.

Schreckliche Nachrichten wie aus Pittsburgh vor wenigen Tagen lassen fürchterliche Erinnerungen wach werden. In der ostdeutschen Stadt Chemnitz wurde ein Brandanschlag auf ein jüdisches Restaurant verübt, in Berlin ein Kippa-tragender junger Mann auf offener Straße mit einem Gürtel attackiert und verprügelt. Angriffe auf Jüdinnen und Juden, Angehörige anderer Minderheiten sind Angriffe auf uns alle und auf unsere freiheitlichen Gesellschaften. Sie sind ein Verbrechen und müssen überall aufs Schärfste geahndet werden.

In solchen Momenten lohnt es sich innezuhalten und an die wechselhafte Geschichte dieser Synagoge zu denken. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier bereits kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts Toleranz, gegenseitiger Respekt und ein friedliches Miteinander im Alltag gelebt wurden, sollte uns allen Mut machen - in Deutschland, in Russland, ja in ganz Europa. Die Synagogengemeinde Kaliningrad öffnet heute ein neues Kapitel europäischer Geschichte. Möge sie von Frieden, Respekt, Versöhnung, Toleranz und Freundschaft geprägt sein. Der Friede sei mit uns. Mir s nami. Schalom alejchem.

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