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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth anlässlich der Ehrung von Lee-Elisabeth Hölscher-Langner und Dr. Laurids Hölscher

29.03.2019 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

„In dem Bestreben, die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen und entschlossen, an die guten Traditionen und das freundschaftliche Zusammenleben anzuknüpfen“ unterzeichneten am 16. Juni 1991 beide Regierungen den Deutsch-Polnischen Partnerschaftsvertrag.

Nun sind Versöhnung, Freundschaft und partnerschaftliches Miteinander aber definitiv keine Aufgabe, die Regierungen im Alleingang stemmen können. Das war auch den Unterzeichnern des Vertrags damals bereits bewusst.

Dafür braucht es mutige und engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus der Zivilgesellschaft, die die Partnerschaft Tag für Tag mit Leben füllen.

Sie, liebe Frau Hölscher-Langner und lieber Herr Dr. Hölscher, haben unfassbar viele Brücken gebaut zwischen Polen und Deutschland. Und ich freue mich, Sie beide heute hier für Ihr jahrzehntelanges Engagement für Überlebende des Holocaust ehren zu dürfen.

Liebe Frau Hölscher-Langner,

Sie zogen 1991 nach Krakau, als Ihr Mann dort zum Generalkonsul ernannt wurde. Schnell entwickelten Sie ein feines Gespür für die Not der Holocaust-Überlebenden, die unvorstellbares Leid erlebt haben und heute oftmals in Isolation und Armut leben.

Sie stellten ein Programm zur ambulanten Hauspflege für alleingelassene, hochbetagte Menschen auf die Beine und gründeten eine Palliativstation, um sie bis in die letzten Stunden zu begleiten.

Junge Erwachsene aus Deutschland und Polen unterstützen das Projekt im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres. Es sind gerade diese generationenübergreifenden Kontakte zwischen Überlebenden des Holocaust und jungen Menschen, die einen sehr persönlichen Zugang zu den nationalsozialistischen Verbrechen ermöglichen. Jeder, der einmal einer Überlebenden zugehört hat – fassungslos, erschrocken, berührt – wird mir sicher zustimmen: Diese Eindrücke vermag kein Buch, kein Film, kein Theaterstück zu vermitteln.

Mit ihren Projekten helfen sie nicht nur alten und kranken Menschen, sondern sie vermitteln über das freiwillige Engagement junger Menschen wichtige Werte. Aus unserer leidvollen Geschichte erwächst eben auch eine Verpflichtung für die Gegenwart: sich aktiv gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie, Rassismus und jegliche Form der Diskriminierung von Minderheiten zu stellen.

Das gilt auch für den Völkermord an den Sinti und Roma, der in der breiten Öffentlichkeit leider immer noch viel zu wenig bekannt ist. Das haben Sie, liebe Eheleute Hölscher, schon vor über 25 Jahren erkannt und eine Tradition begonnen, die nachhaltig Wirkung zeigt: Seit 1993 laden Sie gemeinsam jedes Jahr zum Internationalen Roma-Gedenktag am 2. August Überlebende der Sinti und Roma zu einer Begegnung der Generationen in Ihr Haus ein.

Für die Holocaust-Überlebenden ist diese Einladung ein Zeichen der Wertschätzung und des Respekts. Und sie ist zugleich ein großartiges Symbol dafür, wie wir alle auf die größte Minderheit Europas zugehen sollten: Wir müssen Diskriminierung und Ausgrenzung entschlossen entgegentreten.

Für Ihr Wirken wurden Sie 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Auch die polnische Seite sieht in Ihnen eine Vorreiterin für Völkerverständigung und Versöhnung. Dies drückte sich jüngst durch die Verleihung der Verdienstmedaille „Polonia Minor“ 2018 an Sie beide aus.

Denn, lieber Herr Hölscher, die Arbeit Ihrer Frau wäre ohne Ihre Unterstützung nicht möglich gewesen. Sie haben Ihrer Frau als deutscher Generalkonsul in Krakau Wege geebnet und Kontakte geknüpft.

Sie haben 1991 das deutsche Generalkonsulat in Krakau gegründet und dieses dann bis 1999 geleitet und geprägt.

Und Sie haben sichtbare Spuren hinterlassen: Das Generalkonsulat befindet sich bis heute in dem Gebäude, das sie ausgewählt haben. Eine große Zahl der Kolleginnen und Kolleginnen, die Sie damals eingestellt haben, sind auch heute noch dort beschäftigt. Und nicht zuletzt haben Sie mit Ihrem Wirken einen ganz persönlichen Grundstein für die deutsch-polnische Aussöhnung im Amtsbezirk des Generalkonsulats gelegt.

Ihren Nachfolgerinnen und Nachfolgern im Amt des Generalkonsuls standen und stehen Sie bis heute mit großer Hilfsbereitschaft und Lebenserfahrung zur Seite. Das wird bis heute geschätzt, was sich auch daran ablesen lässt, dass der derzeitige deutsche Generalkonsul in Krakau, Michael Groß, heute unter den Gästen weilt.

Seit Ihrer Pensionierung engagieren Sie sich in zahlreichen Projekten und Organisationen. Ihr Einsatz wird u.a. durch die Mitgliedschaft im Ehrenkomitee der Deutsch-Polnischen Akademischen Gesellschaft gewürdigt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

In diesem Jahr jährt sich der deutsche Überfall auf Polen zum achtzigsten Mal. Die Deutschen überzogen Polen damals mit furchtbarer Gewalt und apokalyptischer Zerstörung. Sie machten das Land zum Schauplatz von bis dahin nicht für möglich gehaltenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nur wenn wir uns dies immer wieder in Erinnerung rufen, können wir den Großmut wertschätzen, mit dem uns Polinnen und Polen heute freundschaftlich die Hand zur Zusammenarbeit reichen.

Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass in einem Land, das so unter den Deutschen gelitten hat, heute mehr Menschen als irgendwo sonst auf der Welt Deutsch als Fremdsprache lernen, dass es ein dichtes Netz lebendiger deutsch-polnischer Städtepartnerschaften gibt oder der Austausch von polnischen und deutschen Kindern und Jugendlichen über das Jugendwerk kontinuierlich zunimmt.

Gerade vor dem Hintergrund der wechselhaften deutsch-polnischen Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen sind unsere Beziehungen kein reiner Automatismus. Sie sind ein ganz wertvoller Schatz, den wir Tag für Tag pflegen und beschützen müssen.

Und hier sind Sie beide, liebe Frau Hölscher-Langner, lieber Herr Dr. Hölscher, ein leuchtendes Vorbild für uns. Sie machen uns Mut, dass Versöhnung und Freundschaft alle Anstrengung wert sind. Bleiben Sie gesund und behütet. Ich danke Ihnen von Herzen!

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