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Versöhnung auf den Westbalkan

04.02.2019 - Namensbeitrag

Gastbeitrag von Staatsminister für Europa Michael Roth in der „Welt“

Hand aufs Herz: Wer hätte bis vor kurzem eine Einigung im seit 27 Jahren währenden Namensstreit zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien – künftig: Republik Nordmazedonien – und Griechenland noch für möglich gehalten? Mutige, engagierte Politikerinnen und Politiker auf beiden Seiten haben unter hohem persönlichen Einsatz etwas Großartiges, ja Historisches geleistet! Inzwischen haben auch das mazedonische und griechische Parlament dem Prespa-Abkommen zur Lösung des Namensstreits zugestimmt.

Die vorausgegangenen Debatten in Skopje und Athen waren kontrovers. Nationale Emotionen kochten hoch, Ängste wurden geschürt. Die Zustimmung war also alles andere als selbstverständlich. Mut, Weitsicht und Beharrlichkeit der handelnden Akteure auf beiden Seiten haben letztlich die Wende gebracht. Um den gordischen Knoten zu zerschlagen, riskierten die Ministerpräsidenten Tsipras und Zaev sowie ihre Außenminister Kotzias und Dimitrov politisch viel – und gewannen für ihre Länder und die gesamte Region viel.

Die Lösung des Namensstreits ist ein Musterbeispiel für friedliche Konfliktbeilegung unter europäischen Partnern. Zugleich macht der historische Kompromiss den Weg frei für die euroatlantische Integration Nordmazedoniens. In dem Abkommen verpflichtet sich Griechenland, dem Nachbarn bei seiner Annäherung an EU und NATO künftig keine Steine mehr in den Weg zu legen. Zudem haben beide Staaten konkrete Schritte für Versöhnung und engere Zusammenarbeit vereinbart.

Seit ihrem Amtsantritt vor fast zwei Jahren hat die mazedonische Regierung unter Ministerpräsident Zaev auch innenpolitisch viel bewegt. Die umfassenden Reformvorhaben tragen inzwischen erste Früchte.

Damit Skopje den eingeschlagenen Reformpfad weiter beschreiten kann, muss die EU-Perspektive für die Mazedonierinnen und Mazedonier greifbar und konkret bleiben. Insbesondere die junge Generation sehnt sich mit großer Mehrheit nach Europa. Zu einem glaubwürdigen Beitrittsprozess gehören immer zwei Seiten. Auch die EU muss jetzt „liefern“! Auf erfolgreiche Anstrengungen in den beitrittswilligen Ländern müssen auch konkrete Fortschritte im Beitrittsprozess folgen. Warme Worte alleine reichen nicht aus, sonst droht das Beitrittsversprechen zur hohlen Phrase zu werden. Deshalb sollte die EU nun zügig Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufnehmen.

Keine Frage: Auch heute, 20 Jahre nach Ende der blutigen Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, ist die Lage auf dem Westlichen Balkan immer noch fragil. Organisierte Kriminalität und Korruption bleiben ein Problem. Die noch nicht verheilten Wunden der Vergangenheit schmerzen im kollektiven Gedächtnis und führen zu Spannungen zwischen Staaten sowie ethnischen und religiösen Gruppen. Viele junge Menschen machen sich im Ausland auf die Suche nach einer besseren Zukunft, weil es in der Heimat zu langsam vorangeht mit dem Wandel. Und vielleicht auch, weil wir in der EU zu kleinmütig geworden sind.

Angesichts zahlreicher Krisen und sozialer Verwerfungen in Teilen Europas hat das europäische Narrativ zuletzt an Strahlkraft verloren. Der wachsende Einfluss anderer Staaten auf dem Westlichen Balkan – vor allem Russland, China oder die Türkei – zeugt letztlich auch von unserer eigenen Schwäche. Die EU-Beitrittsperspektive für die Länder des Westlichen Balkans ist eine Riesenchance – auch für die EU. Diese Chance klug zu nutzen, liegt auch in unserem ureigenen strategischen Interesse. Wenn die EU auf dem Balkan versagte, in einer Region, die uns historisch, geographisch und kulturell so nah ist – wie sollte sie dann als Akteur mit globalem Gestaltungsanspruch ernst genommen werden?

Noch ist die Anziehungskraft des europäischen Modells – das Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mit Sicherheit und Wohlstand verknüpft – auf dem Westlichen Balkan ungebrochen. Mit der Beilegung des Namensstreits hat Skopje die richtigen Weichen in Richtung EU gestellt und zugleich eine klare Botschaft in die Region gesendet: Nationalismus und Populismus führen in eine Sackgasse. Denn das „Ja“ zur Namensänderung ist auch eine Absage an die nationalistischen Kräfte auf dem Balkan.

Und in Zeiten, in denen Populismus und Nationalismus das europäische Modell einem Stresstest unterziehen, ist das griechisch-mazedonische Versöhnungswerk auch ein echter Mutmacher für den Rest Europas: Zusammenführen statt Spalten, Dialog und Kompromiss statt nationaler Egoismen - daran können sich alle EU-Partner ein Beispiel nehmen.

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