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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der Vernissage der Ausstellung “We are part of culture”

28.08.2018 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Liebe Franziska Giffey,
sehr geehrte Frau Kadatz,
lieber Axel Hochrein,
sehr geehrte Damen und Herren,

„Wer mit sich selbst in Frieden leben will, muss sich so akzeptieren, wie er ist.“ Die Schriftstellerin Selma Lagerlöf, deren Porträt wir hier in dieser Ausstellung sehen, hat diesen bemerkenswerten Satz gesagt. Lagerlöf wusste, wovon sie sprach. Sie hatte es in ihrem Leben wahrlich nicht leicht. Aber sie fand ihren Weg, hat ihr Anderssein akzeptiert und daraus eine schier unerschöpfliche Energie entwickelt.

Selma Lagerlöf war weit mehr als nur eine erfolgreiche Autorin. Die meisten kennen die schwedische Literaturnobelpreisträgerin sicher durch ihr berühmtestes Werk „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“. Dieses Buch hat seit 1906 Generationen von Kindern berührt – und auch mich als Kind begeistert, mehr als 70 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung.

Aber die wenigsten wissen, dass die 1858 geborene Lagerlöf sich ihr Leben lang für die Rechte von Frauen und benachteiligten Menschen engagierte. Ihre Ausbildung, ihre Karriere als Schriftstellerin und ihr Anspruch auf einen freien Lebensstil mit jahrzehntelangen Liebesbeziehungen zu zwei Frauen waren nicht nur für die damalige Zeit außergewöhnlich und bahnbrechend. Aber sie kämpfte eben nicht allein für sich selbst. Sie wollte die Gesellschaft verändern.

1911 hielt Lagerlöf in Stockholm bei einem internationalen Frauenkongress eine vielbeachtete Rede und verschaffte durch ihre Prominenz als Literaturnobelpreisträgerin der Frauenbewegung große Aufmerksamkeit. Und noch im hohen Alter war sie an der Organisation der Flucht der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs aus Berlin beteiligt.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Ausstellung „We are part of culture“ versammelt hier im Ostbahnhof einen kleinen Ausschnitt von beeindruckenden Persönlichkeiten aus der LGBTI-Community wie Selma Lagerlöf, Freddie Mercury oder Magnus Hirschfeld.

Sie alle verbindet nicht nur ihr beeindruckendes Engagement und ihre herausragende Schaffenskraft. Sie alle waren „anders“ als die Mehrheitsgesellschaft.

Und nicht obwohl, sondern eben weil sie „anders“ waren, haben diese Persönlichkeiten Geschichte geschrieben, haben sie durch ihr Wirken und Schaffen Gesellschaft und Kultur nachhaltig und positiv geprägt. Sie stehen stellvertretend für all das, worauf die Gemeinschaft der Schwulen, Lesben, Bi-, Inter- und Transsexuellen stolz sein kann: Mut, Phantasie, Kreativität, Schaffenskraft und Kampfgeist. Allein deshalb hätte eigentlich schon jede und jeder dieser Frauen und Männer eine eigene Ausstellung verdient.

Die Ausstellung ist Teil des Projekts „100% Mensch“, das von einer ganz wunderbaren Haltung geprägt ist: Denn unser Blick auf Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle ist zugebenermaßen häufig etwas einseitig. Völlig zu Recht thematisieren wir, dass auch im Jahr 2018 LGBTI immer noch an viel zu vielen Orten dieser Welt wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert und ausgrenzt, ja zum Teil sogar Opfer von Hass, Gewalt und strafrechtlicher Verfolgung – bis hin zur Todesstrafe – werden.

Diese Missstände anzumahnen – dieser Kampf für Gleichstellung, Vielfalt und Toleranz ist für uns im Auswärtigen Amt als Menschenrechtsministerium zwingend. Der Schutz von LGBTI-Rechten ist einer der wichtigsten Schwerpunkte unserer Menschenrechtspolitik.

Denn das große Versprechen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 – „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ – ist leider auch nach sieben Jahrzehnten immer noch nicht überall auf der Welt eingelöst. In einer werteorientierten Außenpolitik ist es unsere Pflicht, diesen Anspruch weltweit von Regierenden einzufordern – öffentlich und hinter verschlossenen Türen.

Insbesondere wollen wir den vielen LGBTI-Aktivistinnen und Aktivisten den Rücken stärken, die sich mit Mut, Beharrlichkeit und Kreativität dafür einsetzen, dass die Menschenrechte für alle gelten – unabhängig davon, wer wir sind, woher wir kommen und wen wir lieben.

Aber die notwendige Debatte über Diskriminierung, Ausgrenzung, Gewalt und Verfolgung von LGBTI ist eben auch nur eine Seite der Medaille. Denn sie reduziert LGBTI leider oftmals auf eine Rolle, die ihnen überhaupt nicht gerecht wird: nämlich die des Opfers. Das Projekt „100% Mensch“ will mit dieser einseitigen Sicht auf die Opferrolle brechen. Denn wer immer nur als Opfer dargestellt wird, fühlt sich irgendwann auch als Opfer und verhält sich dementsprechend.

Die dreißig Persönlichkeiten aus der LGBTI-Community, die in dieser Ausstellung porträtiert werden, waren nicht nur Opfer. Sie waren vor allem selbstbewusste Repräsentantinnen und Repräsentanten des gesellschaftlichen Wandels, die trotz aller Widerstände ihr Anderssein akzeptiert und ihr Schicksal in die Hand genommen haben.

Und sie sind glaubwürdige Botschafterinnen und Botschafter für Vielfalt, Toleranz, Respekt und Akzeptanz. Sie haben durch ihre Taten und Worte so unendlich viel für unsere Community erreicht. Dafür bleiben wir ihnen auf immer zu Dank verpflichtet.

Der Kampf für Gleichstellung und Toleranz braucht Vorreiterinnen und Vorreiter, aber vor allem auch eine mutige Zivilgesellschaft, die diese Erfolge in der Breite verankert. Das Projekt „100% Mensch“ ist eine großartige Initiative. Danke dafür!

Allein mit dieser Ausstellung haben Sie an 15 Orten in Deutschland mehr als 150.000 Menschen erreicht. Vielleicht wurde der eine oder die andere beim Gang durch die Ausstellung ein wenig nachdenklich, hat eigene Vorurteile und Stereotypen infrage gestellt und den Mut zu einer neuen Sichtweise aufgebracht.

Ja, wir mögen etwas anders sein. Aber wir sind zuerst und vor allem zu 100 Prozent Menschen und haben Anspruch auf 100 Prozent Menschenwürde. In Deutschland. In Europa. Und weltweit. Dafür lassen Sie uns gemeinsam kämpfen.

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