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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth anlässlich der Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Serge Martin in Maillé

24.11.2018 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Als wir uns vor einigen Monaten in Berlin persönlich kennengelernt haben, haben Sie mich tief beeindruckt. Jeder, der einmal einem Überlebenden zugehört hat – fassungslos, erschrocken, berührt – wird mir sicher zustimmen: Diese Eindrücke vermag kein Buch, kein Film, kein Theaterstück zu vermitteln. Wir können so dankbar sein, dass Zeitzeugen wie Sie uns ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen und uns mit der grausamen Wahrheit der Verbrechen während der deutschen Besatzungszeit in Frankreich konfrontieren.

Deshalb ist es mir eine große Ehre, heute als Europa-Staatsminister und Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit zu Gast in Maillé zu sein. Wie Sie wissen, ist mir nicht nur die deutsch-französische Partnerschaft, sondern auch das Gedenken an die Gräueltaten des Naziregimes seit vielen Jahren ein ganz besonderes Herzensanliegen.

Sie, lieber Herr Martin, sind einer dieser Franzosen, der grausamste Verbrechen der Wehrmacht und der Waffen-SS erlebt und überlebt hat. Ihre Eltern und drei jüngere Geschwister fielen dem barbarischen Massaker am 25. August 1944 in Maillé zum Opfer, bei dem 124 Menschen – über die Hälfte davon Frauen und Kinder – ermordet wurden.

Sie bringen die Kraft und den Mut zur Vergebung auf. Sie setzen sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Erinnerung an das Massaker in ihrer Heimatgemeinde ein. Seit 2002 haben Sie als Vorsitzender der Vereinigung « Pour le Souvenir de Maillé » die Einrichtung einer Gedenkstätte sowie die Aufnahme umfangreicher Zeitzeugenberichte und Dokumentarfilme vorangetrieben. Diese Suche nach Wahrheit – so grausam sie auch sein mag – ist von unschätzbarem Wert. Dafür verdienen Sie Unterstützung. Der Deutsche Bundestag hat nun die Mittel für eine finanzielle Förderung im kommenden Jahr bewilligt. Sie können auf mich zählen: Ich werde mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass die Umsetzung zügig beginnt.

Das Massaker von Maillé, das von deutschen SS-Schergen begangen wurde, hat Ihr ganzes Leben tief geprägt. Doch Sie haben sich nicht etwa für Hass und Rachsucht gegenüber Deutschland, sondern für Versöhnung entschieden. Sie haben uns Deutschen die Hand gereicht - als Zeichen der Freundschaft. Von Herzen Danke dafür!

Versöhnung kostet Überwindung und Kraft. Versöhnung ist eine Geste, die man nicht erbitten, die man nur geschenkt bekommen kann. Und ich bin dankbar für dieses Geschenk. Versöhnung heißt aber nicht, die dunklen Kapitel der Geschichte dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Zukunft braucht Erinnerung. Heute halten Sie, lieber Serge Martin, Friedensreden vor jungen Menschen. Mit Ihrer Erfahrung als ehemaliger Berufschullehrer bringen Sie deutsche und französische Jugendliche zusammen und begreifen damit die Erinnerungskultur auch als eine Erziehung zu Frieden und Völkerverständigung. In einer Zeit, in der auch im Herzen Europas Hassreden wieder salonfähig werden, brauchen wir umso mehr versöhnliche Stimmen wie Ihre: Stimmen, die sich für die Erinnerung, für Verständigung und Frieden und gegen Nationalismus und Abschottung aussprechen.

Wir haben uns vor einigen Monaten in Berlin kennengelernt. Es war mir wichtig, heute persönlich nach Maillé zu kommen, um Ihnen im Namen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu überreichen. Diese Auszeichnung ist eine bescheidene Anerkennung für Ihr langjähriges und unschätzbares Engagement für die Erinnerung und das Gedenken, für den Frieden in Europa und die Versöhnung zwischen unseren beiden Ländern.

Diese Auszeichnung ist aber nicht nur ein Zeichen der Wertschätzung und Dankbarkeit für Ihre großen Verdienste. Sie ist zugleich auch Verpflichtung für uns Deutsche, die Erinnerung an die grausamen Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten. Maillé ist ein Ort der deutschen Schande, der leider immer noch viel zu wenigen meiner Landsleute bekannt ist.

Wir machten uns ein zweites Mal schuldig, wenn wir verschweigen, relativieren oder gar leugnen, was die Generation unserer Großeltern und Urgroßeltern anderen Menschen und Völkern angetan hat.

Deutschland bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung für Faschismus, Krieg und Holocaust. Erinnerung und Bekenntnis sind keine Zeichen von Schwäche. Beides macht uns stark und sensibilisiert uns für mögliches neues Leid. Sie haben an der Geschichte Europas als eine Gemeinschaft des Friedens mitgeschrieben. Das werden wir Ihnen, lieber Herr Martin, niemals vergessen. Merci!

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