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Brexit: „Wir können uns keine Blockaden leisten“

10.04.2019 - Interview

Europa-Staatsminister Michael Roth im Interview mit dem Tagesspiegel über die Bedingungen für eine Verlängerung der Brexit-Frist.

Herr Roth, soll die EU den Briten beim Brexit eine lange Fristverlängerung bis 2020 gewähren?

Wir haben kein Zeitproblem. Es gibt in London vor allem ein Entscheidungsproblem. Wir haben den Briten mehrfach mehr Zeit gewährt. Bislang ist von britischer Seite keine einzige Entscheidung getroffen worden, die uns in der schmerzhaften Brexit-Frage voran bringt. Wir wollen einen ungeregelten Brexit unbedingt verhindern. Aber ich habe den Eindruck, dass man die Geduld der europäischen Partner nicht weiter auf eine allzu große Probe stellen sollte. Das ist auch heute beim Gespräch der Europaminister mit dem EU-Chefverhandler Michel Barnier in Luxemburg sehr deutlich geworden.

Was muss die britische Regierungschefin Theresa May beim EU-Sondergipfel liefern, damit sie eine Verlängerung bekommt? Muss sie eine Vereinbarung mit dem Labour-Chef Jeremy Corbyn in der Tasche haben?

Es ist schwer zu sagen, ob Premierministerin May bereits in den nächsten Tagen einen Kompromiss mit der Labour-Partei erzielen wird. Eine Chance für eine Verlängerung sehe ich nur, wenn die europäischen Institutionen arbeitsfähig bleiben. Wenn man über einen bestimmten Termin hinaus verlängert, muss Großbritannien an den Europawahlen teilnehmen. Und: Sollte es wirklich eine Verlängerung über wenige Wochen hinaus geben, dann brauchen wir eine feste Zusage aus London, dass sich Großbritannien konstruktiv und loyal in den EU-Institutionen verhalten wird. Wir haben derzeit in der EU wichtige Themen zu entscheiden, nicht zuletzt die künftige Finanzierung der EU. Da können wir uns keine Blockaden von einem Mitgliedsland leisten, das eigentlich aus der EU austreten möchte.

Sollen sich die Briten, wenn sie nun doch länger dabeibleiben sollten, lediglich konstruktiv verhalten oder sich sogar der Stimme enthalten, wenn es um Themen wie den künftigen EU-Finanzrahmen für die Zeit ab 2021 geht?

Wir alle müssen uns immer rechtskonform verhalten. Ein Mitgliedsland der EU hat alle Rechte und Pflichten. Aber man muss auch sagen: Bislang hat das ganz ordentlich geklappt, die britischen Partner legen eine gewisse Zurückhaltung an den Tag, wenn es um zukünftige Entscheidungen in der EU geht, die nach dem Brexit in Kraft treten. In diesem konstruktiven politischen Klima muss es aber jetzt auch weitergehen.

Für die Dauer einer möglichen Verlängerung werden unterschiedliche Fristen genannt: bis zum 22. Mai, bis zum 30. Juni oder spätestens bis zum 10. April 2020. Wo liegt die Präferenz der Bundesregierung?

Unsere Priorität liegt erstens in der Verhinderung eines ungeregelten Brexit. Zweitens wollen wir den Zusammenhalt der EU in den Brexit-Fragen sichern. Und drittens wollen wir endlich auch wieder Raum schaffen für die längst überfälligen Debatten über die künftige Ausrichtung der EU.

May möchte eine Fristverlängerung bis zum 30. Juni. Ist das überhaupt realistisch?

Die wichtigsten Akteure in Großbritannien signalisieren uns immer wieder sehr deutlich, dass sie kein Interesse haben, an den Europawahlen teilzunehmen. Wenn es dabei bleibt, dann kann es ja gar nicht um eine lange Zeitspanne gehen. Denn eines ist klar: Wenn man über den 22. Mai hinausgeht, ist eine Beteiligung an den Europawahlen unausweichlich.

Interview: Albrecht Meier

www.tagesspiegel.de

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