Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Georgiens

03.07.2018 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrter Herr Minister, lieber Davit,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Gäste,

heute feiern wir auch hier in Berlin den 100. Jahrestag der ersten georgischen Unabhängigkeit – mit rund fünfeinhalb Wochen Verspätung.
In Georgien haben sie ja bereits am Unabhängigkeitstag am 26. Mai ausgiebig gefeiert.

Der Bärensaal, in dem wir uns hier befinden, wurde 1911 eingeweiht. Damit ist dieser Saal sogar noch ein paar Jahre älter als die Erste Georgische Republik, die nach der Oktoberrevolution und dem Zerfall des Zarenreichs im Mai 1918 gegründet wurde. Deutschland war damals der erste Staat, der die neue Republik anerkannt hat – auch wenn diese erste Epoche der Freiheit Georgiens nur knapp drei Jahre währte.

Doch der gesellschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Austausch zwischen unseren beiden Ländern reicht noch viel weiter zurück in der Geschichte. So soll Kaiser Friedrich Barbarossa im 12. Jahrhundert dem georgischen König einen seiner Söhne als Ehemann für dessen Tochter, die spätere Königin Tamar, angeboten haben. Auch wenn diese Verbindung letztlich nicht zustande kam – die Verbindungen, die in den folgenden Jahrhunderten zwischen unseren Ländern aufgebaut wurden, sind überaus bunt und vielfältig.

Anfang des 19. Jahrhunderts kamen deutsche Siedler aus Baden-Württemberg auf Einladung des russischen Zaren nach Georgien, wo sie Zuflucht vor Hungersnot und religiöser Verfolgung suchten.

An die Ankunft der ersten deutschen Siedlerinnen und Siedler vor 200 Jahren, aber auch an die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen nach der „zweiten Unabhängigkeit“ vor 25 Jahren haben wir im vergangenen Jahr im Rahmen des Deutsch-Georgischen Jahres mit vielen Veranstaltungen erinnert.

So habe ich mich sehr gefreut, dass Außenminister Michail Janelidze im August 2017 zu einem gemeinsamen Konzert von zwei Jugendchören aus Georgien und Deutschland in meine Heimatstadt Bad Hersfeld gekommen ist.

Musik verbindet und baut Brücken – das werden wir auch heute Abend wieder mit der Unterstützung des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt erleben. Das Orchester wurde 1964 in Tiflis gegründet und siedelte 1991 nach Ingolstadt über, wo es nun seit über 27 Jahren seine zweite Heimat gefunden hat.
Noch immer spielen in dem Ensemble fast nur Musikerinnen und Musiker aus Georgien und aus Osteuropa. Großartig, dass Sie heute hier bei uns in Berlin sind!

Und ein weiterer kultureller Höhepunkt steht uns in diesem Jahr erst noch bevor: Im Oktober wird sich Georgien als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Unter dem Motto „Georgia – Made by Characters“ werden die literarische Tradition und das einzigartige georgische Alphabet im Mittelpunkt des Gastlandauftritts stehen. Wenn man sich die Vorberichterstattung und die vielen Leseempfehlungen ansieht, die bereits jetzt im Umlauf sind, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Es ist höchste Zeit, dass wir auch hier in Deutschland die lebendige georgische Literaturszene näher kennenlernen! Ich bin gespannt und freue mich drauf!

Meine Damen und Herren,
Georgien hat in den vergangenen Jahren viel erreicht. Einer der Höhepunkte ist sicherlich die visafreie Einreise für Kurzaufenthalte in Deutschland und andere Schengen-Staaten. Dies bietet seit März 2017 neue Möglichkeiten für den gesellschaftlichen Austausch, die auch rege insbesondere von jungen Leuten genutzt werden.

Neben den bilateralen Kontakten liegt mir vor allem auch die Zusammenarbeit im europäischen Rahmen der Östlichen Partnerschaft besonders am Herzen. Unsere Beziehungen brauchen vor allem einen starken europäischen Anker. Die Europäische Union muss sich noch mehr anstrengen, um Ländern wie Georgien oder die Ukraine, die ebenso europäisch denken und fühlen wie wir, attraktive Angebote zu unterbreiten. Diese neue europäische Ostpolitik richtet sich gegen niemanden.

Es sollen keine alten Brücken abgerissen, sondern neue zwischen der Europäischen Union, Ihren Mitgliedstaaten und den Ländern der Östlichen Partnerschaft gebaut werden.

In den vergangenen Jahren haben wir die Reformbemühungen Georgiens stets unterstützt – und werden dies auch weiter tun. Unsere enge Partnerschaft hilft, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken, die wirtschaftliche Entwicklung Georgiens zu beschleunigen, eine gute Regierungsführung sicherzustellen und die georgischen Regionen in all ihrer Vielfalt zu erhalten. Wir unterstützen zahlreiche kommunale und regionale Projekte, die konkret den Menschen in Georgien zugutekommen.

Auch im Bereich der militärischen Zusammenarbeit sind wir einander verbunden. Wir wissen die georgische Beteiligung an der Mission Resolute Support in Afghanistan sehr zu schätzen.

Lassen Sie mich diese Gelegenheit deshalb nutzen, Ihnen für den wichtigen georgischen Beitrag zur Sicherheit deutscher Soldatinnen und Soldaten durch den Schutz der Feldlager und der schnellen Eingreiftruppe zu danken. Deutschland wiederum leistet einen finanziellen und personellen Beitrag, um das so genannte „NATO-Georgia Substantial Package“ umzusetzen. Das erlaubt es Georgien, seine militärischen Fähigkeiten zu stärken und die Möglichkeit zu gemeinsamen militärischen Operationen mit der Allianz zu verbessern.

Meine Damen und Herren,
der Bär hier im Saal hat schon viel mitgemacht: Während des Zweiten Weltkriegs durchlebte er Bombenangriffe, 1959 wurde er in den Berliner Tierpark im Osten der Stadt umgesiedelt und kehrte erst 2001 wieder in sein angestammtes Domizil zurück.

Leider verpasste er darüber die Verhandlungen über den Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, die auch in diesem Saal stattfanden. Wahrscheinlich hätte er sich, als er 1959 umgesiedelt wurde, nicht träumen lassen, dass er heute, gut sechzig Jahre später, Gäste aus Ost und West in einem wieder geeinten Berlin empfangen kann.

Die Geschichte hat die Berlinerinnen und Berliner gelehrt, dass es wichtig ist, auch in Zeiten der willkürlichen Trennung zwischenmenschliche Brücken aufrechtzuerhalten. Ich begrüße deshalb das jüngst vom georgischen Parlament verabschiedete Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Lebensbedingungen jenseits der so genannten Verwaltungsgrenzen mit Abchasien und Südossetien. Wir stehen in der Frage der territorialen Integrität Georgiens in seinen international anerkannten Grenzen fest an Ihrer Seite. Sie können sich auf uns verlassen!

Möge unsere Freundschaft wachsen und gedeihen - und zwar auf einem stabilen Fundament gemeinsamer europäischer Werte.

Vielen Dank und didi madloba!


Schlagworte

nach oben