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Rede von Europa- Staatsminister Michael Roth vor dem Deutschen Bundestag zur Eröffnung der Debatte über den Haushaltsplan für das Auswärtige Amt

30.09.2020 - Rede

Am kommenden Samstag feiern wir den 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Die Wiedervereinigung war für uns Deutsche ein großes Geschenk. Sie beendete die jahrzehntelange Teilung unseres Landes. Vor allem war sie aber ein riesiger Vertrauensvorschuss unser Nachbarinnen und Partner. Denn die deutsche Einheit hätte es nicht gegeben, wenn unsere Partner nicht ihre Bedenken hintangestellt und uns ihr Vertrauen geschenkt hätten. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleiben wir dankbar, und daraus entspringt für uns in Deutschland eine ganz besondere Verpflichtung: Wir strengen uns in Europa besonders an - für ein geeintes, für ein solidarisches und für ein souveränes Europa.

Wir müssen dafür sorgen, dass Europa in Zukunft überhaupt noch eine Rolle in der Konkurrenz zu anderen Wertemodellen spielt, und das gelingt uns nur als Team, mit vereinten europäischen Kräften. Vier Punkte sind uns im Auswärtigen Amt dabei besonders wichtig:

Erstens. Deutschland als Land im Herzen Europas hat ein elementares Interesse an einer starken und souveränen Europäischen Union. Denn damit steht und fällt unsere eigene Handlungsfähigkeit in einer Welt voller Krisen, Kriege und Konflikte.

„Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ - unter diesem Motto hat am 1. Juli die deutsche EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Sie alle wissen das: Bis zum Ende dieses Jahres übernimmt Deutschland eine ganz besondere Verantwortung in und für Europa. Die Aufgaben sind groß, und die Erwartungen sind es auch. Unser wichtigstes Ziel ist es, Europa geeint, gestärkt und solidarisch aus der Krise zu führen. Deshalb haben wir gleich zu Beginn mit dem europäischen Wiederaufbaufonds und einem ambitionierten EU-Haushalt auf Solidarität und Zusammenhalt gesetzt.

Auch in dieser Krise ist wieder einmal deutlich geworden: Gemeinsam sind wir stärker. - Und auf Teamspiel wird es auch in den nächsten Monaten ankommen.

Auch eine der Humanität und Solidarität verpflichtete europäische Migrationspolitik, die ihren Namen wirklich verdient, bekommen wir nur gemeinsam hin. Das ist zugegebenermaßen ein ziemlich hartes Brett,

nicht frei von Enttäuschungen.

Aber Deutschland sieht sich hier als Mutmacher und Motor einer europäischen Lösung. Wir wollen den jahrelangen Stillstand und die Blockaden endlich überwinden.

Und deshalb gehen wir mit gutem Beispiel voran bei der Aufnahme schutzbedürftiger Menschen aus Griechenland und Geretteter aus dem Mittelmeer.

Unser Kompass, liebe Kolleginnen und Kollegen, orientiert sich eben an Werten.

Aber wenn wir uns nicht mehr um europäische und gemeinsame Lösungen bemühen - auch wenn das immer wieder verdammt schwierig ist -, dann haben am Ende Nationalisten und Populisten gewonnen. Die setzen nämlich auf Abschottung, auf Egoismus und Rückzug ins nationale Schneckenhaus. Und wir dürfen nicht zulassen, dass diese Nationalisten gewinnen und obsiegen im vereinten Europa.

Ja, wir sind solidarisch mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern. Wir sind bereit zu Kompromissen, um europäische Lösungen zu ermöglichen. Doch bei einem kann es niemals Kompromisse und Rabatte geben: bei unseren gemeinsamen Werten.

Denn die EU ist nicht in erster Linie ein Binnenmarkt oder eine Währungsunion, sondern vor allem eine Werte- und eine Rechtsgemeinschaft.

Und diese Werte und diese Rechte verpflichten uns alle.

Um unsere Werte zu verteidigen, wollen wir in der EU zwei neue Instrumente einführen. Erstens: die Rechtsstaatskonditionalität. Wenn Mitgliedstaaten systematisch gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen,

dann sollen sie künftig weniger Geld aus Brüssel bekommen. Zweitens: der Rechtsstaatscheck.

Auf Grundlage eines Berichts der Kommission - er ist heute vorgestellt worden - diskutieren wir künftig im Rat regelmäßig über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten.

Wir tragen Verantwortung für ganz Europa. Das Angebot einer EU-Mitgliedschaft bleibt nach wie vor ein zentrales Instrument, um für mehr Frieden, mehr Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Die Staaten des Westbalkans, die strenge Kriterien in puncto Demokratie, unabhängiger Justiz, Korruptionsbekämpfung, Medienfreiheit zu erfüllen haben, sollen EU-Mitglieder werden können, wenn sie diese Bedingungen erfüllen und wenn sie dies wollen. Denn der westliche Balkan ist nicht der Hinterhof Europas, sondern der Innenhof des europäischen Hauses. Mit Nordmazedonien und Albanien wollen wir noch während unserer Ratspräsidentschaft den Startschuss für konkrete Beitrittsverhandlungen geben.

Zweitens. Europa ist umgegeben von Krisenherden. Wir müssen dafür sorgen, dass Europa die Krisen vor seiner eigenen Haustür eigenständig lösen kann. Wir sind als EU noch nicht so gut, wie wir sein könnten und sein sollten. Wir brauchen mehr Schlagkraft und Entschlossenheit. Deshalb setzen wir uns seit Jahren dafür ein, bei wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Weichenstellungen den Zwang zur Einstimmigkeit endlich zu überwinden.

Im östlichen Mittelmeer haben wir eine weitere Eskalation zumindest für den Moment abgewendet. Nun geht es darum, den Dialog zwischen Griechenland und der Türkei auch als EU-Ratspräsidentschaft eng zu begleiten. Unser Außenminister Heiko Maas ist hier mit großem persönlichem Einsatz als Vermittler und Brückenbauer aktiv.

Auch in unserer östlichen Nachbarschaft nehmen die Krisenherde weiter zu. Die dramatische Eskalation des Bergkarabach-Konflikts zeigt: Aus eingefrorenen Konflikten müssen gelöste Konflikte werden, sonst brechen sie immer wieder auf.

Wir sind im engen Austausch mit den Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan, aber auch den Akteuren in der Region. Auf unsere Initiative wurde ein UN-Sicherheitsratsbeschluss erwirkt, der zu einem sofortigen Waffenstillstand auffordert. Staaten wie Russland und die Türkei, die einen besonderen Einfluss in der Region haben, müssen ihrer besonderen Verantwortung für eine dauerhafte Lösung gerecht werden.

Und wir setzen dabei vor allem auf die OSZE-Minsk-Gruppe.

Die Repressionen des Lukaschenko-Regimes gegen friedliche Demonstrierende und die politische Opposition sind völlig inakzeptabel. Schwere Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen demokratische Grundprinzipien müssen beantwortet werden. Und deshalb brauchen wir rasch Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Gewalt und Unterdrückung - und wenn er nicht einlenkt, dann auch gegen Herrn Lukaschenko persönlich.

Sanktionen - das wissen wir alle - garantieren keinen Erfolg, aber sie setzen ein klares Zeichen, dass wir den derzeitigen Zustand eben nicht akzeptieren. Respekt, Solidarität und unsere Hochachtung für die unerschrockenen Frauen in Belarus, die Woche für Woche für die Zukunft ihres Landes auf die Straße gehen. Wir stehen an eurer Seite!

Im Ukraine-Konflikt trägt unser Engagement gemeinsam mit Frankreich endlich erste Früchte. Die bislang längste Waffenruhe werden wir in den nächsten Monaten nutzen, um endlich einer politischen Lösung näherzukommen.

Auch das deutsch-russische Verhältnis ist derzeit schwer belastet.

Russland muss zur Aufklärung der Vergiftung von Alexej Nawalny beitragen, die wir gemeinsam mit unseren Partnern klar beweisen konnten. Der Einsatz chemischer Waffen ist ein fundamentaler Verstoß gegen internationale Regeln.

Die immer wieder von uns auch eingeforderte neue Ostpolitik muss europäisch eingebettet werden. Unsere Beziehungen zu Russland müssen stets auch Sorgen und historische Erfahrungen unserer östlichen Nachbarinnen und Nachbarn, etwa Polen und Balten, einbeziehen. Es gibt nicht zu wenige Gesprächskanäle und Foren mit Russland; es gibt in Moskau derzeit noch zu wenig Bereitschaft, sie für einen offenen, ehrlichen und faktenbasierten Dialog zu nutzen.

Drittens. Die Coronapandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die Rivalität der Großmächte. Die USA sind derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Egal wie die Präsidentschaftswahl im November ausgeht: Wir brauchen einen Neustart der transatlantischen Beziehungen. Denn machen wir uns nichts vor: Egal wer Präsident wird - für die USA wird Europa nicht mehr denselben Stellenwert haben wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges.

Wir brauchen nach der Wahl sehr schnell eine transatlantische Positivagenda.

Während die USA auf dem Rückzug sind, legt China eine härtere Gangart ein und treibt seine globale Agenda entschlossen voran. Das Verhältnis zu China ist schwierig und kompliziert. Einerseits ist China ein wichtiger Partner, und das nicht nur wirtschaftlich. Gerade bei globalen Fragen wie der Bekämpfung von Epidemien, dem Kampf gegen den Klimawandel oder der Lösung regionaler Konflikte können wir nur gemeinsam mit China erfolgreich sein. Aber China ist eben auch ein Systemrivale, mit dem wir in einem knallharten Wettbewerb der Werte stehen. Und hier darf sich Europa nicht auseinanderdividieren lassen. Wir müssen gegenüber China selbstbewusster agieren, mit einer Stimme sprechen. Auch das ist eine Priorität der deutschen Ratspräsidentschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer vernetzten Welt ist die multilaterale Zusammenarbeit Grundlage für Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit. Wir leisten viel. Dass wir mehr leisten können als in den vergangenen Jahren, ist auch Ihr Verdienst, das Verdienst des Deutschen Bundestages. Humanitäre Hilfe, Krisenprävention, Stabilisierung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, all diese Aufgaben kosten Geld, Geld, das gut angelegt ist in einer Welt, in der Unfrieden und Uneinigkeit absehbar zunehmen werden. In Zeiten der Krise ist das ein ganz wichtiges Signal. Wir nehmen mehr Geld in die Hand, um Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht zu werden. Das macht uns handlungsfähig und erlaubt uns, im Team mit anderen eine Welt der Krisen, Kriege und Konflikte etwas friedlicher, etwas menschlicher, etwas stabiler und nachhaltiger zu machen.

Vielen Dank für Ihre Unterstützung.


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