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Europa muss digitale Macht sein

04.10.2020 - Namensbeitrag

Staatsminister Michael Roth in der FAZ

Wer bei Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz global den Ton angibt, wird in der Lage sein, wirtschaftlich, politisch und auch militärisch zu dominieren. Das Rennen um die Technologie-Vorherrschaft steht im Zentrum eines neuen globalen Wettstreits. Die Schrittmacher sind China und die USA. Im Schatten von Corona treiben beide Großmächte ihre Ambitionen entschlossen voran. Sie drehen immer weiter an der Eskalationsspirale und suchen die direkte Konfrontation. Tiktok und Wechat, der Mobilfunkstandard 5G und modernste Computerchips – sie alle sind längst Gegenstand der Großmächterivalität und werfen Schlaglichter auf den globalen Trend der „Tech-Geopolitik“. Es wird mit harten Bandagen gerungen. Technologischer Vorsprung und einseitige Abhängigkeiten sind dabei die machtpolitischen Hebel. Manche sehen bereits einen Kalten Krieg 2.0 im Gange.

Wenn die Großmächte an ihrem Kurs festhalten, droht die Welt zunehmend in zwei konkurrierende Tech-Sphären zu zerfallen. Das zwingt uns zu einer Standortbestimmung, Europa muss sich entscheiden. Aber eben nicht zwischen den USA und China, sondern für einen eigenen, einen europäischen Weg. Denn klar ist: Europa darf auf dem digitalen Auge nicht blind sein. Nur wenn wir technologisch stärker und selbstbestimmter werden, kann sich Europa im Digitalzeitalter behaupten und in der Welt selbstbewusst für unsere Werte und Interessen eintreten. Jüngst hat uns die Coronakrise in schmerzhafter Weise vor Augen geführt, wie abhängig Europa in unterschiedlichen Bereichen geworden ist. Daher ist die Forderung nach europäischer Souveränität das Gebot der Stunde – gerade mit Blick auf neue Technologien. Höchste Zeit, dass wir unsere Geschicke selbst in die Hand nehmen. Das ist auch eine Priorität unserer deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Wir brauchen eine eigene kluge und ambitionierte europäische Strategie des Digitalen, mit der wir Außen-, Wirtschafts- und Technologiepolitik konsequent zusammenbringen und ein starkes, souveränes und innovatives Europa schaffen.

Wie kann das gelingen? Zunächst müssen wir die nationale Kleinstaaterei überwinden und den europaweiten Wildwuchs an Programmen und Strategien in einer gemeinsamen Politik bündeln. Mit einer Generalinventur sollten wir Chancen für Synergien in Europa identifizieren und auch schauen, wo sich Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Partnerinnen und Partnern außerhalb Europas anbietet. Bestimmte Schlüsseltechnologien müssen wir jedoch auch selbst beherrschen und in Europa selbst besitzen. Dazu zählen etwa Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und Chiptechnologien. Auch die Sicherung unserer Datennetze sowie die Entwicklung eigener Speicherkapazitäten und Cloud-Computing-Dienste sind zentrale Bausteine. Zudem bedarf es einer viel strategischeren Industriepolitik und eines einheitlichen digitalen Binnenmarkts. Und wir müssen massiv in unsere digitale Infrastruktur und Forschung investieren. Mit dem größten mehrjährigen Haushalt ihrer Geschichte hat die EU jetzt wichtige Pflöcke eingeschlagen und ein starkes Aufbruchssignal gesetzt.

Auf dem Weg zu mehr europäischer Souveränität streben wir allerdings keine möglichst weitgehende „Entkoppelung“ an, wie es die USA und China aktuell betreiben. Weder Abschottung und Kleinstaaterei noch Hegemonialstreben und Allmachtsphantasien dürfen unseren europäischen Weg in das Digitalzeitalter leiten. Unser Weg muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen, auf klare ethische Prinzipien, hohe Datenschutz- und Sicherheitsstandards sowie freie Meinungsäußerung bauen und zu mehr demokratischer Teilhabe, Wohlstand und Freiheit beitragen. Damit grenzen wir uns entschieden vom Datenkapitalismus US-amerikanischer Tech-Giganten und dem chinesischen Modell mit Staatskontrolle und digitaler Repression ab.

Für mehr europäische Souveränität wird die 5G-Frage zur Nagelprobe. Denn hier geht es um die Ausgestaltung unserer digitalen Infrastruktur der Zukunft, das Zentralnervensystem unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Und es geht um die Frage nach der Abhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit von Herstellern aus Drittstaaten, unter anderem China. Auf dem Spiel steht nicht zuletzt die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Dabei haben wir in Europa zwei technologisch weltweit führende Ausrüster. Es mangelt also nicht am Angebot, die europäischen Alternativen stehen bereit. Deshalb sollten wir auch auf europäische Lösungen setzen. Dabei schaut Europa gespannt auf die Haltung Deutschlands. Umso wichtiger, dass die Bundesregierung jetzt ernst macht und wir ein klares Zeichen für einen europäischen Weg setzen. Die Debatte um 5G ist für Deutschland und die EU ein längst überfälliger Weckruf.

Die Tech-Geopolitik steht längst im Rampenlicht auf der ganz großen Weltbühne. Europa darf sich beim globalen Rennen um die Tech-Vorherrschaft nicht mit einem Platz auf der Zuschauertribüne begnügen, sondern muss selbst digitale Gestaltungsmacht sein. Ansonsten droht ein Ausverkauf europäischer Selbstbestimmung. Ein starkes, werteorientiertes, souveränes und innovatives Europa ist unsere Lebensversicherung für das digitale Zeitalter!

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