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Wir brauchen eine „Ein-Europa-Politik“

05.03.2018 - Namensbeitrag

Von Staatsminister für Europa Michael Roth. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen.

Lange Zeit war der weltweite Siegeszug des einzigartigen westlichen Modells von Frieden, Wohlstand, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nahezu ungebrochen. Als transformative Macht prägte und inspirierte „der Westen“ viele Gesellschaften weltweit. Dass „Wandel durch Annäherung“ jedoch keine Einbahnstraße ist, bekommen wir inzwischen auch in Europa deutlich zu spüren. Zunehmend verfolgen Länder wie Russland und China ihre strategischen Interessen auch auf europäischem Boden – teils offen, teils verdeckt. Der wachsende Einfluss dieser Staaten ist letztlich auch Ausdruck unserer eigenen Schwäche. Denn angesichts multipler Krisen und sozialer Verwerfungen in Teilen Europas hat das europäische Narrativ zuletzt massiv an Glaubwürdigkeit und Strahlkraft verloren.

China ist aktuell der einzige Akteur auf der internationalen Bühne mit einer wirklich globalen, geostrategischen Idee. Zeitgleich zum von Präsident Donald Trump propagierten Rückzug der USA erstarkt die Außenpolitik von Präsident Xi Jinping als Vehikel einer „neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“. Nicht zuletzt das geostrategische Großprojekt „Neue Seidenstraße“ untermauert den chinesischen Führungsanspruch.
Auch in den EU-Mitgliedstaaten und Deutschland bemüht sich China, verstärkt auf Politik, Wirtschaft und öffentliche Meinung einzuwirken. Dabei bedient es sich ganz unterschiedlicher Kanäle und Instrumente, wie jüngst eine viel beachtete Studie der Think Tanks MERICS und „Global Public Policy Institute“ gezeigt hat. Die Einflussnahme Chinas auf europäischem Boden verfolgt allerdings nicht das Ziel, die EU als Ganzes zu destabilisieren oder gar zu zerstören. Im Gegenteil: Ein politisch und wirtschaftlich stabiles Europa liegt als Ruhepol in einer unruhigen Welt und Absatzmarkt durchaus im Interesse Chinas.

Und auch die europäische Wirtschaft hat davon profitiert, dass China seine wirtschaftliche Präsenz auf dem Kontinent in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut hat. Wir beobachten einen massiven Anstieg chinesischer Direktinvestitionen in der EU, nicht zuletzt bei Infrastrukturprojekten, aber auch in den Schlüsseltechnologien. Und doch machen die chinesischen Investitionen immer noch nur einen Bruchteil dessen aus, was die EU selbst etwa in den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländern investiert. Der Eindruck, China habe die EU längst als Hauptinvestor abgelöst, trügt also. Doch die wirtschaftlichen Verlockungen Chinas bringen bisweilen das europäische Wertefundament gehörig ins Wanken. Mancher EU-Partner ist gar bereit, für einen lukrativen bilateralen Deal mit China die europäische Menschenrechtspolitik zu untergraben.

Welche Antworten vermag die EU auf die chinesische Einflussnahme zu geben? Was können wir tun, um nicht wie das berühmte Kaninchen vor der immer mächtiger erscheinenden Schlange aus Fernost zu erstarren? Es ist Chinas gutes Recht, auch auf europäischem Boden konsequent seine geostrategischen Ziele zu verfolgen. Bei allem Gejammer müssen wir Europäer uns aber kritisch fragen lassen, warum die EU selbst immer noch nicht über eine eigene Strategie verfügt.

Mit Blick auf China führt an einer gesamteuropäischen Strategie kein Weg vorbei. Wir brauchen endlich eine „Ein-Europa-Politik“. Wir müssen mit einer gemeinsamen europäischen Stimme sprechen und dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen. Allein zwischen Deutschland und China gibt es derzeit rund 70 unterschiedliche Dialogformate. Klar ist aber auch: Je geschlossener wir als EU gegenüber China agieren, desto effektiver und glaubwürdiger können wir unsere Interessen vertreten.

Deshalb gilt es, die bestehenden bilateralen Dialogformate noch viel stärker zu europäisieren – nicht nur im Hinblick auf Handel- und Wirtschaftsfragen, sondern vor allem, wenn es um unsere fundamentalen Werte und Prinzipien geht. Der 1995 ins Leben gerufene Menschenrechtsdialog der EU mit China braucht einen echten Neustart. Wir müssen deutlich machen: Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einerseits sowie Frieden, Wohlstand und Sicherheit andererseits sind zwei Seiten derselben Medaille. Als Kern unserer „Ein-Europa-Politik“ dürfen wir keinerlei Zweifel daran lassen, dass unsere Grundwerte für uns Europäer nicht verhandelbar sind.

Gleichzeitig muss Europa wieder zum Innovationsmotor werden, wenn es weiterhin Modell und Partner auf Augenhöhe sein möchte. Dafür müssen wir viel mehr tun bei Bildung, Forschung und Entwicklung. Zwar nutzt China derzeit jeden Zentimeter Freiraum aus, dem wir ihm durch unsere eigene Schwäche und Zögerlichkeit überlassen. Doch hat China selbst genügend Baustellen daheim. Beispielsweise ist seine Wirtschaftsstruktur schlicht nicht nachhaltig genug. Für das dringend benötigte „Upgrade“ seiner Wirtschaft ist China immer noch auf Europa angewiesen.

Vorerst mag uns der wachsende Einfluss Chinas in Europa beunruhigen. Das Modell Europa steht mittlerweile in einem knallharten internationalen Wettbewerb mit anderen gesellschaftspolitischen Konzepten. Zwischenzeitlich versprechen auch andere Systeme wirtschaftlichen Erfolg und Sicherheit – aber eben ohne die für Europa so charakteristische Verknüpfung mit Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diesem globalen Wettbewerb müssen wir uns selbstbewusst stellen. Wenn wir unsere europäische DNA bewahren und verteidigen, braucht sich wirklich niemand vor China zu fürchten.

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