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Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den deutschen Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats, vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats

22.04.2021 - Rede

Guten Morgen, Herr Präsident,
guten Morgen, sehr geehrte Abgeordnete,

haben Sie vielen Dank für Ihre Einladung. Das ist mir eine große Ehre. Ich wäre sehr gern bei Ihnen in Straßburg gewesen, aber die Pandemie wirkt sich ja auf uns alle aus, ganz gleich in welchem Verantwortungsbereich wir tätig sind, und sie wirkt sich natürlich auch in besonderer Weise auf unseren Vorsitz aus. Dank Ihrer Unterstützung konnten wir jedoch erfolgreich an einigen Themen arbeiten, die wir für besonders relevant halten.

Auch ich war gestern sehr beeindruckt von der Äußerung der Menschenrechtskommissarin, die deutlich gemacht hat, dass das vergangene Jahr für die Menschenrechte weltweit – aber eben auch in Europa – eine Tragödie darstellt. Dies ist einer der Gründe, warum es für den deutschen Vorsitz so wichtig war, den Europarat gerade in den Bereichen seiner Kernkompetenz zu stärken: bei der Verteidigung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie. Genau hierauf müssen wir uns jetzt konzentrieren. In einer Zeit, in der die Demokratie unter Druck gerät und Nationalismus, Populismus und Autoritarismus auf dem Vormarsch sind, ist der Europarat wichtiger denn je. Wir alle müssen unseren Beitrag dazu leisten, um sicherzustellen, dass dieses Forum auch und gerade im Hinblick auf diese wesentlichen Grundsätze gestärkt wird.

Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass unser Vorsitz davon geprägt sein würde, das Schlimmste zu verhindern. Wir hatten uns vorgenommen, die Rechtsinstrumente des Europarats zu stärken und zu fördern. Ich möchte hier besonders an die Istanbul-Konvention erinnern, dessen zehnjähriges Jubiläum wir in einigen Tagen feiern werden. Wir hatten andere Staaten überzeugen wollen, der Istanbul-Konvention beizutreten oder sie endlich zu ratifizieren. Aber nach dem Austritt der Türkei durch den Erlass von Präsident Erdoğan haben wir vielmehr einen wichtigen Partner eingebüßt. Das ist eine tragische Entwicklung für uns alle.

Das ist vor allem deshalb tragisch, weil während der Pandemie die häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder noch einmal drastisch zugenommen hat. Gerade während der Pandemie wäre es doch besonders wichtig, eine Brandmauer gegen die Gewalt zu errichten. Die Istanbul-Konvention bleibt nach wie vor ein zentrales Instrument in diesem Zusammenhang. Ich habe viel Unsinn dazu gehört. Hier geht es gar nicht um Ideologie. Dass Frauen und Kinder vor Gewalt geschützt werden, ist ihr Menschenrecht und ist unbestreitbar mit der Verteidigung der Menschenwürde verknüpft.

Deshalb möchte ich Sie alle darum bitten, in den kommenden Tagen und Wochen die Istanbul-Konvention als Schutzinstrument bekannt zu machen. Es gilt, diese zu stärken, nicht zu schwächen, und ich bin Ihnen, Herr Präsident, meinen Kolleginnen und Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung und der Generalsekretärin sehr dankbar, dass wir mit einer gemeinsamen Erklärung erneut deutlich gemacht haben, dass die Organe des Europarats dabei unbeirrt und eng zusammenstehen.

Was macht Rechtsstaatlichkeit aus? Sie umfasst viele Elemente, und ich möchte hier nur die wichtigsten ansprechen. Der Schutz und die Unabhängigkeit der Justiz sind das A und O der Rechtsstaatlichkeit. Ein großes Privileg der Mitgliedschaft im Europarat besteht darin, dass Millionen von Menschen den Schutz durch die Europäische Menschenrechtskonvention und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben. Es ist sehr besorgniserregend, dass eine steigende Zahl von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umgesetzt wird. Dies ist eine substanzielle Problematik, es geht um den Wesenskern des Europarats.

Wir können über alles diskutieren und streiten.Aber die Mitgliedschaft im Europarat setzt immer voraus, dass die Urteile des EGMR umgesetzt werden und dass Beobachtermissionen stets dort Zugang haben, wo sie Menschenrechtsverstöße befürchten müssen, wo immer Gefahr im Verzug ist und wo immer eine Lage untersucht und aufgeklärt werden muss.

Ich möchte alle Mitgliedstaaten erneut dazu aufrufen, einen konkreten Beitrag dazu zu leisten, den Europarat in diesem Bereich noch glaubwürdiger zu machen. Wir haben uns in den letzten Wochen um unseren Beitrag bemüht und wiederholt die prominenten Fälle – aber nicht nur diese – ins Zentrum unserer Öffentlichkeitsarbeit gestellt.

Lassen Sie mich die zwei prominentesten türkischen Fälle in Erinnerung rufen: Selahattin Demirtaş und Osman Kavala. Es liegt jetzt ein amtliches Schreiben des Vorsitzes an den türkischen Außenminister vor. Der Fall Kavala wird jetzt regelmäßig im Ministerkomitee angesprochen, und wir werden nicht ruhen, bis Herr Kavala freigelassen wird. Dies gilt übrigens auch für Selahattin Demirtaş, der seit viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt, obwohl er unschuldig ist. Und dies gilt natürlich auch für Alexei Navalny, über dessen Gesundheitszustand wir sehr besorgt sind.

Es geht dabei nicht um eine Geste der Großzügigkeit. Es geht darum, dass Verpflichtungen unbedingt einzuhalten sind. Wir werden darauf beharren, und das Ministerkomitee nimmt seine Verantwortung ebenfalls überaus ernst.

Worum aber geht es noch bei der Rechtsstaatlichkeit? Es geht auch darum, Minderheiten respektvoll zu behandeln. Wir alle wollen, dass wir mit unseren Unterschieden in Europa ohne Furcht leben können. Es darf niemandem zum Nachteil gereichen, woran er oder sie glaubt, woher man stammt oder wen man liebt. Und auch hier muss der Europarat das Seine tun. Ich möchte Ihnen, verehrte Abgeordnete, für Ihr persönliches Engagement in diesem Bereich herzlich danken.

Während unseres Vorsitzes haben wir uns besonders auf Europas größte Minderheit, die Sinti und Roma, konzentriert. Auch, indem wir in vielfältigen Veranstaltungen deutlich gemacht haben: Sinti und Roma dürfen nicht an die Ränder unserer Gesellschaften verbannt sein, sie stellen vielmehr eine Bereicherung für uns dar. Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung dürfen in Europa nicht toleriert werden. Wir brauchen europaweit bessere Inklusion, mehr Teilhabe. Und vor allem haben wir uns bemüht, die kulturelle Bereicherung durch die Sinti und Roma deutlich zu machen, denn viel zu viele Menschen denken zuerst an Probleme, wenn sie Sinti und Roma hören. Nein, es geht hier auch um positive Impulse. Es geht um die kulturelle Dimension dessen, was eine ethnische Minderheit zu Europa beitragen kann.

Ferner möchte ich Sie auf die Lage der LGTBI-Personen aufmerksam machen. In vielen Mitgliedstaaten des Europarats sind sie die ersten Opfer von Autoritarismus und Intoleranz. Wir dürfen das nicht hinnehmen.

Wenn wir über einen zukunftsorientierten Europarat sprechen, müssen wir vor allem die jungen Menschen gewinnen, die sich ja überall für die Werte einsetzen, die wir hier gemeinsam erörtern. In allen unseren Formaten haben wir junge Menschen aus allen Mitgliedstaaten des Europarats wiederholt ganz direkt eingeladen, und ich bin sehr froh, dass so viele von ihnen diese Einladungen, die auch in den kommenden Monaten und Jahren weiter erfolgen sollten, angenommen haben.

Ein weiteres Anliegen hat für uns hohe Priorität. Es handelt sich um den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Seit dem Vertrag von Lissabon hat sich die Europäische Union verpflichtet, der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Allerdings erlebten wir in den letzten Jahren praktisch einen Stillstand der Verhandlungen, die wir nun wiederbeleben konnten. Von einer Mitgliedschaft der Europäischen Union, also ihrem Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention, würden nicht nur die EU und ihre Mitgliedstaaten, sondern auch der Europarat profitieren. Denn dies würde erneut verdeutlichen, wie positiv sich die Europäische Menschenrechtskonvention für die Bürgerinnen und Bürger aller europäischen Staaten in Bezug auf die Menschenrechte auswirkt.

Was macht Rechtsstaatlichkeit sonst noch aus? Ich möchte noch einen dritten Gesichtspunkt betonen. Rechtsstaatlichkeit schließt auch die wirksame und entschlossene Korruptionsbekämpfung ein. Vor allem der Europarat, aber auch mein eigenes Land, waren jüngst von verschiedenen Korruptionsvorwürfen betroffen. Ich möchte Ihnen zunächst für Ihren Beitrag dazu danken, dass klargestellt wurde: In rechtsstaatlichen Gesellschaften stellt Korruption eine fundamentale Verfehlung dar und darf deshalb, gerade in der Politik, keinesfalls geduldet werden. Die Vorwürfe müssen nun rechtsstaatlich aufgeklärt und gegebenenfalls gerichtlich geahndet werden. Deutschland bekennt sich zur Klärung dieser Vorwürfe, weil die Glaubwürdigkeit von Institutionen, Gremien und Gemeinschaften auf dem Spiel steht. Ich bin überzeugt, dass der Europarat auch gegen solche schwerwiegenden Anschuldigungen verteidigt werden muss, und Sie können mit Recht erwarten, dass die Mitgliedstaaten hierzu ihren Beitrag leisten.

Ich habe anfangs schon die Istanbul-Konvention erwähnt und nochmals deutlich gemacht, dass die bestehenden Instrumente des Europarates nun umgesetzt werden müssen, um die vom Europarat schon so lange geforderten Grundrechten durchzusetzen. Doch wir wissen auch, dass sich die Welt und Europa drastisch verändert haben. Deshalb haben wir als Vorsitz auch untersucht, wie wir die Probleme und Bewährungsproben unserer Zeit künftig besser meistern können. Dabei haben wir vor allem zwei wichtige Themen in den Blick genommen.

Da ist zunächst ein Thema, mit dem Sie vermutlich alle konfrontiert sind, das wir alle als Bewährungsprobe erfahren, das aber vor allem viele Menschen betrifft: das Problem der Hassrede, also der immer häufigeren Lügen, Hasstiraden, Unwahrheiten und Bedrohungen im Internet. Natürlich haben wir alle ein wenig unter den neuen Technologien zu leiden, da heutzutage alles digital abläuft, aber dieses besondere Problem möchte ich doch hervorheben.

Wir haben eine große Konferenz zum Thema Hassrede organisiert, an der sich 20.000 Menschen aus ganz Europa beteiligt haben. Das hat auch gezeigt, wie vielen Menschen dieses Thema Sorge bereitet. Und auch hier haben wir im Hinblick auf die Rechtsinstrumente, die wir nutzen und umsetzen können, einen großen Schritt nach vorn gemacht.

Eine zweite Bewährungsprobe, vor der wir stehen, ist die künstliche Intelligenz. Das Hauptproblem ist hierbei, ein ethisches Fundament zu legen. Wir alle wollen ja Fortschritt und Innovation. Es geht um die Freiheit der Wissenschaft, aber es geht auch darum, in diesem heiklen Bereich Grenzen zu setzen. Sowohl Hassrede als auch künstliche Intelligenz sind Themen, die nicht auf nationaler Ebene bewältigt werden können, sondern weltweit zu diskutieren sind. Nach meiner Überzeugung spielt der Europarat hierbei eine wichtige Rolle, ist er doch eine Institution, die immer wieder Orientierung bietet, Menschen ermutigt, Grenzen setzt und für die Freiheit eintritt.

Ohne Sie hätten wir nichts von alledem tun können. Dafür bedanke ich mich im Namen des deutschen Vorsitzes im Ministerkomitee herzlich. Es wäre mir viel lieber gewesen, mich direkter und häufiger mit Ihnen austauschen zu können, aber ich möchte Ihnen trotzdem für das große Privileg, diesen Dialog heute mit Ihnen führen zu können, sehr danken.

Jetzt freue ich mich auf Ihre Vorschläge, Ihre Kritik und Ihre Ideen, wie wir die Arbeit des Europarats in diesen schwierigen Zeiten voranbringen können.

Vielen Dank.

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