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Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth bei der Diskussionsveranstaltung der DGAP und Humboldt European Law School „Von der Kooperation zur Integration: Die Zukunft des Élysée-Vertrags“

19.01.2018 - Rede

--es gilt das gesprochene Wort--

Liebe Studierende der Humboldt European Law School,
liebe Studierende der Conférence Olivaint und des Tönissteiner Kreis,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des deutsch-französischen Zukunftsdialogs,

heute Morgen darf ich einige grundsätzliche Gedanken zum Zustand der deutsch-französischen Beziehungen und zur Zukunft des Élysée-Vertrags mit Ihnen teilen. Dafür danke ich Ihnen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Bei mir löst der Begriff „Grundsatzrede“ immer erstmal Alarm aus. Seit mehr als vier Jahren bin ich nun der Beauftragte für die deutsch-französischen Beziehungen. Sie können davon ausgehen, dass ich in dieser Zeit recht häufig nach grundsätzlichen Einschätzungen gefragt wurde. Ich denke dann: So richtig sicher scheint man sich – allen Beteuerungen zum Trotz – der unverbrüchlichen Beziehungen unserer beider Nationen ja dann doch nicht zu sein. Sonst müsste man sich dessen ja nicht beständig in Grundsatzreden versichern.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Dieses für uns Deutsche wunderbare Geschenk der Freundschaft zum ehemaligen Erzfeind Frankreich ist ganz sicher eines der bedeutsamsten außenpolitischen Fundamente, auf denen sich Frieden, Freiheit und Solidarität in Europa gründen. Ohne Frankreich und Deutschland läuft es in der EU nicht, das ist ganz klar. Aber ich wünsche mir manches Mal, wir würden unsere Beziehungen rhetorisch nicht so überhöhen und sie stattdessen lieber ganz praktisch mit noch mehr Leben füllen. Zuweilen sind wir in der deutsch-französischen Zusammenarbeit erstarrt in Konventionen und angestaubten Traditionen.

Es wird Sie jetzt vielleicht überraschen, das ausgerechnet aus meinem Mund zu hören: Aber eigentlich sollten wir alle gemeinsam darauf hinarbeiten, dass mein Job perspektivisch ganz überflüssig wird. Denn erst wenn es keines gesonderten Beauftragten mehr bedarf, erst wenn die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht mehr aus unserem alltäglichen Leben wegzudenken ist, erst dann haben wir unser Ziel einer – im wahrsten Sinne des Wortes – grenzenlosen Partnerschaft tatsächlich erreicht.

Sie merken es schon: Ich möchte heute eher über die vielfältigen alltäglichen Bewährungsproben unserer Zusammenarbeit sprechen. Grundsätzliche Einlassungen über den häufig und gern beschworenen deutsch-französischen Motor, der das europäische Projekt voranbringen soll, bei dem dann entweder sein Stottern oder sein problemloses Laufen konstatiert wird, werden sie von mir heute nicht hören.

Stattdessen lassen Sie uns endlich die neue Dynamik nutzen, die mit dem Einzug Emmanuel Macrons in den Élysée-Palast aufgekommen ist, um die Beziehungen zwischen unseren Ländern lebendiger zu gestalten.
Emmanuel Macron ist ein ziemlich cooler Typ – unkonventionell, innovativ und modern. Davon können wir uns alle ein Scheibchen abschneiden – auch wenn wir über die Zukunft der deutsch-französischen Partnerschaft nachdenken.

Dafür müssen wir uns heute hier nicht gegenseitig bekehren. Ich bin mir sehr sicher: Wir alle, die wir hier sitzen, müssen uns nicht vom Wert des internationalen Austauschs und vom Schatz der deutsch-französischen Freundschaft überzeugen. Ich möchte Sie nicht entmutigen, aber mit einer Veranstaltung wie der heutigen erreichen wir erst einmal: nichts. Denn zu den Bekehrten zu predigen, ist eine vergleichsweise leichte Übung. Viel schwieriger ist es aber, auch denjenigen konkrete Angebote zu unterbreiten, die eben nicht zur polyglotten, weltgewandten Elite gehören.

Ich habe in den vergangenen Jahren in ganz Europa in vielen Veranstaltungen mit jungen Menschen über ihre Vorstellungen zur Zukunft Europas diskutiert. Ich habe mir ihre Vorschläge, ihre Sorgen und auch ihre Kritik angehört. Das war immens spannend. Aber auch in diesen Veranstaltungen treffe ich in der Regel eher mit politisch interessierten, akademisch ausgebildeten und tendenziell proeuropäischen Menschen zusammen. Ein repräsentativer Querschnitt unserer Gesellschaft ist das nun nicht unbedingt.

Für einen Dialog, der über einen reinen Elitendiskurs hinaus reicht, müssen wir aber weiter gehen. Vor einigen Tagen war die französische Botschafterin, Anne-Marie Descôtes, bei mir, um von der französischen Initiative der Bürgerkonsultationen zu berichten. Ziel ist es, in ganz Europa, in der jeweiligen Länderverantwortung, Bürgerinnen und Bürger nach ihren Vorstellungen, nach ihrer Kritik und ihren Verbesserungsvorschlägen zu befragen. Man wird sicher noch über die konkrete Ausgestaltung dieser Form der Beteiligung diskutieren müssen. Aber diese grundsätzliche Ambition – weg vom Elitendiskurs und hin zu einem breiteren Bürgerdialog – brauchen wir, wenn wir noch besser erfahren möchten, was EU-Bürgerinnen und Bürger wirklich umtreibt. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse.

Am kommenden Montag feiert der Élysée-Vertrag seinen 55. Geburtstag. Der Bundestag und die französische Nationalversammlung haben für diesen Tag jeweils Sondersitzungen einberufen. Dabei soll eine gemeinsame Erklärung der Parlamente verabschiedet werden, in der die Regierungen beider Staaten aufgefordert werden, einen neuen Élysée-Vertrag zu erarbeiten.

Die Dynamik dieses Prozesses wollen wir auch für einen beherzten Neustart in Europa zu nutzen. Denn er kommt zu einer Zeit, in der der große Reformbedarf in der EU unübersehbar ist und zu einem der drängendsten Bewährungsproben der nächsten Jahre geworden ist. Ich will eine noch stärkere europapolitische Koordinierung zwischen unseren Ländern erreichen. Die Themenbereiche sind vielfältig: Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, Migration, Sozialpolitik, Digitales oder die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Aber wir können zum anderen auch Vorreiter in der weiteren europäischen Integration sein: Indem wir uns als eine Art „europäisches Labor“ und Ideenwerkstatt begreifen. Denn vieles, was wir zwischen Deutschland und Frankreich gemeinsam anstoßen, kann durchaus auch als Modell für Andere in Europa dienen.
Lassen Sie uns weitere Schritte in Richtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums unternehmen, indem wir Rechtsvorschriften angleichen, unsere Parlamente in gemeinsamen Ausschüssen zusammenarbeiten oder in beiden Ländern synchron EU-Recht in nationales Recht umsetzen.

Nicht ohne Grund nimmt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einen so prominenten Platz in der gemeinsamen Erklärung der beiden Parlamente ein. Alles, was uns an einem noch stärkeren Zusammenwachsen hindert, sehen wir wie durch ein Brennglas in den grenznahen Regionen, etwa der Region Grand Est auf der französischen Seite und Rheinland Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg auf der deutschen Seite.
Wer Menschen aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen zusammenbringen will, muss sich um ihre konkreten Alltagssorgen kümmern.

Das ist oftmals ziemlich kleinteilig: Da geht es dann um gemeinsame Verkehrsverbindungen, um Hindernisse für den deutschen Handwerker, in Frankreich zu arbeiten oder das französische Rettungsfahrzeug an einem Einsatz im nahe gelegenen deutschen Nachbarort. Da geht es um die Besteuerung von Grenzgängern oder um unterschiedliche Gesundheitsvorschriften bei grenzüberschreitenden Sportveranstaltungen. Für diese ganz konkreten Probleme der Menschen in den Grenzregionen müssen wir endlich praktikable Lösungen finden. Das kann doch wirklich nicht so schwer sein!

Und nicht zuletzt geht es um Bildung und um Spracherwerb. Damit Menschen zusammenfinden, müssen sie sich erst einmal verstehen. Ich bin sicher: Die meisten von Ihnen kennen die vielen Angebote für Studierende, beispielsweise die Deutsch-Französische Hochschule, und viele Projekte des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Sie sind ungemein wertvoll und aus unserer Zusammenarbeit nicht mehr wegzudenken. Aber sie reichen nicht aus.

Mit meiner französischen Amtskollegin Nathalie Loiseau habe ich vor einigen Wochen die Beruflichen Schulen Kehl hier in Berlin mit dem Adenauer-de-Gaulle-Preis ausgezeichnet. Einige von Ihnen werden dort gewesen sein und können sich sicher an den beeindruckenden Auftritt des Direktors der Beruflichen Schulen Peter Cleiß erinnern. Herr Cleiß trägt sich seit einiger Zeit mit der Idee einer Deutsch-Französischen Berufsschule, die ich Ihnen gern skizzieren möchte: Im Bereich der beruflichen Bildung fehlt bislang nämlich ein Angebot, das qualitativ und quantitativ mit Einrichtungen anderer Bildungsbereiche vergleichbar wäre.

Für Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Gymnasien gibt es das Angebot eines Deutsch-Französischen Gymnasiums. Zudem gibt es –insbesondere entlang der Rheinschiene – einen bilingualen Zug zum deutsch-französischen AbiBac. Manche Grundschulen, insbesondere in den Grenzregionen bieten verstärkten Französischunterricht an. Mit der bereits genannten Deutsch-Französischen Hochschule und deutsch-französischen Kindergärten ist es möglich, ein durchgängig grenzüberschreitendes Bildungsangebot anzubieten.

Das gilt aber nicht im Bereich der beruflichen Bildung. Dazu ist die Einrichtung deutsch-französischer Berufsbildungsangebote erforderlich. Die gegenwärtig hohe Jugendarbeitslosigkeit auf französischer Seite sowie der zunehmende Fachkräftemangel auf deutscher Seite belegen, warum wir vor allem in der beruflichen Ausbildung noch enger zusammen arbeiten müssen.

Die Systeme beruflicher Bildung in Frankreich und Deutschland sind sehr verschieden. Die schrittweise Zusammenführung der Systeme muss erprobt, ein Doppelqualifizierungsmodell entwickelt werden. Hierfür braucht es im Sinne eines Laboratoriums ausreichenden Erprobungsspielraum. Personell und räumlich ließe sich hier manches zusammen führen, um eine Deutsch-Französische Berufsausbildung zu schaffen.

So ein Projekt ist ehrgeizig und ich kann mir aus dem Stehgreif eine ganze Reihe von Stolperfallen vorstellen, die ein solches Vorhaben torpedieren. Es vermittelt einen Eindruck von der kleinteiligen, mühseligen und zuweilen auch frustrierenden Arbeit in der Zusammenarbeit zweier Länder, die immer stärker zusammen finden wollen - und müssen. Aber sie lohnt sich, wenn wir noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger für den jeweiligen Nachbarn interessieren, ja begeistern wollen.

Und dafür sollten wir Veranstaltungen wie die heutige nutzen: Indem wir, die wir Verantwortung tragen, oder Sie, liebe Studierende, die Sie in Zukunft Verantwortung tragen werden, uns darum kümmern, dass alle, die die Grenzen ihrer Region überschreiten wollen, das auch tun können.

Werden Sie Brückenbauerinnen und Brückenbauer, die sich nicht bloß im Händeschütteln mit Gleichgesinnten erschöpfen. Gehen wir auf die zu, die noch am Sinn und Wert der deutsch-französischen Zusammenarbeit oder am vereinten Europa zweifeln. Daher lautet mein Appell an uns alle: Raus aus den Hörsälen und ab auf die Marktplätze!

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