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Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth im Deutschen Bundestag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020

17.01.2020 - Rede

(stenographisches Protokoll)

Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wenig Ahnung Sie von der AfD von Europa haben und wie sehr Sie deutsche Interessen verraten, das ist an Ihrem jüngsten Redebeitrag wieder deutlich geworden.

Denn die EU-Ratspräsidentschaft ist kein deutscher Egotrip. Die EU-Ratspräsidentschaft bedeutet, gemeinsam die EU voranzubringen. Und ein starkes, souveränes und solidarisches Europa liegt im deutschen Interesse, und dem sind wir verpflichtet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Erwartungshaltungen sind zugegebenermaßen hoch: in der EU, im Bundestag, in der Zivilgesellschaft. Das spornt uns aber an. Wir wollen zeigen, dass man sich auf Deutschland verlassen kann. Ja, es ist richtig, Franziska Brantner: Wir sind noch nicht am Ende und können auch noch nicht ein entsprechendes Arbeitsprogramm vorlegen. Das liegt aber vor allem daran, dass wir das, was wir wollen, nicht nur mit unseren Partnerinnen und Partnern eng abstimmen wollen, sondern auch mit der EU-Kommission, und die EU-Kommission wird erst am 29. Januar ihr Programm vorlegen. Ich halte es für widersinnig, wenn hier zwei Züge parallel laufen. Wir müssen das doch alles zusammenbringen.

Wir stimmen doch überein: Die Aufgaben und Bewährungsproben sind riesig.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage vonseiten der AfD?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Nein. - Die Bewährungsproben, die wir alle zu meistern haben, sind riesig. Und dennoch gibt es eine Reihe von Punkten, die ich gerne schon mit Ihnen teilen möchte und die unsere Ratspräsidentschaft prägen werden:

Das erste Thema hat uns jahrelang beschäftigt: Das ist der Brexit. Wir werden bis zum Ende dieses Jahres das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU der 27 zu klären haben. Dabei sind mir zwei Botschaften wichtig: Wir wollen erstens so enge Beziehungen wie nur irgend möglich zur Europäischen Union und zum Vereinigten Königreich. Aber am Ende wird auch eine zweite Botschaft deutlich werden müssen: Wer meint, Probleme dadurch lösen zu können, dass er oder sie die EU verlässt, wird am Ende viele neue Probleme erzeugen und kein einziges Problem lösen.

Und das wird leider auch bei den abschließenden Brexit-Verhandlungen deutlich werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn ich von Teamarbeit spreche, bedeutet das für uns vor allem auch, die sogenannte Triopräsidentschaft mit Leben zu füllen. Wir wissen, wir können in sechs Monaten nicht alles richten. Demokratie in Deutschland, Demokratie in der Europäischen Union braucht Zeit; die Prozesse sind kompliziert. Wir brauchen Geduld. Deswegen haben wir uns schon sehr früh mit unseren slowenischen und mit unseren portugiesischen Partnern zusammengesetzt, die uns nachfolgen, um deutlich zu machen, dass dieses Europa vor allem darauf beruht, dass möglichst viele Staaten ein gemeinsames Verständnis davon haben, was wichtig ist und was man gemeinsam auf den Weg zu bringen hat.

Dann wird es natürlich auch ums Geld gehen. Der mehrjährige Finanzrahmen, also die zukünftigen Finanzverhältnisse der Europäischen Union, sind schon angesprochen worden. Und beim Geld hört bekanntermaßen die Freundschaft auf. Deutschland wird deutlich mehr Finanzmittel zur Verfügung stellen, damit die Europäische Union ihrer Verantwortung in einer globalisierten Welt zu entsprechen vermag. Das heißt, unsere Forderungen sind klar: mehr Geld für Innovation und Forschung, mehr Geld für den sozialen Zusammenhalt, mehr Geld für den Klimaschutz, mehr Geld für die Außen- und Sicherheitspolitik. Das sind die zentralen Eckpfeiler. Und darüber reden wir gerade. Ich bin mir ziemlich sicher: Wir werden am Ende dann auch die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu führen haben; denn ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments wird es keinen mehrjährigen Finanzrahmen für die Europäische Union geben.

Rechtsstaatlichkeit. Es hat sich in der Europäischen Union etwas dramatisch verändert: Wir sind nicht in erster Linie ein Binnenmarkt, wir sind vor allem und zuerst eine Wertegemeinschaft, und diese Werte verpflichten uns alle - Nord, Süd, Ost, West.

Doch es gibt kein gemeinsames Verständnis mehr von diesen gemeinsamen Werten. Deswegen führen wir schmerzhafte Prozesse, beispielsweise die Artikel-7-Verfahren gegen Polen und gegen Ungarn. Mein belgischer Kollege und ich, wir haben vor Jahren schon eine gemeinsame Initiative für einen Rechtsstaats-TÜV, für einen Grundwertecheck auf den Weg gebracht. Wir haben eine gute Chance, dass wir unter deutscher Präsidentschaft diesen Check erstmals anwenden können. Das heißt, alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterziehen sich einer Prüfung der Rechtsstaatlichkeit, damit wir voneinander lernen und damit wir uns endlich auch in diesen Fragen wieder verstehen. Grundwerte und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit - Unabhängigkeit der Justiz, Medienfreiheit und ‑vielfalt - dürfen uns nicht spalten, sie müssen uns einen in der Europäischen Union. Und dazu will die Bundesregierung einen aktiven Beitrag leisten.

In Sonntagsreden ein populäres Thema, im Alltag doch ziemlich schwachbrüstig: das soziale Europa. Wir haben uns in der Bundesregierung - nicht zuletzt schon im Koalitionsvertrag - darauf verständigt, dass das soziale Europa für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Menschen spürbarer und glaubhafter werden muss. Deshalb werden wir eine Reihe von Initiativen unterstützen: einen Rahmen für Mindestlohnregelungen überall in der Europäischen Union, eine soziale Grundsicherung in allen EU-Mitgliedstaaten, die Arbeitslosenrückversicherung, Kampf gegen Steuerdumping. Wir wollen keinen Wettkampf um die niedrigsten Löhne und um die niedrigsten Sozialstandards; wir wollen, dass Sozialstandards gehoben werden, überall in der Europäischen Union.

Dafür werden wir uns einsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist natürlich verbunden mit dem Klimaschutz. Die Europäische Union muss zeigen, dass Arbeit und Umwelt versöhnt werden können. Dass ein ambitionierter und mutiger Klimaschutz möglich ist, ohne dass Arbeitsplätze auf den Prüfstand gestellt werden müssen.

Das ist unser Anspruch.

Ich will das einmal auf die Landwirtschaftspolitik und auf den EU-Haushalt beziehen: Wenn wir uns mit unseren Partnerinnen und Partnern wirklich durchsetzen können, dann werden am Ende 25 Prozent der EU-Ausgaben an den Klimaschutz gekoppelt, in der Agrarpolitik sogar 40 Prozent. - Das zeigt, dass das, was wir hier national auf den Weg gebracht haben - das war ein mühseliger, schmerzhafter, kontroverser Prozess -, nur dann erfolgreich zum Abschluss gebracht werden, wenn wir uns in Europa zusammenschließen und deutlich machen: Klimaschutz ist kein Jobkiller, Klimaschutz hilft uns allen, nachhaltiger, sozialer und stärker zu werden - in Europa und der Welt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird natürlich auch darum gehen, wie wir gegenüber den globalen Akteuren in einer krisengeschüttelten Welt auftreten, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland, China und anderen. Da haben wir nicht immer das gezeigt, was wir zeigen müssen: Zusammenhalt, mit einer Stimme sprechen, auf Grundlage einer gemeinsamen Strategie. Auch daran wird die Bundesregierung und vor allem auch das Auswärtige Amt aktiv arbeiten, dass es uns gelingt, ein gemeinsames Verständnis von den großen Krisen zu gewinnen und ein gemeinsames Verständnis davon, was wir zu Frieden, Stabilität, Sicherheit und Menschenrechten in der Welt aktiv beitragen können.

Wir werden beispielsweise einen EU-China-Gipfel ausrichten, damit wir auch gegenüber China, einem der großen Akteure, mit einer Stimme sprechen und uns nicht länger auseinanderdividieren lassen. Das macht uns alle schwach, nicht nur die Europäische Union, sondern auch die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Last, but not least: Europa steht für Vielfalt und für Respekt. In Europa ist kein Platz für Antisemitismus, ist kein Platz für Rassismus, ist kein Platz für Antiziganismus. Wir wollen ohne Angst verschieden sein.

Dieses Europa ist unser Europa. Dafür bitten Sie um Ihre Unterstützung. Ohne Sie wird es nicht gelingen. Wir brauchen eine aktive Zivilgesellschaft, und wir brauchen einen aktiven Bundestag als Partner und Promotor einer erfolgreichen deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Vielen Dank.

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