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Rede von Staatsminister Michael Roth in der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag „Zu den russischen Truppenbewegungen und der wachsenden Gefahr einer Eskalation in der Ostukraine“

22.04.2021 - Rede

Das Thema Russland lässt uns nicht los. Aus sehr ernstem Grund. Die russische Führung tritt zunehmend aggressiv auf, betreibt insbesondere gegen Deutschland üble Desinformationskampagnen, setzt den kritischen Teil der russischen Zivilgesellschaft massiv unter Druck und destabilisiert eine gesamte Region. Schon vor wenigen Wochen haben wir an dieser Stelle über Russland gesprochen, damals aus Anlass des inakzeptablen Umgangs der russischen Regierung mit Alexej Nawalny und weiteren Andersdenkenden.

Herr Nawalny wurde am Montag zwar in ein Krankenhaus verlegt. Aber unsere ernste Sorge um seine Gesundheit bleibt, zumal wir hören, dass ihn bislang kein Arzt seines Vertrauens besuchen oder behandeln darf. Das ist inhuman und gefährdet Gesundheit und Leben von Alexej Nawalny.

Nawalnys Inhaftierung widerspricht zudem Russlands völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und ist unzulässig. Alexej Nawalny muss unverzüglich freigelassen werden, genauso wie die zahlreichen weit über 1000 Menschen, die gestern in Russland bei Demonstrationen für seine Freilassung und bessere Haftbedingungen festgenommen wurden. Dafür werden wir uns weiter einsetzen, ebenso dafür, dass Russland den schweren Giftanschlag auf Nawalny auf russischem Boden vollumfänglich aufklärt und die Täter endlich zur Rechenschaft zieht. Der Einsatz chemischer Waffen ist ein weiterer fundamentaler Verstoß gegen internationales Recht.

Russland verhält sich gegenüber der Ukraine zunehmend aggressiv. Die russische Führung gefährdet damit Frieden, Stabilität und nationale Souveränität nicht nur der Ukraine, sondern der gesamten Region.

Seit Ende März gibt es massive russische Truppenbewegungen in der Nähe der russisch-ukrainischen Grenze sowie auf der illegal annektierten Krim. Anders als die russische Seite behauptet, sind diese Bewegungen in ihrer Art und Anzahl eben nicht routinemäßig.

Besonders beunruhigend ist die damit verbundene rhetorische Zuspitzung seitens ranghoher Vertreter der russischen Regierung. So wird etwa vor einer geplanten Eskalation seitens der Ukraine gewarnt. Hierauf müsse Russland zwangsläufig reagieren, um die russischsprachige Bevölkerung im Donbas auch militärisch zu schützen.

Für diese faktenfreien Behauptungen gibt es keinerlei Grundlage. Es gibt keine Hinweise auf ukrainische Planungen für eine Offensive gegenüber den abtrünnigen Gebieten im Donbas. Ukrainische Regierungsvertreter, aber auch der Generalstabschef, haben wiederholt klargestellt: Die Ukraine plant keine militärischen Aktionen, sondern sie arbeitet weiter an einer diplomatischen Lösung des Konflikts. Der ukrainische Präsident Selenski hat Russlands Präsident Putin zu einem bilateralen Treffen eingeladen. Für diese konstruktive und verantwortungsvolle Haltung in dramatischen Zeiten bin ich sehr dankbar.

Russland muss einen eigenen, substanziellen Beitrag für einen Abbau der Spannungen leisten. Daran arbeitet die Bundesregierung mit ihren europäischen und internationalen Partnern. Die Bundeskanzlerin hat Präsident Putin zu einem Rückzug der Truppen von den Grenzen der Ukraine aufgefordert.

Eine wichtige Rolle bei der Deeskalation könnten auch die vertrauensbildenden Instrumente der OSZE spielen. Das setzt aber eine konstruktive Haltung Russlands voraus. Wir begrüßen, dass die Ukraine den entsprechenden Mechanismus des Wiener Dokuments aktiviert hat. Ich bedauere es sehr, dass Russland diese Chance wiederholt vertan hat, Transparenz über seine Truppenbewegungen zu schaffen und somit ein notwendiges Mindestmaß an Vertrauen aufzubauen. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass Russland seine Verpflichtungen im OSZE-Rahmen einhält und für Klarheit sorgt. Wir erwarten von Russland weder eine generöse Geste noch etwas Unzumutbares, sondern schlicht die Einhaltung dessen, wozu sich Russland als Mitgliedsland der OSZE verpflichtet hat.

Seit 2014 setzt sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich im Normandie-Format für eine Beilegung des Konflikts um die Ostukraine ein.

Auch wenn die Verhandlungen oft mühsam und nicht frei von Rückschlägen sind, sehen wir durchaus auch Erfolge: So hat der Waffenstillstand vom Juli 2020 zu einem deutlichen Rückgang der an der Kontaktlinie getöteten Soldaten, Zivilistinnen und Zivilisten geführt.

In den vergangenen Wochen ist der Waffenstillstand jedoch immer wieder gebrochen geworden. Seit Anfang Januar wurden 37 ukrainische Soldaten und neun Zivilisten getötet – ein trauriger Höchststand. Mit unseren französischen Partnern sind wir uns einig: Im Zentrum unserer Bemühungen müssen nun die Deeskalation und eine Stabilisierung des Waffenstillstands stehen.

Mit diesen Bemühungen stehen wir nicht alleine. Erst am Montag haben sich die EU-Außenministerinnen und Außenminister mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Kuleba ausgetauscht. Ganz klar ist: Die territoriale Integrität der Ukraine muss klar von Russland anerkannt werden. Sie ist für uns nicht verhandelbar. Wir unterstützen den besonnenen Kurs der ukrainischen Regierung und nicht zuletzt auch die wichtigen Reformschritte der vergangenen Monate. Gerade Fortschritte im Bereich der Justiz sind weitere Meilensteine auf dem europäischen Weg des Landes. Weitere müssen folgen! Und dabei unterstützen wir das Land so gut es geht.

Diesen Dreiklang – Deeskalation, Solidarität mit der Ukraine und Reformen – haben wir auch im Kreis der G7 und der NATO bekräftigt. Und dabei ziehen wir alle Instrumente unseres diplomatischen Instrumentenkastens in Erwägung. Diskussionen über Sanktionen gegen Russland, wie sie teilweise gefordert werden, sind nachvollziehbar, leisten aktuell aber keinen Beitrag zur Lösung der Krise.

Aus Sicht der Bundesregierung ist klar: Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern keine Möglichkeit für eine diplomatische Lösung ungenutzt lassen. Aber lassen Sie mich hier auf über die Grenzen unseres Bemühens offen sprechen. Der Schlüssel für einen Abbau der Spannungen liegt in Moskau. Moskau muss seinen aggressiven Kurs beenden. Wir fordern eine rhetorische Deeskalation der russischen Seite und endlich vollumfängliche Transparenz über die militärischen Bewegungen im Umfeld der Ukraine.

Die Differenzen zwischen uns und Russland sind fundamental. Aber das darf uns im direkten Umgang mit Moskau nicht sprachlos werden lassen. Natürlich haben wir ein großes Interesse an einem besseren Verhältnis zu Russland. Das haben wir der russischen Seite bilateral und im EU-Rahmen immer wieder deutlich gemacht. Zahlreiche Kooperationsangebote liegen längst auf dem Tisch. Zum Tango gehören aber immer Zwei.

An Gesprächskanälen und Foren mit Russland mangelt es ja nun wahrlich nicht. Es gibt in Moskau derzeit leider kaum Bereitschaft, diese für einen offenen, ehrlichen und faktenbasierten Dialog zu nutzen. Nicht Berlin oder Brüssel, sondern Moskau muss sich nun endlich erklären und klipp und klar sagen, wie sie zu unseren Angeboten stehen. Wir schlagen keine Türen zu.

Wir haben uns gemeinsam mit unseren Partnern in der EU, in Nato, Europarat und OSZE für den zugegebenermaßen schwierigeren Weg entschieden: möglichst belastbare Kanäle für die Lösung gemeinsamer Probleme offenhalten UND im direkten Umgang mit Moskau Klartext reden. Dabei dürfen wir uns jedoch nicht spalten lassen. Nur aus Zusammenhalt und Teamgeist wachsen Stärke und die Chance auf Veränderung zum Besseren.

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