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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth vor dem Deutschen Bundestag zur Debatte „80 Jahre Überfall der Wehrmacht auf Griechenland – Die erinnerungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Griechenland intensivieren“

26.03.2021 - Rede

Am 2. September 1944 wurde das griechische Dorf Chortiatis von Soldaten der Wehrmacht und ihren Helfershelfern dem Erdboden gleichgemacht. 149 Kinder, Männer und Frauen wurden Opfer eines furchtbaren Massakers, viele Menschen wurden im Backhaus eingesperrt und verbrannten bei lebendigem Leibe.

Hier in Deutschland wissen nur wenige von dem Schicksal der sogenannten Märtyrerorte, die während der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 zerstört wurden. Nur wenige Bürgerinnen und Bürger überlebten das Gemetzel von Wehrmacht, Waffen-SS und ihren Schergen in Kefalonia, Klissoura, Kommeno, Distomo, Chaidari, Kalavryta, Chortiatis, Lingiadis und vielen weiteren Orten.

In keinem anderen europäischen Land war ich in den vergangenen Jahren häufiger zu Gast als in Griechenland. Die deutsch-griechischen Beziehungen liegen mir ganz besonders am Herzen – auch weil ich um die tiefen Wunden weiß, die die deutsche Besatzungszeit bis zum heutigen Tag bei vielen Griechinnen und Griechen hinterlassen hat.

Meine Begegnungen und Gespräche mit Menschen in Chortiatis und Lingiadis werde ich nie vergessen. Ich stieß auf Trauer über die Ermordung von Schwestern, Vätern und Nichten, Zorn über Jahrzehnte währendes deutsches Desinteresse, Hoffnung aus Fehlern der dunklen Vergangenheit zu lernen und Genugtuung darüber, dass Überlebende und Nachkommen der Opfer ihren Schmerz mit einem Nachkommen des Tätervolks teilen können.

Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Griechenland jährt sich am 6. April zum 80. Mal. Drei Wochen später, am 27. April, wurde die Hakenkreuzflagge auf der Akropolis gehisst. Ein Bild des Schreckens, das sich tief im kollektiven Gedächtnis eines ganzen Landes eingebrannt hat.

Die deutsche Besatzung Griechenlands von April 1941 bis Oktober 1944 forderte fast 800.000 Menschenleben, nicht nur Soldaten, sondern auch viele unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten. 60.000 griechische Jüdinnen und Juden und damit über 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung Griechenlands wurden ermordet. Andere wurden in Konzentrationslager verschleppt und der Zwangsarbeit unterworfen.

Und es reicht eben nicht, die banale Feststellung zu treffen, dass wir als jüngere Generationen keine persönliche Schuld an den deutschen Gräueltaten auf griechischem Boden tragen. Nein, auch wir als Nachgeborene machen uns schuldig, wenn wir uns der notwendigen Aufarbeitung verweigern und die Opfer aus unserer Erinnerung verbannen.

Genau von dieser „zweiten Schuld“ hat Bundespräsident Joachim Gauck im März 2014 in Lingiadis gesprochen und um Verzeihung gebeten.

Wir können diese Verbrechen nicht mehr ungeschehen machen. Aber wir können dabei mithelfen, dass sich das Unrecht, das geschehen ist, niemals wiederholt. Wir wollen die Erinnerung an Zerstörungswahn, hemmungslose Gewalt, blanken Hass und Mord wachhalten – nicht als Selbstzweck, sondern, um daraus die Lehren für eine bessere Zukunft zu ziehen. Zukunft braucht Erinnerung – beides gehört für mich untrennbar zusammen.

Gerade wir Deutschen tragen dafür eine ganz besondere Verantwortung. Gemeinsames Erinnern und Gedenken ist die Voraussetzung für Versöhnung. Und die Wege der Versöhnung sind lang und beschwerlich, sie kosten Überwindung und Kraft. Versöhnung ist eine Geste, die man nicht erbitten, die man nur geschenkt bekommen kann. Und ich bin sehr dankbar für dieses große Geschenk unserer griechischen Freundinnen und Freunde. Dafür möchte ich auch Ihnen, sehr geehrte Frau Botschafterin, stellvertretend für Ihre Landsleute herzlich danken.

Wir belassen es nicht alleine bei Appellen. Wir haben 2014 einen Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds ins Leben gerufen, mit dem wir zahlreiche Versöhnungs- und Bildungsprojekte fördern. Wir unterstützen den Bau einer Holocaustgedenk- und Begegnungsstätte in Thessaloniki. Von den 53.000 Jüdinnen und Juden überlebten gerade einmal 1950 Menschen jüdischen Glaubens die Shoa.

Versöhnung ist ja nicht in erster Linie das Werk von Regierungen, sondern vor allem der vielen engagierten Brückenbauerinnen und Brückenbauern in der Zivilgesellschaft, die dabei mithelfen, dass aus Feinden Freunde werden.

Wir wollen ganz besonders die jüngere Generation erreichen: Deshalb ist es großartig, dass das Deutsch-Griechische Jugendwerk in diesen Tagen endlich seine Arbeit aufnimmt – ein Format, das wir so bislang nur mit Frankreich und mit Polen haben.

Das freut mich ganz besonders, denn wir müssen junge Menschen dafür gewinnen, die furchtbaren Lehren des Zweiten Weltkriegs präsent zu halten und damit zu einem friedlicheren Miteinander in Europa beizutragen.

Es bedeutet mir viel, dass wir nach den dunklen Kapiteln unserer Geschichte heute zusammen Teil eines Europas sind, in dem wir gemeinsame Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Menschenrechte teilen. Heute kämpfen wir Seite an Seite für ein Europa des Friedens und der Vielfalt. Ein Europa ohne Fremdenhass, Antisemitismus und Nationalismus. Ein Europa, in dem wir ohne Angst verschieden sein können.

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