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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth anlässlich der Verleihung des Adenauer-de Gaulle-Preises

22.11.2018 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Mesdames, Messieurs,
liebe Nathalie,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Preisträger von Zweierpasch,

ich bin in Nordosthessen unweit der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufgewachsen. In meiner Jugend blickte ich auf Mauer, Zaun und Selbstschussanlagen. Für mich war lange Zeit unvorstellbar, dass sich an dieser buchstäblich in Beton gegossenen Realität jemals etwas ändern würde. Fast drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall leben wir heute nicht nur in einem vereinten Deutschland – auch Europa ist seitdem immer enger zusammengewachsen.

Seitdem aus Grenzzäunen und Schlagbäumen vor einigen Jahren Brücken geworden sind, fliegen nicht nur Gedanken frei über die Grenze. Wir profitieren von dieser Freizügigkeit heute auch im Alltag – wir studieren im Nachbarland, wir arbeiten dort, kaufen ein und verlieben uns. Das ist für mich Europa. Das Europa, für das ich kämpfe und streite. Ich weiß, dass dieses Europa der Grenzenlosigkeit, der Offenheit und Freiheit nicht jedem gefällt. Aber allen Nationalisten und Populisten möchte ich zurufen: es wird bleiben. Weil wir es wollen. Und wir werden dafür kämpfen. Gemeinsam!

Liebe Preisträger von Zweierpasch,

Ihre Sprache ist die Musik. Und ich muss sagen: Mit Ihren Texten sprechen Sie mir wirklich aus dem Herzen. In einem Ihrer Songs heißt es: Jede und jeder von uns ist eine Grenzgängerin oder ein Grenzgänger. Da haben Sie völlig recht. Wenn Sie rappen, fühle ich mich mit meinem Lebensweg und dem, was ich tue, verstanden. Vielen Dank dafür.

Es ist mir heute Abend eine ganz besondere Freude, Sie alle und vor allem das Hip-Hop-Duo Zweierpasch hier im Rahmen der Preisverleihung des Adenauer-De Gaulle-Preises begrüßen zu dürfen. Noch heute Nachmittag waren Sie für einen Workshop in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut in Belgien. Dass Sie von dort nach Paris gekommen sind, ehrt uns besonders und zeigt, wie rasch und unkompliziert wir inzwischen Grenzen überschreiten.

Als in den 1950er Jahren die Friedenstauben von Colombey les Deux Eglises nach Bonn flatterten, war das alles andere als selbstverständlich. Wofür Adenauer und de Gaulle in den 1950er Jahren den politischen Grundstein gelegt haben, ist eigentlich ein kleines Wunder: Aus erbitterten Feinden, die die Waffen aufeinander gerichtet haben, sind über die Jahrzehnte enge Partner geworden, die nicht nur friedlich und respektvoll mit- und nebeneinander leben, sondern in vielen Bereichen eng zusammenarbeiten.

Ohne die Bereitschaft unserer französischen Freundinnen und Freunde zur Versöhnung wäre das niemals möglich gewesen. Und diese Versöhnung war ja nicht in erster Linie das Werk von Regierungen, sondern vor allem von den vielen engagierten Brückenbauerinnen und Brückenbauern in der Zivilgesellschaft, die durch Städtepartnerschaften, Schüleraustausche und andere gemeinsame Projekte, dabei mitgeholfen haben, dass aus Feinden Freunde geworden sind.

Lieber Till und Felix Neumann,

auch Sie sind ein Beweis dafür, wie lebendig und inspirierend die deutsch-französischen Beziehungen sind: Sie sind Zwillingsbrüder, politische Poeten und Sprachbotschafter mit Doppelleben. Ihre Reime sind so wie Ihre Haltung: zweisprachig und beiden Ländern gleichermaßen verbunden. Wie Zugvögel passieren Sie den Rhein und verbreiten Stimmen der Einigkeit und der Freundschaft.

Als Duo Zweierpasch rappen Sie sich nun schon seit 2012 durch die Grenzgebiete. Ihre deutsch-französischen Liedtexte machen aufmerksam auf die gemeinsame Geschichte unserer Länder, bringen Menschen zusammen und packen auch brisante Themen an.

Sie zeigen ganz klar: Einheit passt zu Vielfalt, Erinnerung zu Zukunft und Konrad zu Charles – oder kurz: Zweierpasch lässt uns die deutsch-französische Freundschaft in all ihrer Vielfalt erleben. Diese Motivation, diese Lust am Brückenbauen, dieses Brennen für die Sache ist so wichtig für unsere gemeinsame Zukunft in einem vereinten Europa. Und auch dafür wollen wir sie hier und heute ehren.

In den vergangenen Jahren sind Sie nicht nur als Musiker sondern auch als „Pädagogen“ unterwegs. Neben Ihren Tour-Auftritten sind Sie beide in Schulen und Kulturzentren im Grenzgebiet aktiv und leiten dort interkulturelle Hip-Hop-Projekte zu Rhythmus, Sprache und Zusammenleben.

An dem Rap-Schulcontest „l’école du flow“ nehmen zurzeit mehr als 600 Schülerinnen und Schüler in der Grenzregion teil. Aus jungen Menschen sollen europäische, geschichtsbewusste Freundinnen und Freunde werden. Beats und World Music als Werkzeug für ein besseres Demokratieverständnis und Miteinander – ein großartiger Ansatz!

Und Zweierpasch ist mittlerweile ein echter Exportschlager geworden – weit über Deutschland und Frankreich hinaus. Mit Projekten in Westafrika und Osteuropa besteigen Sie nun auch die internationale Bühne und zeigen klare Kante bei Themen wie Migration oder Konsumwahn.

Das zeigt: Viele Jugendliche wollen und können mitreden – durch Natürlichkeit, Mut zur Kritik und Offenheit setzen Sie sich mit den Bewährungsproben der Globalisierung auseinander. Immer mit dem Wunsch nach Austausch, Vermittlung und Toleranz. Immer nach dem Motto „langue et l’entente“ wie die Zwillinge sagen würden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wage zu bezweifeln, dass Adenauer und De Gaulle begabte Rapper waren und das gleiche Rhythmusgefühl an den Tag legten wie Sie. Aber auch das Timing der Einsätze der beiden Staatsmänner war taktgenau und sie hegten damals den gleichen Wunsch, das Trennende zu überwinden wie die Zwillinge Neumann. Ein double deux – damals wie heute.

Wie kein zweiter steht der Elysée-Vertrag, den Adenauer und de Gaulle unterzeichneten, für Versöhnung und Verständigung zwischen unseren Ländern. Das Lied „Grenzgänger“ erinnert daran und zeigt wie der Vertrag bis heute unseren Alltag in Deutschland und Frankreich bereichert.

Doch auch die besten Freundschaften sind kein Selbstläufer. Sie müssen gepflegt werden, vor allem in schwierigen Zeiten. Nationalismus und Populismus, soziale Ungerechtigkeit und kontroverse Debatten über Migration bedrohen unseren Zusammenhalt. Unsere Kulturen und Gesellschaften driften auseinander – und wir dürfen dabei nicht einfach tatenlos zuschauen und uns an die Erfolge der Vergangenheit klammern. Wir wollen Nationalismus, Demokratieverachtung und Abschottung den europäischen Geist des Respekts und der Solidarität entgegen setzen.

Deshalb haben wir in den vergangenen Monaten intensiv daran gearbeitet, die deutsch-französische Zusammenarbeit auf ein neues Fundament zu stellen. Durch einen neuen Elysée-Vertrag wollen wir die Zukunft unserer Bürgerinnen und Bürger gemeinsam in einem starken und handlungsfähigen Europa gestalten.

1963 stand noch die Aussöhnung im Vordergrund, in der Welt von heute ist es die gemeinsame Verantwortung Deutschlands und Frankreichs für Europa. Denn ohne Frankreich und Deutschland läuft es in der EU nicht rund. Deshalb soll der neue Vertrag eben nicht alleine dem deutsch-französischen Verhältnis dienen, sondern auch über unsere Länder hinaus inspirieren. Wenn wir uns als ein Labor verstehen, in dem neue Ideen erprobt werden, dann können wir unseren europäischen Partnern Mut machen: gemeinsame Lösungen sind allemal besser als nationale Alleingänge.

In Ihrer Musiksprache würde man vielleicht sagen: noch mehr im Chor und gemeinsam von einem Blatt singen – darum geht es in diesem neuen Vertrag. Damit stärken wir Europa und setzen einen klaren Kontrapunkt zu rückwärtsgewandtem Nationalismus und vulgärem Populismus.

Lassen Sie uns also andere Saiten aufziehen und nicht nur das Klischee des franco-allemand bedienen. Nicht nur Verweise auf die gemeinsame Geschichte und die Männer aus den 50ern, sondern zukunftsweisende Schritte im Großen und sichtbare Veränderungen im Kleinen. Mit diesen Bemühungen wollen wir das alltägliche Leben ein bisschen besser machen – oder um es mit einem ihrer Musiktitel zu benennen: den Alltag zwischen den Stühlen.

Es wird Sie jetzt vielleicht überraschen, das ausgerechnet aus meinem Mund zu hören: Aber eigentlich sollten wir alle gemeinsam darauf hinarbeiten, dass mein Job perspektivisch ganz überflüssig wird. Denn erst wenn es keines gesonderten Beauftragten mehr bedarf, erst wenn die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist, erst dann haben wir unser Ziel einer – im wahrsten Sinne des Wortes – grenzenlosen Partnerschaft tatsächlich erreicht.

Wie wichtig das ist, habe ich beispielsweise bei einem Besuch im Ortenau-Kreis vor zwei Jahren gelernt: Da bieten die Berufsbildenden Schulen Kehls auch Qualifikationen für französische Auszubildende an, zusammen mit der örtlichen Industrie. Dazu kommt auch das große Engagement dieser Beruflichen Schulen bei der Integration von Migrantinnen und Migranten. All dies hat mich beeindruckt – und umso mehr hat es mich gefreut, dass wir den Beruflichen Schulen Kehl im vergangenen Jahr den Adenauer - de Gaulle - Preis verleihen konnten.

Ich habe im vergangenen Jahr sehr aufmerksam verfolgt, wie geschickt der Schulleiter, Peter Cleiß, die mit der Preisvergabe verbundene Aufmerksamkeit genutzt hat, um für ein sehr sinnvolles und gleichzeitig sehr ehrgeiziges grenzüberschreitendes Projekt zu werben: die Gründung einer deutsch-französischen Berufsschule. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Preisvergabe ihren Teil dazu beitragen konnte, dass dieses Projekt bald Wirklichkeit wird.

Auch bei den diesjährigen Preisträgern, bei Till und Felix Neumann ist der Preis in den besten Händen. Ein solches Projekt, gefüllt mit musikalischer Leidenschaft und dem Anspruch, durch Zweisprachigkeit den grenzüberschreitenden Austausch zu vereinfachen, ist ein Zeichen für eine überzeugte und kämpferische Jugend.

Und all den Zweifelnden halte ich die Worte von Zweierpasch entgegen: Sprache ist unser Kapital und – so füge ich hinzu - deutsch-französisch ist alles andere als banal. Herzlichen Glückwunsch an Zweierpasch!

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