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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 30.10.2024

30.10.2024 - Artikel

Ausgleichszölle auf chinesische E-Autos

Frage

[…] zu den Strafzöllen, die jetzt in Kraft treten: Wie reagiert die Bundesregierung darauf?

Hebestreit (BReg)

Vielleicht fange ich am besten mit der zweiten Frage an. Der Bundeskanzler hat sich im Vorfeld sehr klar dazu geäußert und gesagt, dass er solche Strafzölle nicht richtig findet. Die Bundesregierung war eine von fünf Regierungen von Staaten in der EU, die dagegen gestimmt haben, dass solche Strafzölle kommen sollen. Weitere zwölf Länder haben sich der Stimme enthalten. Das heißt, der Vorschlag der EU-Kommission hat in genau zehn Ländern Zustimmung gefunden. Trotzdem sind sie mit der Veröffentlichung im Amtsblatt heute im Augenblick Realität.

Die Erwartungshaltung der Bundesregierung ist, dass die EU-Kommission gemeinsam mit der chinesischen Führung eine verhandelte Lösung in dieser Streitfrage findet, weil die Strafzölle auf europäischer Seite natürlich eine Antwort der chinesischen Seite nach sich ziehen werden. Solche Handelskonflikte sind nichts, was wir anstreben sollten. Insofern gilt die klare Erwartungshaltung in Richtung Brüssels, aber auch in Richtung Pekings, dass man in den laufenden Gesprächen zu guten Ergebnissen kommt und dass dieser Handelskonflikt abgewendet werden kann. Das ist die Position, die wir auch innerhalb der Bundesregierung deutlich gemacht haben.

[…]

Dr. Säverin (BMWK)

Eine ganz kurze, eher begriffliche Anmerkung: Gelegentlich wird für diese Zölle auch der Begriff der Ausgleichszölle verwendet. Dieser Begriff trifft den Kern der Sache eigentlich besser. Denn es geht dabei tatsächlich darum, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass chinesische Unternehmen Subventionen erhalten haben, und dass die chinesischen Produkte im Vergleich mit den deutschen Produkten, auch mit denen von VW, gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt vorfinden. Deswegen benutzen wir im Wirtschaftsministerium gern den Begriff der Ausgleichszölle.

Wenn man diesen Ausgleich auf andere Weise erzielen kann, indem man die Zölle modifiziert, sie vielleicht sogar abschafft, dann wäre das unserer Meinung nach die allerbeste Lösung. Darauf sind nun die Verhandlungen ausgerichtet, die fortgesetzt werden, wie die Kommission uns, worüber wir sehr froh sind, mitgeteilt hat.

[…]

Zusatzfrage

Zum Thema der Strafzölle habe ich noch eine Nachfrage. Die EU-Kommission hat für Hersteller sehr unterschiedliche Zölle festgelegt. Sind sie aus Sicht des Kanzleramtes und des Wirtschaftsministeriums fair verteilt? Zum Beispiel muss Tesla nicht so viel zahlen wie Joint-Venture-Unternehmen von VW.

Hebestreit (BReg)

Da wir das erst einmal sehr generell kritisieren, würde ich mich hier nicht zu einer Beurteilung der einzelnen Höhen hinreißen lassen. Ich weiß nicht, ob sich Herr Säverin dem überlassen will, ich will es nicht.

Dr. Säverin (BMWK)

Das Verfahren, das die Kommission in der Bemessung dieser Zölle und in der Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich der Subventionen durchgeführt hat, haben wir sehr eng begleitet. Wir sind auch oft gefragt worden. Auch die chinesischen Unternehmen haben es zum Teil sehr eng begleitet. Wir hatten den Eindruck, dass es ein sehr sachbezogener, ein sehr korrekter und fachlich exakter Prozess war, den die Kommission angestrengt hat, und dass im Ergebnis dessen diese differenzierten Zölle ausgerechnet und erlassen wurden.

Gerade die Differenziertheit dieser Zölle zeigt, dass jedes Unternehmen und die Produktionsbedingungen der Unternehmen in China einzeln betrachtet wurden und dass einzeln ausgerechnet wurde, worin der Vorteil besteht und wie hoch der Ausgleichszoll sein sollte.

[…]

Frage

Ich komme noch einmal zurück zu dem Thema Ausgleichszölle. Wenn man sich die Veröffentlichungen im Amtsblatt der Europäischen Union ein bisschen genauer durchliest, sieht man eine sehr starke Differenzierung bei den einzelnen Herstellern, was auch etwas damit zu tun hat, inwieweit Dokumente durch die Hersteller respektive durch die chinesische Regierung beigebracht wurden. Jetzt habe ich gerade einen Appell vernommen ‑ in erster Linie an die Kommission, wenn ich das richtig verstanden habe ‑, sich mit China zu einigen. Welche Erwartungshaltung hat die Bundesregierung gegenüber Peking an dieser Stelle?

Hebestreit (BReg)

Mein Appell, den Sie vernommen haben, dass man in diesen Gesprächen, die inzwischen zwischen Brüssel und Peking seit einigen Wochen laufen, zu tragfähigen und konstruktiven Lösungen kommt, ist sowohl an Brüssel als auch an Peking, an die chinesische Seite, gerichtet.

Zusatzfrage

Herr Säverin, Sie hatten eben die Reziprozität ein Stück weit angesprochen, also die Gegenseitigkeit bei dem Ergebnis, was Sie sich erhoffen. Ich habe noch nicht verstanden, was genau die chinesische Seite aus Sicht der Bundesregierung, aus Sicht des Wirtschaftsministeriums tun müsste, um diese chinesischen Subventionen mit einer europäischen Variation irgendwie verrechnen zu können. Was erwarten Sie sich da von China?

Dr. Säverin (BMWK)

Diese Frage ist vollkommen berechtigt. Die Verhandlungen führt die Kommission, und die Kommission ist mit der chinesischen Seite in den Verhandlungen zu den Details. Es fällt mir daher wirklich schwer zu sagen ‑ ich weiß es auch einfach nicht ‑, welche Vorschläge dort von der chinesischen Seite und von der Kommission gemacht werden. Ob diese Vorschläge sinnvoll sind, ob sie realisierbar sind, das weiß ich einfach nicht. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir die Kommunikation in dieser Frage der Verhandlungen eigentlich gerne bei der Kommission lassen würden, und dabei würde ich jetzt einfach auch bleiben.

Frage

Zunächst noch einmal zu den Strafzöllen: Herr Hebestreit, Herr Säverin, einige chinesische Hersteller überlegen jetzt, ob sie Fabriken in Europa bauen. Wäre das Ihrer Meinung nach eine gute Idee, wenn sie die in Deutschland bauen würden, unter anderem, weil Deutschland ja mit Nein gegen die Strafzölle gestimmt hat?

Hebestreit (BReg)

Das ist jetzt sehr konkret. Ohne auf die konkrete Thematik einzugehen, möchte ich Ihre Frage grundsätzlich so beantworten, dass sich die Bundesrepublik immer über Industrieansiedlungen freut und ein sehr guter Industriestandort ist. Insofern sind wir unabhängig davon, wer hier etwas baut, sehr offen dafür; das versteht sich von selbst. Ich würde das jetzt aber nicht mit der Frage der Strafzölle vermischen.

Dr. Säverin (BMWK)

Dem kann ich eigentlich nichts hinzufügen. Grundsätzlich freuen wir uns immer über Industrieansiedlungen. Es ist auch Teil unserer Industriepolitik, Industrieansiedlungen zu befördern. Was das jetzt konkret für die Absichten oder die bekundeten Absichten chinesischer Autobauer für den deutschen Markt bedeutet, dazu kann ich einfach nichts sagen.

[…]

Frage

Ich wollte noch einmal nach der Semantik fragen: Herr Säverin, Sie haben jetzt sehr konsequent von Ausgleichszöllen gesprochen; Herr Hebestreit, Sie haben sehr konsequent von Strafzöllen gesprochen. Warum gibt es zwischen Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium diese Diskrepanz in der Semantik?

Herr Säverin, Sie haben gesagt, dass Sie sich modifizierte Zölle vorstellen könnten. Heißt das einfach geringere Zölle, oder was darf ich darunter verstehen?

Hebestreit (BReg)

Ich würde das jetzt als eine Geschmacksfrage titulieren. Ich habe den Begriff benutzt, der sich allgemein für dieses Verfahren etabliert hat. Herr Säverin hat den präziseren Begriff der EU-Kommission benutzt. Ich glaube, da gibt es außer der Semantik keine begriffliche Unterscheidung.

Dr. Säverin (BMWK)

Zu den Zöllen: Es ist ja so, dass diese Verhandlungen jetzt stattfinden, und da sind verschiedene Möglichkeiten für Ergebnisse denkbar. Es geht uns um Ausgleich, und wenn der Wettbewerbsausgleich durch eine Modifikation der Zölle oder durch deren Abschaffung oder durch andere Begleitmaßnahmen hergestellt werden kann, dann sind wir damit auch zufrieden. Uns geht es wirklich darum, gleiche Wettbewerbsbedingungen für chinesische und deutsche Autos auf dem Binnenmarkt herzustellen.

Frage

Nachdem es eben noch kurz um die chinesischen Hersteller ging, die sich möglicherweise in Europa und möglicherweise auch in Deutschland ansiedeln wollen: In China gibt es nach wie vor das Joint-Venture-Modell. Hat die Bundesregierung irgendwelche Pläne, ein vergleichbares Modell für mögliche Ansiedlungen chinesischer Automobilhersteller in Deutschland einzuführen, und wäre das rechtlich überhaupt möglich?

Hebestreit (BReg)

Ich kenne solche Pläne nicht.

Dr. Säverin (BMWK)

Ich auch nicht.

Frage

Direkt daran anschließend: Es gibt jetzt einen neuen Bericht, laut dem Chinas Regierung angeordnet habe, dass Automobilhersteller ihre Investitionen in den europäischen Ländern stoppen sollen, die für die Strafzölle gestimmt haben. Deswegen hätte ich meine Frage von eben gerne noch ein bisschen modifiziert und gefragt: Halten Sie es für eine richtige Reaktion, dass zumindest die chinesische Regierung das Abstimmungsverhalten bei den Strafzöllen damit verbindet, wo investiert werden sollte?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube nicht, dass ich da irgendeinen sinnvollen Hinweis zu Verhalten der chinesischen Regierung anderen Regierungen gegenüber, die nicht die bundesdeutsche Regierung sind, geben kann. Insofern tue ich das auch nicht.

Zusatzfrage

Das zeigt ja so ein bisschen, dass wir auch innerhalb von Europa eine relativ hitzige Debatte über die Frage hatten, wie man sich nun verhalten soll. Wie blickt das Auswärtige Amt auf diese Debatte? Zeigt das die Zerrissenheit der Europäer?

Fischer (AA)

Ich kann den Vorreden des Regierungssprechers und des Sprechers des BMWK nicht viel hinzufügen. Ich glaube, entscheidend ist doch, dass Europa mit einer Stimme spricht ‑ das ist entscheidend, wenn es um den Konflikt mit der Ukraine geht, das ist entscheidend bei klimapolitischen Verhandlungen, das ist entscheidend bei Fragen des transatlantischen Verhältnisses und das ist eben auch entscheidend im Umgang mit China. Das heißt, dass wir die Kommission bei ihren Verhandlungen mit China unterstützen und dass es jetzt darauf ankommt, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden, um zu einer guten, fairen und einvernehmlichen Lösung zu kommen. Wie Herr Säverin schon ausgeführt hat, kann das dazu führen, dass die Ausgleichszölle bei einer Einigung angepasst werden oder sogar ganz zurückgenommen werden können. Ich glaube, da liegt der Ball jetzt vor allen Dingen auf der chinesischen Seite.

Verbot der Arbeit des Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in Israel

Frage

Gestern ist das Palästinenser-Hilfswerk UNRWA durch das israelische Parlament verboten worden. Welche Auswirkungen hat das auf die Zahlungen aus Deutschland? Darüber haben wir hier ja schon ein paar Mal gesprochen; diese Zahlungen sind zeitweilig auch gestoppt worden. Kann die Bundesregierung irgendwie helfen, dass trotzdem Hilfsgüter in den Gazastreifen gelangen?

Fischer (AA)

Lassen Sie mich vielleicht einmal ausholen. ‑ Die Außenministerin hat sich am Wochenende gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus sechs anderen Ländern ‑ Australien, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Japan und Südkorea ‑ sehr besorgt über die Pläne der israelischen Knesset zu einem Verbot von UNRWA geäußert. Ähnlich hat sich die Menschenrechtsbeauftragte direkt nach Verabschiedung der Gesetze geäußert, und wir als Auswärtiges Amt haben das gestern auch noch einmal.

Im Kern haben die Außenministerinnen und Außenminister bzw. diejenigen, die sich international zu Wort gemeldet haben, ihre tiefe Sorge über die Gesetze zum Ausdruck gebracht. Wenn die Gesetze umgesetzt würden, dann würde dies die Arbeit von UNRWA im Westjordanland, in Ostjerusalem und in Gaza faktisch unmöglich machen. Vor allem in Gaza stünde die UNRWA vor dem Zusammenbruch, und dort befinden sich schon jetzt 2,2 Millionen Menschen in einer sehr dramatischen Notlage. Nach UN-Angaben leiden 86 Prozent der Bevölkerung in Gaza unter Mangelernährung.

Es ist natürlich auch wichtig und richtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die UNRWA in diesen Gebieten, also im Westjordanland, in Gaza, in Ostjerusalem, aber auch darüber hinaus in Syrien, in Libanon und in Jordanien aktiv ist, weil sie auf einem Mandat der UN-Vollversammlung beruht. Die UN-Vollversammlung hat UNRWA per Beschluss ins Leben gerufen, und UNRWA agiert sozusagen unter der Maßgabe dieses Beschlusses der UN-Vollversammlung in ihrem Mandat.

Das bedeutet für uns, dass UNRWA auch zukünftig in der Lage sein muss, für die Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza, im Westjordanland und auch in Ostjerusalem die lebensrettende humanitäre Hilfe sowie Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sicherzustellen, und dass die israelische Regierung die Umsetzung dieses Gesetzes so gestalten muss, dass das für UNRWA weiterhin möglich ist.

Zusatzfrage

Gibt es jetzt denn konkrete Gespräche bzw. versucht die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Umsetzung dann auch so erfolgt?

Fischer (AA)

Wir sind gemeinsam mit unseren internationalen Partnern natürlich schon seit längerer Zeit im Gespräch mit Israel, genauso wie mit UNRWA und den UN-Organisationen. Es zeichnete sich ja ab, dass es zu diesem Gesetz kommen würde. Wie gesagt, das Gesetz tritt 90 Tage nach der dritten Lesung in Kraft, insofern verbleibt jetzt noch ein wenig Zeit.

Unsere Haltung und letztlich auch die Haltung der Außenministerinnen und Außenminister, die sich gemeinsam mit meiner Ministerin geäußert haben, aber auch der übergroßen Mehrheit der internationalen Gemeinschaft ‑ das hat sich auch gestern in der Sitzung des UN-Sicherheitsrats gespiegelt ‑, zeigt doch, dass es die große Erwartung gibt, dass die Gesetze so umgesetzt werden, dass UNRWA sein Mandat auf israelischem Gebiet und auch in den palästinensischen Gebieten erfüllen kann. Wir rufen deshalb die israelische Regierung dazu auf, zu gewährleisten, dass UNRWA und andere UN-Organisationen im Rahmen ihres Mandats weiterarbeiten können.

Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass Israel auch seiner Pflicht nachkommen muss ‑ die ja nicht zuletzt der internationale Gerichtshof noch einmal festgelegt hat ‑, der palästinensischen Zivilbevölkerung ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe zu gewähren und dringend benötigte Basisdienstleistungen zu ermöglichen.

Frage

Sie haben jetzt den Stand beschrieben und Sie haben auch gesagt, dass Deutschland, so wie andere Staaten auch, versuchen will, auf Israel einzuwirken, um dieses jetzt aber schon beschlossene Gesetz zu ändern. Gibt es auch praktische Vorbereitungen ‑ in diese Richtung zielte ja auch die Frage der Kollegin ‑ für den Fall, dass dies nicht geschehen sollte? Muss man dann beispielsweise mit Ägypten sprechen, damit Dinge über Ägypten laufen können, oder spricht man darüber, welche anderen Hilfsorganisationen da Aufgaben übernehmen könnten und inwieweit Deutschland dann auch umschichten könnte? ‑ Vielleicht kann auch das BMZ dazu etwas beitragen?

Fischer (AA)

Es ist erst einmal zentral, dass UNRWA das von der UN-Vollversammlung gegebene Mandat vollumfänglich erfüllen kann. Das Gesetz, das die israelische Knesset verabschiedet hat, wird erst in 90 Tagen in Kraft treten. In diesen 90 Tagen ist noch Zeit für die internationale Gemeinschaft und für die israelische Regierung, eine Lösung zu finden, die es UNRWA ermöglicht, ihr Mandat vollständig zu erfüllen, insbesondere in Gaza, im Westjordanland und in Ostjerusalem. Darauf sind unsere Bemühungen gerichtet.

Aber natürlich hat jeder im Hinterkopf, was passieren könnte, wenn es nicht gelingt, und Sie können sicherlich davon ausgehen, dass auch sogenannte “contingency plannings“ begonnen haben. Aber das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, UNRWA zu ermöglichen, ihr von der UN-Vollversammlung gegebenes Mandat vollumfänglich erfüllen zu können.

Vorsitzender Feldhoff

Möchte das BMZ etwas ergänzen? ‑ Nein.

Nahostkonflikt

Frage

Herr Fischer, in Beit Lahia kam es gestern Abend wieder zu Massakern. Israel hat mehrere Wohnblocks bombardiert, mit Dutzenden von Toten, unter ihnen auch Frauen und Kinder. Ich hätte gerne eine Reaktion dazu.

Fischer (AA)

Wir haben in den letzten Wochen immer wieder über die Lage in Gaza und insbesondere in Nordgaza gesprochen, und wir haben hier immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass uns die humanitäre Lage dort extremst besorgt und wir uns für eine Verbesserung der humanitären Lage einsetzen.

Der von Ihnen angesprochene Angriff, also die Bombardierung eines Wohnblocks in Beit Lahia, hat wohl zu über 90 Todesopfern geführt. Ich habe einer Presseerklärung des UN-Koordinators Wennesland entnommen, dass darunter mindestens 25 Kinder gewesen sein sollen. Insofern sticht dieser Vorfall aufgrund der hohen Opferzahl unter den Kämpfen der letzten Tage heraus. Wir haben Israel dringend um Aufklärung zu diesem Vorfall gebeten und machen in den Gesprächen mit Israel immer wieder klar, dass es natürlich das Recht auf Selbstverteidigung hat, aber zu diesem Recht auf Selbstverteidigung eben auch die engen Grenzen des humanitären Völkerrechts gehören und Israel in der Pflicht steht, die Zivilbevölkerung sowie die zivile Infrastruktur entsprechend den Vorgaben des humanitären Völkerrechts zu schonen. Das heißt, dass bei Angriffen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Entscheidung zwischen Zivilbevölkerung und Kombattanten gewährt werden muss. Als regelmäßiger Besucher der Bundespressekonferenz wissen Sie ja auch, dass wir in der Vergangenheit Israel schon häufig aufgefordert haben, die Art der militärischen Operationsführung anzupassen, um dieser Verpflichtung zum Schutz der Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza besser nachkommen zu können. Gerade in Nordgaza ist die Lage ‑ das haben wir hier verschiedentlich besprochen ‑ sehr dramatisch, und wir erwarten, dass dort jetzt endlich mehr humanitäre Hilfe hineinkommt und auch mehr humanitäre Zugänge geschaffen werden.

Zusatzfrage

Herr Fischer, bei dem Vorfall von Beit Lahia wurde auch medizinischem Personal der Zugang durch Israel verweigert. Ist es aus Ihrer Sicht akzeptabel, dass medizinisches Personal nicht vordringen kann, um Menschen unter den Ruinen zu retten?

Fischer (AA)

Zu diesem Fakt liegen mir keine Informationen vor. Ich nehme das jetzt einmal so hin, wie Sie es sagen, aber grundsätzlich geht es doch darum, Menschen zu retten, und wo Menschen gerettet werden können, sollen diese auch gerettet werden.

Frage

Herr Fischer, das, was Sie sagen, sind Worte. Folgen auch Taten aus Ihrem Ministerium?

Fischer (AA)

Ich glaube, wir haben hier schon seit Langem immer wieder deutlich gemacht, dass unsere klare Erwartung ist, dass mehr humanitäre Hilfe hineinkommt. Daran haben wir auch mit der israelischen Seite intensiv gearbeitet. Es gibt Momente, in denen das besser gelingt und mehr humanitäre Hilfe hineinkommt, und gibt es Momente wie diese, in denen das schlechter gelingt. Aber glauben Sie mir: Wir werden das fortsetzen und wir setzen das intensivst fort, um zu erreichen, dass die dramatische humanitäre Lage in Gaza abgewendet wird.

Zusatzfrage

Es gibt aber keine Maßnahmen dagegen?

Fischer (AA)

Wir ergreifen die Maßnahmen, die wir können, um die Situation der Zivilbevölkerung so schnell wie möglich zu verbessern.

Zusatzfrage

Welche?

Fischer (AA)

Das sind unter anderem Gespräche mit der israelischen Regierung und mit den Vereinten Nationen, mit denen wir uns gemeinsam koordinieren. Sie wissen ja auch, dass wir intensiv darauf hinarbeiten, dass die Gespräche über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln, die ja immer noch in den Händen der Terrororganisation Hamas sind, schnell wieder aufgenommen werden und zu einem erfolgreichen Ende geführt werden. Wenn ich hier sage, dass wir auf die israelische Regierung einwirken, damit die militärische Operationsführung geändert wird und mehr humanitäre Hilfe hineinkommt, dann können Sie davon ausgehen, dass wir das in sehr klarer und deutlicher Weise koordiniert mit unseren amerikanischen, britischen, europäischen und auch arabischen Partnern tun.

Frage

Herr Fischer, wir haben dieses Thema hier jetzt seit einigen Monaten immer wieder. Sie berichten dann immer von Gesprächen mit der israelischen Seite, aber die Entwicklung scheint eben nicht den Weg zu nehmen, den Sie gerne sehen würden, wenn ich Sie richtig interpretiere. Sind die Möglichkeiten der Bundesregierung, auf Israel einzuwirken, auch im Verbund mit den Partnern unzureichend, findet dort schlicht und einfach keine wirksame Einflussnahme auf Israel statt, und was ist die Konsequenz daraus?

Fischer (AA)

Ich glaube, wir haben uns auch hier schon häufig über dieses Thema unterhalten. Es kommt immer auf die Perspektive an. Zunächst ist es doch einfach so, dass die Hamas am 7. Oktober 2023 einen furchtbaren Terrorüberfall auf Israel verübt hat, gegen den Israel das Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des humanitären Völkerrechts zusteht. Wir hatten direkt danach eine dramatische Lage, weil eigentlich keine humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangt ist. Durch intensive Diplomatie ist es uns gelungen, diese Lage zu verbessern. Wir hatten eine Zeit, in der vielleicht nicht ausreichend, aber deutlich mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gekommen ist als jetzt. Das haben wir gemeinsam erreicht. Uns ist es auch gemeinsam gelungen, knapp die Hälfte der Geiseln freizubekommen. Das sollten wir, glaube ich, bei all dem, was Sie hier ansprechen, niemals vergessen; denn da sind ja ganz konkret Menschenleben gerettet worden. Darüber hinaus gibt es viele, viele andere Beispiele ‑ wie zum Beispiel die Evakuierung des SOS-Kinderdorfes aus dem Gazastreifen ins Westjordanland ‑, in denen es uns ganz konkret gelungen ist, das Leben von Menschen zu verbessern.

Wir appellieren weiterhin an die israelische Regierung, auch jetzt nach dem Tod des Hamas-Chefs Sinwar, der ein brutaler Terrorist gewesen ist, diesen Moment, diesen möglichen Wendepunkt zu nutzen, um jetzt endlich bei den Verhandlungen über eine humanitäre Feuerpause, einen Waffenstillstand, die Freilassung der Geiseln und den Zugang für humanitäre Hilfe voranzukommen.

Medienberichte über den möglichen Einsatz nordkoreanischer Soldaten im Rahmen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine

Frage

Ich habe noch eine Frage zu der Ankunft nordkoreanischer Soldaten in Russland. Herr Fischer, vielleicht auch Herr Müller, das wurde ja bereits letzten Freitag an dieser Stelle von der Bundesregierung kritisiert. Sind seitdem neue Informationen hinzugekommen, möglicherweise auch über den zu erwartenden Zeitpunkt, ab dem sie dann möglicherweise tatsächlich auf russischer Seite in den Krieg in der Ukraine eingreifen werden?

Fischer (AA)

Ich glaube, ich habe den Ausführungen von letzter Woche gar nicht so viel hinzuzufügen. Sie wissen, dass wir den nordkoreanischen Geschäftsträger einbestellt haben und mit Nachdruck dazu aufgefordert haben, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht weiter zu unterstützen und die diesbezügliche Unterstützung Russlands einzustellen. Ihm ist auch kommuniziert worden, dass, wenn sich die Erkenntnisse über nordkoreanische Soldaten, die auf russischer Seite kämpfen, weiter verdichten, wir uns vorbehalten, auch im bilateralen Verhältnis weitere Maßnahmen zu ergreifen und auch gegebenenfalls weitere Sanktionen zu erlassen.

Frage

Herr Fischer, mich würde interessieren, ob Sie auch mit der chinesischen Regierung sprechen, die ja nun auch maßgeblichen Einfluss auf Nordkorea haben soll.

Fischer (AA)

Wir stehen mit der chinesischen Regierung hinsichtlich ganz vieler Themen im Gespräch. Eines haben wir hier heute angesprochen, aber es geht natürlich auch um die außenpolitischeren Themen wie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dafür gilt natürlich auch, dass wir auch Nordkorea in den Gesprächen mit China in den Blick nehmen.

Zusatzfrage

Darf ich noch einmal nachfragen, weil das jetzt ein bisschen allgemein klang? – Haben Sie speziell diesen Punkt der Entsendung von nordkoreanischen Soldaten nach Russland schon gegenüber der chinesischen Seite angesprochen?

Fischer (AA)

Sie können davon ausgehen, dass wir auch bezüglich dieses Themas mit der chinesischen Seite schon im Gespräch standen.

Frage

Inwieweit verändert sich dadurch denn auch die deutsche Ukrainepolitik, zum Beispiel, was den Einsatz weitreichender Waffen betrifft?

Hebestreit (BReg)

Gar nicht.

Hinrichtung eines Deutschen in Iran

Frage

Herr Fischer, ich wollte noch einmal nach dem Iran fragen. Die Ministerin hat ja schwerwiegende Folgen angekündigt, und Herr Potzel befindet sich jetzt für Konsultationen in Berlin oder kommt zu Konsultationen nach Berlin. Wie könnten diese schwerwiegenden Folgen denn aussehen? Was erwarten Sie von den Konsultationen?

Fischer (AA)

Erst einmal kann ich Ihnen mitteilen, dass die Außenministerin Herrn Potzel in der Tat zu Konsultationen nach Berlin zurückgerufen hat und dass Botschafter Potzel den Iran heute Vormittag verlassen hat.

Sie wissen, dass es gestern eine Reihe von dringlichen Gesprächen mit der iranischen Seite gegeben hat. Wir haben den iranischen Geschäftsträger gestern Vormittag sehr früh in das Auswärtige Amt einbestellt. Botschafter Potzel hat eine dringliche Demarche beim iranischen Außenminister selbst durchgeführt. In all diesen Kontakten mit der iranischen Seite haben wir unsere Erwartungen an den Iran sehr, sehr klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, und der Iran weiß, dass er zeitnah mit Maßnahmen zu rechnen hat. Es ist ja klar, dass die Ermordung eines deutschen Staatsbürgers die Beziehungen zum Iran, die wir eh schon auf ein Minimum heruntergefahren haben, extrem belastet.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal sagen, dass wir sehr dankbar für die Solidarität unserer europäischen Freundinnen und Freunde sind, die die Hinrichtung des EU-Bürgers Jamshid Sharmahd gestern ebenfalls klar verurteilt haben. Es ist auch klar, dass für die EU-Iran-Beziehungen ernste Konsequenzen dräuen. Der Hohe Vertreter hat ja gestern in Absprache mit uns gezielte und signifikante Maßnahmen angekündigt, die wir jetzt gemeinsam vorantreiben werden, und dabei werden wir natürlich auch über das Thema Sanktionen sprechen.

Frage

Ich habe aktuell nicht den Überblick. Es sind ja längst nicht alle Sanktionen gegen den Iran aufgehoben, die es in der Vergangenheit gab, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Welche Sanktionen kämen denn da überhaupt in Betracht, die auch in irgendeiner Form eine Wirkung erzielen könnten?

Fischer (AA)

Ich glaube, wir werden uns jetzt erst einmal auf europäischer Ebene darüber austauschen, welche Arten von Sanktionen in Betracht kommen. Aber da gibt es natürlich eine Reihe von Sanktionsregimen, zum Beispiel das Menschenrechts­sanktionsregime, hinsichtlich dessen man sich vorstellen könnte, dass wir handeln werden. Aber das muss natürlich in Absprache mit unseren europäischen Freundinnen und Freunden passieren, weil europäische Sanktionspolitik natürlich einstimmig beschlossen wird.

Zusatzfrage

Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde der iranische Botschafter gestern einbestellt?

Fischer (AA)

Der iranische Geschäftsträger wurde einbestellt. Das hervorzuheben, ist vielleicht auch noch einmal wichtig: Der Iran hat derzeit keinen Botschafter in Berlin akkreditiert, und deshalb führt dieser Geschäftsträger vorübergehend die Geschäfte der Botschaft. Vielleicht für die, die es interessiert: Der bisherige iranische Botschafter wurde schon im Juli abberufen, und ein Nachfolger ist noch nicht entsandt.

Zusatzfrage

Meine Frage stelle ich trotzdem noch. Die war nämlich noch gar nicht dabei! – Was ist denn bei dem Gespräch herausgekommen? War das nur die formelle Übermittlung des Protests gegen das Vorgehen, oder sind dort vielleicht auch bereits weitere Maßnahmen vollzogen worden, die Streichung aus der Diplomatenrolle oder Ähnliches, was ja durchaus ein gängiges Mittel ist?

Fischer (AA)

Ich habe ja gerade schon berichtet, dass wir zum einen natürlich das iranische Vorgehen, den Mord an Jamshid Sharmahd, auf das Schärfste verurteilt haben. Gleichzeitig haben wir aber sowohl hier in Berlin als auch in Teheran den Iran mit unseren klaren Erwartungen konfrontiert und deutlich gemacht, dass es zeitnah dazu kommen wird, dass wir Maßnahmen ergreifen.

Frage

Sie haben gerade noch einmal erläutert, dass es derzeit keinen iranischen Botschafter in Deutschland gibt. Ist geplant, dass Herr Botschafter Potzel nach den Konsultationen zurückkehrt?

Fischer (AA)

Botschafter Potzel ist derzeit auf dem Weg, und ich glaube, wir werden schauen, wie lange die Konsultationen andauern. Das ist natürlich nicht unabhängig von der restlichen politischen Lage, wie Sie sich vorstellen können.

Frage

Frau Kock, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Vergangenheit auch regelmäßig vor iranischen Aktivitäten auf deutschem Boden gewarnt. Bedeutet das, was jetzt passiert ist, aus Sicht des BMI irgendeine Veränderung der Sicherheitslage in Deutschland? Sind da irgendwelche Maßnahmen geplant?

Dr. Kock (BMI)

Darauf kann ich vor allen Dingen eher allgemein antworten. Selbstverständlich haben die Sicherheitsbehörden und so auch das Bundesamt für Verfassungsschutz im Austausch mit ihren inländischen und ausländischen Partnern solche Entwicklungen stets im Blick, reagieren auch und haben auch im Blick, wie sich das hier auswirkt. Dazu gehört dann irgendwann im späteren Verlauf auch die Polizei, weil sich das ja auch ganz konkret hier vor Ort auswirken könnte. Die Lage wird also beobachtet, und entsprechend wird bei Bedarf reagiert.

Frage

Inwieweit sehen Sie jetzt eine größere Gefährdung für weitere deutsche Staatsbürger in iranischer Haft? Wenn ich richtig informiert bin, gibt es dort noch welche, die dort in Haft sitzen. Inwieweit ist das dann halt auch ein Abwägen zwischen dem Abbrechen der Beziehungen und der Möglichkeit, weiter darauf einzuwirken, dass diese Menschen freikommen?

Fischer (AA)

Es ist korrekt, dass es weitere Konsularfälle im Iran gibt, von denen auch deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger betroffen sind. Wir setzen uns natürlich weiterhin mit ganzer Kraft dafür ein, dass diese Personen freikommen.

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