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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 23.09.2024
Von Israel angeordnete Schließung des Büros von Al Jazeera in Ramallah
Frage
Frau Hoffmann, Herr Wagner, die Vereinigung der Auslandspresse in Israel spricht davon, dass die Stürmung des Büros von Al Jazeera an der Westbank am Wochenende ein schwarzer Tag war. Dieser Vereinigung gehören auch einer Menge deutscher Medien an, die auch hier vertreten sind. Wie schätzt die Bundesregierung diesen Tag und diese Aktion der israelischen Regierung ein?
Wagner (AA)
Wir haben die Berichte über die Schließung des Al-Jazeera-Büros in Ramallah natürlich verfolgt. Ich brauche Ihnen, glaube ich, nicht sagen, dass die Bundesregierung der Pressefreiheit eine enorm hohe Bedeutung zumisst. Gerade auch in Konflikt- und Krisenzeiten ist es extrem wichtig, dass eine vielfältige und freie Presse ein Bild von der Lage vor Ort vermitteln kann, und natürlich gilt gerade in diesen Zeiten noch einmal mehr, dass eine freie Berichterstattung, eine freie Presse gewährleistet und besonders geschützt werden muss. Insofern ist die Schließung des Büros sicherlich das falsche Signal.
Die israelischen Behörden bzw. die israelische Regierung hat angeführt, dass von dem Sender eine Sicherheitsgefahr für Israel ausginge. Das kann ich von diesem Podium aus natürlich nicht nachvollziehen. Aber noch einmal: Wir messen der Pressefreiheit eine hohe Bedeutung zu. Wir hatten uns im Mai ‑ ich glaube, es war im Mai ‑ auch schon zur Schließung Al Jazeeras in Israel eingelassen.
Zusatzfrage
Wenn die Bedeutung der Pressefreiheit so hoch ist, was unternehmen Sie dann jetzt? Haben Sie sich an die israelische Seite gewandt und die Wiedereröffnung des Büros gefordert? Verurteilen Sie diese Schließung? Oder ist es nur ein falsches Signal?
Wagner (AA)
Ich glaube, wenn ich hier von einem falschen Signal spreche, dann ist das schon sehr eindeutig eingeordnet. Sie wissen ja, dass wir alle Aspekte immer wieder mit unseren israelischen Partnern besprechen und mit ihnen in Kontakt stehen. Dazu gehört sicherlich auch die Frage der Pressefreiheit, und zwar nicht nur in Gaza, sondern auch in den besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland und in Ostjerusalem.
Aber noch einmal: Das ist ein falsches Signal, und wir messen der Pressefreiheit eine enorm hohe Bedeutung zu.
Zusatzfrage
Viele deutsche Medien haben sich in den letzten Wochen zusammengeschlossen ‑ genau wie internationale Medien ‑ und den freien Zugang zu Gaza gefordert. Ich habe von der Bundesregierung bisher noch nie gehört, dass Sie fordern, dass die weltweite Presse freien Zugang von Israel nach Gaza bekommt. Unterstützen Sie das?
Wagner (AA)
Ich glaube, dass wir uns dazu durchaus schon einmal eingelassen haben. Natürlich ist es ‑ das habe ich gerade ja gesagt ‑ gerade in Konflikt- und Krisensituationen enorm wichtig, dass sich eine freie Presse ein Bild von der Lage vor Ort machen kann und dort frei berichten kann. Das ist unter den widrigen Umständen in Gaza sehr schwierig, aber wir würden befürworten, wenn der Zugang da gewährleistet wird, klar.
Nahostkonflikt
Frage
An das Auswärtige Amt: Wie bewerten Sie die Lage im Nahen Osten angesichts der Angriffe Israels auf die Hisbollah?
Wagner (AA)
Angesichts des Raketenbeschusses der Hisbollah auf Israel, aber auch angesichts der israelischen Militäraktionen muss man, glaube ich, schon sagen, dass die Lage extrem angespannt ist. Sie haben sicherlich wahrgenommen, dass sowohl der Regierungssprecher als auch die Außenminister am Wochenende noch einmal deutlich gemacht haben, dass es jetzt auf konkrete Schritte der Deeskalation ankommt. Ich glaube, wir hatten hier am Freitag auch thematisiert, dass diese Schritte und dieser Weg mit Blick auf die sogenannte Blue Line und mit Blick auf einen Rückzug von bewaffneten Kräften von der Blue Line, um da eine Pufferzone zu schaffen, von der UN-Resolution vorgezeichnet sind. Klar ist, dass das jetzt Gegenstand intensiver diplomatischer Bemühungen ist. Die Außenministerin war über das Wochenende auch in Kontakt mit ihren israelischen und libanesischen Amtskollegen. Insofern schauen wir gerade mit großer Besorgnis darauf.
Frage
Es gibt israelische Kabinettsmitglieder, die schon von einer Besatzung und Annexion des Südlibanon sprechen, unter anderem, weil der Libanon nicht der Definition eines Landes entspräche. Wie reagiert die Bundesregierung darauf?
Wagner (AA)
Diese Äußerungen sind mir jetzt nicht bekannt. Wenn die so gefallen sind, dann sind sie sicherlich nicht hilfreich.
Zusatzfrage
Das ist von Herrn Chikli, der ist Bildungsminister. ‑ Wenn die Souveränität eines Landes abgesprochen wird ‑ so etwas hört man ja sonst nur von Herrn Putin in Sachen Ukraine ‑, dann bezeichnen Sie das als „nicht hilfreich“?
Wagner (AA)
Israel ist ein souveränes Land, aber vor allen Dingen ist der Libanon auch ein souveränes Land. Insofern gilt das, was ich eben gesagt habe: Das ist als Einlassung sicherlich nicht hilfreich, und wenn da von Annexion gesprochen wird, dann ist das auch zu verurteilen.
Frage
Die internationale Presse zitiert israelische “officials”, also Funktionsträger, mit dem Satz, die Angriffe Israels gegen die Hisbollah würden nicht der Vorbereitung eines Krieges dienen, sondern seien der Versuch, durch Eskalation Deeskalation zu betreiben. Kennen Sie historische Beispiele, wo so etwas schon einmal funktioniert hat?
Wagner (AA)
Es ist immer schwierig, historische Situationen sozusagen mit aktuellen Geschehnissen zu vergleichen. Aber noch einmal: Ich glaube, wir schauen uns jetzt die Lage an, wie sie gerade sich akut darstellt. Die Situation stellt sich eben so dar, dass auf der einen Seite die Hisbollah Israel weiterhin mit Raketen beschießt, Israel bedroht und auch die Resolution 1701 der Vereinten Nationen nicht umsetzt und sich nicht von der Blue Line zurückzieht, und dass es auf der anderen Seite israelische Militärmaßnahmen gegen die Hisbollah gibt.
Ich glaube, es kommt jetzt wirklich darauf an, auf alle Seiten dahingehend einzuwirken, dass wir in konkrete Schritte der Deeskalation kommen und in Schritte kommen, die die Spannungen in der Region reduzieren. Dafür ist auch wahnsinnig relevant ‑ das hatte ich hier, glaube ich, schon einmal ausgeführt ‑, dass wir in Gaza endlich zu einem humanitären Waffenstillstand kommen; denn natürlich hat die Lage in Gaza auch Rückwirkungen auf die Lage im Norden Israels und mit Blick auf die Handlungen der Hisbollah. Insofern sind wir an all diesen diplomatischen Fronten gerade tätig.
Zusatzfrage
Deswegen hatte ich ja zu einer sehr konkreten Äußerung gefragt, nämlich der These, dass man Deeskalation durch Ausweitung von Eskalation betreiben könne. Halten Sie dies für eine plausible, nachvollziehbare Argumentation?
Wagner (AA)
Ehrlich gesagt verstehe ich Ihre Frage nicht; Sie müssten sie vielleicht noch einmal anders formulieren. Das ist, glaube ich, nichts, zu dem das Auswärtige Amt hier Stellung nehmen muss.
Zusatzfrage
Die israelische Regierung oder Vertreter des Staates Israel sagen, die eskalierenden Maßnahmen gegenüber dem Libanon seien der Versuch, Deeskalation durch Ausweitung von eskalierenden Maßnahmen zu erreichen. Halten Sie diese Argumentation, die von einem engen Bündnispartner Deutschlands offenbar vertreten wird, für plausibel und nachvollziehbar, oder sehen Sie die Risiken einer solchen Strategie als höher an?
Wagner (AA)
Ich kann hier nur darlegen, was unsere Haltung ist. Unsere Haltung ist eben, dass wir im Moment auf eine wahnsinnig angespannte Situation schauen, in der es sehr schnell zu einer Eskalation kommen kann, die zu einem großen Krieg in der Region führt. Insofern, glaube ich, ist angebracht, dass alle Seiten jetzt deeskalierende Schritte angehen. Das ist eine Forderung, die sich auch an die Hisbollah richtet, weil die Hisbollah, wie gesagt, weiterhin Israel beschießt und sich auch nicht an einschlägige UN-Resolutionen hält. Gleichzeitig ist das ausdrücklich ein Aufruf an alle Seiten, die Konfliktlinien jetzt anzugehen.
Frage
Herr Wagner, eine Nachfrage zu den Bemühungen um Deeskalation: Haben Sie den Eindruck, dass die deutschen Deeskalationsversuche eine Wirkung haben und irgendetwas bewirken? Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass selbst der US-Außenminister angesichts der Lage einigermaßen frustriert ist.
Wagner (AA)
Ich könnte jetzt, glaube ich, länglich zum Wesen von Diplomatie und zum Wesen von Außenpolitik ausführen. Sie wissen ja selbst, dass der Nahostkonflikt ein Konflikt ist, der nicht erst seit dem schrecklichen Massaker des 7. Oktobers andauert, sondern ein jahrzehntealter Konflikt ist. Insofern geht es in der Diplomatie immer um das Bohren dicker Bretter. Ich glaube, es wäre vermessen, jetzt von unserer Seite hier zu sagen: Wir hören auf, diese Bretter zu bohren, weil das Loch im Moment nicht wahnsinnig tiefer wird.
Natürlich geht es darum, weiterhin die Gesprächskanäle zu nutzen, die wir zu allen Akteuren in der Region haben, und darauf einzuwirken, zu einer Entspannung der Lage zu kommen ‑ nicht nur mit Blick auf den Norden, nicht nur mit Blick auf das Verhältnis von Libanon und Israel, sondern eben auch mit Blick auf die Situation in Gaza. Das tun unsere Verbündeten, das tun die Amerikaner, das tun aber auch wir. Die Außenministerin war, wie Sie wissen, schon in den letzten Monaten mehrfach im Nahen Osten und führt diese Gespräche, ist da immer wieder in Kontakt. Natürlich sind die Fortschritte, die wir da erzielen, sehr klein. Deswegen aber aufzuhören, sich darum zu bemühen, wäre, glaube ich, auch keine Lösung.
Wir wünschen uns für die Menschen im Nahen Osten eine Situation, in der alle Menschen im Nahen Osten in Frieden und Würde miteinander leben können. Dafür braucht es eben den Einsatz von Diplomatie, dafür braucht es Verhandlungen, dafür braucht es eine Zweistaatenlösung und das kontinuierliche Eintreten von uns und unseren Partnern dafür.
Explosion von Pagern im Libanon
Frage
Herr Wagner, vor einer Woche haben wir hier gesessen und über die Pager-Explosionen im Libanon gesprochen. Da hieß es, die Bundesregierung habe noch nicht genug eigene Erkenntnisse. Ich gehe davon aus, dass Sie sich mittlerweile näher informiert haben. Die überwiegende Meinung von Völkerrechtsexperten ist ja, dass das völkerrechtswidrig war. Gibt es da eine rechtliche Einschätzung Ihrerseits?
Es war auch ein Thema, ob das ein Akt des Terrors war. Der ehemalige US-Verteidigungsminister und CIA-Direktor Leon Panetta hat das als Terrorakt bezeichnet. Wie ist das für die Bundesregierung?
Wagner (AA)
In der Tat war das hier schon Thema, Herr Jung. Ich habe keine eigenen Erkenntnisse, die ich hier mit Ihnen teilen kann, und ich will hier jetzt auch keine völkerrechtliche Einschätzung des Vorgangs vornehmen.
Ich nehme die Debatte nicht ganz so wahr, wie Sie sie wahrnehmen. Ich glaube, es gibt keine einhellige Meinung in die eine oder andere Richtung. Es wäre aber ohnehin nicht an uns, das hier einzuschätzen.
Zusatz
Sie wollen die völkerrechtliche Einordnung nicht bieten, aber wir fragen ja jetzt danach, und es gehört ja auch zur Pflicht einer internationalen Gemeinschaft, die sich an das Völkerrecht hält, das dann auch anzuprangern, falls es zur Nichtanhaltung kommt.
Wagner (AA)
Wie gesagt, zu diesem Vorfall, der sozusagen nicht in die eine oder andere Richtung offiziell attribuiert ist, kann ich hier einfach nichts ausführen, weil wir dazu einfach keine Erkenntnisse haben, die ich hier mit Ihnen teilen kann.
Zusatzfrage
Sie glauben also nicht, dass es Israel war?
Wagner (AA)
Es kommt gar nicht darauf an, was ich glaube oder was ich nicht glaube. Sie fragen mich nach einer Haltung und einer völkerrechtlichen Einschätzung zu einem Vorfall, die ich Ihnen hier einfach nicht bieten kann.