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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 20.09.2024
Reise der Bundesaußenministerin zur 79. Generaldebatte der Generalversammlung der Vereinten Nationen
Wagner (AA)
Ich darf Ihnen eine Reise der Außenministerin ankündigen. Außenministerin Baerbock wird am Montag nach New York reisen, um an der 79. Generaldebatte der Generalversammlung der Vereinten Nationen teilzunehmen und dort für Deutschland vor der Generalversammlung zu sprechen. Wie Sie wissen ‑ das hat der Regierungssprecher gerade gesagt ‑, wird der Bundeskanzler schon am Wochenende beim Zukunftsgipfel in New York sein. Dort soll der Zukunftspakt der Vereinten Nationen beschlossen werden, den Deutschland gemeinsam mit Namibia in zweijährigen Verhandlungen verhandelt hat. Der Zukunftspakt soll von allen Mitgliedstaaten im Konsens verabschiedet werden. Er ist in diesen Krisenzeiten ein wichtiges Signal, dass wir das multilaterale System stärken.
Auch andere drängende Herausforderungen stehen in New York im Fokus, so zum Beispiel der Krieg im Sudan, die Situation der Frauen in Afghanistan und der weltweite Pushback von Frauenrechten. Aber natürlich ‑ da erzähle ich Ihnen nichts Überraschendes ‑ auch die Lage in Nahost und in der Ukraine wird ein wichtiges Thema bei den Gesprächen in New York sein.
Die Generalversammlung in New York ist ja so etwas wie diplomatisches Speeddating. Insofern wird es von der Außenministerin auch eine ganze Reihe von bilateralen Gesprächen mit Amtskolleginnen und Amtskollegen in New York geben.
[…]
Frage
Herr Wagner, können Sie schon sagen, wann die Ministerin vor der Generalversammlung spricht? Stichwort „bilaterale Treffen“: Haben Sie schon etwas anzukündigen, wen sie da trifft?
Wagner (AA)
Das Programm ist wie immer noch im Fluss. Insofern kann ich jetzt keine konkreten Treffen ankündigen. Meines Wissens wird die Rede der Ministerin vor der Generalversammlung am Donnerstag sein.
Lage im Nahen Osten
Frage
Ich habe eine Frage zur Lage im Nahen Osten nach der Explosion von Kommunikationsgeräten ‑ dahinter wird ja Israel vermutet ‑ und dem Beschuss des Südlibanons. Wie bewertet die Bundesregierung die Lage, insbesondere auch das Verhalten Israels?
Zweite Frage: Der britische Außenminister Lammy hat einen sofortigen Waffenstillstand gefordert. Wie steht die Bundesregierung zu dieser Forderung, und was tut die Bundesregierung, um zu einer Deeskalation beizutragen?
Wagner (AA)
Vielen Dank für die Frage. ‑ Wir sind natürlich sehr besorgt über die Lage im Nahen Osten und vor allen Dingen auch über die Lage zwischen Israel und Libanon. Sie haben vermutlich gesehen, dass sich die Außenministerin gestern Morgen noch einmal auf X dazu eingelassen hat.
Ich kann mich hier jetzt nicht zu Spekulationen zu dem Vorfall ‑ darauf zielte ja Ihre Frage ab ‑ der Explosion von vermeintlichen Pagern und Walkie-Talkies einlassen. Da möchte ich einfach nicht spekulieren. Das ist schon ein großes Ausmaß. Ich kann sagen, dass unsere Gedanken bei den zivilen Opfern und bei deren Familien sind.
Es ist jetzt ganz wichtig, dass es Schritte der Deeskalation gibt. Das wird auch von der UN-Resolution 1701, die Sie vielleicht kennen, vorgezeichnet. Die muss umgesetzt werden, damit die Menschen auf beiden Seiten der sogenannten Blue Line ‑ das ist die Grenzlinie zwischen Libanon und Israel ‑ in ihre Heimatorte und ihre Häuser zurückkehren können. Daran arbeiten unsere Partner und arbeiten wir in den vielen Gesprächen und Telefonaten, die wir führen. Darauf kommt es jetzt an.
Da Sie den britischen Außenminister angesprochen haben: Auch wir sagen und fordern immer wieder, dass der Weg aus dem Konflikt eine Feuerpause, ein humanitärer Waffenstillstand in Gaza ist. Dazu laufen Gespräche und Verhandlungen, die wir unterstützen und deren Möglichkeit weiterhin erhalten werden sollte. Das ist, glaube ich, der Weg, weil die Situation in Gaza natürlich auch Rückwirkungen auf die Lage im Norden und mit Blick auf den Konflikt mit der Hisbollah hat.
Frage
Zum Thema Nahost: Warum hat sich die Bundesregierung bei der Abstimmung bei den Vereinten Nationen ihrer Stimme enthalten, um den Rückzug des hebräischen Staates aus den 1967 besetzten Gebieten zu fordern?
Wagner (AA)
Vielen Dank für die Frage. ‑ Das ist eine Frage, die ich nicht mit zehn Worten werde beantworten können. Aber ich kann gerne die Komplexität ein bisschen aufblättern. Ich verweise Sie auf eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten in New York, die wir gestern veröffentlicht haben. Die finden Sie auf unserer Internetseite.
Ich mache mir Ihre Wortwahl in Ihrer Frage nicht zu eigen. Sie wissen, dass die Bundesregierung eine sehr klare Haltung zur israelischen Siedlungspolitik hat, die völkerrechtswidrig und illegal ist und beendet werden muss.
Lassen Sie mich sagen ‑ Sie spielen ja auf die Abstimmung über eine Resolution in der Generalversammlung an, bei der es um die Umsetzung eines Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs ging ‑: Es ist ganz klar, dass Deutschland das Völkerrecht und natürlich auch den Internationalen Gerichtshof unterstützt. Aber die Resolution, die in der Generalversammlung zur Abstimmung gestellt wurde, ist in ganz wesentlichen Punkten von dem Gutachten abgewichen und ging darüber hinaus. Insofern hat sich Deutschland, wie auch mehrere andere unserer Partner, bei dieser Abstimmung enthalten.
Zusatzfrage
Es geht um den Abzug aus den 1967 besetzten Gebieten. Das hat mit Siedlungspolitik nichts zu tun. Die müssen alles zurückgeben: die Golanhöhen, den Sinai, das Westjordanland usw.
Wagner (AA)
Ich verstehe Ihre Frage. Auch dazu ist unsere Haltung sehr klar. Natürlich ist die Besatzung, die seit 1967 andauert, ein Zustand, der nicht auf Dauer sein kann. Die Besatzung muss ihr Ende finden. Allerdings muss sie ihr Ende in einer verhandelten Friedenslösung, in Verhandlungen und in direkten Gesprächen finden. Auch das ist ein Punkt, bei dem die Resolution, die in der Generalversammlung zur Abstimmung gestellt wurde, wesentlich über das Gutachten hinausgeht; denn die Resolution stellt eine unrealistische Frist. Sie sagt, die Besatzung muss innerhalb von zwölf Monaten enden. Noch einmal: Eine Lösung des Konflikts wird sich nur in direkten Verhandlungen auf dem Weg in eine Zweistaatenlösung finden. Diese Verhandlungen braucht es, keine unrealistischen Fristen.
Frage
Sie haben eben das Wesentliche referiert. Die Begründung für Ihre Enthaltung ist, dass die Frist für die Umsetzung unrealistisch sei. Ist nicht das, was Sie gerade genannt haben, nämlich die Verhandlungslösung, in Wahrheit eine unrealistische Position? Israel ist schlicht und einfach ‑ das wissen Sie, das wissen wir alle hier ‑ für eine solche Verhandlungslösung nicht bereit. Wäre es daher nicht richtiger und realistischer zu sagen: „Wir unterstützen einen konkreten Zeitraum“, über den man dann auch noch weiter verhandeln kann? Sie sagen, der Inhalt der Resolution sei unrealistisch. Aber man kann auch die Position, die Sie beziehen, als die unrealistischere bezeichnen. Wie sehen Sie diese Abwägung?
Wagner (AA)
Da würde ich einfach beim Wortlaut des Internationalen Gerichtshofs bleiben, der keine zeitliche Frist gesetzt, sondern „so bald wie möglich“ ‑ ich glaube, das ist die Formulierung des Internationalen Gerichtshofs ‑ gesagt hat. Die Formulierung des Internationalen Gerichtshofs in seinem Gutachten, das nicht rechtsverbindlich ist, ist sozusagen eine Positionierung des höchsten internationalen Gerichtshofs zu dem, wie es auf die völkerrechtliche Lage in der Region schaut. Ich glaube schon, dass diese Formulierung mit Bedacht gewählt worden ist. Das ist nicht der einzige Punkt, der unser Stimmverhalten geprägt hat. Aber in diesem Punkt geht die Resolution der Generalversammlung über das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs hinaus.
Ich stimme Ihnen insofern zu, als wir natürlich alles tun und uns für eine Verhandlungslösung einsetzen müssen. Das tun wir auch. Das ist der einzig realistische Weg, den Konflikt in der Region so zu befrieden und zu lösen, damit am Ende sowohl die Palästinenserinnen und Palästinenser in einem eigenen Staat als auch die Israelis in einem sicheren Staat leben können.
Zusatzfrage
„So bald wie möglich“ ist kein konkreter Zeitraum. Möglichkeiten stellt man nur dadurch her, dass man Positionen aufstellt. Die zwölf Monate der Resolution waren ein konkreter Zeitraum, der als Benchmark und vielleicht auch als Verhandlungsposition dienen kann. Warum unterstützen Sie nicht diese Position, um das „so bald wie möglich“ tatsächlich bald möglich zu machen?
Wagner (AA)
Noch einmal: Das, was in der Generalversammlung zur Abstimmung stand, war sozusagen die Umsetzung eines Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs. Wenn das dort zur Abstimmung steht, dann muss man sich schon sehr genau anschauen, wie die Resolutionen formuliert sind.
Es ist völlig klar, dass wir eine Zweistaatenlösung anstreben müssen und wollen. Das ist der einzige Weg, den Nahostkonflikt in einer Art und Weise zu lösen, die für beide Seiten ein Leben in Frieden und Würde ermöglicht. Es bringt nichts, unrealistische Forderungen aufzustellen, wenn wir dadurch konkret vor Ort keine Verbesserungen erzielen.
Was es braucht, sind direkte Verhandlungen. Es braucht einen Verhandlungsprozess, in dem wir zu einer Zweistaatenlösung kommen. Es braucht eine Stärkung der Palästinenserbehörde, damit sie auch die Voraussetzungen dafür erfüllt, einen Staat Palästina zu führen. Das tun wir ja auch. Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass die Außenministerin bei ihrer letzten Nahostreise in Ramallah mit dem Premierminister der Palästinenserbehörde gesprochen hat. Das sind Dinge, die wir dort vor Ort sehr konkret tun. Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, werden wir auch zu einer Zweistaatenlösung kommen. Noch einmal: Es bringt nichts, unrealistische Zeitforderungen in den Raum zu stellen.
Frage
Herr Wagner, angesichts der jüngsten Entwicklungen etwas allgemeiner gefragt: Inwieweit sehen Sie überhaupt noch die Bereitschaft der Konfliktparteien, vor allen Dingen auch Israel, zu Gesprächen und ernsthaften Verhandlungen?
Wagner (AA)
Das ist Gegenstand auch unserer Kontakte mit der israelischen Regierung. Es geht darum, einen Weg zu finden, der die langfristige Sicherheit Israels gewährleistet. Ich glaube, ganz wesentlich ist letztlich die Lage in Gaza. Ich habe ja eben schon gesagt: Es braucht in Gaza einen Waffenstillstand, Es braucht einen Geiseldeal, nicht nur damit die Geiseln endlich freikommen, sondern auch damit das Sterben und das Leid in Gaza aufhören. Das hat natürlich auch Rückwirkungen auf die Lage in der Region.
Wir wollen natürlich keinesfalls ‑ ich glaube, daran haben auch die Akteure in der Region kein Interesse ‑, dass sich dieser Konflikt regional so ausweitet und er so eskaliert, dass er am Ende noch viel mehr Todesopfer auf allen Seiten mit sich bringen wird. Insofern braucht es Schritte der Deeskalation. Ich habe eben schon gesagt: Die Resolution 1701 zeichnet einen Weg vor, wie man eine Pufferzone schafft, die es dann ermöglicht, dass die Menschen auf beiden Seiten der Blue Line zurückkehren können. Das ist in der Tat Gegenstand laufender diplomatischer Bemühungen.
Sie wissen, dass es gestern noch einmal ein Treffen mit den engsten Partnern in Paris gab. Zur Stunde tagt der Krisenstab im Auswärtigen Amt, um sich mit der Lage in der Region und vor allen Dingen mit der Lage der deutschen Staatsangehörigen im Libanon zu beschäftigen und da Rückschlüsse zu ziehen. Das ist etwas, was wir jeden Tag mit Hochdruck tun.
Frage
Herr Wagner, wenn zwölf Monate unrealistisch sind, was ist denn aus Sicht der Bundesregierung ein realistischer Zeitraum für die Beendigung der Besatzung?
Wagner (AA)
Da würde ich wieder bei dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs bleiben: Die Besatzung muss so bald wie möglich beendet werden. „So bald wie möglich“ heißt im Rahmen einer verhandelten Zweistaatenlösung.
Zusatzfrage
In diesem IGH-Gutachten steht nicht nur “as soon as possible”, sondern auch „ohne Verhandlungen“. Die Besatzung muss ohne Verhandlungen beendet werden. Das ist etwas anderes als das, was Sie sagen.
Wagner (AA)
Wir können jetzt in den Text des IGH-Gutachtens gehen.
Zusatz
Schauen Sie rein!
Wagner (AA)
Ja, das können wir gerne machen. Aber die Position der Bundesregierung dazu ist sehr klar: Es muss eine verhandelte Zweistaatenlösung geben. Das ist der Weg.
Zusatzfrage
Das heißt, die Bundesregierung hat eine andere Haltung als das oberste UN-Gericht, das sagt, die Besatzung muss ohne Verhandlungen beendet werden?
Wagner (AA)
Das IGH-Gutachten ist komplex, es ist weitreichend. Das sind auch keine Dinge, die mit Ja und Nein und einfach so beantwortet werden können. Man muss sich das genau anschauen. Noch einmal: Bei der Resolution in der Generalversammlung ging es um die Umsetzung des IGH-Gutachtens. Die Resolution geht über den Wortlaut des Gutachtens hinaus.
Geschichtsrevisionismus seitens Russlands
Frage
An das Auswärtige Amt zum Thema Geschichtsrevisionismus: Russland hat vorgestern behauptet, am 17. September 1939 habe die Rote Armee eine Militäroperation in Polen gestartet, um einen Genozid der westlichen Weißrussen und der westlichen Ukrainer zu vermeiden. Damit hat man ja den Hitler-Stalin-Pakt geleugnet. Gab es dazu eigentlich eine offizielle Reaktion seitens der Bundesregierung bzw. des Auswärtigen Amtes oder gab es nur diesen komischen Tweet von denen?
Wagner (AA)
„Komischen Tweet“? ‑ Ich fand, dass der Tweet relativ klar war. Das ist natürlich Geschichtsrevisionismus, und ich glaube, dadurch, dass wir noch einmal die Karte ‑ die, glaube ich, auch im Archiv des Auswägen Amts liegt ‑ getweetet haben, haben wir sehr klar zum Ausdruck gebracht, was wir davon halten und haben dem deutlich widersprochen. Wenn ich mir die Kommentarlage unter dem Post anschaue, würde ich sagen, dass das auch klar so angekommen ist.
Zusatzfrage
Aber da gibt es jetzt keine öffentliche bzw. bilaterale Kommunikation zwischen den Ländern? Die Russen haben das ja früher selbst anerkannt; dieses Verhalten ist jetzt also neu.
Wagner (AA)
Wenn wir bei jeder russischen Desinformation und Propaganda in den sozialen Medien den bilateralen Kontakt suchen müssten, dann wären wir leider morgen noch nicht fertig. Ich kann aber gerne noch einmal von dieser offiziellen Stelle aus sagen, dass das, was da behauptet wird, Geschichtsklitterung und üblere Desinformation ist und nicht den geschichtlichen Tatsachen entspricht.