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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­­­pressekonferenz vom 03.01.2024

03.01.2024 - Artikel

Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine

Frage

Ich habe eine Frage zur Ukraine, zunächst an Herrn Hebestreit und ans BMVg. Es gab zuletzt sehr massive Angriffe seitens Russlands auf die Ukraine, und dementsprechend gab es auch erste Stimmen, die sagten, Deutschland müsse sich angesichts dieser russischen Taktik ‑ also der Taktik, offensichtlich auch die westlichen Waffenbestände zu dezimieren, sodass die Ukraine dann Schwierigkeiten hat ‑ noch stärker engagieren.

Herr Hebestreit, vor diesem Hintergrund: Gibt es im Kanzleramt vielleicht ein Umdenken mit Blick auf den Wunsch der Ukraine nach Taurus-Lieferungen, oder steht das nicht zur Debatte, egal wie die Lage sich entwickelt?

An das BMVg: Man weiß ja, was schon alles von deutscher Seite geliefert wurde, aber gibt es Überlegungen, was vielleicht noch zusätzlich möglich wäre oder wie man Engpässe im Bereich Reparatur, Munition etc. besser überwinden kann?

Hebestreit (BReg)

Zunächst einmal verurteilen wir das Vorgehen der russischen Streitkräfte und auf Befehl des russischen Präsidenten Putin natürlich scharf. Die massiven Angriffe auf zivile Infrastruktur sind ein Kriegsverbrechen und sind absolut verabscheuenswürdig.

Die Bundesregierung hat frühzeitig gesagt ‑ auch mit Blick auf das jetzt angebrochene Jahr 2024 ‑, dass wir an der Seite der Ukraine stehen und alles, was uns möglich ist und was wir für verantwortbar halten, zu liefern. Das tun wir. Wir haben auch gesagt ‑ auch mit Blick auf den Haushalt 2024 ‑: Sollten sich im Laufe des Jahres noch Veränderungen ergeben, die es nötig machen, dass weitere finanzielle Hilfe geleistet werden muss, dann guckt diese Regierung sich das genau an.

Was die Luftverteidigung angeht, so haben wir zum jetzigen Zeitpunkt geliefert, was möglich ist, und wir prüfen immer wieder die Bestände. Da ist der limitierende Faktor im Augenblick die Produktion, also was hergestellt werden kann. Wir sind mit ausländischen Regierungen, die gewisse Systeme bestellt haben, in Gesprächen darüber, dass sie zugunsten der Ukraine von ihren Bestellungen zurücktreten und dann später beliefert werden. Da ist auch schon einiges erreicht worden. Wir versuchen auch mit Hochdruck, Artilleriemunition und Ähnliches weiter zu organisieren, damit die Ukraine weiterhin in der Lage ist, sich gegen diese Angriffe zur Wehr zu setzen.

Klar ist auch, dass das eine große Aufgabe ist und dass die gesamte Staatengemeinschaft aufgerufen ist, der Ukraine beizustehen. Viele Staaten tun das auch, und auch wir werden das weiterhin tun.

Collatz (BMVg)

Ich kann das, was Herr Hebestreit gerade gesagt hat, nur noch nachdrücklich verstärken und unterstreichen. Wir haben von Beginn an einen Schwerpunkt insbesondere auf die von Ihnen angesprochene Bedrohung aus der Luft gelegt und die Ukraine von Beginn an darin unterstützt, sich hier verteidigen zu können. In diesem Zusammenhang sind ja eine Vielzahl von Systemen zu nennen, die wir liefern, zunächst aus dem Bestand der Bundeswehr, angefangen von Stinger-Raketen ganz am Anfang des Krieges bis hin heute zu modernsten IRIS-T-Systemen. Ich kann auch nur daran erinnern, dass wir kontinuierlich Hilfspakete auf die Beine gestellt haben, zuletzt das Winterhilfspaket im Wert von mehreren Milliarden Euro, das insbesondere in diesem Bereich weiterhin einen Schwerpunkt setzt und diesen auch vertieft. Die Lieferung eines dritten IRIS-T-Systems steht für 2025 an; das ist ja auch schon Teil der Berichterstattung gewesen. Für 2024 ist schon vereinbart, ein zweites IRIS-T-SLM zu liefern, und das erste System ist nach meiner Kenntnis inzwischen vollständig ausgeliefert.

Insofern glaube ich, dass wir hier keine Defizite aufzuweisen haben, wie Sie sie andeuten, sondern im Gegenteil zu den Nationen gehören, die von Beginn an nachhaltig und auch zukünftig die Ukraine unterstützen ‑ gerade in diesem Bereich, den Sie aufgezeigt haben, also in der Luftverteidigung.

Zusatzfrage

Herr Hebestreit, das Wort Taurus haben Sie jetzt nicht in den Mund genommen. Darf ich daraus den Schluss ziehen, dass das keine Rolle spielt?

Wenn ich darf, noch eine Nachfrage an das BMWK: Herr Hebestreit hat eben auch die Angriffe auf zivile Einrichtungen genannt. Es ist ja so, dass Deutschland da auch unterstützt, zum Beispiel wenn Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen ist. Gibt es schon eine Kontaktaufnahme oder Bitten seitens der Ukraine, ob Deutschland da mehr helfen kann? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen oder Möglichkeiten?

Hebestreit (BReg)

Es war kein absichtliches Versäumnis, das Thema Taurus nicht genannt zu haben. Ich habe ja auf das Thema der Verteidigung gegen Luftschläge auf die ukrainische Infrastruktur und auf die ukrainischen Zivilbevölkerung verwiesen und habe auf die deutschen Bemühungen in dieser Hinsicht abgehoben. Zum Thema Taurus gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen neuen Stand.

Dr. Säverin (BMWK)

Ich kann vielleicht noch ergänzen, dass es die Struktur des Ukraine Energy Support Fund gibt. Das ist ein Fördertopf, aus dem die Ukraine Geld zum Aufbau der Energieinfrastruktur erhalten kann, auch ganz unmittelbar und akut, wenn dort durch die Bombardierung Schäden entstanden sind. Zusammen mit dem Auswärtigen Amt betreiben wir diesen Fund. Das ist sozusagen der Rahmen, in dem zurzeit Leistungen als Reaktion auf die massiven und brutalen Bombardierungen der Energieinfrastruktur möglich sind. ‑ Ich weiß nicht, ob Herr Fischer dazu noch ergänzen möchte?

Fischer (AA)

Wir und auch die Ministerin haben ja immer davon gesprochen, dass wir auch mit Blick auf die Ereignisse des letzten Jahres für diesen Winter einen Winterschutzschirm über die Ukraine spannen müssen. Dieser Winterschutzschirm hat, wie die Kollegen das hier bereits ausgeführt haben, eine militärische Komponente, nämlich mit den Patriot-Systemen, mit den IRIS-T-Systemen und mit den Gepard-Panzern, die wir geliefert haben, die alle der Luftverteidigung dienen. Wir sehen ja, dass diese Systeme funktionieren und Tag für Tag angesichts der brutalen russischen Drohnen- und Raketenangriffe Menschenleben schützen.

Es kommt trotzdem zu Treffern, und auch das haben wir in unsere Planungen einbezogen. Zum einen haben wir unsere Energiehilfen erhöht, wie der Kollege aus dem BMWK ausgeführt hat ‑ zuletzt im Dezember auf insgesamt 218 Millionen Euro ‑, um die Energieinfrastruktur in der Ukraine zu stabilisieren. Ebenfalls im Dezember haben wir noch gemeinsam mit dem BMI ein Paket für den zivilen Katastrophen- und Bevölkerungsschutz geschnürt. Im Rahmen dieses Paketes war unter anderem der THW aktiv, und da haben wir Generatoren, Feuerwehrautos, THW-Autos und solcherlei Dinge ausgeliefert, um auch den ukrainischen Zivilschutz zu ertüchtigen.

Das heißt, wir haben in ganz verschiedenen Dimensionen daran gearbeitet, dass die Ukraine so gut wie möglich über diesen Winter kommt, trotz der massiven russischen Angriffe.

[…]

Frage

Herr Hebestreit, bleibt die Bundesregierung bei ihrer eher ablehnenden Haltung, was die Gegenschläge der Ukrainer auf russischem Boden oder auf russische Städte ‑ Beispiel Belgorod in den letzten zwei Tagen ‑ angeht?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung sich dazu von dieser Stelle aus ausdrücklich geäußert hat, und das werde ich dann heute auch nicht tun.

Fischer (AA)

Ich habe hier so ein bisschen den Eindruck, dass das Bild der Lage sehr nach „doom and gloom“ aussieht. Es ist zweifellos so, dass die Lage in der Ukraine schwierig ist ‑ das ist sie seit Beginn des Krieges. Aber wenn wir daran denken, was zu Beginn des Krieges passiert ist, nämlich eine noch viel weitreichendere Besetzung von Gebieten in der Ukraine, dann muss man auch feststellen, dass es der Ukraine seit April 2022 gelungen ist, mehr als die Hälfte der ursprünglich besetzten Gebiete zu befreien und damit auch Hunderttausenden von Ukrainerinnen und Ukrainern die Möglichkeit zu geben, in einer freien Demokratie zu leben.

Genauso ist es der Ukraine in den letzten Monaten gelungen, einen Korridor über das Schwarze Meer zu sichern ‑ auch dank einer verbesserten Luftabwehr ‑, der dazu führt, dass der Weizenkrieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, jetzt ins Leere läuft. Mittlerweile sind über 200 zivile Schiffe wieder über das Schwarze Meer aus der Ukraine herausgefahren und haben die Weltmärkte mit Weizen versorgt. Genauso muss man ja sehen, dass die innenpolitischen Reformen in der Ukraine sehr weitreichend sind und unter Kriegsbedingungen durchgeführt worden sind, was sicherlich auch ein großer Erfolg ist, der dann letztlich in der Aufnahme der EU-Beitrittsgespräche geendet ist. Es gibt also Schwierigkeiten, aber viele von diesen Dingen haben wir auch antizipiert ‑ etwa die Lage jetzt im Winter, in der es wieder zu massiven russischen Luftschlägen kommt ‑ und haben darauf reagiert.

Insofern finde ich: Wenn man das Bild der Lage zeichnet, dann muss man auch den Beginn der russischen Aggression mit einbeziehen und schauen, wo wir heute stehen. Ich glaube, im Februar vor knapp zwei Jahren hätte keiner gedacht, dass die Ukraine so weit kommt.

Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer

Frage

An das Auswärtige Amt: Herr Fischer, können Sie einmal sagen, wie der Stand der Suche nach einer Rechtsgrundlage für eine wie auch immer geartete deutsche Beteiligung an einem Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer aussieht?

Fischer (AA)

Lassen Sie mich zu Beginn ganz grundsätzlich sagen, dass die gewaltsamen Angriffe der Huthis auf die zivile Handelsschifffahrt massiv in die Sicherheit der internationalen Seeschifffahrt eingreifen, zentrale globale Handelswege gefährden, völlig inakzeptabel sind und aufhören müssen.

Sie wissen, dass es im EU-Rahmen die Prüfung verschiedener Optionen gibt, wie sich die EU und ihre Mitgliedstaaten an dem Schutz der Handelsroute beteiligen können.

Dabei ging es zum einen um eine Ausweitung der Operation Atalanta in Richtung des Roten Meeres. Die Debatte haben wir alle vor Weihnachten gesehen. Nachdem sich zunächst ein Konsens in Brüssel abzeichnete, hat ein Mitgliedsstaat dann doch Bedenken gehabt. Diese Bedenken sind bislang nicht ausgeräumt.

Zum anderen wird in Brüssel jetzt geprüft, ob man eine eigenständige EU-Mission für das Rote Meer auf die Beine stellen kann. Wir als Bundesregierung wären dazu bereit und stehen dazu auch in engem Kontakt mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst in Brüssel.

Zusatzfrage

Heißt das, dass andere Optionen als eine EU-Mission nicht betrachtet werden?

Fischer (AA)

Wir prüfen alle Optionen, die völkerrechtlich und verfassungsrechtlich möglich sind.

Zusatzfrage

Ist denn eine Mission nach dem Vorbild von Counter Daesh aus Ihrer Sicht eine völkerrechtlich und verfassungsrechtlich zulässige Option?

Fischer (AA)

An Counter Daesh haben wir uns beteiligt. Trotzdem muss man sehen, dass das Voraussetzungen hatte, die auch mit Entscheidungen der Vereinten Nationen zu tun hatten.

Nahostkonflikt

Frage

Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Situation in Gaza, wenn man sieht, dass Israel weiterhin Krankenhäuser und auch den Süden bombardiert, in den die meisten Menschen ja eigentlich fliehen sollten? Wie beurteilt die Bundesregierung die Lage?

Fischer (AA)

Wir haben schon seit mehreren Wochen immer wieder gesagt, dass die humanitäre Lage in Gaza katastrophal ist, und haben auch sehr klar gemacht, dass wir weiteren humanitären Zugang brauchen und es notwendig ist, dass mehr Hilfsgüter nach Gaza kommen. Dabei hat es einige Fortschritte gegeben wie die Öffnung von Kerem Schalom für Hilfstransporte. Aber das reicht, wie wir alle wissen, nicht aus. Deshalb fordern wir auch von dieser Stelle aus noch einmal alle Beteiligten dazu auf, daran mitzuwirken, mehr humanitäre Güter nach Gaza hineinzulassen.

Gleichzeitig erwarten wir von Israel, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Wir haben zuletzt deutlich gemacht, dass das auch heißt, dass Israel sein militärisches Vorgehen anpassen muss.

Mit anderen Worten: Die humanitäre Lage ist katastrophal. Deshalb arbeiten wir weiterhin intensiv daran, wieder zu einer humanitären Feuerpause zu kommen, um die Menschen gerade in der jetzigen Winterzeit besser versorgen zu können.

Zusatzfrage

Einige Minister des Netanjahu-Kabinetts haben sich für die Umsiedlung von Palästinensern in Gebiete außerhalb des Gazastreifen ausgesprochen und wollen dafür jüdische Siedler im Gazastreifen ansiedeln. Wie bewertet die Bundesregierung diese Aussagen?

Fischer (AA)

Diese Äußerungen der beiden Minister weisen wir in aller Deutlichkeit und auf das Allerschärfste zurück. Sie sind weder sinnvoll noch hilfreich.

Wir haben unsere Position beim G7-Außenministertreffen in Tokio sehr klar gemacht. Es darf keine Vertreibung von Palästinensern aus Gaza geben. Es darf auch keine territoriale Verkleinerung des Gazastreifens geben. Eine Zweistaatenlösung bleibt aus unserer Sicht das einzig nachhaltige Modell für ein friedliches Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern. Daran halten wir fest, und darauf arbeiten wir auf die längere Sicht auch hin.

Frage

Ich habe in der israelischen Zeitung „Maʿariw“ gelesen, dass der israelische Minister für Sicherheit Ben-Gvir nach Deutschland kommen wollte. Er wollte, dass die Bundesregierung Waffen an Israel liefert. Ist die Bundesregierung bereit, solche Menschen zu empfangen?

Fischer (AA)

Entsprechende Reisepläne sind mir nicht bekannt. Dementsprechend stellt sich die Frage nicht.

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