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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 15.11.2023
Nahostkonflikt
Frage
Ich probiere es einmal bei Herrn Wagner: Ich beziehe mich auf Aussagen des israelischen Finanzministers Smotrich, der gestern eine freiwillige Abwanderung von Palästinensern aus Palästina, in diesem Fall aus Gaza, gefordert hat. Wie stehen Sie zu dieser Forderung aus der israelischen Regierung? Ist es eigentlich völkerrechtlich gestattet, eine Bevölkerung aufzufordern, aus ihrem eigenen Land abzuwandern?
Wagner (AA)
Vielen Dank. ‑ Wir haben diese Äußerungen zur Kenntnis genommen. Die sind nicht hilfreich, sie sind auch nicht akzeptabel. Sie wissen vielleicht, dass sich die Außenministerin beim jüngsten G7-Treffen in Tokio zu diesem Thema eingelassen hat, auch mit fünf Punkten, die vielleicht zur Orientierung dienen können, wie eine Zweistaatenlösung eine Zukunft haben kann. Einer der Punkte war dabei ja ganz explizit auch, dass die Palästinenserinnen und Palästinenser nicht aus Gaza vertrieben werden dürfen. Insofern würde ich Sie auf diese Äußerungen verweisen, die ja im Übrigen auch vom amerikanischen Außenminister in ähnlicher Weise intoniert worden sind.
Zusatzfrage
Okay, Sie sagen, das ist nicht akzeptabel, aber Sie verurteilen das nicht. ‑ Ich hatte außerdem noch gefragt, wie das völkerrechtlich zu sehen ist. Darf man eine einheimische Bevölkerung auffordern, das eigene Land zu verlassen?
Wagner (AA)
Ich habe zu der Frage, die Sie gestellt haben, das gesagt, was ich sage, und ich bleibe bei meinen Einlassungen.
Frage
Herr Hebestreit, ich würde gerne noch einmal auf die Pressekonferenz am 14. November, die Sie schon erwähnt haben, zurückkommen. Der Kanzler hat dort erklärt ‑ ich zitiere ‑, Israel sei „ein Land, das sich den Menschenrechten und dem Völkerrecht verpflichtet fühlt und in seinen Aktionen auch dementsprechend handelt“. Jetzt sind mit Stand 14. November nach UNOCHA-Angaben 102 UN-Mitarbeiter und 47 Journalisten durch israelische Vergeltungsschläge getötet worden. Da würde mich interessieren, ob diese Tötung in einem dreistelligen Bereich von UN-Mitarbeitern und einem mittleren zweistelligen Bereich von Journalisten für den Kanzler auch in diesen Bereich ‑ „dem Völkerrecht verpflichtet fühlt“ ‑ fällt.
Hebestreit (BReg)
Ich will das hier überhaupt nicht kategorisieren. Der Bundeskanzler hat gesagt, wie der Staat Israel grundsätzlich handelt. Wir haben es im Moment mit einer Kriegssituation zu tun. Wir haben es damit zu tun, dass die Hamas Israel überfallen hat, dass sie mehr als tausend Menschen ‑ ich glaube, inzwischen liegt die Zahl bei 1200 ‑ bestialisch umgebracht hat und dass immer noch mehr als 200 Geiseln dort gefangen gehalten werden. Das sind Frauen, das sind alte Menschen, das sind auch Männer und es sind Kinder, die dort ohne ihre Eltern seit mehr als fünf Wochen festgehalten werden. Die Hamas hätte jederzeit die Möglichkeit, da auch ein Zeichen der Versöhnung, wenn man so will, ein Zeichen der Abrüstung zu setzen. Im Gegenteil, der Beschuss Israels geht weiter; es ist eine fortgesetzte Kriegssituation, die dort herrscht. Gleichzeitig bleibt der Aufruf an die israelische Seite, sich an den Rahmen des humanitären Völkerrechts zu halten.
Wenn man vergleicht, wie die Hamas gegen Israel vorgeht und wie Israel gegen die Hamas vorgeht, dann kann zumindest ich Unterschiede erkennen. Zu einer allgemeinen Einzelfallbeurteilung kann ich von dieser Stelle nichts beitragen; das tut mir leid für Sie.
Zusatzfrage
Aber die allgemeine Tendenz ist ja derzeit, dass sowohl Volker Türk als UN-Hochkommissar für Menschenrechte als auch alle involvierten UN-Organisationen sehr deutlich davon sprechen, dass Israel mit der Art des militärischen Vorgehens im Gazastreifen Völkerrecht bricht. Bisher zumindest hat die Bundesregierung sich in der BPK hingestellt und gesagt: Nö, wir sehen das anders. Da würde mich schon interessieren: Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung zu dem Schluss ‑ im Gegensatz zur Einschätzung von eigentlich allen UN-Organisationen und auch vielen internationalen Partnerstaaten Deutschlands ‑, dass Israel im Gazastreifen Völkerrecht nicht bricht?
Hebestreit (BReg)
Ich werde hier nicht in eine Thematik, wer was an der Stelle genau sagt, einsteigen. Das ist eine sehr schwierige Situation; es ist eine Kriegssituation, in der wir uns befinden. Das ist ein bewaffneter Konflikt, der fortgesetzt geführt wird. Die Aufforderung, die wir auch an dieser Stelle mehrfach gemacht haben ‑ auch meine Kolleginnen und Kollegen, die, wenn ich nicht hier bin, hier sitzen ‑, war immer auch die Aufforderung, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts gelten müssen und dass sich alle Seiten daran halten müssen. Wir wissen, wer sich überhaupt nicht daran hält: Das ist die Hamas. Wir wissen auch, dass Israel bemüht ist. Wenn es Situationen gibt, die verurteilungswürdig sind, dann wird auch das verurteilt werden. Es ist aber nicht am Regierungssprecher oder an der Bundesregierung, das von hier aus zu beurteilen. Insofern kann ich Ihnen auch an der Stelle wieder nicht weiterhelfen.
Frage
Jetzt hat der Kollege meine Frage natürlich schon vorweggenommen. Ich will aber trotzdem ‑ ‑ ‑
Hebestreit (BReg)
Dann nehmen Sie einfach die Antwort, die ich gegeben habe, nochmal.
Frage
Ich will trotzdem noch einmal nachfragen. Wir können ja auch aus der aktuellen Kriegssituation weggehen. ‑ Israel bzw. die israelische Regierung ‑ vor allem die aktuelle Regierung unter Netanjahu ‑, verfolgt schon seit Jahren eine expansive Siedlungspolitik, die dem internationalen Recht widerspricht. Die Bundesregierung stellt sich eigentlich dagegen. Wie kann es sein, dass der Bundeskanzler jetzt sagt, Israel würde sich grundsätzlich an internationales Recht halten ‑ und noch viel wichtiger: er hat gesagt, es dürfe keinen Zweifel daran geben, man dürfe also nicht daran zweifeln, dass sich Israel an das internationale Recht hält ‑, wenn es doch wirklich umfassende Berichte darüber gibt ‑ und zwar schon seit Jahrzehnten ‑, dass das nicht der Fall ist?
Hebestreit (BReg)
An einer Stelle folge ich Ihnen dezidiert nicht, an vielen anderen gerne. Die dezidierte Stelle, an der ich Ihnen nicht folge, ist die Stelle, an der Sie daraus eine Kausalität herbeiführen ‑ weil das so gewesen sei, könne die Hamas jetzt Israel überfallen und diese Terrorakte verüben. Wenn das nicht gemeint ist, sondern das eher ein grundsätzlicher Eindruck ist, dann kann ich darauf verweisen, dass wir auch von dieser Stelle, gerade was eine aggressive Siedlungspolitik angeht, immer wieder auch klar Israel aufgefordert haben, das zu unterlassen. Auch in unseren Gesprächen mit Benjamin Netanjahu ‑ es gab, glaube ich, drei persönliche Begegnungen in den letzten anderthalb Jahren zwischen dem Bundeskanzler und ihm, nämlich in Tel Aviv, in New York und in Berlin ‑, hat der Bundeskanzler das klar angesprochen.
Das ist auch der Unterschied: Man kann mit der Regierung Israels, das ja eine Demokratie ist ‑ auch da sollten wir jetzt nicht immer alles gleichsetzen und sagen: die einen sagen so, die anderen sagen so ‑ reden, da gibt es eine kritische Öffentlichkeit, es gibt Gerichte, es gibt eine kritische Presse in Israel. All das wird kritisch miteinander diskutiert, und wenn es ‑ und da gebe ich Ihnen völlig Recht ‑ Stellen gibt, an denen es Kritik zu üben gibt, dann haben wir das auch getan. Wenn Sie sagen, unter anderem, was die Siedlungspolitik angeht, gebe es da Verstöße gegen völkerrechtliche Vorgaben, dann würde ich das jetzt aber nicht auf die Kernaussage des Bundeskanzlers beziehen. An der Stelle war es ja dezidiert auf die Fragen im aktuellen Konflikt bezogen, der sich in Gaza, im Gazastreifen abspielt, also auf den Kampf zwischen Israel, das das auch völkerrechtliche Recht hat, sich gegen die fortgesetzten Angriffe der Terrororganisation Hamas zu verteidigen, und der Hamas. Wenn wir das so auseinanderhalten, sind wir, glaube ich, fein.
Zusatz
Über die Hamas habe ich überhaupt gar nichts gesagt.
Hebestreit (BReg)
Aber ich.
Zusatz
Ich wollte auch nichts darüber suggerieren. Aber auch in der Westbank sind seit dem 7. Oktober über 180 Zivilisten von der israelischen Armee getötet worden. Da ist ja die Hamas nicht.
Hebestreit (BReg)
Nein, das ist auch klar. Das haben wir sowohl in internen Gesprächen als auch zum Teil öffentlich klar kritisiert. Das ist etwas, was wir absolut verurteilen, und das darf nicht sein.
Frage
Sie haben sicherlich auch die Äußerung des US-Präsidenten Joe Biden zur Kenntnis genommen, der im Hinblick auf die Situation des Al-Schifa-Krankenhauses, in dem derzeit nicht mehr operiert und medizinisch gearbeitet werden kann und in dem Menschen deswegen sterben, zum einen gefordert hat, dass dieses Krankenhaus besser geschützt werden müsse. Zum anderen hat er von Israel explizit ein weniger einschneidendes Vorgehen gefordert.
Teilt die Bundesregierung diese Position?
Hebestreit (BReg)
Wir haben das zur Kenntnis genommen. Wir haben heute auch Nachrichten zur Kenntnis genommen, wonach Israel dort ‑ wie haben Sie es zitiert? ‑
Zusatz
Ein weniger einschneidendes Vorgehen.
Hebestreit (BReg)
‑ wonach Israel sowohl mit arabischsprachigen Mittlern als auch mit Spezialkräften in dieses Krankenhaus gegangen ist ‑ die Formulierung „gegangen ist“ ist ein Euphemismus ‑, also dieses Krankenhaus gestürmt hat. Aber es hat ‑ ich denke, das war das, wozu viele aufgefordert haben ‑ keine Bombardierung dieses Krankenhauses gegeben.
Ich wiederhole noch einmal, was ich auch Montag hier schon gesagt habe: Die Situation in Gaza ist furchtbar. Die Zivilbevölkerung dort leidet, die Zivilbevölkerung, die zum Teil von der Hamas daran gehindert wird, diese Orte zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen, weil sie als menschliche Schutzschilde gebraucht und missbraucht wird. Gleichzeitig bleibt es fortgesetzt dabei, dass die Hamas auch im Schutze dieser Zivilisten ihre Terrorangriffe und ihren Kampf gegen Israel fortsetzt.
Deswegen ist das eine so furchtbare Situation. Das Leid der Zivilbevölkerung ist schwer ermesslich, um nicht zu sagen unermesslich. Gerade daher gilt es auch, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es ein Krieg Israels gegen die Hamas ist, aber nicht ein Krieg Israels gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser. So schwer das oft zu trennen zu sein scheint, ist das eine Situation, in der wir differenzieren müssen.
Daher auch wieder die Aufforderung, was die Bedingungen des humanitären Völkerrechts angeht. Wir haben sie an dieser Stelle und auch anderswo wiederholt, und auch der Bundeskanzler hat sie in besagter Pressekonferenz gestern noch einmal wiederholt. Ich sehe zumindest heute, wenn ich den Nachrichten Glauben schenken darf, die uns erreichen, dass Israel auch auf diese Mahnungen aus der internationalen Gemeinschaft zu reagieren scheint.
Aber, wie gesagt: Das ist eine Kriegssituation. Das alles ist sehr schwierig.
Wagner (AA)
Vielleicht darf ich noch ergänzen, weil es um das humanitäre Völkerrecht geht. Tatsächlich stehen zivile Einrichtungen, gerade auch Krankenhäuser und ihr Personal, in solchen bewaffneten Konflikten grundsätzlich unter einem besonderen Schutz. Aber wenn zivile Einrichtungen für militärische Zwecke missbraucht werden, dann können sie im Einzelfall ‑ das hat der Regierungssprecher eben schon angedeutet ‑ auch zu legitimen militärischen Zielen werden.
In der Tat hat Israel versichert, alle Vorkehrungen dafür zu treffen und so vorzugehen, dass es im Einklang mit den Vorgaben des humanitären Völkerrechts steht. Dagegen hält sich die Hamas tatsächlich überhaupt nicht an die Vorgaben des humanitären Völkerrechts.
Zusatzfrage
Ich denke, über den Charakter der Hamas-Terroraktionen besteht zumindest in diesem Raum kein Zweifel. Die Frage, die sich aber dennoch und nicht im Gegensatz dazu ergibt, ist: Wenn die Situation so ist, dass ein Krankenhaus nicht als Krankenhaus funktionieren kann, dass dort nicht medizinisch betreut werden kann, dass Menschen sterben, was ist dann aus Sicht der Bundesregierung zu tun, um auch vor dem Hintergrund des humanitären Völkerrechts zu gewährleisten, dass die Funktion des Krankenhauses, medizinische Hilfe zu leisten und Menschen nicht sterben zu lassen, schnellstmöglich wiederhergestellt werden kann? Denn dies ist zurzeit offenbar nicht gegeben. Das berichten die Ärzte aus diesem Krankenhaus. Was kann also aus Sicht der Bundesregierung getan werden, um das Krankenhaus wieder als Leben erhaltende und rettende Einrichtung in Funktion zu setzen?
Hebestreit (BReg)
Ich denke, es würde unsere Gehaltsklasse etwas übertreffen, wenn wir von hier aus einen so konkreten Fall wie das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt und, was zu tun sei, genauer beurteilen könnten.
Was wir grundsätzlich sagen, ist das, was wir auch im Zusammenhang mit den Feuerpausen mehrfach gesagt haben, dass es nämlich humanitäre Hilfe, dass es Nahrung, dass es Strom, Treibstoff und Ähnliches braucht, und zwar immer wieder und verlässlich, und dass man diese Pausen braucht, die Israel im Übrigen seit einigen Tagen einhält, sodass es dann also Hilfslieferungen gibt.
Das ist aber nicht konkret auf dieses eine Krankenhaus bezogen. An der Stelle will ich den Kollegen Wagner noch ergänzen. Es ist natürlich eine sehr herausfordernde Situation, wenn dieses Krankenhaus einerseits ein Krankenhaus ist und andererseits, zumindest nach dem, was wir hören, eine Kommandozentrale sein soll. Wir müssen bei dem, was wir sehen und hören, immer vorsichtig sein. Aber auch da merkt man plötzlich, dass nicht alles schwarz-weiß ist.
Zu einem Punkt will ich noch etwas sagen. Sie sprachen von dem großen Konsens, den wir in diesem Raum hätten. Das glaube ich sofort. Das ist völlig richtig. Trotzdem müssen wir diese Seite immer wieder betonen, weil es sonst eine Schlagseite bekommt, auch in unseren Argumentationen, wenn wir die ganze Zeit sagen: Was macht Israel? Warum macht Israel nicht dies und das? ‑ Wenn wir aber den Auslöser, den anderen Akteur gar nicht mehr erwähnen, weil wir ihn alle gemeinsam verurteilen und es für absolut undenkbar halten, was da passiert, dann bekommt eine öffentliche Debatte auch eine gewisse Schlagseite. Sehen Sie es deshalb mir und sehen Sie es uns nach, dass wir ab und zu darauf rekurrieren, ohne hier irgendwem irgendetwas unterstellen zu wollen, sondern um das Bild ein bisschen breiter zu machen.
Frage
Herr Hebestreit, Sie meinten eben, seitens Israel werde kein Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung geführt. Ich will auf Herrn Macron zurückkommen, der am Freitag in der BBC gesagt hat ‑ ich zitiere ‑: Es werden Zivilisten, Babys, Frauen und alte Menschen bombardiert und getötet. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Zivilisten anzugreifen.
Hat Herr Macron aus Sicht der Bundesregierung etwas Falsches gesagt?
Herr Wagner, hat das Auswärtige Amt mittlerweile eigene Erkenntnisse über Opferzahlen unter Zivilisten in Gaza?
Hebestreit (BReg)
Es wird Sie jetzt völlig überraschen, Herr Jung, dass ich nichts zu den Äußerungen von Emmanuel Macron sage, den die Bundesregierung sehr schätzt. Aber da müssen Sie sich an Herrn Macron wenden. Solche Äußerungen haben Sie von deutschen Regierungsstellen so zumindest nicht gehört. Auch da rate ich immer wieder zur Differenzierung.
Zusatz
Das ist ja eine Tatsachenbehauptung. Es kann ja sein, dass Sie sagen: Diese Erkenntnisse haben wir nicht.
Hebestreit (BReg)
Auch das wäre eine Beurteilung der Worte des französischen Staatspräsidenten. Sie stehen für sich.
Wagner (AA)
Zu Ihrer zweiten Frage: Sie wissen, dass es eine intensive Diskussion über diese Zahlen gibt. Nach wie vor sind die einzige Quelle für die Opferzahlen, die Betroffenenzahlen in Gaza die Hamas-geführten Behörden. Insofern muss man diese Angaben mit einer gewissen Vorsicht beurteilen.
Natürlich muss man gleichzeitig auch mit Zahlen arbeiten und daraus Rückschlüsse und Anhaltspunkte ziehen. Aber es steht doch ganz außer Frage, dass es schon viel zu viele zivile Opfer gegeben hat und dass wir alles dafür tun müssen, das humanitäre Leid in Gaza ‑ das haben wir hier wirklich sehr wortreich zum Ausdruck gebracht ‑ zu lindern. Dabei steht es ganz außer Frage, dass Israel das Recht hat, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen, und zwar im Rahmen des Völkerrechts.
Frage
Daraus kann ich schließen, dass die Bundesregierung keinen Zweifel daran hat, dass die israelische Kriegsführung im Rahmen, also verhältnismäßig ist. Das hat Herr Macron ja angezweifelt.
Es gibt also keinen Zweifel daran, dass es verhältnismäßig ist und auch nicht daran, dass das ein guter Weg ist, um die Geiseln zu befreien. Denn um diese machen sich ja viele Menschen seit fünf Wochen Sorgen. Einige Menschen bezweifeln, dass diese Art der Kriegsführung dazu beiträgt, dass die Geiseln bald freikommen. Ist die Bundesregierung überzeugt davon, dass es der richtige Weg ist, den die israelische Regierung gerade geht?
Wagner (AA)
Wir haben es hier ja schon sehr oft gesagt: Die Situation ist wahnsinnig komplex und wahnsinnig schwierig. Die Hamas führt ihren Kampf von einem städtischen, unheimlich dicht besiedelten urbanen Gebiet aus, das Gaza nun einmal ist. Das stellt für alle, die dort militärisch operieren, enorme Herausforderungen dar. Insofern gelten die Regeln des humanitären Völkerrechts, die vorgeben, möglichst alles zu unternehmen, was man unternehmen kann, um zivile Opfer zu vermeiden und ihre Zahl zu reduzieren. Gleichzeitig verbrieft das Völkerrecht aber Israel sein Recht, sich gegen die fortlaufenden Angriffe ‑ immer noch werden Raketen aus Gaza abgeschossen ‑ zu verteidigen.
Vorsitzender Feldhoff
Ist die Frage beantwortet?
Zusatz
Nein.
Vorsitzender Feldhoff
Dann fragen Sie noch einmal.
Zusatzfrage
Ist das Vorgehen der israelischen Regierung verhältnismäßig?
Hebestreit (BReg)
Es ist doch nicht an der Bundesregierung, die Frage der Verhältnismäßigkeit zu beantworten!
Zusatz
Herr Macron hat es getan!
Hebestreit (BReg)
Ja, aber dann müssen Sie nach Frankreich fahren und Herrn Macron befragen.
Hier befragen Sie die Bundesregierung. Die Bundesregierung lehnt eine solche Beurteilung ab, auch mangels Kenntnisse. Deshalb hat der Kollege Wagner ja auf die Komplexität dieser Situation hingewiesen. Zu verlangen, dass wir uns hier und jetzt ein Urteil anmaßen, das wir ja auch rechtfertigen müssten ‑ ‑ ‑ Die eine wie auch die andere Seite wäre doch ‑ ‑ ‑ Zum jetzigen Zeitpunkt traue ich mir ein solches Urteil nicht zu. Wer das tut, der möge das tun, aber ich tue es nicht.
Zusatzfrage
Weil das eben eine sehr komplexe Situation ist, gibt es zum Beispiel die Bitte, der Internationale Strafgerichtshofs in Den Haag möge Ermittlungen dazu einleitet. Bei dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich Deutschland sehr früh dafür eingesetzt. Wie steht die Bundesregierung dazu, das auch in diesem Fall zu tun, um mögliche Kriegsverbrechen auf beiden Seiten zu verfolgen?
Hebestreit (BReg)
Ich bin nicht Völkerrechtlers genug, um zu wissen, ob Hamas, weil sie eine Terrororganisation ist, überhaupt ein Subjekt für einen internationalen Strafgerichtshof wäre. Aber da knurrt neben mir der Kollege des Auswärtigen Amtes, der dazu gegebenenfalls etwas ergänzen kann.
Ich wehre mich auch an dieser Stelle wieder etwas gegen die Gleichsetzung.
Zusatz
Das macht niemand hier.
Hebestreit (BReg)
Doch. Sie haben es vielleicht nicht gewollt, aber so klingt es in meinen Ohren, wenn man sagt: Als Russland die Ukraine überfallen hat, habt ihr doch sofort nach dem Internationalen Strafgerichtshof gerufen. Jetzt macht Israel so etwas; dann sollen die auch kommen. ‑ Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Wir müssen das genau betrachten. Das macht sich niemand leicht. Sie wissen, dass UN-Organisationen auch vor Ort in Gaza sind. Ihr Kollege hat die Opferzahlen genannt. Das ist ja nichts, was ignoriert würde, auch nicht international. Aber dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem dieser Krieg läuft, eine solche Forderung oder auch den Verdacht, der darin mitschwingt, irgendwie zu eigen machen würden, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehen.
Vorsitzender Feldhoff
Ich will nur Folgendes sagen: Wir haben jetzt noch vier Kollegen und Kolleginnen auf der Frageliste. Alle haben sich gemeldet. Weil es auch andere Kolleginnen gibt, die andere Themen und andere berechtigte Fragen haben, und es jetzt 20 Minuten vor zwei Uhr ist, würde ich vorschlagen ‑ ‑ ‑ Ich will den Kollegen nicht zu nahe treten, aber ich glaube, wir drehen uns etwas im Kreis. Mir kommen die Fragen sehr gleich und auch die Antworten ziemlich gleich vor. Von daher habe ich das Gefühl, dass wir an der Frage nicht wirklich weiterkommen, und würde es gerne bei zwei Fragen belassen und dann das Thema wechseln.
Frage
Auch ich würde unglaublich gern noch über andere Themen mit Ihnen sprechen, Herr Hebestreit. Das ist aber gerade leider nicht möglich. Sie ‑ ‑ ‑
Hebestreit (BReg)
Diese Kurve habe ich nicht kommen sehen! Ich dachte, Sie kommen zu einem anderen Thema.
Zusatzfrage
Sie sagen glücklicherweise inzwischen, dass Sie das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung sehen.
Hebestreit (BReg)
Moment! Nein! Diese Unterstellung ‑ ‑ ‑ Wir sind hier nett und fair miteinander, und Sie stellen Fragen. Aber die Unterstellung, wir würden jetzt mittlerweile das Leid der Zivilbevölkerung mal erwähnen, weise ich wirklich mit Nachdruck zurück. Das hat der Bundeskanzler zu jedem Zeitpunkt getan. Wir haben es auch, als wir in Israel waren, getan. Wir haben es seither zu jeder sich bietenden Gelegenheit getan.
Diese Erzählung, dieses Narrativ weise ich zurück, und zwar empört, würde ich sagen. Das lasse ich mir an der Stelle von Ihnen nicht unterschieben.
Zusatzfrage
Darf ich trotzdem eine Frage stellen?
Hebestreit (BReg)
Das ist ein freies Land!
Zusatzfrage
Sie betonen das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. Sie betonen, dass es unbedingt humanitäre Hilfe brauche. Die humanitäre Hilfe, das ist normalerweise Essen ‑
Wagner (AA)
Medizin.
Zusatzfrage
medizinische Mittel ‑
Hebestreit (BReg)
Treibstoff.
Zusatzfrage
Treibstoff. Allerdings sind der Grund für die humanitäre Katastrophe ja die Bombardierungen. Wie kann es sein, dass Sie die Bombardierungen dann nicht stoppen wollen, sondern nur quasi Pflaster auf die Wunden kleben wollen?
Hebestreit (BReg)
Auch da wieder: Wir haben es mit einer Kriegssituation zu tun. Es gibt einen fortgesetzten Angriff, gegen den sich Israel wehren darf, wehren kann und wehrt.
Auf Ihre ja berechtigte Frage, wie humanitäre Hilfe dort hinkommt, hat unter anderem der Europäische Rat vor einigen Wochen ‑ ich denke, es war vor knapp drei Wochen ‑ gemeinsam beschlossen, Feuerpausen zu fordern, damit in diesen Pausen die Hilfe in die Landstriche kommen kann. Dafür gilt es viele Fragen zu klären. Dabei geht es um Grenzübergänge, um Zulieferungen, um die Sicherheit derer, die diese Hilfe transportieren. All diese Fragen gilt es zu beantworten.
Jetzt aber zu sagen, Israel solle sich nicht wehren, weil das ja Leid erzeugen würde, ist etwas, was in einer Kriegssituation, in der ‑ ich wiederhole es ‑ Israel fortgesetzt angegriffen wird, weiterhin mehr als 200 Menschen in Geiselhaft sind, weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert werden usw., den Tatsachen widerspricht.
Wagner (AA)
Wenn ich vielleicht ergänzen darf: Ein praktischer Ausfluss dessen, dass wir dieses Leid von Anfang an gesehen haben, ist ja, dass wir uns mit unseren internationalen Partnern, mit den Akteuren in der Region, mit den Vereinten Nationen und den Hilfsorganisationen, die es gibt, so dafür einsetzen, dass humanitäre Hilfe nach Gaza hineinkommt. Wir haben unsere humanitäre Hilfe noch einmal sehr signifikant aufgestockt, geben jetzt insgesamt ‑ lassen Sie mich nachschauen ‑ rund 161 Millionen Euro und sind natürlich auch in die praktischen Fragen sehr involviert, die der Kollege Hebestreit gerade angesprochen hat. Das betrifft zum Beispiel den Zugang zu Gaza und die Frage, wie man die Hilfslieferungen dort hineinbekommt.
Es ist ein guter und erster wichtiger Schritt, dass Israel jetzt angekündigt hat, Treibstoff zur Verfügung zu stellen. Es muss sicherlich noch mehr kommen. Es müssen auch mehr LKW nach Gaza hineinkommen, weil der Bedarf so enorm ist. In der Tat sind die humanitären Feuerpausen, für die wir uns schon seit Langem einsetzen, auch nur ein erster Schritt, der jetzt implementiert und sicher auch etwas ausgebaut werden muss, damit die Hilfe dort ankommen kann, wo sie ankommen muss.
Zusatzfrage
Ist Ihnen bekannt, ob die Raketen, die aus Gaza nach Israel geschossen werden, überhaupt noch durch den Iron Dome kommen oder ob sie abgefangen werden?
Wagner (AA)
Die Frage impliziert, dass man gegen diese Raketen nicht vorgehen könnte, wenn das nicht der Fall wäre. Aber dazu habe ich nichts, was ich Ihnen hier berichten könnte.