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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­­­pressekonferenz vom 25.09.2023

25.09.2023 - Artikel

Migrationspolitik

Frage

Meine Frage geht an das Innenministerium. Inwiefern sind die Pläne für stationäre Kontrollen konkret, zu denen sich Frau Faeser am Wochenende geäußert hat? Was hat sich geändert, dass genau diese Überlegung infrage kommt?

Kall (BMI)

Darauf kann ich Ihnen gern antworten. Die Bundesinnenministerin hat sich schon am letzten Mittwoch und dann auch noch einmal am Freitag jeweils in den Debatten des Deutschen Bundestages geäußert und gesagt, dass es neben der deutlich intensivierten Schleierfahndung, die wir schon seit Monaten mit zusätzlichen Hundertschaften der Bundespolizei im gesamten deutsch-polnischen und gesamten deutsch-tschechischen Grenzgebiet vornehmen, deutlich intensiviert haben und dadurch ja auch insbesondere die Schleuserbekämpfung stark hochgefahren haben, für eine härtere Gangart gegen kriminelle Schleuserbanden notwendig sein kann, auch zusätzliche Kontrollen an diesen Grenzen durchzuführen. Darüber hat sie am Wochenende schon mit ihrem tschechischen Kollegen beraten und wird in Kürze auch mit dem polnischen Amtskollegen darüber beraten. Genau diese zusätzlichen grenzpolizeilichen Maßnahmen an der deutsch-polnischen und an der deutsch-tschechischen Grenze prüfen wir gerade.

Zusatzfrage

Herr Hebestreit, der Bundeskanzler hat dieses Thema am Wochenende in Nürnberg angesprochen und auch über das Thema der Visavergabe in Polen gesprochen. Inwiefern sind diese beiden Themen miteinander verknüpft, stationäre Grenzkontrollen und die Visavergabe?

Hebestreit (BReg)

Ich würde das nicht miteinander verknüpfen. Aber es gehört natürlich in den gleichen Sachzusammenhang hinein. Es gibt massive Vorwürfe gegen die Regierung in Polen. Diese hat jetzt Aufklärung versprochen. Darauf dringen wir auch auf europäischer Ebene. Die EU-Kommission hat sich dafür bereits an Warschau gewandt. Das halten wir für sehr wichtig. Die Vorwürfe, dass dort gegen Geldleistungen Visa verkauft worden sein sollen, sind ja nicht gering.

Gleichzeitig ist ‑ das hat der Kanzler auch am Wochenende noch einmal deutlich gemacht ‑ jedes Land dazu verpflichtet, die Flüchtlinge, die bei ihm sind, zu registrieren und nicht einfach durchzuwinken. Wenn das der Fall sein sollte, wenn durchgewinkt werden würde, dann müsste man da reagieren. Ich denke, das ist die Diskussion, die die Innenministerin jetzt mit ihrem polnischen Innenministerkollegen bespricht und die wir auf allen Ebenen miteinander thematisieren.

Kall (BMI)

Darüber hat die Innenministerin in der vergangenen Woche am Dienstag auch mit dem polnischen Innenminister Kamiński schon gesprochen, und da erwarten wir weiterhin vollständige und schnelle Aufklärung.

Frage

Die Unterstützung der deutschen Regierung für NGO im Mittelmeer hat in der italienischen Regierung Empörung ausgelöst. Der italienische Verteidigungsminister sprach gestern von einer sehr ernsten Entscheidung. Wie bewertet die Bundesregierung diese Äußerung?

Fischer (AA)

Die Bundesregierung setzt derzeit eine vom Bundestag festgelegte finanzielle Förderung um, mit der sowohl die zivile Seenotrettung auf See als auch Projekte an Land für aus Seenot Gerettete gefördert werden sollen. Diese Entscheidung des Bundestages ist schon vor einiger Zeit gefallen. Hierüber sind unsere italienischen Partnerinnen und Partner damals schon informiert worden. Es dauerte eine Zeit, bis dann die verschiedenen förderungswürdigen Nichtregierungsorganisationen ausgewählt worden sind. Das ist jetzt passiert, und dementsprechend kommt jetzt auch die Förderung. Das ist, denke ich, für niemand von uns eine Überraschung.

Zusatzfrage

Wird Ministerin Baerbock am Donnerstag, wenn Herr Tajani kommt, versuchen, ihren italienischen Kollegen von der deutschen Position zu überzeugen?

Fischer (AA)

Ich kann Gesprächen grundsätzlich nicht vorgreifen. Aber ich will nicht ausschließen, dass auch dieses Thema zur Sprache kommt.

Frage

Herr Kall, wir kennen die BAMF-Zahlen in Sachen der Asylanträge im bisherigen Jahr 2023. Da ist die Zahl der ukrainischen Kriegsgeflüchteten nicht dabei. Können Sie uns für 2023 die Zahl nennen, wie viele Ukrainer in Deutschland dazugekommen sind? Die meisten, die jetzt hier sind, sind aus 2022.

Kall (BMI)

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele in den letzten Monaten hinzugekommen sind. Die Zahl müssten wir nachreichen.

Sie haben recht, ungefähr eine Million Menschen aus der Ukraine, Geflüchtete aufgrund des russischen Angriffskriegs, sind etwa seit Herbst letzten Jahres schon in Deutschland. Da haben wir ungefähr die eine Million erreicht. Jetzt sind wir bei 1 086 000 Geflüchteten aus der Ukraine, aktuell im Ausländerzentralregister registriert. Ich meine, davon sind schon etwa 200 000 ausgenommen, die inzwischen als wiederausgereist gelten. Insofern: 1,086 Millionen ist die aktuelle Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine, und bis Ende August 2023 hatten wir etwa 204 500 Asylanträge.

Zusatzfrage

Können Sie uns die Zahl für 2023 dann nachreichen?

Kall (BMI)

Ja, gern. In den letzten Monaten sind halt ungefähr 80 000 hinzugekommen.

Zusatzfrage

Herr Hebestreit, wir sprechen ja aktuell viel über die Überforderung der Kommunen. Von anderer Seite wird dann immer gern der Sündenbock bei den Geflüchteten gesucht. Es gibt ja aber auch die finanziellen Probleme der Kommunen. Sie fühlen sich vom Bund alleingelassen. Welche Rolle spielt die Bundesregierung aus Ihrer Sicht bei der Überforderung der Kommunen, dabei, dass sie nicht genug Geld haben, um die Geflüchteten zu versorgen?

Hebestreit (BReg)

Herr Kall hat ja schon die aktuellen Zahlen genannt. Die Bundesregierung unterstützt die Kommunen vehement beim Tragen der finanziellen Lasten, die damit einhergehen. Für November ist eine weitere Zusammenkunft mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder geplant, die auch diese Frage dann noch einmal im Spiegel der aktuellen Entwicklungen miteinander diskutieren werden.

Richtig ist, dass dabei niemand alleingelassen werden kann. Richtig ist aber auch, dass für die Unterbringung in erster Linie die Kommunen und dann sukzessive auch die Länder zuständig sind. Der Bund hilft und unterstützt dabei. Aber es ist nicht so, dass allein der Bund dafür zuständig wäre. Es wird immer gern mit dem Finger auf den jeweils Nächsten gezeigt. Aber der Bund ist sich seiner Verantwortung, auch der gesamtgesellschaftlichen und nationalstaatlichen Verantwortung in dieser Frage sehr bewusst und hat das in den vergangenen Jahren und auch in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht. Es hat massive finanzielle Förderung, auch dauerhafte Förderung gegeben, und jetzt müssen wir uns im November mit den Ländervertreterinnen und den Ländervertretern zusammensetzen, um dort, wie gesagt, im Spiegel der aktuellen Zahlen zu Lösungen zu kommen.

Frage

Eine Frage an Herrn Kall, noch einmal zu den stationären Grenzkontrollen. Sie haben eben gesagt: Es wird geprüft, ob die eingerichtet werden. ‑ Wenn das positiv geprüft wird: Was braucht man denn für einen zeitlichen Vorlauf, um solche Grenzkontrollen auch einzurichten? Bedarf es da noch mehr Personals, oder muss das Personal woanders abgezogen werden, und haben diese Grenzschützer dann auch mehr Befugnisse, oder sagen die einfach nur: „Da geht’s weiter zur nächsten Asylantragsbehörde“, oder können die auch gleich zurückschicken? Beschreiben Sie mal ein bisschen so dieses Innenleben einer stationären Grenzkontrolle!

Kall

Es geht natürlich darum, dass die Maßnahmen bestmöglich zusammenwirken und dass man im gesamten Grenzgebiet mit der Bundespolizei aktiv und präsent ist und im gesamten Grenzgebiet kontrollieren kann, gegebenenfalls auch schon auf der anderen Seite der Grenze, so, wie wir das beispielsweise mit der Schweiz mit gemeinsamen grenzpolizeilichen Maßnahmen auf beiden Seiten der Grenze machen. Das prüfen wir aktuell auch mit Tschechien und mit Polen. Wie gesagt: Es geht insbesondere darum, die Schleusungskriminalität zu bekämpfen, also noch mehr Schleuser aufzugreifen und dadurch auch Leben von Menschen zu retten, die eingepfercht in kleinsten Fahrzeugen weitgehend ohne Sauerstoff, ohne Wasser und ohne Nahrungsmittel geschleust werden. Darum geht es; das ist der Schwerpunkt.

Die Bundesinnenministerin hat auch darauf hingewiesen, dass Menschen, die an der Grenze Asyl beantragen, in eine Erstaufnahme gebracht werden müssen und dass ihr Asylantrag geprüft werden muss. Das ist ganz klar das individuelle Recht auf Asyl, dass jeder eine individuelle Prüfung erhält. Also sollte man sich auch gegen Scheinlösungen verwahren und nicht glauben, dass es Allheilmittel gäbe, die sofort dazu führten, Menschen einfach abweisen zu können. Nein, wenn sie Asyl beantragen, muss dieser Asylantrag geprüft werden.

Also noch einmal: Es geht insbesondere um die Bekämpfung der Schleusungen und darum, die Maßnahmen dafür bestmöglich zusammenzuführen. Ich habe schon gesagt: Wir haben mit zusätzlichen Hundertschaften die Kräfte der Bundespolizei an den Grenzen sehr stark verstärkt und können sie aber auch noch weiter verstärken.

Zusatzfrage

Wenn Sie sagen: „Wir haben geprüft. Wir wollen es machen.“, wie lange brauchen Sie dann, bis es losgeht? Sind das Tage? Sind das Wochen?

Kall (BMI)

Dabei geht es darum, auch mit unseren Nachbarstaaten sehr eng koordiniert zu handeln. Deswegen gab es am Wochenende das Gespräch mit dem tschechischen Innenminister. Wie gesagt, in Kürze folgt das Gespräch mit dem polnischen Innenminister, sodass man dann auch sehr schnell zusätzliche Maßnahmen treffen kann.

Frage

Zu den Grenzkontrollen hat die Gewerkschaft der Polizei bereits gesagt, dass es technisch und personell nicht die Ausstattung dafür gebe, das dauerhaft zu machen. So hatte das auch Bundesinnenministerin Faeser eingeschätzt. Hat sich daran etwas geändert, oder inwiefern wird das jetzt in die Überlegungen einbezogen?

Kall (BMI)

Es geht auch nicht um „dauerhaft“. Im Schengen-Raum sind Grenzkontrollen die Ausnahme. Deswegen nehmen wir insbesondere die Schleierfahndung vor, und deswegen geht es vor allem darum, mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zu erreichen, dass die Außengrenzen wirksam geschützt werden und an den Außengrenzen jeder kontrolliert und jeder registriert wird und keiner, wie es der Regierungssprecher gerade gesagt hat, unregistriert weiterreisen kann. Das bleiben die entscheidenden Maßnahmen. Zusätzliche grenzpolizeiliche Maßnahmen kommen dazu, aber sind im Schengen-Raum immer die Ausnahme und nicht die Regel.

Zusatzfrage

Also ist gemeint, dass es dann eher um punktuelle und zeitlich befristete Kontrollen geht?

Kall (BMI)

Sie müssen per se zeitlich befristet sein. Das sieht auch das europäische Recht so vor.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben gesagt, der Bund unterstütze Länder und Kommunen sehr intensiv. Der Bund hat Länder und Kommunen für dieses Jahr 2,75 Milliarden zur Unterstützung der Unterbringung Geflüchteter zugesagt. Vor einigen Wochen war dieses Geld aber noch nicht angekommen bzw. noch nicht gezahlt worden. Sind diese 2,75 Milliarden inzwischen an Länder und Kommunen überwiesen worden?

Hebestreit (BReg)

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber in der Regel gibt es dafür eine nachträgliche Abrechnung. Also ist es nicht Geld, das dann nicht kommen wird, sondern Geld, das bisher nicht geflossen ist. Ich glaube auch nicht, dass jetzt im Augenblick akut die Problematik ist, dass das Geld fehlt, sondern dass die Länder und vor allem die Kommunen die Sorge haben, dass sie auf Kosten sitzenbleiben, die sie bezahlen müssen. Da steht die klare Zusage des Bundes.

Aber wie gesagt: Ich müsste nachreichen, woran es da hakt. ‑ Ich glaube aber, die Diskussion, die wir jetzt haben, geht weit über die 2,75 Milliarden hinaus, die wir zum Anfang dieses Jahres oder, ich glaube, im März ausgelobt haben.

Zusatzfrage

Nun sind aber 2,75 Milliarden, wenn sie nicht da sind, dann doch ein relevanter Betrag, für den Länder und Kommunen dann sozusagen in Vorkasse treten müssen. Soweit ich weiß, war die Begründung dafür, dass bislang nicht gezahlt wurde, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gebe. Stimmt das, und wann wird diese Rechtsgrundlage geschaffen sein? Denn das ist ja die Voraussetzung für eine Zahlung.

Hebestreit (BReg)

Ich habe Ihnen ja eben schon gesagt: Die Zusage des Bundes steht. Was jetzt dagegen steht, muss ich nachliefern. Das ist mir nicht bekannt. Wenn es an einer Rechtsgrundlage mangelt, dann muss der Gesetzgeber diese Rechtsgrundlage jetzt schleunigst auf den Weg bringen.

Das Finanzministerium kann ergänzen.

Nimindé-Dundadengar (BMF)

Soweit es um die Unterstützung der Kommunen durch den Bund geht ‑ Sie hatten ja vorhin auch gefragt ‑, unterstreiche ich noch einmal ausdrücklich, was der Regierungssprecher gesagt hat. Nicht nur mit Sachmitteln, was die Unterbringung betrifft, auch mit finanziellen Mitteln nimmt der Bund hier umfangreiche Maßnahmen vor, teilweise außerhalb seiner Zuständigkeit.

Was den Betrag von 2,75 Milliarden Euro betrifft, sind das Beträge, die über die Umsatzsteuerverteilung angepasst werden. Das erfolgt ‑ das hatte ich hier an dieser Stelle in der Vergangenheit schon einmal dargestellt ‑ über eine Anpassung des Finanzkraftausgleichsgesetzes, FAG, § 1. Dort können Sie auch jetzt schon diverse Veränderungen der Vergangenheit nachlesen. Entsprechende Gesetzgebungsverfahren werden dann natürlich angestrengt. Das sind aber bekannte Abläufe. Von daher noch einmal, wie Herr Hebestreit sagte: Die Probleme hierbei liegen sicherlich unter anderem auch woanders.

Und noch einmal: Für die Unterbringung und auch die Versorgung der Geflüchteten sind in erster Linie die Kommunen zuständig. Für die finanzielle Ausstattung der Kommunen sind jeweils die Länder zuständig. ‑ Aber wie gesagt: Die Mittel werden dann entsprechend wie auch bisher zur Verfügung gestellt.

Kall (BMI)

Vielleicht darf ich eine ganz kleine Ergänzung machen, nicht wegen des Geldes, aber auch wegen der praktischen Unterstützung für die Länder und Kommunen: Der Bund stellt für fast 70 000 Geflüchtete Unterkunftsplätze in Bundesimmobilien zur Verfügung und leistet insofern auch eine große praktische Unterstützung neben der Unterstützung durch das Technische Hilfswerk und vielen weiteren Unterstützungen des Bundes.

Frage

Ich habe eine Nachfrage an das Finanzministerium. Erst einmal danke für die ausführliche Antwort. Aber nach meinem Eindruck bestätigen Sie dadurch eigentlich das, was der vorherige Informationsstand war, dass es nämlich aktuell keine Rechtsgrundlage dafür gibt, dass die 2,75 Milliarden Euro in diesem Jahr ausgezahlt werden. Den Eindruck habe ich. Können Sie sagen, wann diese Rechtsgrundlage geschaffen ist und das Geld auf dem von Ihnen beschriebenen Weg tatsächlich fließen kann?

Nimindé-Dundadengar (BMF)

Wie gesagt ‑ ich bleibe dabei ‑, erfolgen entsprechende Maßnahmen über eine Anpassung des relevanten Gesetzes. Den entsprechenden Arbeiten kann ich hier nicht vorgreifen. Dafür bitte ich um Verständnis.

Frage

Noch einmal zur deutsch-polnischen Grenze: Herr Hebestreit, der polnische Außenminister hat dem Bundeskanzler öffentlich vorgeworfen, er beeinflusse durch diese Aussagen zu Grenzkontrollen und zur Visaaffäre in Polen den polnischen Wahlkampf. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf? Könnten Sie das kommentieren?

An das Innenministerium: Wann wird das Gespräch zwischen der Innenministerin und dem polnischen Minister stattfinden? Noch heute?

Was müsste auf polnischer Seite noch passieren, damit die Grenzkontrollen nicht eingeführt werden?

Hebestreit(BReg)

Ich glaube, zu den Äußerungen aus Polen möchte ich mich gar nicht weiter einlassen. Ich glaube, es ist ganz normal, dass sich der Bundeskanzler in einer solchen Situation, in der Deutschland ja massiv betroffen ist, äußert. Ich kann darin keinerlei Einmischung in irgendeinen Wahlkampf sehen und glaube auch nicht, dass die polnische Seite damit Wahlkampf betreiben will.

Kall (BMI)

Zu den Kontakten mit der polnischen Seite kann ich sagen: Es gab sie natürlich auch schon am Wochenende, und zwar auf hoher Beamtenebene. In der letzten Woche am Dienstag hatte die Ministerin schon mit dem polnischen Amtskollegen gesprochen. Ich gehe davon aus, dass sie, wie gesagt, in Kürze, noch vor dem EU-Innenministertreffen, das am Mittwochabend beginnt und am Donnerstag weitergeht, auch noch einmal mit dem polnischen Innenminister Kamiński sprechen wird. Natürlich geht es um ein Bündel von Maßnahmen ‑ das habe ich ja gesagt ‑, also Kontrollen auf beiden Seiten der Grenze, Kontrolle plus Registrierung, darum, dass jeder EU-Staat seinen Verpflichtungen nachkommt.

Frage

Ich probiere es erst einmal beim BMI. Ich brauche aber auch noch das BMAS. Die Kommunen meckern ja nicht nur, dass das Geld immer noch nicht geflossen ist ‑ das war ja gerade Thema ‑, sondern dass es auch andere Aspekte beim Thema der Integration der Geflüchteten gibt und dass es dort Änderungsbedarf gibt. Unter anderem fordern Oberbürgermeister, dass die Geflüchteten sofort arbeiten dürfen sollen, unabhängig von dem Aufenthaltsstatus. Wie ist da die Position der Innenministerin und des Arbeitsministers angesichts der vielen Arbeitskräfte allgemein? Mein Stand war, dass bisher nur die ukrainischen Geflüchteten sofort arbeiten dürfen.

Ehrentraut (BMAS)

Es ist richtig, dass ukrainische Geflüchtete aufgrund der EU-Entscheidung, Stichwort Massenzustrom­richtlinie, sofort arbeiten dürfen. Wenn sie hilfebedürftig sind, sind sie im SGB II. Bei allen anderen ist es so, dass die geltenden Gesetze gelten und wir im Moment dort keinen Änderungsbedarf sehen.

Vorsitzender Feldhoff

Ergänzungen, Herr Kall?

Kall (BMI)

Das kann ich erst einmal unterstützen. Ich kann noch ergänzen, dass wir an anderen Stellen durchaus Erleichterungen vorgesehen haben, Stichwort Chancenaufenthaltsrecht für Menschen, die hier schon gut integriert sind, und auch Stichwort Fachkräfteeinwanderungsgesetz, der Spurwechsel, den wir da ermöglicht haben mit einer Stichtagsregelung. Das heißt, es ermöglicht keine neue Flüchtlingszuwanderung, die dann in die Arbeitsmigration übergeht. Aber für alle, die hier sind gibt es die Möglichkeit, untechnisch gesprochen, sozusagen aus dem Flüchtlingsstatus in den Fachkräftebereich zu wechseln, um die beruflichen Potenziale der Menschen, die schon hier sind, bestmöglich nutzen zu können.

Zusatzfrage

Es gibt Berichterstattung, dass tatsächlich dadurch, dass die ukrainischen Geflüchteten arbeiten dürfen, die Integration besser gelingt. Mich würde interessieren, Herr Ehrentraut, warum Sie jetzt keinen Änderungsbedarf sehen, auch angesichts der Überforderung. Die Menschen sind dadurch beschäftigt, können integriert werden. Warum sieht Ihr Ministerium keinen Änderungsbedarf? Herr Kall, aus Sicht der Integration, warum sehen Sie da keinen Änderungsbedarf?

Ehrentraut (BMAS)

Ganz wichtig ist bei diesem Thema, dass wir nicht Asylpolitik mit Einwanderungspolitik vermischen. Bei der Asylpolitik habe ich mich ganz klar dazu geäußert. Hinsichtlich der Fachkräfteeinwanderung ‑ darauf hat auch Herr Kall schon hingewiesen ‑ gab es massive Erleichterungen. Wir haben das reformiert. Es ist eines der modernsten Rechte in Europa. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die effiziente Bekämpfung des Fachkräftemangels gelingen kann.

Ich betone aber auch: Bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels ist die Einwanderung aus Drittstaaten oder aus dem Ausland nur eine Säule. In erster Linie setzen wir natürlich auf die Hebung von inländischem Potenzial, also Frauenerwerbstätigkeit, Heben der Beschäftigtenquoten von Langzeitarbeitslosen, Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Darauf setzen wir unseren Fokus. Einwanderung aus dem Ausland ist auch eine Säule, aber nicht die zentrale.

Vorsitzender Feldhoff

Ergänzungen Herr Kall? Sie waren angesprochen. ‑ Keine Ergänzungen.

Frage

Herr Ehrentraut, die Massenzustromrichtlinie ist für die Ukrainer aktiv in Kraft gesetzt worden. Jetzt kann die Massenzustromrichtlinie durchaus auch in anderen Fällen als bei aktiven bewaffneten Konflikten gezogen werden, beispielsweise bei systematischen Menschenrechtsverstößen. Warum wird die Massenzustromrichtlinie für Afghanistan ‑ ich weiß nicht, wer die Frage beantworten kann ‑ oder Syrien nicht herangezogen?

Kall (BMI)

Nach meiner Erinnerung ‑ aber vielleicht, Sebastian, weißt du das auch ‑ ist die Massenzustromrichtlinie aus den Erfahrungen der Balkankriege entstanden und zielte damit sozusagen auf das Szenario von Kriegen in Europa. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist sie als Instrument dann, glaube ich, erstmals aktiviert und genutzt worden. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Krieg die größte Fluchtbewegung innerhalb Europas seit dem Zweiten Weltkrieg verursacht hat und das innerhalb kürzester Zeit. Man muss sich auch noch einmal kurz in die Lage zurückversetzen, die wir März und April des vergangenen Jahres hier hatten, gerade auch am Hauptbahnhof hier in Berlin: Pro Tag kamen 15 000 bis 16 000 Menschen. In Polen waren es zeitweise noch viel mehr. Da war das das richtige Instrument, übrigens seitdem mehrfach verlängert, und es steht, wenn ich es richtig weiß, auch am Donnerstag auf der Tagesordnung der EU-Innenministerinnen und ‑Innenminister, den Schutzstatus für die Ukrainer weiter zu verlängern, auch aus Solidarität mit der Ukraine und den Geflüchteten.

Zusatzfrage

Warum ist das nicht tauglich für Afghanen mit dem geänderten Setting in Afghanistan und dem nach wie vor schwierigen Setting in Syrien? Eine Rückkehrperspektive ist in beiden Fällen ja marginalst.

Kall (BMI)

Das habe ich gerade beschrieben.

Ehrentraut (BMAS)

Keine Ergänzungen von meiner Seite.

Vorsitzender Feldhoff

Ergänzungen durch das AA?

Fischer (AA)

Ich kann nur ergänzen, dass es dazu auf europäischer Ebene bestimmte Mehrheitserfordernisse zu erreichen gibt, und die hat es bislang nur im Fall der Ukraine gegeben. Insofern können wir hier länger darüber diskutieren, aber wenn es auf europäischer Ebene keine Mehrheit gibt, können wir sie auch nicht herbeizaubern.

Frage

Herr Kall, wenn es jetzt Gespräche mit der polnischen Seite gibt, wie würden Sie insgesamt die Bereitschaft der polnischen Seite beschreiben, bei dem Thema zusammenzuarbeiten? Das ist mit Polen ja nicht immer sehr einfach gewesen. Es gab bei anderen Themen auch gewisse Spannungen oder eben keine Zusammenarbeit.

Herr Hebestreit, ich will zu den Kommentaren des Kanzlers nachfragen. Sie sagten, Sie könnten keine Einmischung in den polnischen Wahlkampf erkennen. Ich gebe zu, dass ich in Nürnberg nicht dabei war. Aber ich habe die Medienberichte gelesen. Das liest sich schon so, dass er auf die Visaaffäre hingewiesen und gesagt hat, dass das zu den Grenzkontrollen führen müsste. Wie erklären Sie das? War das hilfreich bei den aktuell doch sehr angespannten deutsch-polnischen Beziehungen?

Sehen Sie das Problem nicht eher ein bisschen weiter östlich? Es heißt ja, dass die Hälfte der Flüchtlinge, die zum Beispiel in Brandenburg ankommen, über Moskau und Minsk gekommen seien. Setzt Putin also Migration als Waffe gegen Deutschland und die EU ein?

Kall (BMI)

Ich denke, gerade was die Ukraine und die Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine angeht, gab es eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit Polen. Das Fluchtgeschehen hat auch in Polen vieles verändert. Die Bundesinnenministerin war seitdem zwei Mal in Polen um mit ihrem Amtskollegen zu beraten. Zusätzlich gibt es eine, denke ich, sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Grenzpolizeien, also der deutschen Bundespolizei und der polnischen Grenzpolizei, auch mit gemeinsamen Zentren, zum Beispiel in der Nähe von Frankfurt an der Oder, wo es eine ganz alltägliche enge Zusammenarbeit gibt. Daran knüpfen wir an.

Was die mutmaßliche Visaaffäre in Polen angeht, gilt das, was wir vorhin schon gesagt haben: Da fordern wir weiter Aufklärung.

Hebestreit (BReg)

Ich denke, daran kann ich direkt anschließen. Der Kanzler hat gesagt, was ist und was ihn umtreibt. Er hat auch deutlich gemacht, dass dazu kritische Fragen zu stellen und zu beantworten sind. Wir gehen davon aus, dass die polnische Seite diese Antworten liefern wird und dass wir natürlich auch wie mit allen anderen Ländern im Augenblick gucken müssen, wie Flüchtlinge, die in Europa ja formal alle registriert werden müssen, unregistriert zu uns kommen. Dann hat er, glaube ich, den Satz gesagt, dass das mit dem Durchwinken auf Dauer so nicht gehen kann. Das war aber nicht nur auf die polnische Seite gemünzt.

Zusatzfrage

Wie sehen Sie das Problem, dass Putin die Migration als Waffe hier nutzt, um die EU und Deutschland zu schwächen?

Hebestreit (BReg)

Auch diesen Aspekt haben wir schon mehrfach thematisiert. Das ist aber sicherlich nur ein Teilaspekt der Herausforderung, vor der wir im Augenblick stehen.

Frage

Herr Kall, die Pläne stehen. Ich gehe davon aus, dass Sie eine Vorstellung davon haben, wie die Kontrollen aussehen sollten. Bedeutet das, dass Sie an der Grenze zusätzliche Maßnahmen einführen werden, oder bedeutet das, dass diese Kontrollen an der kompletten Grenze stattfinden werden? Denn die Schleuser nutzen nicht nur Hauptübergänge, sondern irgendwelche kleinen Straßen.

Werden Sie Brüssel darüber informieren? Ist das notwendig?

Kall (BMI)

Ich habe es schon beschrieben. Die Schleierfahndung im gesamten Grenzgebiet machen wir schon, deutlich intensiviert. Jetzt geht es darum, zusätzliche Kontrollen an bestimmten Punkten zu prüfen, eben gerade auf Routen, auf denen sich Schleuser bewegen. Genau das prüfen wir gerade und beraten es mit unseren Nachbarstaaten. Wir beraten das, wenn es erforderlich ist, natürlich auch mit der EU-Kommission.

Zusatzfrage

Meine zweite Frage: Wie Sie erwähnt haben, hat Minister Kamiński mit Frau Faeser über die Visavergabe gesprochen. Nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, gehe ich davon aus, dass Ihrem Ministerium die Antworten, die gegeben wurden, nicht ausreichend waren, oder wie kann man das interpretieren?

Kall (BMI)

Der polnische Innenminister hat in dem Gespräch über den Stand der Ermittlungen berichtet. Das war vor fast einer Woche, am letzten Dienstag. Aber damit ist die Aufklärung keineswegs abgeschlossen, sondern wir haben weitere Fragen gestellt wie auch die EU-Kommission. Die EU-Kommission hat kurze Fristen gesetzt und auch ihre Erwartung geäußert. Das wird nur die polnische Seite selbst öffentlich beantworten können, weil wir natürlich aus diesen Gesprächen nicht berichten und uns das auch nicht zu eigen machen können.

Frage

Herr Ehrentraut, ich beziehe mich auf Ihre zuvor gegebene Antwort. Im Gegensatz zu dem, was Sie sagten, ist es aber doch gar keine Vermischung von Asyl und Arbeitsmarktpolitik, wenn gefragt wird, warum Flüchtlinge aus einem Land, konkret der Ukraine, Arbeitsgenehmigungen erhalten, Flüchtlinge aus anderen Ländern dagegen nicht. Es handelt sich in beiden Fällen um Flüchtlinge. Das ist keine Vermischung.

Können Sie noch einmal darlegen, warum Flüchtlinge aus dem einen Land sofortige Arbeitsgenehmigung erhalten, Geflüchtete aus anderen Ländern aber nicht?

Ehrentraut (BMAS)

Um das noch einmal klarzustellen: Es gibt die grundsätzliche Arbeitserlaubnis nach neun Monaten, nach sechs Monaten, wenn minderjährige Kinder da sind. Wenn keine Pflicht besteht, in einer Sammelunterkunft zu wohnen, besteht Arbeitsmarktzugang schon nach drei Monaten. ‑ Um das noch einmal festzustellen: Die grundsätzliche Möglichkeit ist da.

Ich möchte noch einmal betonen: Asylpolitik ist Asylpolitik. Wir konzentrieren uns auf die Einwanderungspolitik zur Gewinnung von Fachkräften. Da gibt es, wie gesagt, das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das eben dazu führen wird, dass es große Erleichterungen bei der Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen und Berufsabschlüssen gibt und wir in diesem Bereich zu einer besseren Situation beim Fachkräftemangel kommen. Ich sage noch einmal: Zentrales Ziel ist es auch, die inländischen Potenziale zu heben. Insofern möchte ich noch einmal betonen: Diese beiden Dinge sind beim Thema der Fachkräftesicherung oder der Bekämpfung des Fachkräftemangels auseinanderzuhalten. Uns ist natürlich daran gelegen, dass diese Menschen arbeiten können. Ich habe ja eben dargelegt, dass in bestimmten Fällen der Arbeitsmarktzugang schon nach drei Monaten möglich ist.

Zusatzfrage

Danke für die Klarstellung. Nun ist aber der Wunsch oder die Forderung, dass auch Geflüchtete, die nicht aus der Ukraine, sondern aus anderen Ländern geflüchtet sind, eine sofortige Arbeitsmöglichkeit erhalten. Diese Forderung bzw. dieser Wunsch kommt aus den Kommunen, unter anderem deswegen, weil die sagen: Das dient der Integration, und ein Stück weit dient es als Seitenaspekt auch dazu, in bestimmten Sektoren Arbeitskräftemangel zu beseitigen. - Warum gehen Sie auf diese Forderung der Oberbürgermeister, die ja wissen, wovon sie reden, nicht ein?

Ehrentraut (BMAS)

Ich möchte hier auch noch einmal darlegen, dass es auch schon Erleichterungen in diesem Punkt gibt, zum Beispiel bei Asylbewerbern mit guter Bleibeperspektive unter anderem auch aus Syrien. Diese können schon früher qualifizierte Berufsprachkurse besuchen. Man muss ja auch erst einmal die Voraussetzung dafür schaffen, dass Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, hier arbeiten können.

Rede des israelischen Ministerpräsidenten vor der VN-Generalversammlung

Frage

Herr Fischer, der israelische Premierminister hat in New York eine Landkarte von Israel ohne die palästinensischen Gebiete gezeigt. Dazu hätte ich gerne eine Reaktion.

Fischer (AA)

Eine Landkarte Israels ‑

Zusatz

‑ ohne die palästinensischen Gebiete; die waren nicht mehr darauf. Die existieren nicht mehr.

Fischer (AA)

Mir ist diese Landkarte nicht bekannt, aber wenn er eine Landkarte Israels in den völkerrechtlichen Grenzen Israels gezeigt haben sollte, dann würde ich das nur als normal empfinden.

Zusatzfrage

Dass die Westbank nicht mehr existiert, dass dann keine Palästinenser mehr da leben?

Fischer (AA)

Sie haben gesagt, er hat eine ‑ ‑ ‑

Zusatz

Er hat eine Landkarte von Israel ohne die palästinensischen Gebiete gezeigt. Die waren nicht mehr darauf. Das hat ja medial große Reaktionen hervorgerufen.

Fischer (AA)

Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz. Hat er also eine Landkarte gezeigt, auf der die palästinensischen Gebiete zu Israel gehören?

Zusatz

Genau.

Fischer (AA)

Das ist eine Sicht, die wir natürlich nicht teilen.

Zusatzfrage

Sie haben sich nun wiederholt und immer wieder für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen. Was macht Sie überhaupt noch zuversichtlich, dass es zu so einer Lösung kommen kann?

Fischer (AA)

Na ja, weil wir keine andere Lösung sehen, die Frieden in Israel und den palästinensischen Gebieten schaffen kann. Nur ein Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern wird dazu führen, dass es Frieden im Nahen Osten gibt, und wir haben bis jetzt noch keinen anderen Vorschlag gesehen, der das erreichen kann. Deshalb arbeiten wir weiterhin an der Umsetzung einer ausverhandelten Zweistaatenlösung zwischen den beiden Seiten.

Frage

Nur damit ich es richtig verstehe: Herr Netanjahu hat diese laut ihm „Friedenskarte des neuen mittleren Ostens“ bei seiner Rede in der UN-Vollversammlung gezeigt. War niemand aus Deutschland bei der Rede von Herrn Netanjahu dabei und hat das mitbekommen?

Fischer (AA)

Ich bin sicher, dass Kolleginnen und Kollegen der Ständigen Vertretung in New York dabei gewesen sind. Aber das heißt ja nicht notwendigerweise, dass ich jetzt sozusagen davon Kenntnis erhalten habe. Die haben bestimmt berichtet, aber möglicherweise ist das an mir vorbeigegangen, was ausschließlich mein Fehler wäre. Aber ich glaube, ich habe dazu ja gesagt, was zu sagen ist, nämlich dass wir Israel in den von uns als israelisch anerkannten Gebieten anerkennen, nicht in anderen.

Zusatz

In den letzten Tagen hat sich das ja global verbreitet. Es gab ja eine globale Empörung über Netanjahu. Das sonst so gut informierte Auswärtige Amt, hätte ich gedacht, hat das dann auch mit bekommen und gibt dann vielleicht auch ein Statement heraus, weil das ja das Gegenteil einer Zweistaatenlösung ist. Das ist ja die Annexion der Palästinensergebiete.

Fischer (AA)

Ich bin sicher, dass das gut informierte Auswärtige Amt das mitbekommen hat. Das ist möglicherweise an mir vorbeigegangen; das habe ich ja schon auf meine Kappe genommen. Aber es ist doch klar, dass wir weiter an dem Ziel einer Zweistaatenlösung festhalten und dass es eine politische Lösung für diesen Konflikt braucht. Ohne eine Lösung wird es nicht gelingen, den Ursachen der Gewalt im Nahen Osten zu begegnen.

Frage

Noch einmal zu dieser Zweistaatenlösung: Der Siedlungsbau läuft ja weiter. Ab wann ist so eine Zweistaatenlösung gar nicht mehr möglich? Wir reden ja seit 20 Jahren über die Zweistaatenlösung, und der Siedlungsbau geht weiter und weiter. Ab wann ist aus Ihrer Sicht eine Zweistaatenlösung nicht mehr möglich?

Fischer (AA)

Ich glaube nicht, dass es darum geht, hier zu definieren, wann etwas nicht mehr möglich ist. Ich glaube, wir müssen alle daran arbeiten, dass die Zweistaatenlösung weiterhin möglich bleibt.

Frage

Ich glaube, Sie werden ja noch einmal etwas nachliefern. Wenn Herr Netanjahu vor der UN-Vollversammlung eine Karte hochhält, die in explizitem Widerspruch zur Position der Vereinten Nationen steht, ist das, was er macht, dann nicht tatsächlich eine explizite Absage an die Forderung oder das Ziel einer Zweistaatenlösung? Ist es dann nicht richtig, von einer, wie auch schon zu hören und zu lesen war, Karte der Annexion zu sprechen? Vielleicht könnten Sie diese Position dann in Ihre Nachlieferung aufnehmen.

Fischer (AA)

Wir werden, gesagt, schauen, was wir nachliefern können. Aber unsere Position zu dem Staatsgebiet Israels habe ich hier ja sehr klar dargelegt.

Zusatzfrage

Ja. Nur ist es, und deshalb habe ich den Hinweis noch einmal gegeben, nicht egal, in welchem Umfeld, in welchem Forum, vor welcher Community Aussagen gemacht werden, und die Vereinten Nationen sind ja nun einmal eigentlich das global wichtigste Gremium für die Behandlung dieser Fragen. Wenn das als symbolischer Akt dort geschieht, dann ist das doch einfach eine neue Stufe des öffentlichen Diskurses. Deshalb wäre es schön, wenn Sie noch einmal explizit die Position benennen könnten.

Fischer (AA)

Das habe ich ja getan. Aber wir schauen, was wir tun können.

[…]

Fischer (AA)

Die Kolleginnen und Kollegen an unserer Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York haben selbstverständlich über die Rede von Ministerpräsident Netanjahu berichtet und haben auch hervorgehoben, dass er eine Landkarte gezeigt hat.

Dazu will ich sagen, dass wir das Zeigen einer Landkarte, die sozusagen Territorien zeigt, die besetzt oder annektiert sind, natürlich ablehnen und dass das mit Blick auf unsere Bemühungen, eine verhandelte Zweistaatenlösung zu erreichen, sicherlich nicht hilfreich ist.

Bergkarabach-Konflikt

Frage

Mich interessiert noch das Thema Aserbaidschan und Armenien. Herr Fischer, Informationen aus Bergkarabach zu bekommen ist aktuell unmöglich, seit Aserbaidschan Internet und Strom gekappt hat. Laut Experten ist unklar, ob es mittlerweile vor Ort Säuberungsoperationen seitens Aserbaidschans gibt. Was weiß die Bundesregierung über die Lage vor Ort? Gibt es noch die EU-Beobachter, die vor ein paar Monaten dorthin geschickt wurden, und was berichten die?

Fischer (AA)

Ja, es gibt EU-Beobachter, aber die EU-Mission ist lediglich auf der armenischen Seite der Grenze aktiv und kann dementsprechend nicht selber aus Bergkarabach berichten.

Zusatzfrage

Die werden auch nicht nach Bergkarabach gelassen?

Fischer (AA)

Das ist nicht Teil ihres Mandats. Das heißt, sie sind auf der armenischen Seite tätig und beobachten dort die Lage.

Was uns angeht, so haben wir die Lage über das Wochenende natürlich sehr genau verfolgt. Wir sind sehr besorgt um die armenische Bevölkerung in Bergkarabach. Wir haben das letzte Woche schon hier gesagt, aber auch bei der VN-Generalversammlung und in der Sitzung des VN-Sicherheitsrats: Die militärische Gewalt, die wir vonseiten Aserbaidschans in der letzten Woche gesehen haben, ist nicht akzeptabel.

Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben, aber die Regierung Armeniens hat bekanntgegeben, dass jetzt die ersten Menschen aus Bergkarabach geflohen sind. Mittlerweile sollen das über 2900 sein. Aus unserer Sicht kommt es darauf an, dass Aserbaidschan jetzt die Verantwortung dafür trägt, die in Bergkarabach lebende Zivilbevölkerung zuverlässig und umfassend zu schützen, und eine Vertreibung oder auch eine erzwungene Abwanderung der ethnischen Armenier in Karabach ist nicht akzeptabel. Wir fordern Aserbaidschan zusammen mit unseren Partnern auf, die Zivilbevölkerung zu schützen und diesen Verpflichtungen auch nachzukommen, die Menschenrechte der Bevölkerung in Bergkarabach zu achten und sicherzustellen, dass die aserbaidschanischen Streitkräfte sich an das humanitäre Völkerrecht halten. Daran werden wir auch Aserbaidschan messen.

Zusatzfrage

Wie erklären Sie sich, dass die aserbaidschanische Seite, die ja ein Partner der EU und ein Partner Deutschlands ist, sich an diese humanitären Verpflichtungen nicht hält?

Herr Hebestreit, hat der Kanzler sich eigentlich einmal eingeschaltet und mit dem aserbaidschanischen Präsidenten/Diktator Alijew persönlich geredet, um sich dort für die Menschen einzusetzen?

Hebestreit (BReg)

Zur zweiten Frage kann ich sagen: Er hat am Freitag zum wiederholten Male mit dem armenischen Präsidenten telefoniert ‑ das letzte Mal vorher war, glaube ich, zwei Wochen zuvor. Wir haben uns sehr klar geäußert und Aserbaidschan aufgefordert, unverzüglich die Kriegshandlungen einzustellen, das Völkerrecht und die territoriale Integrität und Souveränität Armeniens zu achten und auch dafür zu sorgen und sicherzustellen, dass das Völkerrecht und ähnliche Vorgaben in Bergkarabach eingehalten werden. Das setzen wir auch weiterhin fort.

Zusatzfrage

Herr Scholz hat bisher aber nicht mit Herrn Alijew geredet?

Hebestreit (BReg)

Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir ein solches Gespräch nicht bekannt. Ich glaube aber, Herr Alijew weiß um unsere Position, und das ist auch international ‑ auch vergangene Woche bei den Vereinten Nationen ‑ verschiedentlich deutlich gemacht worden. Sie werden auch verfolgt haben, dass der Bundeskanzler in seiner Rede vor den Vereinten Nationen einen Passus zu diesem Thema hatte.

Fischer (AA)

Ich bin mir sehr sicher, dass die aserbaidschanische Regierung unsere Position sehr genau kennt; denn ein Vertreter Aserbaidschans war in der Sicherheitsratssitzung in der letzten Woche anwesend, in der die Außenministerin genau diese Punkte gemacht hat.

Wie gesagt, aus unserer Sicht ist es extrem wichtig, möglichst viel Transparenz über die Lage in Bergkarabach herzustellen. Dabei sehen wir auch die russischen Truppen in Bergkarabach in der Pflicht, dazu beizutragen, für den Schutz der Zivilbevölkerung zu sorgen; denn das ist ja mit ihre Aufgabe.

Frage

Es gibt die Information, dass sich nationale Sicherheitsratsberater aus Deutschland, Frankreich, Aserbaidschan und Armenien sowie Vertreter der Europäischen Union morgen in Brüssel treffen. Können Sie das bestätigen?

Hebestreit (BReg)

Ich kann bestätigen, dass es morgen ein Treffen auf Ebene der nationalen Sicherheitsrater gibt. Bei uns ist das auf dieser Ebene Jens Plötner als außenpolitischer Berater des Bundeskanzlers und Leiter der Abteilung 2 im Bundeskanzleramt.

Frage

Herr Kall, gilt Aserbaidschan als sicherer Herkunftsstaat? Ich glaube, die Menschen aus Bergkarabach sind aus deutscher Perspektive ja formell gesehen Aserbaidschaner.

Zweitens. Erwarten Sie dort Flüchtlingsbewegungen, die auch bis Deutschland reichen?

Kall (BMI)

Meines Wissens nicht. Ich checke das aber gerne.

Zum Thema Fluchtbewegungen: Nach Berichten sind, meine ich, erste Bewegungen in der Region erkennbar, aber nicht nach Deutschland.

Frage

Herr Fischer, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik befürchtet weitere Angriffe des aserbaidschanischen Militärs auf armenische Stellungen. Teilt die Bundesregierung diese Einschätzung? Haben Sie eigene Erkenntnisse darüber, dass es sich so verhält?

Fischer (AA)

Derzeit haben wir keine Erkenntnisse über weitere Angriffe. Aber es gilt natürlich das, was ich gesagt habe, dass die aserbaidschanische Regierung jetzt für die Sicherheit der Menschen in Bergkarabach zuständig ist und diese auch zu gewährleisten hat. Sie wissen, dass wir ständig über diese Lage beraten, auch in Brüssel, und da dann gegebenenfalls über angemessen Reaktionen diskutieren würden.

Zusatzfrage

Wie informiert sich die Bundesregierung über den auch geäußerten Verdacht, dass es inzwischen zu ethnischen Säuberungen in der Region komme?

Fischer (AA)

Aus all den uns zur Verfügung stehenden Quellen.

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