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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­­­pressekonferenz vom 04.08.2023

04.08.2023 - Artikel

Situation in Niger

FRAGE: Frau Routsi, wir würden Sie bitten, uns auf den Stand zu bringen, wie die weiteren Flüge aussehen, nachdem dazu neue Details getwittert wurden. Sehen Sie auch mit gewisser Besorgnis auf das Ultimatum, das am Sonntag ausläuft?

ROUTSI (BMVg): Vielen Dank! Das mache ich gerne. Ich würde den zweiten Teil der Frage gerne dem Kollegen des Auswärtigen Amts überlassen und natürlich für meinen Geschäftsbereich, das BMVg, sprechen.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Wiederaufnahme des Flugbetriebs geplant ist. Wir haben uns geäußert, dass wir dazu auf Arbeitsebene Gespräche führen, dass wir aber durchaus auch Alternativmöglichkeiten prüfen und entsprechend in unsere Überlegungen einbeziehen.

Für die Kolleginnen und Kollegen hier vor Ort, die das noch nicht mitbekommen haben, würde ich gerne ein Update in Bezug auf die Zahlen geben: Sie haben vielleicht mitbekommen, dass gestern ein A400M mit 32 Passagieren zurück nach Deutschland geflogen ist. An Bord befanden sich insgesamt zehn Deutsche: sieben aus Gao im Zuge eines Personalwechsels nach dem Ende ihres MINUSMA-Einsatzes, zwei Soldaten von EUTM, die nach Einstellung der Tätigkeit zunächst in Deutschland verbleiben werden, und ein ziviler deutscher Staatsbürger. Wir hatten dann noch entsprechend freie Kapazitäten, die wir nach Maßgabe der Kollegen des Auswärtigen Amtes für 22 Personen anderer Nationalitäten genutzt haben.

Wir beobachten die Lage nach wie vor aufmerksam. Der Verteidigungsminister steht im Kontakt mit dem Kontingent vor Ort. Wir prüfen alle Optionen und bereiten uns weiterhin auf alle Eventualitäten vor.

FISCHER (AA): Sie fragten nach der aktuellen Lage in Niger. Dazu kann man, glaube ich, nur sagen: Die Lage ist weiter im Fluss. Es befindet sich nach unserer Kenntnis derzeit eine Vermittlungsmission der ECOWAS vor Ort. Wir hoffen natürlich, dass es dort Fortschritte gibt. Mit Blick auf die Putschisten kann man, glaube ich, sagen, dass der Stand noch nicht besonders viel anders ist, als wir das hier am Montag verhandelt haben. Immer noch sind die Posten für die Ministerinnen und Minister nicht besetzt worden. Die Ministerien werden derzeit von hohen Beamten geführt. Auch gibt es keine Regierungsagenda oder ein Regierungsprogramm. All das deutet doch weiterhin daraufhin, dass dieser Putsch eine sehr improvisierte Natur hatte. Weiterhin ist auch unklar, wie viel Einfluss die Putschisten insgesamt haben, wie weit der nigrische Staatsapparat über Niamey hinausreicht und ob sie auf die breite Unterstützung der Bevölkerung bauen können.

Gleichzeitig ist es so, dass wir eine Repressionswelle wahrgenommen haben. Berichten zufolge sind mehr als 180 Personen von den Putschisten festgenommen worden, darunter Minister der demokratischen gewählten Regierung. Sie wissen auch, dass der demokratisch gewählte Präsident Bazoum weiter festgehalten wird.

Unsere Haltung ist klar, und das ist die Haltung der internationalen Gemeinschaft, des UN-Sicherheitsrats, der Afrikanischen Union und auch von ECOWAS: Wir rufen alle Beteiligten des Putsches weiterhin zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und zur Freilassung des demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum auf.

FRAGE: Frau Hoffmann, Niger wurde lange als Vorbild der Zusammenarbeit dargestellt. Die Bundeswehr ist dort schon länger aktiv. Können Sie uns sagen, welche Auswirkungen der Putsch auf die Strategie der Bundesregierung in Niger hat?

Wenn Sie noch eine zweite Frage erlauben, die sich an Frau Routsi oder Herrn Fischer richtet: Haben Sie Befürchtungen, dass die Wagner-Gruppe auch in Niger schon bald eine stärkere Position einnehmen könnte und sich darauf vorbereitet? Welche Informationen haben Sie dazu?

HOFFMANN (BReg): Ich glaube, es ist jetzt einfach noch zu früh, eine strategische Bewertung vorzunehmen. Wir beobachten das natürlich sehr genau. Wir haben ‑ das haben auch die Kollegen gesagt ‑ den Putsch auf das Schärfste verurteilt, betrachten weiterhin Herrn Bazoum als den rechtmäßigen und vom Volk gewählten Präsidenten und setzen darauf, dass die Demokratie in Niger wiederhergestellt wird. Für eine strategische Neubewertung der Lage ist es noch zu früh.

FISCHER: Man muss feststellen, dass im Umfeld Nigers die Wagner-Gruppe und andere russische Sicherheitskräfte länger aktiv gewesen sind. Das betrifft Mali und Burkina Faso. Trotzdem liegen uns keine Erkenntnisse darüber vor, dass russische Kräfte bei dem Putsch in Niamey eine Rolle gespielt haben. Aus unserer Sicht ist es weiterhin so, dass der Putsch sich in Teilen der Präsidentengarde entwickelt und sich dann praktisch erst zu einem späteren Zeitpunkt der Rest der Streitkräfte angeschlossen hat. Es schien keinen größeren Plan zu geben. All das spricht dann doch gegen eine längere Vorplanung. Trotzdem sehen wir natürlich, dass es im Zusammenhang mit dem Putsch einen Anstieg prorussischer Desinformation gegeben hat. Es sind auch einzelne russische Fahnen in Niamey verteilt worden. Aber es gilt, glaube ich, auch festzuhalten, dass Russland im UN-Sicherheitsrat die Erklärung zur Wiederherstellung der demokratisch gewählten Regierung mitgetragen hat.

ZUSATZFRAGE: Herr Fischer, einer der Putschisten aus Niger war ja in Mali. Glauben Sie, dass die Kooperation zwischen der militärischen Junta und den Putschisten in Niger auch ausgeweitet werden könnte?

FISCHER: In der Tat. Ich glaube, es war der ehemalige Generalstabschef, der vor mehreren Monaten sein Amt abgegeben hat. Er war nach allem, was wir zumindest Medienberichten entnehmen konnten, in Mali. Sie wissen auch, dass Burkina Faso und Mali den Putschisten ihre Unterstützung zugesichert haben. Gleichzeitig ist es aber so, dass sowohl Burkina Faso als auch Mali mit ihren Streitkräften eigentlich in ihrem eigenen Land überdehnt sind. Deshalb glauben wir nicht, dass es von dort letztlich substanzielle Unterstützung für Niger geben könnte. Das ginge jedenfalls nur unter Vernachlässigung eigener Sicherheitsinteressen in Burkina Faso und Mali.

FRAGE: Eine Frage an das AA. Als ausgeflogen wurde, war nur ein deutscher Zivilist dabei. Gibt es dort noch mehr deutsche Zivilisten? Wie geht es weiter?

FISCHER: Wir haben in den letzten Tagen mit Hilfe unserer französischen Freunde durchaus eine substanzielle Zahl von Deutschen ausfliegen können. 60 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger haben das Land verlassen. Wir gehen nicht davon aus, dass derzeit noch Deutsche im Land sind, die ausreisewillig sind. Wir stehen mit denen, die vor Ort sind, im Kontakt. Das ist eine geringe zweistellige Zahl. Diese hatten das Angebot, ausreisen zu können. Sie haben das nicht wahrgenommen und halten sich jetzt dort auf. Wir raten diesen natürlich weiterhin dringend, möglichst zu Hause zu bleiben, Menschenansammlungen zu meiden, sich von öffentlichen Gebäuden und Militäreinrichtungen fernzuhalten und über die Lageentwicklung auf dem Laufenden zu halten.

ZUSATZFRAGE: Eine Frage an das Verteidigungsministerium: Wie geht es mit dem EU-Einsatz weiter? Kann man dazu schon etwas sagen?

ROUTSI: Das ist eine Frage, die Sie an die EU richten müssen. Ich habe gesagt, dass zwei Soldaten der EUTM wieder nach Deutschland zurückgeführt wurden. Das ist derzeit eingestellt.

FRAGE: Herr Fischer, einige sprechen vom militärischen Showdown in der Sahelzone. Nigeria hat zumindest angedeutet, dass sie für eine Militärintervention offen sind, andere Länder auch. Wie bewertet das die Bundesregierung? Sind Sie offen für kriegerische Auseinandersetzungen, um die Putschisten zu entmachten?

FISCHER: Sie haben durchaus Recht. ECOWAS hat sich letzten Sonntag zusammengefunden und verschiedene Maßnahmen ergriffen, unter anderem wirtschaftliche Sanktionen, die teilweise schon umgesetzt werden. Nigeria hat zumindest den Teil der Stromversorgung, den es sichergestellt hat, eingestellt. Die Folgen sind in Niamey deutlich spürbar. Auf der anderen Seite gibt es Vermittlungsbemühungen. Ich erwähnte vorhin, dass die Vermittlungsmission der ECOWAS vor Ort ist und Gespräche führt.

Richtig ist, dass die ECOWAS auch deutlich gemacht hat, dass als letztes Mittel aus ihrer Sicht die Anwendung militärischer Gewalt nicht ausgeschlossen ist. Ich glaube, wichtig ist, dass wir jetzt erst einmal den Vermittlungsbemühungen ihren Raum geben, von denen wir natürlich hoffen, dass sie zu einem erfolgreichen Ende geführt werden können und sich daraus eine politische Lösung ergibt.

ZUSATZFRAGE: Sind Sie denn offen dafür, dass ECOWAS bzw. Teile von ECOWAS zur Not militärisch eingreifen würde oder versuchen Sie, die afrikanischen Partner davon abzuhalten, quasi einen Krieg auszulösen?

FISCHER: Ich glaube, ich war sehr deutlich in dem, was ich gesagt habe. Wir unterstützen die derzeit laufenden Vermittlungsbemühungen und hoffen, dass auf diesem Weg eine Lösung gefunden werden kann. Alles, was im Anschluss an eine mögliche Vermittlungsbemühung passieren könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt Spekulation. Das kann genauso gut auch die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung sein.

FRAGE: Herr Fischer, eine Nachfrage zu der Vermittlungsgruppe. Es gibt Berichte von Radio France und BBC, dass diese Vermittlungsgruppe schon wieder abgereist ist. Haben Sie einen anderen Kenntnisstand, oder gibt es verschiedene Vermittlungsgruppen? Nach diesen Berichten sieht es so aus, dass die Vermittlung schon gescheitert ist.

FISCHER: Diese Kenntnisse liegen mir nicht vor. Ob die Vermittlung gescheitert ist oder nicht, muss man auch nicht unbedingt daran festmachen, ob jemand wieder ausgereist ist. Manchmal ist es auch so, dass man seine Erwartungen auf den Tisch legt, und dann muss die Gegenseite erst noch einmal einen Tag oder zwei Tage darüber schlafen. Insofern würde ich, selbst wenn es zu einer Abreise gekommen sein sollte, daraus nicht notwendigerweise auf das Ende jeglicher Vermittlungsbemühungen schließen. Eher glaube ich, dass wir am Anfang stehen, weil jetzt erst die von ECOWAS verhängten Sanktionen zu wirken beginnen. Es gibt zumindest glaubwürdige Berichte, dass die Kohäsion in den nigrischen Streitkräften nicht so groß ist, wie die Putschisten das gerne hätten. Ich würde den Faktor Zeit nicht völlig unterschätzen.

FRAGE: Können Sie oder ein anderes Ressort uns eine Einschätzung geben, was es für die Zivilbevölkerung bedeutet, wenn deutsche Organisationen, die sich um Entwicklungszusammenarbeit und anderes gekümmert haben, nun nicht mehr vor Ort sind?

FISCHER: Wir haben gesagt, dass wir die direkten Zahlungen an die nigrische Zentralregierung eingestellt haben, dass wir die Sicherheitszusammenarbeit eingestellt haben. Gleichzeitig ist es aber so, dass humanitäre Hilfe unabhängig von dem jeweiligen Regime geleistet wird. Die humanitäre Hilfe läuft weiter. Das heißt, die besonders vulnerablen Gruppen der nigrischen Bevölkerung werden weiter versorgt. Im Detail kann das sicher die Kollegin aus dem BMZ weiter ausführen.

ZUSATZFRAGE: Während der Platzwechsel stattfindet, würde ich darum bitten, dass Sie uns, wenn es geht, ein wenig veranschaulichen, wie die konkrete Hilfe aussieht.

KOUFEN (BMZ): Vielen Dank für die Frage, das mache ich sehr gerne. Wir haben uns, wie gesagt, aus der bilateralen Zusammenarbeit erst einmal zurückgezogen und die Zahlungen gestoppt. Wir sind aber nach wie vor in der sogenannten Übergangshilfe tätig. Diese läuft weiter. Diese Übergangshilfe kann man als eine Art Brücke zwischen langfristiger Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Nothilfe verstehen. Sie ist ein Instrument der Krisenbewältigung, das man flexibel und kurzfristig in sehr fragilen Kontexten einsetzen kann, beispielsweise nach Naturkatastrophen, nach einem Putsch, wie wir es jetzt sehen, oder auch in Pandemiezeiten. Es geht darum, die Resilienz und Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung zu stärken und die humanitären Bedarfe zu reduzieren.

Die Übergangshilfe in Niger wird vom BMZ derzeit mit 338 Millionen Euro unterstützt und von mehreren Organisationen durchgeführt, allen voran von UN-Organisationen wie das World Food Programme und das UN-Kinderhilfswerk UNICEF. Diese UN-Organisationen unterstützen wir derzeit mit 309 Millionen Euro für insgesamt fünf Programme, von denen vier regional oder länderübergreifend durchgeführt werden. Dazu kommt ein GIZ-Vorhaben mit 9,5 Millionen Euro. Dabei geht es darum, dass die Ernährungssicherheit der Bevölkerung in prekären ländlichen Gegenden aufrechterhalten wird, vor allem in den Regionen Zinder und Tahoua. Daneben unterstützen wir mit knapp 20 Millionen Euro sieben Projekte, die Nichtregierungsorganisationen wie die Welthungerhilfe, Plan International oder die Christoffel-Blindenmission durchführen. Das sind vier regionale bzw. länderübergreifende Projekte, die wir mit knapp 20 Millionen Euro unterstützen.

ZUSATZFRAGE: Sie unterstützen finanziell, wenn ich Sie recht verstehe. Es sind aber keine deutschen Kräfte und originäre Organisationen in der Realisierung dieser Übergangshilfe tätig. Ist das richtig? Wenn das so ist, über wen wird dann praktisch realisiert? Sie haben das World Food Programme als einen Player genannt. Wer ist es daneben noch? Wer kontrolliert die Mittelverwendung?

KOUFEN: Ich kann Ihnen sagen, dass vonseiten der GIZ ein kleines Team von vier Leuten vor Ort geblieben ist. Sie sind nach wie vor in Niger und kümmern sich weiterhin vor Ort. In der Übergangshilfe sind, wie gesagt, die UN-Organisationen World Food Programme und UNICEF für uns vor Ort die Hauptdurchführungsorganisationen, die dort ihr Personal haben.

Koranverbrennungen in Schweden

FRAGE: Ich habe gestern in einer Zeitung gelesen, dass der Iraker, der das Exemplar des Koran in Stockholm in Schweden zerrissen hat, nach Deutschland kommen wollte. Gibt es eigentlich Gespräche zwischen der Bundesregierung und der schwedischen und dänischen Regierung darüber, diese Extremisten, die den Islam und das Christentum verleumden, zu stoppen?

HOFFMANN (BReg): Ist das an mich gerichtet?

VORS. WEFERS: Ich glaube, an den, der sich berufen fühlt.

FISCHER (AA): Mir sind die Berichte, die sie erwähnen, nicht bekannt. Aber ich glaube, für die Bundesregierung kann ich erklären, dass wir Koranverbrennungen klar ablehnen und dass Provokationen dieser Art Hass und Spaltung provozieren sollen. Wir glauben nicht, dass das förderlich für ein friedliches Zusammenleben ist.

HOFFMANN: Etwas anderes hätte ich auch nicht gesagt.

VORS. WEFERS: Ich wollte Sie nicht bremsen!

HOFFMANN: Nein, nein.

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